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LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 05.04.2024 – 8 O 5013/21
Titel:

Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Therapie bei Prostata-Karzinom

Normenkette:
VVG § 192 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei der Behandlung seines Prostatakarzinoms mit hoch fokussiertem Ultraschall nach der HIFU-Methode handelt es sich um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung, deren Kosten die beklagte Versicherung gemäß dem Versicherungsvertrag zwischen den Parteien dem Kläger zu erstatten hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Haben Behandlungen schon zuvor in einer Anzahl stattgefunden, die Aussagen darüber zulässt, ob die Behandlung die mit ihr erstrebte Wirkung wahrscheinlich zu erreichen geeignet ist, kann darin ein besonders aussagekräftiger Umstand für die Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung zu erkennen sein (Anschluss an BGH BeckRS 1996, 5339). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. In diesem Sinne ist eine HIFU-Behandlung bei Erkrankung an einem Prostata-Karzinom medizinisch notwendig, auch wenn die HIFU-Therapie in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard noch nicht dokumentiert und bewertet worden ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Heilbehandlung, medizinische Notwendigkeit, HIFU-Therapie, Prostata-Karzinom
Fundstellen:
BeckRS 2024, 11858
FDVersR 2024, 011858

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.673,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.09.2021 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.673,65 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer privaten Krankenversicherung auf Ersatz von Aufwendungen für die Behandlung eines Prostatakarzinoms.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.12.1999 gemäß den Tarifen AM und SM6 privat krankenversichert (vgl. Versicherungsschein Anlage Kl). Dem Vertrag liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) sowie die Tarifbedingungen zum Tarif SM6 (Anlage B 1 und BLD2) zugrunde.
3
Beim Kläger wurde am 20.01.2020 ein Prostatakarzinom Gleason Score 7a ärztlich festgestellt. Es erfolgte im Zeitraum vom 16.06.2020 bis 17.06.2020 eine stationäre Behandlung in der Klinik für Prostata-Therapie in Heidelberg. Die Behandlung erfolgte mit hochfrequenten fokussierten Ultraschall (HIFU).
4
Der Kläger zahlte für diese durchgeführte Behandlung insgesamt 8.673,65 €. Die Rechnungen reichte er bei der Beklagten zwecks einer Erstattung ein. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 08.07.2020 eine Erstattung vollständig ab (Anlage BLD4).
5
Der Kläger behauptet, die HIFIJ-Therapie sei eine Behandlungsmethode, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sei. Jedenfalls bewähre sich diese Methode in der Praxis ebenso erfolgsversprechend wie andere Methoden. Im Übrigen sei die Therapie beim Kläger auch erfolgreich gewesen. Ausweislich einer MRT-Untersuchung am 29.04.2021 habe sich kein Hinweis für ein Rezidiv ergeben.
6
Er meint, die durchgeführte HIFU-Therapie sei medizinisch notwendig gewesen.
7
Der Kläger beantragt,
I. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.673,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.07.2020 zu zahlen.
II. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung
9
Die Beklagte behauptet, es sei kein medizinischer Ansatz, der die Wirkungsweise der Methode erklären könnte, vorhanden. Der fokale Einsatz der HIFIJ sei als hochexperimentell einzustufen. Langfristige Resultate und die kurative Wirksamkeit seien vollständig offen. Der Kläger sei für die Geltendmachung der Rechtsanwaltsgebühren nicht aktivlegitimiert.
10
Die Beklagte ist der Ansicht, die HIFU-Behandlung sei nicht medizinisch notwendig gewesen. Sie sei objektiv nicht nachvollziehbar. Im Ergebnis komme es auch nicht darauf an, ob die Behandlungsmaßnahme zu einem Erfolg geführt habe. Ein Behandlungserfolg müsse bei Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit außer Betracht bleiben, diese müsse vielmehr vom Standpunkt ex-ante beurteilt werden.
11
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. G. und dessen mündliche Anhörung. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 30.10.2022 (BI. 61 f. d.A) sowie die Sitzungsniederschrift vom 06.03.2024 (BI. 131 f.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
13
I. Der Kläger kann von der Beklagten auf Grund des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrags über die Krankenversicherung die Erstattung der Kosten für die Prostatabehandlung, welcher er sich unterzogen hat, verlangen, da es sich bei der Behandlung seines Prostatakarzinoms mit hoch fokussiertem Ultraschall nach der HIFU-Methode um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung i.S. des S. 3 Il AVB gehandelt hat, deren Kosten die Beklagte gemäß dem Versicherungsvertrag zwischen den Parteien dem Kläger zu erstatten hat.
14
1. Nach S. 3 Il 1 AVB ist Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung, der die Leistungspflicht des Versicherers auslöst, „die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen“. Steht es – wie hier – außer Streit, dass die ärztliche Behandlung wegen einer Krankheit im Sinne dieser Klausel durchgeführt worden ist, muss der Versicherungsnehmer darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass es sich bei der Behandlung um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gehandelt hat (BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074 = VersR 1996, 1224). Der Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlung umfasst jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleich zu achten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Bei der Prüfung, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig anzusehen ist, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074 = VersR 1996, 1224).
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Die objektive Anknüpfung bedeutet, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommt. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung wird im Allgemeinen dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegen zu wirken (BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074 = VersR 1996, 1224; Senat, NVersZ 2001, 269 = VersR 2001, 1417 und NJOZ 2007, 172 = VersR 2007, 680).
16
2. Die Auswertung des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. G. ergibt, dass die vom Kläger gewählte Behandlungsmethode zur Behandlung eines Prostatakarzinoms grundsätzlich im Sinne einer Heilung dieser Erkrankung geeignet ist, so dass sie eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellt, deren Kosten nach den Versicherungsbedingungen zu erstatten sind.
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a) Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten und auch nochmals detailliert in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass in der damaligen Therapiesitutation des Klägers grundsätzlich verschiedene Behandlungsmethoden in Betracht kamen. Eine Behandlung kann auch mit einer Strahlentherapie, einer radikalen Entfernung oder auch einer aktiven Überwachung erfolgen. Therapieziel ist dabei bei allen Verfahren das weitere Fortschreiten eines PSA-Anstiegs zu erreichen. Diese Zielsetzung verfolgt auch das HIFU-Verfahren. Bei allen verfügbaren Behandlungsmethoden ist es dennoch möglich, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt die Erkrankung weiter ausbreitet. Es gibt also sozusagen keinen „Sieger“ zwischen den Behandlungsmethoden. Unterschiede bestehen allein in der Lebensqualität, jedoch kann hinsichtlich des Erfolgs der Methode kein Unterschied festgestellt werden. Zur Erläuterung hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung eine sehr aktuelle Studie herangezogen, deren Ergebnis bei der schriftlichen Gutachtenserstellung noch gar nicht existierte (vgl. Sitzungsniederschrift vom 06.03.2024 Seite 3, Gutachten vom 30.10.2020 Seite 3 und 7).
18
b) Er hat attestiert, dass das HIFU-Verfahren vor dem Hintergrund einer Eignung als Maßnahme der Linderung oder dem Entgegenwirken einer Verschlimmerung der Erkrankung klar geeignet ist als Heilbehandlung eingeordnet zu werden. Das Verfahren war in dem konkreten Fall auch medizinisch notwendig.
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c) Weiter hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass die HIFU-Behandlung ebenso dem Bereich der Schuldmedizin zuzuordnen ist und es sich gerade um kein hochexperimentelles Verfahren handelt. Das HIFU-Verfahren stellt ein oft angewandtes Verfahren dar, das wohl bereits bei über 4.000 Patienten angewendet wurde. Hierbei hat der Sachverständige auch erklärt, dass die anderen Verfahren nicht zwingend häufiger durchgeführt worden sind. Zu beachten sei nämlich, dass nicht alle erkrankten Menschen auch behandelt werden. So gibt es etwa auch Patienten, die mit einer kurativen Therapie behandelt werden. Diese machen bereits etwa 20-30% aller Patienten mit einem Prostatakarzinom aus. Hinzu kommt noch, dass ein Großteil der Patienten, die sich einer lokalen Therapie unterziehen, lediglich aktiv überwacht werden. Im Ergebnis ist die Summe der Patienten, die sich den anderen Therapieformen (beispielsweise radikale Entfernung, apparatives Verfahren) unterzieht, deutlich geringer als die Anzahl der Menschen, die an einem Prostatakarzinom erkranken. Im Vergleich hierzu sind 4.000 Patienten, die eine HIFU-Therapie durchführen lassen, ein großer Anteil. Die Zahl ist jedenfalls nicht so gering, dass es sich um ein selten angewandtes Verfahren handeln würde.
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d) Der Einwand der Beklagten, für das HIFU-Verfahren würden aussagekräftige Studienansätze fehlen, weshalb eine ausreichende Untersuchung des Verfahrens noch nicht vorliege, geht fehl.
21
Der Annahme einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung steht nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden ist. Liegen solche Veröffentlichungen vor, können sie zwar für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung von Bedeutung sein; andererseits wird auf eine bisher fehlende Veröffentlichung die Verneinung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung nicht gestützt werden können. Bedeutsam für die Beurteilung der Behandlungsmethode kann es schließlich sein, ob diese vor dem Zeitpunkt ihrer Durchführung beim Versicherungsnehmer bereits anderweitig erprobt worden ist. Haben Behandlungen schon zuvor in einer Anzahl stattgefunden, die Aussagen jedenfalls darüber zulässt, ob die Behandlung die mit ihr erstrebte Wirkung wahrscheinlich zu erreichen geeignet ist, kann darin ein besonders aussagekräftiger Umstand für die Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung zu erkennen sein (BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074 = VersR 1996, 1224) (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 11. 7. 2008 – 10 U 1437/07, NJOZ 2009, 1402). Wie bereits ausgeführt, haben bereits etliche Behandlungen mit der HIFU-Methode stattgefunden und die erstrebte Wirkung der Linderung und der Verschlimmerung der Erkrankung kann mit der HIFU-Behandlung im gleichen Maße erfolgreich erreicht werden wie mit den anderen vorhandenen Behandlungsmethoden (s.o unter e) Unerheblich für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist ein von der Beklagten behaupteter Aufklärungsfehler. Dahin stehen kann, ob ein solcher Aufklärungsfehler überhaupt vorliegt, da er auf das Ergebnis keinen Einfluss hätte. Streitgegenständlich ist hier die medizinische Notwendigkeit einer durchgeführten Behandlung. Es ist aus Sicht des Gerichts nicht ersichtlich, inwieweit bei deren Beurteilung die Frage der ausreichenden Aufklärung eine Rolle spielen soll. Hinzu kommt, dass die Aufklärungspflicht dem Interesse des Patienten dienen. Die Aufklärungspflicht nach 5630 e BGB sichert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ab. Die Aufklärung soll dem Patienten eine zutreffende Vorstellung davon verschaffen, worauf er sich einlässt, wenn er der vorgesehenen Behandlung zustimmt (vgl. Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 5630e Rn. 1). Die Wahl der Behandlungsmethode ist allein vom Patienten in Rücksprache mit seinem behandelnden Arzt zu treffen, wenn mehrere als vertretbar in Betracht kommende Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen. Etwaige Aufklärungsfehler betreffen auch allein dieses Verhältnis zwischen Patienten und Arzt und lösen entsprechende Folgen aus.
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3. Zinsen auf den Hauptsachebetrag schuldet die Beklagte nach S. 286 Abs. 1 Satz 1, 286 Absatz 2 Nummer 3, S. 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat mir Schreiben vom 08.07.2020 eine Kostenerstattung ernsthaft und endgültig abgelehnt, sodass sie sich ab diesem Zeitpunkt in Verzug befindet.
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4. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten schulden die Beklagten als weitere Schadensposition in Form einer 1,3-Geschäfisgebühr aus dem begründeten vorgerichtlichen Gegenstandswert von 8.673,65 € zzgl. Pauschale. Dies ergibt einen Betrag von 887,03 €. Der Zinsanspruch ergibt sich diesbezüglich aus S. 288 Abs. 1, S. 291 BGB. Die Zustellung der Klage erfolgte am 01.09.2021. Der Kläger ist hierfür auch aktivlegitimiert. Die Rechtsschutzversicherung des Klägers hat diesen mit Schreiben vom 13.08.2021 ermächtigt, den nach 586 Satz 1 VVG auf die Rechtsschutzversicherung übergegangenen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im eigenen Namen geltend zu machen (Anlage K16).
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf 591 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 5709 Satz 2 ZPO.