Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.03.2024 – M 4 S 24.1275
Titel:

Prüfungsrecht, Zweite Juristische Staatsprüfung, Unerlaubtes Verlassen des Prüfungsraumes

Normenkette:
JAPO § 11
Schlagworte:
Prüfungsrecht, Zweite Juristische Staatsprüfung, Unerlaubtes Verlassen des Prüfungsraumes
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.04.2024 – 7 CS 24.567
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11864

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. Februar 2024.
2
Der Antragsteller nahm im Termin 2023/2, im Zeitraum vom 28. November bis 9. Dezember 2023 am schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung teil.
3
Am 1. Dezember 2023 fertigte er im Sitzungssaal 5 des Bayerischen Verwaltungsgerichts München die Aufgabe 4 an.
4
Die Prüfungsteilnehmer wurden zunächst belehrt. Dann wurden die Prüfungsarbeiten ausgegeben. Der Antragsteller wurde als einer von acht bei insgesamt elf Prüfungsteilnehmern für die Kontrolle mittels Metalldetektoren ausgewählt. Hierzu erfolgte eine weitere Belehrung. Im Rahmen dieser wurden die zur Kontrolle ausgewählten Prüfungsteilnehmer gebeten, aufzustehen und an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben, bis die Wachtmeister zu den Prüflingen kommen. Nach Beginn der Kontrollen und vor seiner eigenen Kontrolle verließ der Antragsteller den Prüfungsraum mit den Worten „das dauert hier ja alles noch“ und kehrte erst nach ca. 30 Sekunden bis eine Minute in den Sitzungssaal 5 zurück.
5
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 7. Dezember 2023 wurde der Antragsteller zum beabsichtigten Erlass eines „Unterschleifbescheids“ angehört.
6
Der Bevollmächtigte des Antragstellers nahm mit Schreiben vom 20. Dezember 2023 Stellung und hat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund des Augenkontakts mit der Prüfungsaufsicht während seiner Aussage „das dauert hier ja alles noch“ beim Verlassen des Prüfungsraumes diesen nicht unerlaubt verlassen habe. Der Kläger habe lediglich die Toilette aufsuchen müssen. Ihm sei zudem aufgrund der Anwesenheit von Polizeibeamten vor Beginn der Prüfung völlig klar gewesen, dass an diesem Tag Kontrollen mittels Metalldetektoren stattfinden würden. Es sei zumindest ein minder schwerer Fall nach § 11 Abs. 6 JAPO anzunehmen. Auf die Stellungnahme wird im Übrigen Bezug genommen.
7
Mit Bescheid vom 6. Februar 2024, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 10. Februar 2024 zugestellt, teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass der Prüfungsausschuss für die Zweite Juristische Staatsprüfung beschlossen habe, die Bearbeitung der Aufgabe 4 der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2023/2 des Antragstellers mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten, § 11 Abs. 4 JAPO. Ferner ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses an.
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Der Entscheidung des Prüfungsausschusses lägen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Gemäß § 11 Abs. 4 JAPO werde die Arbeit in Fällen, in denen ein Prüfungsteilnehmer den beaufsichtigen Prüfungsbereich nach Ausgabe der Prüfungsarbeiten unerlaubt verlasse, mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) bewertet. Die Vorschrift sei dem Antragsteller mit der Zulassung zur Prüfung mitgeteilt worden. Zudem sei er am gegenständlichen Prüfungstag nach Einnahme seines Arbeitsplatzes und vor dem Verlassen des Prüfungsraums durch die Prüfungsaufsicht noch einmal explizit darüber belehrt worden, dass ein Unterschleif auch dann vorliege, wenn ein Prüfling nach Ausgabe der Aufgaben unerlaubt den beaufsichtigen Prüfungsbereich verlasse. Nichtsdestotrotz habe der Antragsteller den beaufsichtigen Prüfungsbereich nach Ausgabe der Prüfungsarbeiten verlassen. Dies sei ihm zuvor nicht durch die Prüfungsaufsicht gestattet worden. Der vom Antragsteller angeführte Blickkontakt mit der Prüfungsaufsicht infolge der Bemerkung des Antragstellers, „das dauert hier ja alles noch“ habe seitens des Antragstellers nicht als Zustimmung der Prüfungsaufsicht zum Verlassen des Prüfungsraums verstanden werden können. Einerseits lasse sich dieser Feststellung weder der Wunsch, den Prüfungsraum zu verlassen, noch eine diesbezügliche Bitte um Erlaubnis entnehmen. Andererseits sei seitens der Prüfungsaufsicht keinerlei Reaktion auf diese Worte erfolgt, welche der Prüfungsteilnehmer als Einverständnis mit einem Verlassen des Prüfungsraums hätte deuten können. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 4 JAPO ergebe sich eindeutig, dass ein Verlassen des Prüfungsraums durch die Prüfungsteilnehmer nach Ausgabe der Prüfungsaufgaben nur nach vorheriger positiver Erlaubnis durch die Prüfungsaufsicht zulässig sei. Einem fehlenden Widerspruch komme ein Erklärungswert, der einer solchen Erlaubnis gleichstünde, nicht zu. Es liege auch kein minder schwerer Fall im Sinne von § 11 Abs. 6 JAPO vor. Der Antragsteller sei wenige Minuten vor dem Verlassen des Prüfungsraums explizit darüber belehrt worden, dass ein Unterschleif auch dann vorliege, wenn ein Prüfling nach Ausgabe der Aufgaben unerlaubt den beaufsichtigen Prüfungsbereich verlasse. Er sei zudem zuvor für eine Kontrolle mittels Metalldetektoren ausgewählt worden, sodass jedenfalls die Möglichkeit bestehe, dass das Verlassen des Prüfungsraums dem Zweck gedient habe, sich eines unerlaubten technischen Hilfsmittels zu entledigen. Es komme auch nicht darauf an, dass es dem Antragsteller nach seinen Angaben aufgrund der Anwesenheit von Polizeibeamten vor Beginn der Prüfung völlig klar gewesen sei, dass an diesem Tag eine Kontrolle mittels Metalldetektoren stattfinden würde und die Wahrscheinlichkeit, aufgrund der geringen Anzahl von Prüfungsteilnehmern im Prüfungsraum selbst kontrolliert zu werden, hoch gewesen sei. Denn das schließe nicht aus, dass der Antragsteller nichtsdestotrotz darauf vertraut habe, dass eine solche Kontrolle jedenfalls nicht ihn treffen würde. Zuletzt rechtfertige auch die Tatsache, dass die Prüfungsaufsichten den Antragsteller nicht aktiv an einem Verlassen des beaufsichtigen Prüfungsbereich gehindert hätten, nicht die Annahme eines minder schweren Falles. Der Antragsteller sei vor Beginn der Prüfung nochmals explizit darüber belehrt worden, dass ein Unterschleif auch dann vorliege, wenn ein Prüfling nach Ausgabe der Aufgaben unerlaubt den beaufsichtigen Prüfungsbereich verlasse. Ihm sei daher bewusst gewesen, dass er zum Verlassen des Prüfungsraums einer Erlaubnis der Prüfungsaufsicht bedurft habe. Zudem könne von einer Prüfungsaufsicht nicht erwartet werden, dass diese einen Prüfungsteilnehmer am Verlassen des beaufsichtigen Prüfungsraums hindere. So stünden der Prüfungsaufsicht Zwangsmittel insoweit nicht zu. Auch habe diese zahlreiche Prüfungsteilnehmer im Blick zu haben. Eine Reaktion in der Schnelligkeit, wie sie erforderlich gewesen sei, um den Antragsteller, welcher den Prüfungsraum schnellen Schrittes verlassen habe, am Verlassen des Prüfungsraums zu hindern, könne von ihr daher nicht erwartet werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten. Im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung müsse das Prüfungsverfahren vorerst ohne Berücksichtigung des Beschlusses fortgesetzt und möglicherweise zunächst ein aufgrund des Verstoßes des Antragstellers gegen § 11 JAPO letztlich unrichtiges Ergebnis der Zweiten Juristischen Staatsprüfung bescheinigt werden. Es liege jedoch im öffentlichen Interesse, dass die Bestätigung einer juristischen Qualifikation nur dann erfolge, wenn der Prüfungsteilnehmer diese tatsächlich rechtmäßig erworben habe und sie ihm dauerhaft zustehe. Gegenüber diesem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug habe das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zurückzustehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er selbst durch seinen Verstoß die Ursache für den Erlass des Bescheids gesetzt habe.
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Mit Schreiben vom 25. Februar 2024, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Klage erhoben (M 4 K 24.748) und beantragt, den Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz – Landesjustizprüfungsamt – vom 6. Februar 2024, Gz. GPA-2225E-IX-14819/2023, aufzuheben.
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Mit Schreiben vom 12. März 2024 hat der Bevollmächtigte des Klägers die Klage begründet. Auf die Klagebegründung wird Bezug genommen.
11
Mit Schreiben vom 12. März 2024, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller im Wege des Eilrechtsschutzes beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 15. Februar 2024 (Az. M …) gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. Februar 2024 (Gz. …) wiederherzustellen.
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Zur Begründung des Antrags führte der Bevollmächtigte aus, dass der in der Hauptsache angegriffene Bescheid sich bereits nach summarischer Prüfung auf Basis des vom Antragsgegner geschilderten Sachverhalts als rechtswidrig erweise. An der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheids bestehe kein öffentliches Vollzugsinteresse, sodass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers bereits deswegen überwiege. Hinzu komme, dass die Sofortvollzugsanordnung auch nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend begründet und daher bereits formell rechtswidrig sei. Die Begründungspflicht solle der Behörde selbst den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung verdeutlichen, sodass die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des Interesses an der sofortigen Vollziehung angehalten werden solle. Die Behörde müsse bezogen auf die Umstände im konkreten Fall das besondere Interesse einer sofortigen Vollziehung sowie die Ermessenserwägungen, die sie zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen hätten, darlegen. Formelhafte, also für beliebige Fallgestaltungen passende Wendungen, formblattmäßige oder pauschale Argumentationsmuster sowie die bloße Wiederholung des Gesetzestextes reichten nicht aus. Zur Begründung des Sofortvollzugs müssten zudem regelmäßig andere Gründe angeführt werden, als zur Rechtfertigung des Verwaltungsakts, da das Interesse an der sofortigen Vollziehung im Regelfall über das Interesse hinausgehen müsse, das den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertige. Diesen Anforderungen werde die Sofortvollzugsanordnung in keiner Weise gerecht. Die Ausführungen stellten lediglich in allgemeiner und abstrakter Hinsicht darauf ab, dass es dem öffentlichen Interesse entspreche, die Bestätigung einer juristischen Qualifikation nur dann vorzunehmen, wenn ein Prüfungsteilnehmer diese tatsächlich rechtmäßig erworben habe und sie ihm dauerhaft zustehe. Gegenüber diesem Interesse habe ein Aussetzungsinteresse zurückzutreten auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Prüfling durch seinen Verstoß die Ursache für den Bescheiderlass selbst gesetzt habe. Beide Begründungen seien nur pauschale Allgemeinplätze, da sie auf jegliche unter § 11 JAPO zu subsumierende Fallkonstellation zu treffen würden. Trotz dieser grundsätzlichen Ausgangsposition habe der Normgeber davon abgesehen, einen grundsätzlichen Wegfall der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen Entscheidungen nach § 11 Abs. 7 Satz 1 JAPO zu regeln. Vielmehr sehe der Normgeber vor, dass gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 JAPO eine im Ergebnis unrichtig erteilte Prüfungsbescheinigung zu berichtigen sei. Vor diesem Hintergrund hätte der Antragsgegner den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend in der Sofortvollzugsanordnung darlegen müssen, welche Gründe ihn bewogen hätten, in Abkehr vom Regelfall gerade im konkreten Fall des Antragstellers den Sofortvollzug anzuordnen. Der Antragsgegner habe sich auf die bloße Wiedergabe von pauschalen Erwägungen beschränkt, ohne darzulegen, welche konkreten Umstände des Einzelfalls ihn dazu veranlassten, von einem überwiegenden Vollzugsinteresse gegenüber dem mit Blick auf den Makel des Unterschleifbescheids und den damit verbundenen stark negativen Auswirkungen auf anstehende Bewerbungsverfahren recht offensichtlichen Aussetzungsinteresse des Antragstellers auszugehen.
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Der Antragsgegner erwiderte mit Schreiben vom 14. März 2024 und beantragte, die Klage abzuweisen und
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Sofortvollzugsanordnung formell rechtmäßig sei. Sie sei insbesondere den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend begründet. Es gebe Fallgestaltungen, in denen das öffentliche Interesse einer sofortigen Vollziehung mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts regelmäßig identisch und nichtsdestotrotz die Zulässigkeit einer Sofortvollzugsanordnung anerkannt sei. Ein Beispiel hierfür bildeten behördliche Maßnahmen des Bauordnungsrechts. Nichts Anderes gelte im Prüfungsrecht. Auch hier müsse die Öffentlichkeit davor geschützt werden, dass der Betroffene bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung Vorteile aus einem ihm möglicherweise nicht zustehenden Berufsabschluss bzw. einer ihm möglicherweise nicht zustehenden Prüfungsgesamtnote ziehe. Dies gelte nicht nur für den notwendigen Schutz Rechtsberatung suchender Bürger oder potentieller private Arbeitgeber, sondern auch für eine mögliche Einstellung des Betroffenen im öffentlichen Dienst. Denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Betroffene bei einer auf der Grundlage des Leistungsgrundsatzes erfolgenden Besetzung eines öffentlichen Amtes in unzutreffender Weise berücksichtigt werde und damit ein Mitbewerber unter Verstoß gegen das Leistungsprinzip nicht zum Zuge komme. Es überwiege zudem bei der vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn die Klage sei jedenfalls unbegründet, da der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletze. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 4 JAPO ergebe sich eindeutig, dass ein Verlassen des Prüfungsraums durch die Prüfungsteilnehmer nur nach vorheriger positiver Erlaubnis durch die Prüfungsaufsicht zulässig sei. Einem fehlenden Widerspruch komme ein Erklärungswert, der einer solchen Erlaubnis gleichstünde, nicht zu. Der Antragsteller sei vor Beginn der Kontrolle mit den Metalldetektoren zweimal darüber belehrt worden, dass er den Prüfungsraum nicht unerlaubt verlassen dürfe bzw. an seinen Arbeitsplatz zu verbleiben habe. Ihm sei daher beim Verlassen des Prüfungsraum bewusst gewesen, dass er sich mit seinem Verhalten in Widerspruch zu der zuvor seitens der Prüfungsaufsicht erklärten Anweisung setze. Von einer Prüfungsaufsicht könne nicht erwartet werden, dass sie einen Prüfungsteilnehmer am Verlassen des beaufsichtigen Prüfungsraums hindere. So stünden ihr Zwangsmittel insoweit nicht zu. Auch habe sie zahlreiche Prüfungsteilnehmer im Blick zu haben. Eine Reaktion in der Schnelligkeit, wie sie erforderlich gewesen wäre, um den Antragsteller, welchen den Prüfungsraum schnellen Schrittes verlassen habe, am Verlassen des Prüfungsraum zu hindern, könne von ihr nicht erwartet werden. Dies gelte insbesondere in der vorliegenden Situation, in der die Prüfungsaufsicht ihre Aufmerksamkeit der gerade stattfindenden Kontrolle zugewandt habe. Soweit der Antragsteller insoweit im Übrigen von einem „langen Weg quer durch den ganzen Raum“ spreche, könne hiervon beim Prüfungsraum, welcher lediglich mit drei Reihen von Tischen bestuhlt sei, keine Rede sein. Der Prüfungsausschuss habe auch zu Recht von der Annahme eines minder schweren Falls im Sinne von § 11 Abs. 6 JAPO abgesehen. Insbesondere komme es nicht darauf an, dass es nach den Angaben des Antragstellers den Prüfungsteilnehmern aufgrund der Anwesenheit von Justizwachtmeistern vor Beginn der Prüfung klar gewesen sei, dass an diesem Tag eine Kontrolle mittels Metalldetektoren stattfinden würde. Dies schließe nicht aus, dass der Antragsteller nichtsdestotrotz darauf vertraut habe, dass eine solche Kontrolle jedenfalls nicht ihn treffen würde.
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Mit Schreiben vom 19. März 2024 nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers ergänzend Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass der Weg des Antragstellers durch den Prüfungsraum diagonal durch den ganzen Raum geführt habe. Dabei habe es sich nicht nur um „wenige Schritte“ gehandelt. Diese Tatsachen stünden in Widerspruch zur Darstellung des Antragsgegners, der Antragsteller sei ohne Reaktionsmöglichkeiten für die Aufsicht aus dem Raum entflohen. Zudem habe der Antragsteller zwar nicht ausdrücklich, aber konkludent mit Fingerzeig Richtung Toilette um Erlaubnis ersucht. Dies zeige eindeutig, dass es gerade nicht die Absicht des Antragstellers gewesen sei, den Prüfungsraum ohne Erlaubnis zu verlassen. Über eine Form der Erlaubniserteilung oder eine etwaige „Ausdrücklichkeit“ der Erlaubniserteilung sei der Antragsteller gerade nicht belehrt worden. Denn es bedürfe keiner ausdrücklichen Erlaubnis, diese könne vielmehr auch konkludent oder stillschweigend erteilt werden. Wenn das Verhalten des Antragstellers zudem ein so eindeutiger Verstoß gegen das Verbot des unerlaubten Verlassens des Prüfungsbereichs gewesen wäre, wäre es umso naheliegender gewesen, dass die Hauptaufsicht auf diese vermeintlich so eindeutige Situation mit einem kurzen „Warten Sie“ oder „Moment“ reagiert hätte. Der Befund, dass die Prüfungsaufsicht zahlreiche Prüfungsteilnehmer im Teilnehmer im Blick zu haben hätten, sei mit Blick auf die konkrete Prüfungssituation des Sitzungssaals 5 bei elf Prüfungsteilnehmern, drei Aufsichtspersonen und zwei Wachtmeistern an den Haaren herbeigezogen. Zudem sei die Nachschau in der Toilette, die von zwei Sicherheitskräften durchgeführt worden sei, ohne Ergebnis geblieben. Der Antragsgegner verwechsle mit Blick auf den Tatbestand des § 11 Abs. 4 JAPO die Notwendigkeit einer positiven Erlaubniserteilung mit der fehlenden Notwendigkeit einer ausdrücklichen Erlaubniserteilung. Soweit der Antragsgegner nun erstmals Gründe nenne, aus denen das Sofortvollzugsinteresse der Öffentlichkeit überwiege, müsse darauf hingewiesen werden, dass nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Blick auf das besondere Formerfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO eine Heilung des Formfehlers nicht in Betracht komme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren und die vorgelegte Behördenakte.
II.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg, weil er unbegründet ist.
20
1. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO des Bescheids vom 15. Februar 2024 in einer den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch genügenden Weise, auf den Einzelfall abstellend, begründet. Zwar ist dem Antragsteller insoweit zuzustimmen, als dass die Begründung im Detail ausbaufähig wäre. Der Bevollmächtigte des Antragstellers verkennt aber insoweit den von ihm selbst zitierten Normzweck der Regelung des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, dass die Behörde erkennen soll, dass der Sofortvollzug den Ausnahmefall darstellt und bei der Anordnung des Sofortvollzugs auf den Einzelfall abzustellen ist (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2010 – 10 S 2391/09 – juris Rn. 4). Dieses Bewusstsein des Antragsgegners ist anhand der Begründung im streitgegenständlichen Fall klar ersichtlich. Eine inhaltliche Überprüfung der Begründung hat das Gericht insoweit nicht vorzunehmen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55).
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Der Verweis des Bevollmächtigten auf § 11 Abs. 7 Satz 2 JAPO geht insoweit fehl, als dass hierunter insbesondere die Fälle der erst nachträglichen Feststellung eines Unterschleifs nach Bekanntgabe der Prüfungsbescheinigung fallen. Der Rückschluss auf eine besondere Absicht des Normgebers hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung der Klage ist daraus nicht möglich. Daher bleibt es beim allgemeinen Grundsatz, dass die aufschiebende Wirkung zwar der Regelfall ist, die Anordnung des Sofortvollzugs aber keineswegs einen erhöhten Begründungsaufwand im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten erfordert.
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2. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2014 – 1 B 21/14 – juris Rn. 6) überwiegt das öffentlichen Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Antragsgegners vom 6. Februar 2024 ist voraussichtlich rechtmäßig.
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Bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage offensichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse eines Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
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Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers offensichtlich erfolglos bleiben wird. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
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2.1. Die Entscheidung des Prüfungsausschusses für die Zweite Juristische Staatsprüfung, die Bearbeitung der Aufgabe 4 der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2023/2 des Antragstellers mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten, findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 4 JAPO.
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Nach § 11 Abs. 4 JAPO ist die Arbeit eines Prüfungsteilnehmers, der nach Ausgabe der Prüfungsaufgaben unerlaubt den beaufsichtigten Prüfungsbereich verlässt, mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten. Nach Abs. 6 kann in minder schweren Fällen bei Vorliegen besonderen Umstände von einer Ahndung abgesehen werden.
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2.1.1. Ein „unerlaubtes Verlassen des Prüfungsraums“ nach § 11 Abs. 4 JAPO ist vorliegend gegeben.
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Der Antragsteller hat den Prüfungsraum am 1. Dezember 2023 nach Ausgabe der Prüfungsarbeiten verlassen. Es lag keine Erlaubnis seitens der Prüfungsaufsicht vor.
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Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten des Antragstellers liegt – unabhängig von der Frage, ob dies bereits den Tatbestand des § 11 Abs. 4 JAPO ausschließen würde – auch keine stillschweigende oder konkludente Erlaubnis vor.
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Der Antragsteller hat bereits nicht gefragt, ob er den Prüfungsraum verlassen dürfe. Die bloße Feststellung „das dauert hier ja alles noch“ stellt keine solche Frage dar.
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Die Prüfungsaufsicht trifft auch keinerlei Verpflichtung, den Prüfling am Verlassen des Prüfungsraumes zu hindern, weder durch Handlungen wie etwa ein In-den-Weg-Stellen noch durch verbale Zurufe. Vielmehr ist es Aufgabe des Prüfungsteilnehmers eine Erlaubnis einzuholen und insoweit auch eine Antwort abzuwarten. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass es dem Antragsteller, der kurz zuvor zweimal belehrt wurde, durchaus bewusst war, dass ein Verlassen des Prüfungsraums ihm gerade nicht ohne Weiteres erlaubt ist. Da der Antragsteller bereits die schriftlichen Prüfungen der Ersten Juristischen Staatsprüfung sowie drei schriftliche Prüfungen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung absolviert hat, war ihm das entsprechende Prozedere beispielsweise bei einem Gang zur Toilette während der Prüfung durchaus bekannt.
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Da es den Prüfungsteilnehmern unter Inkaufnahme der entsprechenden Konsequenzen (Bewertung der Prüfungsarbeit mit „ungenügend“) jederzeit freisteht, den Prüfungsraum zu verlassen, ist auch nicht ersichtlich, warum eine Prüfungsaufsicht das Verlassen des Prüfungsraumes „schnellen Schrittes“ – wie vom Antragsteller selbst vorgetragen – durch einen Prüfungsteilnehmer umgehend verhindern müsste. Dazu ist die Prüfungsaufsicht gar nicht befugt. Der Bevollmächtigte des Antragstellers verkennt insoweit, dass es sich um Prüflinge und keine Häftlinge handelt.
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2.1.2. Es liegt auch kein minder schwerer Fall im Sinne des § 11 Abs. 6 JAPO vor.
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Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, eine Erlaubnis der Prüfungsaufsicht zum Verlassen des Raumes einzuholen. Vielmehr hat er den Prüfungsraum „schnellen Schrittes“ verlassen. Dabei kam er nach eigenen Angaben beim Verlassen des Raumes direkt am Pult der Prüfungsaufsicht vorbei. Da der Antragsteller nicht einmal eine Frage dahingehend an die Prüfungsaufsicht gerichtet, geschweige denn eine Antwort abgewartet hat, liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 JAPO nach Auffassung der Kammer nicht vor.
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Insbesondere unter Zugrundelegung der Tatsache, dass der Antragsteller zur Kontrolle mittels Metalldetektoren ausgewählt wurde und den Raum vor seiner eigenen Kontrolle verließ, ist kein minder schwerer Fall gegeben. Nach Auffassung der Kammer ist – ganz im Gegenteil – vielmehr anzunehmen, dass das Verhalten des Antragstellers vorliegend besonders schwer wiegt. Der Antragsteller war kurz zuvor belehrt worden und handelte daher im vollen Bewusstsein, dass das Verlassen des Sitzungssaals gegen zwei konkrete Anweisungen der Prüfungsaufsicht (Verbleiben im Prüfungsraum und Stehenbleiben am Arbeitsplatz bis zur Beendigung der eigenen Kontrolle) verstößt.
36
Die Frage, ob der Antragsteller vor Betreten des Prüfungsraumes vermutet hat, dass es zu einer Kontrolle mittels Metalldetektoren kommen könnte, spielt nach Auffassung der Kammer daher keine Rolle. Ein minder schwerer Fall liegt auch nicht deshalb vor, weil bei einer Nachschau in der Toilette kein unerlaubtes (technisches) Hilfsmittel aufgefunden wurde.
37
Die Regelungen des § 11 JAPO erfordern vorliegend nicht, dass sich der Prüfungsteilnehmer einen tatsächlichen Vorteil verschafft. Auch im Rahmen des Unterschleifs durch unzulässige Hilfsmittel kommt es nicht darauf an, ob das mitgeführte Hilfsmittel einem bewussten Unterschleif dienen sollte, ob es tatsächlich benutzt wurde und ob es für die Bearbeitung der konkreten Aufgabe brauchbar war, ob also der Prüfling aus dem nicht zugelassenen Hilfsmittel Vorteile ziehen konnte oder wollte (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2011 – 7 ZB 10.2819 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 21.1.2016 – 7 BV 15.1233 – juris Rn. 18 f.). Der Antragsgegner muss daher auch im vorliegenden Fall nicht nachweisen, dass der Prüfungsteilnehmer tatsächlich in einer „bösen Absicht“ den Prüfungsraum verlassen hat.
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Ein minder schwerer Fall muss unter Zugrundelegung des Wortlauts des § 11 Abs. 4 JAPO geprüft werden. Dieser bezieht sich folglich auf das „unerlaubte Verlassen“ des Prüfungsraums. Darauf bezogen kann die Kammer keine Ausnahmesituation erkennen. Der Antragsteller hat eine solche auch nicht dargetan. Dem Antragsteller wäre es ohne Probleme möglich gewesen, eine Erlaubnis vor Verlassen des Prüfungsraumes einzuholen. Aufgrund der vorherigen Belehrungen war dem Antragsteller auch bewusst, welche Folgen bei einem Verstoß gegen die Regelung des § 11 Abs. 4 JAPO und die darauf beruhende mündliche Anweisung der Prüfungsaufsicht vor Ort drohen. Trotz des umfangreichen Vortrags seines Bevollmächtigten bleibt weiterhin unklar, weshalb der Antragsteller so dringend den Prüfungssaal verlassen musste, dass er nicht mehr um Erlaubnis fragen konnte.
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Aufgrund dessen sieht die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass das Handeln des Antragstellers als „minder schwer“ zu betrachten bzw. die Bewertung der Prüfungsarbeit mit „ungenügend“ als unverhältnismäßig anzusehen wäre.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.