Titel:
Fernbleiben vom Dienst wegen Verweigerung der Testpflicht
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
BBG § 63 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 1
BBesG § 9 S. 1
IfSG § 28b Abs. 1 S. 1 (idF bis zum 31.1.2024)
Leitsätze:
1. Ein Beamter ist von seiner Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen ausnahmsweise befreit, wenn sich die Anordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses als offensichtlich und in schwerwiegender Weise rechtswidrig erweist (hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die nach dme Infektionsschutzgesetz zeitweilig geltende 3G-Regel war rechtmäßig. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst wenn mit dem für die Erbringung des Testnachweises verbundenen Nasen- und/oder Rachenabstrich ein körperlicher Eingriff verbunden sein sollte, wäre dieser jedenfalls gering und unter den maßgeblichen Umständen als verhältnismäßig und gerechtfertigt anzusehen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus der Verpflichtung des Arbeitgebers, mindestens zweimal pro Kalenderwoche kostenfrei einen Corona-Test anzubieten, ist keine Verpflichtung, eine konkrete Testart oder alternative Testformen zur Verfügung zu stellen, abzuleiten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
1. Ein Beamter ist von seiner Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen ausnahmsweise befreit, wenn sich die Anordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses als offensichtlich und in schwerwiegender Weise rechtswidrig erweist (hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die nach dme Infektionsschutzgesetz zeitweilig geltende 3G-Regel war rechtmäßig. (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst wenn mit dem für die Erbringung des Testnachweises verbundenen Nasen- und/oder Rachenabstrich ein körperlicher Eingriff verbunden sein sollte, wäre dieser jedenfalls gering und unter den maßgeblichen Umständen als verhältnismäßig und gerechtfertigt anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus der Verpflichtung des Arbeitgebers, mindestens zweimal pro Kalenderwoche kostenfrei einen Corona-Test anzubieten, ist keine Verpflichtung, eine konkrete Testart oder alternative Testformen zur Verfügung zu stellen, abzuleiten. (Leitsätze der BeckRS-Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlust der Dienstbezüge, schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst, Weigerung der Einhaltung der sog. 3-G-Regel am Arbeitsplatz, Beamter, Corona, 3G-Regel, Testpflicht, Fernbleiben vom Dienst, Rechtfertigungsgrund, Grundsatz des Berufsbeamtentums, körperlicher Eingriff, Zumutbarkeit, alternative Testformen
Fundstellen:
FDArbR 2024, 011696
BeckRS 2024, 11696
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Verlust ihrer Dienstbezüge für den Zeitraum vom 24. November 2021 bis 13. Dezember 2021.
2
Die Klägerin steht als Posthauptsekretärin (A 8 BBesO) im Dienst der Beklagten und war im streitgegenständlichen Zeitraum im Zustellstützpunkt … eingesetzt.
3
Am Morgen des 24. November 2021 verweigerte die Klägerin die Erbringung des erforderlichen Impf-, Genesenen- oder Testnachweises (sog. „3G-Nachweis / 3G-Regel“) in Arbeitsstätten gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) in der seit dem 24. November 2021 geltenden Fassung. Sie wurde daraufhin von den Verantwortlichen des Zustellstützpunktes aufgefordert, das Dienstgebäude zu verlassen. In den folgenden Tagen erschien die Klägerin nicht zum Dienst.
4
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2021 gab die Niederlassung Betrieb … der Klägerin Gelegenheit, zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Tatsache, dass die Klägerin seit dem 24. November 2021 nicht zur Erledigung der ihr obliegenden dienstlichen Aufgaben herangezogen werden könne, ein schuldhaft verursachtes Dienstversäumnis darstelle, mit der Folge, dass ggf. der Verlust ihrer Dienstbezüge gemäß § 9 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) festzustellen sein werde.
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Mit Schreiben vom 8. Dezember 2021 äußerte die Klägerin, sie habe nie die Absicht gehabt, ihre Arbeit zu verweigern. Am 24. November 2021 habe sie bis 7:15 Uhr gearbeitet und hätte das auch bis Dienstende weiter getan. Im Telefonat mit … am 24. November 2021 habe sie ausdrücklich ihre Arbeitskraft angeboten, sei von ihm allerdings angewiesen worden, das Dienstgebäude ohne einen negativen Schnelltest zu verlassen und nicht mehr zu betreten. Sie wolle hiermit auch schriftlich ihre Arbeitskraft anbieten, so wie sie es seit dem 24. November 2021 fortwährend getan habe. Allerdings sehe sie ihre Gesundheit durch das tägliche Testen gefährdet, da die Wattestäbchen mit Ethylenoxid sterilisiert seien, welches die Europäische Chemikalienagentur als wahrscheinlich krebserregend und erbgutverändernd beim Menschen, Kategorie 1b, einstufe. Auch das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung warne vor gesundheitlichen Schäden. Der Arbeitgeber habe eine Fürsorgepflicht. Dazu gehöre auch, ihre Gesundheit nicht zu gefährden. Sie bitte um schriftliche Bestätigung, dass die Schnelltests mit dem Nasenabstrich ihre Gesundheit auch bei täglicher Anwendung über einen längeren Zeitraum nicht gefährden.
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Mit Bescheid vom 9. Dezember 2021 stellte der Niederlassungsleiter Betrieb … gemäß § 9 BBesG i.V.m. § 96 Bundesbeamtengesetz (BBG) für die Zeit seit dem 24. November 2021 den Verlust der Dienstbezüge der Klägerin wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst fest und ordnete nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den sofortigen Vollzug des Bescheides an.
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Am 13. Dezember 2021 wurde die Klägerin vom Betriebsarzt zur Corona-Situation beraten.
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Mit Schreiben vom 17. Dezember 2021 legte die Klägerin über den Klägerbevollmächtigten Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2021 ein.
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Für die Zeit vom 14. Dezember 2021 bis 27. Dezember 2021 legte die Klägerin eine ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigung vor.
10
Ab dem 28. Dezember 2021 ist die Klägerin wieder zum Dienst erschienen.
11
Mit Schreiben vom 7. Januar 2022 beschränkte der Niederlassungsleiter Betrieb … die Verlustfeststellung im Bescheid vom 9. Dezember 2021 auf den Zeitraum vom 24. November 2021 bis zum 13. Dezember 2021.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2022 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und setzte die Vollziehung des Bescheides vom 9. Dezember 2021 aus. Sie stellte fest, dass die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen sei.
13
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 25. April 2022 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2022 Klage erhoben. Sie macht u.a. geltend, mit Nichtwissen werde bestritten, es habe eine Verpflichtung auf Grund „geltender gesetzlicher Bestimmungen“ gegeben, die es der Beklagten zur Pflicht gemacht hätten, von der Klägerin zu verlangen, „einen 3G-Nachweis vorzulegen“. Darüber hinaus werde mit Nichtwissen bestritten, dass es die notwendige Mitwirkung des Personalrats bzw. eines Betriebsrats seit dem 24. November 2021 gegeben habe. Unstreitig dürfte sein, dass es sich hier um ein Ordnungsverhalten handle, hinsichtlich dessen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats oder Personalrats bestehe. Die Weisungen der Beklagten gegenüber der Klägerin im Hinblick auf den Zutritt „zur Betriebsstätte“, den nur die Beschäftigten „erhalten, wenn sie geimpft, genesen oder getestet sind“, seien schon nicht wirksam gewesen, da es an jeglicher Spezifizierung gefehlt habe. Insbesondere sei unklar, was mit „getestet“ gemeint gewesen sein soll. Die Klägerin habe daher nichts rechtswidrig verweigern können, weil es sich um keine rechtmäßige Weisung der Beklagten gehandelt habe. Die Klägerin habe auch nicht ihre Tätigkeit „verweigert“, vielmehr habe der Vorgesetzte deutlich gemacht, die Klägerin werde nicht weiter beschäftigt. Durch eine korrekte, den medizinischen Anforderungen entsprechende Abnahme des Nasenabstrichs habe eine Gesundheitsgefahr bestanden. Die Testpflicht habe aber auch schon nicht auf einer wirksamen gesetzlichen Grundlage beruht. Des Weiteren wären Speicheltests rechtlich geboten gewesen, bei denen sich der gesundheitliche Eingriff weniger intensiv als beim Nasen-Schleimhaut-Abstrich erwiesen hätte. Im Zustellstützpunkt … und in der Niederlassung … sei die 3G-Regel zudem unterschiedlich umgesetzt worden. Die Beklagte habe die 3G-Regel außerdem unter Berufung auf ihr Hausrecht trotz deren Geltung bis zum 31. März 2023 auch noch im gesamten April 2023 umgesetzt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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Der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2021 (Gz.: …*) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2022 (Gz.: …*) wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin deren Dienstbezüge seit dem 24. November 2021 bis einschließlich 13. Dezember 2021 zu vergüten.
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Die Beklagte beantragt
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Der Verlust der Dienstbezüge wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst sei gemäß § 9 BBesG i.V.m. § 96 BBG für den Zeitraum vom 24. November 2021 bis zum 13. Dezember 2021 festzustellen gewesen. Gemäß § 9 Satz 1 BBesG verliere der Beamte für die Zeit, während der er keinen Dienst leiste, seine Bezüge, wenn er ohne Genehmigung schuldhaft vom Dienst fernbleibe. Die Weigerung, der Fassung des § 28b IfSG entsprechend einen 3G-Nachweis zu erbringen, der die Dienstleistung erst ermögliche, sei grundsätzlich eine von der Klägerin zu vertretende Verletzung der Dienstleistungspflicht bzw. der Pflicht zur Herstellung der Dienstfähigkeit und ihrer Voraussetzungen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 BBG). Nach der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Regelung des § 28b IfSG hätten Arbeitgeber und Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgeber und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht hätten ausgeschlossen werden können, nur betreten dürfen, wenn sie geimpfte Personen, genesene Personen oder getestete Personen im Sinne des § 2 Nr. 2, Nr. 4 oder Nr. 6 der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vom 8. Mai 2021 (BAnz AT 8.5.2021 V1) gewesen seien und einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder einen Testnachweis im Sinne des § 2 Nr. 3, Nr. 5 oder Nr. 7 der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordung vom 8. Mai 2021 erbracht hätten. Diese Verpflichtung zum täglichen 3G-Nachweis habe auch die bei der Deutschen P. AG beschäftigten Beamtinnen und Beamten betroffen. Es entspreche allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass Ungeimpfte und den Test ablehnende Personen eine Gefahr für andere dargestellt hätten, da sie potentielle Träger des Virus Sars-CoV-2 gewesen seien und damit andere hätten infizieren können. Eine Gesundheitsgefahr durch eine korrekte, den medizinischen Anforderungen entsprechende Abnahme des Abstrichs könne nicht festgestellt werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei damit begründet worden, dass es im Interesse der Allgemeinheit sei, umfängliche Überzahlungen zu vermeiden. Das zur Verfügung stehende Kapital sei sparsam auszugeben und dürfe nur im Rahmen des geltenden Rechts verwendet werden. Das Interesse des vom Verwaltungsakt Betroffenen daran, von dessen Wirkung bis zum Einritt der Unanfechtbarkeit verschont zu bleiben, trete im Rahmen einer Interessenabwägung hinter das von der Behörde vertretene Interesse, den Verwaltungsakt schon vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit durchzusetzen, zurück. Indem sich die Klägerin geweigert habe, die bereitgestellten Schnelltests durchzuführen, habe sie schuldhaft gegen ihre Pflichten, die Dienstbereitschaft und persönlichen Voraussetzungen der Diensterfüllung herzustellen, verstoßen. Sie sei ohne Genehmigung schuldhaft vom Dienst ferngeblieben. Ein Fernbleiben vom Dienst liege vor, wenn der Beamte trotz Dienstfähigkeit und der Verpflichtung zur Erfüllung bestimmter Dienstobliegenheiten nicht zu deren Verrichtung erscheine. Dabei müsse der Beamte die Dienstleistungspflicht wie angeordnet erbringen, das heißt, er müsse am richtigen Dienstleistungsort zur richtigen Dienstzeit seine ihm übertragenen Aufgaben erfüllen und während der Arbeitszeit auch präsent bleiben. Subjektive Annahmen des Beamten, z.B. die eigene Einschätzung der Sach- und Rechtslage, blieben bei einer Bestimmung der Begrifflichkeit außer Betracht. Habe der Arbeitgeber mangels 3G-Nachweises den Zutritt zu Arbeitsstätten verweigern müssen, habe der Beamte seine Dienstleistungspflicht nicht ordnungsgemäß angeboten. Soweit darauf hingewiesen werde, dass der Klägerin kein Spucktest angeboten worden sei, sei dies ohne Belang. Es habe kein Anspruch auf einen bestimmten Test bestanden. Nach § 4 Corona-Arbeitsschutzverordnung hätten Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen lediglich die Pflicht gehabt, allen Beschäftigten, die nicht ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiten, mindestens zwei Mal in der Woche eine Testung durch In-vitro-Diagnostika anzubieten. Darüber hinaus sei aber auch nicht ersichtlich, dass die übrigen Selbsttests mit Beeinträchtigungen verbunden seien, die in ihrer Wirkung gesundheitsgefährdend seien oder körperliche Schmerzen bzw. diesen gleichkommende nicht-körperliche Beeinträchtigungen hervorrufen würden. Die von der Niederlassung angebotenen Schnelltests hätten lediglich einen Abstrich im vorderen Nasenbereich erfordert und hätten vom Anwender selbst durchgeführt werden können. Die Intensität des Eingriffs in die körperliche Integrität sei äußerst gering. Soweit die Klägerin habe vortragen lassen, dass bei den Schnelltest-Kits das krebserregende Ethylenoxid als Sterilisationsmittel enthalten sei, werde darauf hingewiesen, dass Antigen-Tests als In-vitro-Diagnostika dem Medizinproduktegesetz unterlägen. Antigen-Tests zur Eigenanwendung müssten so hergestellt sein, dass das Medizinprodukt hinsichtlich Sicherheit und Leistungsfähigkeit ausreichend gebrauchstauglich sei und die Ergebnisqualität sichergestellt werden könne. Nach den DIN-Vorschriften sei die Verwendung von Ethylenoxid zur Sterilisation von Medizinprodukten eine etablierte Standardmethode und sowohl die Sterilisation von Produkten für die Gesundheitsvorsorge mit Ethylenoxid als auch die Grenzwerte für Rückstände von Ethylenoxid seien in DIN-Vorschriften festgelegt. Nach der Rechtsprechung ergebe sich kein Anlass zur Besorgnis, dass die Verwendung von Teststäbchen mit Gefahren für die Gesundheit verbunden seien könnten.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 12. April 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
19
Der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2021, mit dem sie für die Zeit seit dem 24. November 2021 wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst den Verlust der Dienstbezüge der Klägerin feststellt, ist in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. März 2022 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 9 BBesG verliert der Beamte, Richter oder Soldat, wenn er ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens seine Bezüge. Der Verlust der Bezüge ist festzustellen. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG dürfen Beamtinnen und Beamte dem Dienst nicht ohne Genehmigung ihrer Dienstvorgesetzten fernbleiben.
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1. Vorliegend verrichtete die Klägerin im Zeitraum vom 24. November bis einschließlich 13. Dezember 2021 keinen Dienst. Zwar wäre die Klägerin hierzu nach eigenen Angaben grundsätzlich bereit gewesen, sie habe dem Dienstherrn ihre Arbeitskraft auch ausdrücklich angeboten, da sie allerdings den aufgrund der damaligen epidemiologischen Lage gemäß § 28b Abs. 1 IfSG ab 24. November 2021 erforderlichen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht erbringen wollte bzw. konnte, durfte sie gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG die Dienststelle nicht betreten.
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2. Eine Genehmigung des Dienstherrn für das Fernblieben der Klägerin vom Dienst lag nicht vor.
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3. Das Fernbleiben erfolgte schuldhaft.
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Gemäß Ziffer 9.1.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz (BBesGVwV) vom 19. November 2020 ist das Fernbleiben schuldhaft, wenn der Besoldungsempfänger wusste, dass er von der Dienstleistungspflicht weder entbunden noch an ihrer Erfüllung gehindert oder von ihr freigestellt war (Vorsatz), oder wenn ihm dieses Wissen fehlte, weil er unter Außerachtlassung der ihm nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Sorgfalt gehandelt hat (Fahrlässigkeit).
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Vorliegend wurde die Klägerin vom Niederlassungsleiter auf die Konsequenzen ihres Fernbleibens hingewiesen. Sie wusste damit um ihre Dienstleistungspflicht. Auch indem sie dem Dienstherrn anbot, Arbeit zu leisten, zeigt sich, dass sie sich ihrer Dienstleistungspflicht bewusst war. Mithin liegt ein vorsätzliches und damit schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst vor.
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4. Ein Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben ist nicht gegeben. Ein Anspruchsverlust nach § 9 Satz 1 BBesG tritt dann nicht ein, wenn ein Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst, wie zum Beispiel eine die Dienstfähigkeit ausschließende Erkrankung des Beamten, vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 26.8.1993 – 1 DB 15.93 – juris Rn. 7). Daneben kommen unter anderem die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten, staatliche Freiheitsentziehungsmaßnahmen sowie weitere besondere Rechtfertigungsgründe, wie die schwere Erkrankung eines Angehörigen oder nicht vorsehbare Naturereignisse o.ä. als Rechtfertigungsgründe in Betracht (vgl. Kathke in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, § 9 BBesG Rn. 57 ff.).
27
Solche Gründe sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
28
Sofern die Klägerin zur Rechtfertigung ihres Fernbleibens geltend macht, die 3G-Regel sei sowohl grundsätzlich als auch in Form der konkreten Weisung und Handhabung seitens der Beklagten rechtswidrig gewesen, dringt sie damit nicht durch. Aufgrund ihres Status als Beamtin wäre die Klägerin im Grundsatz auch an eine rechtswidrige Weisung gebunden gewesen. Die Klägerin hätte der Bindung der Weisung nur durch Inanspruchnahme von (Eil-)Rechtsschutz, nicht aber durch „Selbsthilfemaßnahmen“, wie dem Fernbleiben vom Dienst, entgehen können. Dies ergibt sich daraus, dass der Beamte nach erfolgloser Durchführung des Remonstrationsverfahrens (§ 63 Abs. 2 BBG) eine von ihm als rechtswidrig angesehene Anordnung grundsätzlich ausführen muss, er aber von der eigenen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des ihm dienstlich aufgetragenen Verhaltens befreit ist. Von der grundsätzlichen Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen unberührt bleibt das Recht des Beamten, wegen der von ihm geltend gemachten Rechtswidrigkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Ein Beamter ist von seiner Gehorsamspflicht ausnahmsweise befreit, wenn sich die Anordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses als offensichtlich und in schwerwiegender Weise rechtswidrig erweist. Die Beschränkung der Freistellung auf schwerwiegende Evidenzfälle ist geboten, um der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu entsprechen, auf der die Gehorsamspflicht beruht. Die Erfüllung der der Verwaltung im Interesse der Allgemeinheit übertragenen Aufgaben wäre angesichts der Fülle offener und nicht abschließend geklärter Rechtsfragen ernsthaft gefährdet, wenn ein Beamter allein aufgrund einer abweichenden Rechtsauffassung die Umsetzung einer in den Bereich seiner Dienstaufgaben fallenden Anordnung hemmen könnte. Die Einschränkung auf Fälle offenkundiger und schwerwiegender Rechtswidrigkeit entspricht einem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums. Eine weitergehende Entbindung des Beamten von der Gehorsamspflicht ist auch bei verfassungswidrigen Weisungen nicht geboten (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2000 – 1 D 34.98 – juris Rn. 41 ff. m.w.N.).
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Eine Befreiung von der Gehorsamspflicht wegen offensichtlicher und schwerwiegender Rechtswidrigkeit der Anordnung im Zeitpunkt des Erlasses ist vorliegend nicht gegeben. Es liegen keinerlei Ansatzpunkte dafür vor, dass die Regelung des § 28b Abs. 1 IfSG oder die konkrete Weisung und Handhabung gegenüber der Klägerin offensichtlich und schwerwiegend rechtswidrig gewesen wären.
30
Die 3G-Regel, die ihre Rechtsgrundlage in dem der Klägerin vorgeworfenen Zeitraum des unberechtigten Fernbleibens vom Dienst in § 28b Abs. 1 IfSG in der zwischen 24. November 2021 und 11. Dezember 2021 sowie in der vom 12. Dezember 2021 bis 19. März 2022 geltenden Fassung gefunden hat, ist rechtmäßig. Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Bestimmtheitsgebot für Normen, weil der Gesetzgeber, wie die Klägerin meint, nicht hinreichend geregelt hätte, was mit „getestet“ gemeint gewesen sei (vgl. im Ergebnis so auch: LAG Rheinland-Pfalz, U.v. 8.2.2023 – 7 Sa 211/22 – juris Rn. 174). Die Anforderungen an den zu erbringenden Testnachweis sind in § 2 Nr. 7 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der zwischen 8. Mai 2021 bis 14. Januar 2022 geltenden Fassung eindeutig definiert. Danach ist ein Testnachweis ein Nachweis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn die zugrundeliegende Testung durch In-vitro-Diagnostika erfolgt ist, die für den direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 bestimmt sind und die auf Grund ihrer CE-Kennzeichnung oder auf Grund einer gemäß § 11 Abs. 1 des Medizinproduktegesetzes (MPG) erteilten Sonderzulassung verkehrsfähig sind, die zugrundeliegende Testung maximal 24-Stunden zurückliegt und die weiteren in Nr. 7 Buchst. a bis c definierten Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind.
31
§ 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG ist in der streitgegenständlichen Fassung auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt würde. Selbst wenn mit dem für die Erbringung des Testnachweises verbundenen Nasen- und/oder Rachenabstrich ein körperlicher Eingriff verbunden sein sollte (vgl. so für Nasen-Rachenabstrich: z.B. LAG Rheinland-Pfalz, U.v. 8.2.2023 – 7 Sa 211/22 – juris Rn. 171 unter Verweis auf BAG, U.v. 1.6.2022 – 5 AZR 28/22 – Rn. 37 m.w.N.; a.A. für Spuck- oder Lollytests oder Tests mit Abstrich im vorderen Nasenbereich: z.B. OVG Lüneburg, B.v. 23.4.2021 – 13 MN 212/21 – juris Rn. 74), wäre dieser jedenfalls gering und unter den maßgeblichen Umständen als verhältnismäßig und gerechtfertigt anzusehen, da der Gesetzgeber mit § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG den legitimen Zweck verfolgte, vulnerable Menschen in besonderem Maße vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich. Er belastet die Grundrechtsträger auch nicht in unzumutbarer Weise; insbesondere ist er unter Berücksichtigung der damit verfolgten Ziele nicht unverhältnismäßig im engeren Sinn (vgl. ausführlich: LAG Rheinland-Pfalz, U.v. 8.2.2023 – 7 Sa 211/22 – juris Rn. 170 ff. m.w.N).
32
Auch durch die seitens der Klägerin bemängelte Verwendung von Ethylenoxid zur Sterilisierung der für zahlreiche Tests benutzten Wattestäbchen ist keine Gesundheitsgefährdung zu befürchten. Als In-vitro-Diagnostika unterliegen Antigentests dem Medizinproduktegesetz, welches die europäische Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (IVDR) (98/79/EG) umsetzt. Antigentests zur Eigenanwendung müssen danach so hergestellt sein, dass das Medizinprodukt (inkl. Gebrauchsinformationen, Kennzeichnung etc.) hinsichtlich Sicherheit und Leistungsfähigkeit ausreichend gebrauchstauglich ist und die Ergebnisqualität unter diesen Anwendungsbedingungen sichergestellt werden kann. Die in Deutschland verfügbaren und gemäß § 2 Nr. 7 der COVID 19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung zugelassenen Tests wiesen im Geltungszeitraum der Norm entweder eine CE-Kennzeichnung auf oder waren gemäß § 11 Abs. 1 MPG auf Grund einer Sonderzulassung des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte befristet zugelassen. Eine solche Zulassung setzt gemäß Art. 5 der Verordnung (EU) 2017/745 (vorher Art. 3 RiL 93/42/EWG) die Erfüllung der sog. „Grundlegenden Anforderungen“ (vgl. § 7 MPG) voraus, dies gilt auch bei Inverkehrbringen eines im Ausland hergestellten Produkts. Die Verwendung von Ethylenoxid zur Sterilisation von Medizinprodukten ist darüber hinaus eine etablierte Standardmethode. Sowohl die Sterilisation von Produkten für die Gesundheitsvorsorge mit Ethylenoxid als auch die Grenzwerte für Rückstände von Ethylenoxid in Medizinprodukten sind in DIN-Vorschriften (DIN EN ISO 11135, …93-7) festgelegt (vgl. zu alledem OVG Lüneburg, B.v. 7.3.2022 – 14 MN 173/22 – juris Rn. 20 f.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 19.5.2021 – OVG 11 S 64/21 – Rn. 85 ff., juris und v. 23.4.2021 – OVG 11 S 56/21 – juris Rn. 68 ff. m.w.N.; OVG Sachsen, B.v. 30.3.2021 – 3 B 83/21 – juris Rn. 67 ff. und v. 9.4.2021 – 3 B 114/21 – juris Rn. 7 ff.; OVG Niedersachsen, B.v. 19.4.2021 – 13 MN 192/21 – juris Rn. 62).
33
Zudem war die Erbringung eines Testnachweises in Form des Nasen- und/oder Rachenabstriches nicht die einzige Möglichkeit zur Erfüllung des 3G-Nachweises i.S.d. § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die Klägerin hätte statt des Testnachweises den Nachweis einer erfolgten Schutzimpfung gegen Covid-19 erbringen können oder – wie später offenbar auch von ihr so gehandhabt – einen Testnachweis mittels eines sog. Spucktests, sofern er die Anforderungen des § 2 Nr. 7 der COVID 19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der streitgegenständlichen Fassung erfüllt hätte, durchführen können. Nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass ihr beides nicht zumutbar gewesen wäre.
34
Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte nicht verpflichtet, der Klägerin auf Kosten des Dienstherrn sog. Spucktests zur Verfügung zu stellen. Gemäß § 4 Abs. 1 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung in der bis zum 19. März 2022 geltenden Fassung war der Arbeitgeber lediglich dazu verpflichtet, mindestens zweimal pro Kalenderwoche kostenfrei einen Test in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 anzubieten, der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen war. Eine Verpflichtung, eine konkrete Testart oder alternative Testformen zur Verfügung zu stellen, bestand nicht.
35
Ein Rechtfertigungsgrund ergibt sich auch nicht daraus, dass die 3G-Regel seitens der Beklagten in den verschiedenen Dienststellen unterschiedlich gehandhabt worden wäre. § 28b Abs. 1 IfSG lies den jeweiligen Dienstherrn und Arbeitgebern einen Spielraum für die konkrete Umsetzung der 3G-Regel vor Ort. Dass die Beklagte diesen in offensichtlich und schwerwiegend rechtswidriger Weise zu Lasten der Klägerin genutzt hätte, ist nicht ersichtlich und auch nicht seitens der Klägerin geltend gemacht.
36
Auch eine etwaig unterbliebene Beteiligung der Personalvertretung liefert der Klägerin keinen Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst. § 28b Abs. 1 IfSG stellt in der streitgegenständlichen Fassung eine allgemeingültige Regelung in Form eines Bundesgesetzes dar, die nicht durch die Dienststelle disponibel war und schon aus diesem Grund keine Beteiligungsrechte des Personalrats eröffnete.
37
Auch auf eine ggf. unzulässigerweise unterbliebene Beteiligung der Personalvertretung, beispielsweise hinsichtlich der konkreten Umsetzung der 3G-Regel vor Ort, – was vorliegend jedoch mangels Erheblichkeit offenbleiben kann – könnte sich die Klägerin jedenfalls nicht berufen. Eine unterbliebene Mitwirkung der Personalvertretung kann die Beteiligungsrechte des Vertretungsorgans verletzten und von diesem geltend gemacht werden, jedoch nicht von der Klägerin als Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst vorgebracht werden.
38
5. An der streitgegenständlichen Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge der Klägerin gemäß § 9 BBesG war die Personalvertretung ebenfalls nicht zu beteiligen. Ein entsprechender Beteiligungstatbestand findet sich im Bundespersonalvertretungsgesetz nicht (vgl. Kathke in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, § 9 BBesG, Rn. 127).
39
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.