Titel:
Klage einer Umweltvereinigung gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung: Klagebefugnis; keine Entscheidungsergänzung, kein ergänzendes Verfahren
Normenketten:
UmwRG § 1 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 3 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 5 S. 1
BauGB § 30, § 214 Abs. 4
BImSchG § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 13
Leitsätze:
1. Die Frage, ob ein Umweltverband den in § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwRG genannten Anforderungen entspricht, wird vorab und unabhängig von einem konkreten Rechtsbehelf im Rahmen des Anerkennungsverfahrens geprüft und deshalb später in den jeweiligen Verfahren, in denen es um Klagegegenstände des § 1 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 UmwRG geht, nicht noch einmal geklärt. Mit Erlass der Anerkennung tritt die sog. Tatbestandswirkung ein, so dass alle Behörden und Gerichte verpflichtet sind, die betroffene Umweltvereinigung als anerkannt anzusehen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erweist sich eine immissionsschutzrechtliche Anlage als bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie den Festsetzungen des Bebauungsplans gem. § 30 Abs. 1 BauGB widerspricht, liegt insoweit ein Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 13 BImSchG vor. Berührt ein derartiger Verstoß gegen diese immissionsschutzrechtlichen Vorschriften die Belange des Klägers als Umweltvereinigung, so kommt es nicht darauf an, ob es zu den satzungsmäßigen Aufgaben der anerkannten Umweltvereinigung gehört, die bauplanungsrechtliche Situation zu prüfen.(Rn. 83 – 84) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erweist sich eine angegriffene immissionsschutzrechtliche Genehmigung als rechtswidrig, weil das Vorhaben wegen Verstoßes gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans bauplanungsrechtlich unzulässig ist, und kann dieser Mangel nicht durch Nebenbestimmungen, sondern allenfalls durch Aufstellung eines (Änderungs-)Bebauungsplans geheilt werden, so scheidet eine Entscheidungsergänzung gem. § 7 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 UmwRG aus. (Rn. 95) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist der Ausgang eines ergänzenden Verfahrens gem. § 214 Abs. 4 BauGB offen, so betrifft dies einen zentralen Punkt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, der sich nicht bereinigen lässt, ohne dass ein gänzlich neues Zulassungsverfahren durchgeführt wird. In diesem Fall ist eine Fehlerbehebung nach § 7 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 UmwRG nicht möglich. (Rn. 106 – 108) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung des Verfahrens, Verfahrensfehler, Umweltverträglichkeitsprüfung, Bauplanungsrecht, Klagefrist, Kostenentscheidung, Rechtsfehler des Bescheids, Identität des Vorhabens, Fehlerbehebung, ergänzendes Verfahren, Bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit, Immissionsschutzrechtliche Genehmigung, Klagebefugnis, Normverstoß, Umweltvereinigung, Umweltrecht, Immissionsschutz, Baurecht, Umweltverband, Satzung, Entscheidungsergänzung, Anerkennung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11691
Tenor
I. Der Antrag der Beigeladenen auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.
II. Die mit Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 8. April 2022 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung wird aufgehoben.
III. Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, ein Natur- und Umweltschutzverband, wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Klärschlammverbrennungsanlage.
2
Die Stadt S. beschloss am 27. April 2020 sowie am 20. Oktober 2021 nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens den Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 171/1 „SO Kläranlagen – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung“, bekannt gemacht am 11. November 2021 (im Folgenden: Bebauungsplan Nr. 171/1). Der Bebauungsplan Nr. 171/1 setzt auf einer Gesamtfläche von ca. 15 ha durch Planzeichnung und textliche Festsetzungen drei aneinandergrenzende Sondergebietsflächen „SO1“, „SO₂“ und „SO3“ im nordöstlichen Gebiet der Stadt S. fest. Für die Sondergebietsflächen wurde die Art der baulichen Nutzung wie folgt festgesetzt:
„SO1“ – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung nach § 11 (2) BauNVO einschließlich Kläranlage mit Klärschlammbehandlung (I. 1.1; II. 1.1)
„SO₂“ – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung nach § 11 (2) BauNVO insbesondere Klärschlammverbrennungsanlage (I. 1.2; II. 1.2)
„SO3“ – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung nach § 11 (2) BauNVO einschließlich Erweiterungsfläche für Kläranlage mit Klärschlammbehandlung (I. 1.3; II. 1.3)
3
Der Bebauungsplan Nr. 171/1 soll den im Jahr 2008 erlassenen Bebauungsplan Nr. 171 „SO Kläranlage – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung“ (im Folgenden: Bebauungsplan Nr. 171) ersetzen. Auf dem überplanten Gelände wird seit den 1960er Jahren eine Kläranlage betrieben. Nördlich der Kläranlage befindet sich eine Kartbahn. Der Bebauungsplan Nr. 171 setzt für das Plangebiet als Art der baulichen Nutzung ein Sondergebiet mit Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung sowie ein Sondergebiet mit Erweiterungsfläche für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung fest.
4
Am 3. Mai 2021 ließ ein Anlieger der I.straße einen Normenkontrollantrag zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen den Bebauungsplan Nr. 171/1 der Stadt S. stellen (Az. 15 N 21.1291). Mit Urteil vom 3. August 2022 im Verfahren 15 N 21.1291 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den am 11. November 2021 erneut bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 171/1 der Stadt S. für unwirksam erklärt. Die angegriffene Planung leide an einem beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit, da die Stadt S. für die Prognose des planungsbedingt zunehmenden Verkehrs auf der I.straße neben dem lstzustand des Verkehrs auf den zusätzlichen Verkehr bei Umsetzung der konkret geplanten Klärschlammverbrennungsanlage abgestellt habe, ohne zu berücksichtigten, dass der angegriffene Bebauungsplan neben im Plangebiet bestehenden Nutzungen und der genehmigten Klärschlammverbrennungsanlage weitere Nutzungsmöglichkeiten eröffne, die mit nicht unerheblichem Zusatzverkehr einhergehen könnten. Der Verkehrsprognose fehle es an Plausibilität, weil durch den Bebauungsplan eröffnete Nutzungsmöglichkeiten mit ggf. zusätzlicher (abwägungsrelevanter) Verkehrsbelastung von vornherein nicht berücksichtigt worden seien. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Entscheidung verwiesen.
5
Am 25. Mai 2021 beantragte die Beigeladene eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage samt Klärschlammtrocknungsanlage und Anlagen zur zwischenzeitlichen Lagerung von nicht gefährlichen Abfällen am Standort des „Sondergebietes Kläranlage“, I.straße …, … S. Zudem wurden zwei Anträge für die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 171/1 betreffend die Verlegung der Zufahrt nach Süden sowie die Anpflanzung von Bäumen an südöstlicher Grundstücksgrenze eingereicht.
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Mit Bescheid vom 8. April 2022 erteilte die Regierung von Niederbayern der Beigeladenen antragsgemäß eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage mit Nebenanlagen zur zeitweiligen Lagerung und zur Trocknung von Klärschlamm auf dem Flurstück … der Gemarkung … (I.straße …, … S.) und eine wasserrechtliche beschränkte Erlaubnis zur Benutzung des Grundwassers. Zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens wird dargelegt, dass sich das Vorhaben im Geltungsbereich eines gültigen Bebauungsplans befinde. Die beantragte Klärschlammverbrennungsanlage liege im Bereich des „SO₂“ des Bebauungsplans „SOKläranlage – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung“ der Stadt S. In diesem „SO₂“ seien Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung nach § 11 Abs. 2 BauNVO, insbesondere Klärschlammverbrennungsanlagen zulässig. Bezüglich des Befreiungsantrags wegen der Verlegung der Zufahrt nach Süden wird im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass der Bebauungsplan „SO-Kläranlage“ eine Zufahrt zur Klärschlammverbrennungsanlage zentral auf dem Grundstück festsetze. Der Bauwerber habe einen Antrag auf Befreiung von dieser Festsetzung gestellt und beantrage eine Zufahrt im Süden des Grundstücks. Die Zufahrtssituation auf das Grundstück werde nicht als Grundzug der Planung angesehen. Die Abweichung sei städtebaulich vertretbar und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Daher werde davon ausgegangen, dass diese Befreiung erteilt werden könne. Hinsichtlich der Begründung im Übrigen wird auf den Bescheid verwiesen.
7
Der Genehmigungsbescheid vom 8. April 2022 wurde am 14. April 2022 u.a. im S.er Tagblatt, im Amtsblatt der Regierung von Niederbayern, auf der Internetseite der Regierung und im UVP-Portal öffentlich bekannt gemacht.
8
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 2. Juni 2022 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Klage sei zulässig, da der Kläger in seinen satzungsmäßigen Aufgaben gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG berührt sei. Zweck des Klägers sei u.a. die Förderung des Natur- und Umweltschutzes. Die Klage sei auch begründet, da die immissionsschutzrechtliche Genehmigung rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Der Bescheid verstoße gegen die Vorsorgepflicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Es seien einige der verbindlichen Beste verfügbare Technik (BVT)-Schlussfolgerungen bei der Genehmigung nicht berücksichtigt worden. Des Weiteren verstoße die Genehmigung gegen wasserrechtliche Vorschriften sowie gegen § 34 BNatSchG und § 13 Klimaschutzgesetz (KSG). Weiterhin sei aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die bauplanungsrechtliche Grundlage entzogen worden. Ungeachtet dessen sei die Erschließung nicht gesichert. Darüber hinaus sei der Standort der Klärschlammverbrennungsanlage ungeeignet, da die Anlage im Hochwasserrisikogebiet der Donau liege und hierdurch der dauerhafte Anschluss an eine öffentliche Straße und damit die Erschließung nicht gesichert sei. Der streitgegenständliche Bescheid sei aufzuheben und nicht nur für rechtswidrig zu erklären. Der Ausgang eines ergänzenden Verfahrens sei zum aktuellen Zeitpunkt offen. Eine Prognose, wann die aktuell bestehende objektive Rechtswidrigkeit entfallen werde, könne der Beklagte derzeit nicht geben. Weder die zeitliche Perspektive noch die inhaltliche liege in seiner Zuständigkeit, da die Stadt S. über die Planungshoheit verfüge. Wegen des planerischen Gestaltungsspielraums der Stadt S. und der erforderlichen Neubewertung der Verkehrslärmsituation sei es nicht möglich zu beurteilen, ob eine Anpassung der Genehmigung erforderlich werde.
den Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 8.4.2022 (Az. RNB-55.U-8711.200-18-5-58) an die … GmbH aufzuheben,
hilfsweise für rechtswidrig zu erklären und außer Vollzug zu setzen.
10
Die Regierung von Niederbayern beantragt für den Beklagten,
hilfsweise festzustellen, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Regierung von Niederbayern vom 8.4.2022, Az. RNB-55.U-8711.200-18-5-58 rechtswidrig und damit nicht vollziehbar ist.
11
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Aufgrund des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. August 2022 sei dem streitgegenständlichen Bescheid die bauplanungsrechtliche Grundlage entzogen worden. Zum aktuellen Zeitpunkt stehe die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht im Einklang mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriften gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG und sei rechtswidrig. Aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 171/1 gelte der Bebauungsplan der Stadt S. Nr. 171 aus 2008 unverändert fort. Nur wenn eine Gemeinde im Textteil des neuen Bebauungsplans einen selbstständigen Aufhebungsbeschluss für den alten Bebauungsplan verankere, gelte der alte Bebauungsplan nicht fort. Die unter Ziffer 0. des für unwirksam erklärten Bebauungsplans Nr. 171/1 enthaltene Festsetzung stelle jedoch keinen selbständigen Aufhebungsbeschluss dar. Die streitgegenständliche Klärschlammverbrennungsanlage sei daher bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Die Anlage sei eine eigenständige Anlage der öffentlichen Abfallverwertung und könne nicht der Kläranlage der Stadt S. funktional zugeordnet werden. Auch in Bezug auf Lärmemissionen und Verkehrsaufkommen sei die Klärschlammverbrennungsanlage nicht mit dem alten Bebauungsplan aus 2008 vereinbar. Hingegen liege kein Verstoß gegen die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vor, da die streitgegenständliche Anlage den BVT-Schlussfolgerungen entspreche. Auch ein Verstoß gegen wasserrechtliche Vorschriften liege nicht vor. Die Beigeladene habe einen Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis beantragt. Die wasserrechtliche Erlaubnis habe, nach Stellungnahme durch das Wasserwirtschaftsamt, mit Nebenbestimmungen erteilt werden können. Im Übrigen ergebe sich aus dem umfangreichen Gutachten, dass eine erhebliche Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets im Sinne des § 34 BNatSchG offensichtlich ausgeschlossen sei. Außerdem seien im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung die Belange des Klimaschutzes berücksichtigt worden, so dass kein Verstoß gegen das KSG vorliege. Auch die Erschließung sei gesichert. Der Standort der Klärschlammverbrennungsanlage sei nicht deshalb ungeeignet, da der Standort im Falle eines 100-jährlichen Hochwassers extrem überschwemmt werde. Für den Fall eines Extremhochwassers liege ein Konzept für die Sicherung der Anlage vor, welches auch Bestandteil der Genehmigung sei. Trotz Verstoßes gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften komme eine Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides nicht in Betracht, da der Verstoß durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden könne. Es sei ein ergänzendes Verfahren gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 UmwRG durch Prüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit den Festsetzungen des geheilten Bebauungsplanes nach dessen rückwirkendem Inkrafttreten und Berücksichtigung der Erkenntnisse der im Bauleitplanverfahren eingeholten neuen Gutachten möglich. Im Rahmen des ergänzenden Verfahrens könnten auch Mängel ausgeräumt werden, deren Heilung nicht in der Hand der Genehmigungsbehörde selbst liege, sondern das Einschreiten eines anderen Verwaltungsträgers – hier der Stadt S. – voraussetze. Zwar sei die Bauleitplanung noch nicht abgeschlossen. Es liege jedoch zwischenzeitlich ein Verkehrsgutachten vom 31. Juli 2023 vor. Nach dem bisherigen Stand des Bauleitplanungsverfahrens bestünden keinerlei Anhaltspunkte, wonach der künftige Bebauungsplan dem genehmigten Vorhaben widerspreche und gravierende Änderungen der erteilten Genehmigung erforderlich mache. Insbesondere verbleibe es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bei der I.straße als Erschließungsstraße. Die Identität des Gesamtvorhabens, insbesondere die Erschließungssituation bleibe unangetastet. Vor dem Hintergrund, dass die Rechtmäßigkeit der Genehmigung unproblematisch herbeigeführt werden könne und die Stadt S. das ergänzende Verfahren vorantreibe, wäre die Durchführung eines neuen kompletten förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens unverhältnismäßig.
12
Die Beigeladene beantragt,
das Verfahren bis zu einem Abschluss des von der Stadt S. durchgeführten ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB auszusetzen,
das Verfahren unter Bestimmung einer angemessenen und mindestens ein Jahr betragenden Frist für die Durchführung des Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB durch die Stadt S. auszusetzen.
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Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage weist die Beigeladene darauf hin, dass der Kläger keinen Nachweis vorgebracht habe, dass er tatsächlich nach § 3 Abs. 1 UmwRG anerkannt worden sei. Überdies sei in der klägerischen Satzung nicht geregelt, dass zum Verbandszweck auch das Führen von Gerichtsverfahren gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheide gehöre. Entgegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG gewähre der Kläger seinen Mitgliedern auch kein volles Stimmrecht in einer Mitgliederversammlung. Möglicherweise sei die Klage auch rechtsmissbräuchlich, da der Kläger rein politische Interessen verfolge. Dem Kläger gehe es nicht darum, einen konstruktiven Beitrag zur rechtmäßigen Anwendung des BImSchG und des UVPG zu leisten. Gerichtliche Aktivitäten von Umweltschutzverbänden seien nicht per se gemeinwohlverträglich und gemeinwohlfördernd. Dem Kläger gehe es vielmehr um die bayernweite Obstruktion der Neuerrichtung von Klärschlammverbrennungsanlagen. Zum Aussetzungsantrag führt die Beigeladene Folgendes aus: Es gebe keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass es bauplanungsrechtlich ausgeschlossen sei, einen das streitgegenständliche Vorhaben ermöglichenden Bebauungsplan aufzustellen. Die Stadt S. habe bereits neue Begutachtungen in Auftrag gegeben. Die Stadt S. gehe von einem abschließenden Satzungsbeschluss im Herbst 2023 aus. Auch sei relevant, dass die streitgegenständliche Anlage der Stromerzeugung dienen solle. Bei der Verbrennung des Klärschlamms falle Wärme an, die zur Erzeugung von Strom verwendet werden könne, so dass es sich um eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Sinne des § 3 Nr. 21 lit. e EEG 2023 handle. Die Aussetzung des Verfahrens sei auch sachdienlich, die bauplanungsrechtlichen Mängel könnten durch ein ergänzendes Verfahren geheilt werden. Eine vor Abschluss des ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB erfolgende Entscheidung im gegenständlichen Verfahren wäre nicht geeignet, Rechtsfrieden herbeizuführen. Es wäre vielmehr nachfolgend mit einem erneuten Anhängigmachen einer erneuten Streitsache zu rechnen. Überdies sei die Klage unbegründet. Es liege kein Verstoß gegen die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht vor. Die streitgegenständliche Anlage entspreche dem Stand der Technik. Es gebe keine anderen Verfahrenstechniken, die „besser“ seien. Es liege auch kein Verstoß gegen § 13 KSG vor. Die Norm sei bereits nicht anwendbar, da auf die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ein Rechtsanspruch bestehe und gebundene Entscheidungen von § 13 KSG nicht erfasst seien. Auch die Ermittlung der Klimaschutzbelange im Genehmigungsverfahren sei nicht fehlerhaft erfolgt. Weder das KSG noch andere gesetzliche Vorgaben enthielten derzeit ein Verbot, CO 2-emittierende Anlagen neu zu errichten.
14
Der Bau- und Planungsausschuss der Stadt S. hat am 29. September 2022 beschlossen, für den unwirksam erklärten Bebauungsplan Nr. 171/1 ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchzuführen. Die Verwaltung wurde beauftragt, die dafür notwendigen Begutachtungen insbesondere zur Verkehrsentwicklung sowie den Lärmimmissionen für die Anlieger zu veranlassen.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2022 beantragte die Beigeladene, das Verfahren bis zu einem Abschluss des von der Stadt S. durchgeführten ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB auszusetzen, hilfsweise das Verfahren unter Bestimmung einer angemessenen und mindestens ein Jahr betragenden Frist für die Durchführung des Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB durch die Stadt S. auszusetzen.
16
In der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2024 hat der Beigeladenenbevollmächtigte einen Beweisantrag gestellt mit dem Ziel der Einholung eines Verkehrslärmgutachtens. Dieser Beweisantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. Januar 2024 abgelehnt.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem sowie im Verfahren RN 7 K 22.1525, auf die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
18
Der schriftsätzlich gestellte Antrag auf Aussetzung des Verfahrens war abzulehnen.
19
Die Ablehnung einer von einem oder mehreren Beteiligten beantragten Aussetzung kann zusammen mit der abschließenden Sachentscheidung begründet werden und bedarf nicht zwingend eines vorherigen Beschlusses (Schoch/Schneider/Rudisile, 44. EL März 2023, VwGO § 94 Rn. 38; NK-VwGO/Wilfried Peters/Katrin Schwarzburg, 5. Aufl. 2018, VwGO § 94 Rn. 22; a.A. Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 94 Rn. 8).
20
I. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung gemäß § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG liegen nicht vor.
21
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der § 4 Abs. 1 und 1a UmwRG ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.
22
Unter den Begriff des Verfahrensfehlers fallen nur Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die die äußere Ordnung des Verfahrens, d.h. den Verfahrensablauf als solchen betreffen. Hierzu gehören etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit sowie sonstige Verfahrensschritte, wie etwa die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) oder eine Vorprüfung. Dieses Begriffsverständnis liegt auch der Regelungsstruktur des § 4 UmwRG zugrunde, der hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen absoluten (Abs. 1) und relativen (Abs. 1 a) Verfahrensfehlern unterscheidet (vgl. BVerwG, U. v. 28.11.2017 – 7 A 17/12, Rn. 29 – juris; BT-Drs. 18/5927, 9).
23
Die Aussetzung dient dazu, dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler zu heilen. Soweit der Beklagte während der Aussetzung die Gelegenheit nutzt, im ergänzenden Verfahren auch materielle Fehler zu heilen, steht dies einer Aussetzung nicht entgegen. § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG sieht zwar eine Aussetzung des Verfahrens nur zur Heilung von Verfahrensfehlern vor, enthält aber kein Verbot, das Verfahren auszusetzen, wenn der Beklagte im Rahmen des ergänzenden Verfahrens auch die Heilung materieller Fehler beabsichtigt (OVG Magdeburg, B.v. 14.2.2018 – 2 K 3/17 – juris). Die Aussetzung muss jedenfalls auch mit dem Ziel erfolgen, eine Heilung von Verfahrensfehlern zu ermöglichen, da eine Aussetzungsbefugnis (allein) zur Heilung materieller Fehler nicht vorgesehen ist (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller, 102. EL September 2023, UmwRG § 4 Rn. 105).
24
Nach dieser Maßgabe kommt eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG nicht in Betracht, da es sich bei den vom Kläger gerügten Mängeln ausschließlich um materielle Fehler handelt.
25
Die Beigeladene begründet den Aussetzungsantrag damit, dass im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB die Verfahrensmängel im Bebauungsplanverfahren rückwirkend geheilt werden könnten.
26
Die Beigeladene verkennt jedoch, dass Streitgegenstand im hiesigen Verfahren die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 8. April 2022 ist und diese Genehmigung wegen eines Verstoßes gegen das Bauplanungsrecht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG rechtswidrig ist (vgl. C. I.). Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften ist zweifelsohne ein materieller Verstoß und kein Verfahrensfehler im Sinne § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG.
27
II. Das Verfahren ist auch nicht gemäß § 94 VwGO bis zu einem Abschluss des von der Stadt S. durchgeführten ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB auszusetzen.
28
Gemäß § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. § 94 VwGO soll es dem Gericht ermöglichen, aus prozessökonomischen Gründen die Entscheidung des in der vorgreiflichen Angelegenheit zuständigen Gerichts oder der Behörde zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen abzuwarten (BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 11 C 17.2256, BeckRS 2017, 136920).
29
Die Verfahrensaussetzung nach § 94 VwGO setzt ein vorgreifliches Rechtsverhältnis voraus. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung in dem auszusetzenden Verfahren nicht ergehen kann, ohne dass über die in dem anderen Verfahren anhängige Vorfrage entschieden wird (Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 94 Rn. 4; BeckOK VwGO/Garloff, 68. Ed. 1.7.2023, VwGO § 94 Rn. 1).
30
In der gerichtlichen Praxis wird § 94 Satz 1 VwGO auch dann entsprechend angewandt, wenn das Ergebnis des Klageverfahrens von der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift abhängt, die in einem Normenkontrollverfahren Prüfungsgegenstand ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.12.2000 – 4 B 75/00, BeckRS 2001, 20934; OVG Bremen, NJW 1986, 2335; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, 276).
31
Eine mögliche künftige Rechtsänderung ist hingegen kein die Aussetzung nach § 94 VwGO rechtfertigender Grund (BayVGH, B.v. 28.2.1984 – 26 C 83 A.1931 – BayVBl. 1984, 341, 342). Die Regelung dient nicht dazu, die Entscheidung einer Streitsache nur im Hinblick auf mögliche künftige Änderungen der Sach- oder Rechtslage hinauszuschieben (BVerwG, Beschluss vom 13.02.1962 – I B 14.62 – NJW 1962, 1170, 1171). Daher kommt keine Aussetzung in Betracht, um die Aufstellung oder den Erlass eines Bebauungsplans abzuwarten (OVG NRW, U.v. 21.12.2010 – 2 A 1419/09 – juris Rn. 47).
32
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Verfahrens nicht in Betracht, weil das von der Stadt S. durchgeführte ergänzende Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB kein vorgreifliches Rechtsverhältnis i.S.d. § 94 VwGO ist.
33
Die Klage ist zulässig.
34
I. Die Klage wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben.
35
Der Beklagte hat die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 8. April 2022 gem. § 10 Abs. 7 und Abs. 8 BImSchG i.V.m. § 21a Satz 2 der 9. BImSchV öffentlich bekannt gemacht.
36
Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt nach Maßgabe des § 10 Abs. 8, Abs. 8a BImSchG und wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheides und die Rechtsbehelfsbelehrungim Amtsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, bekannt gemacht werden. Eine Ausfertigung des gesamten Bescheides ist vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen (§ 10 Abs. 8 Satz 3 BImSchG).
37
Der Beklagte veröffentlichte am 14. April 2022 im Amtsblatt der Regierung von Niederbayern eine Bekanntmachung, die den verfügenden Teil des Bescheids, die Rechtsbehelfsbelehrungsowie einen Hinweis auf Auflagen und die weiteren Hinweise nach § 10 Abs. 8 Sätze 4 und 5 BImSchG enthielt. Die Bekanntmachung sowie der Genehmigungsbescheid vom 8. April 2022 wurden zusätzlich am 14. April 2022 auf der Internetseite der Regierung von Niederbayern und auf dem UVP-Portal veröffentlicht.
38
Der Genehmigungsbescheid wurde bei der Regierung von Niederbayern sowie in der Stadt S., der Stadt B. und der Gemeinde P. jeweils im Rathaus ausgelegt. Die Auslegung erfolgte von Dienstag, 19. April 2022 bis einschließlich Montag, 2. Mai 2022.
39
Mit dem Ende der Auslegungsfrist am 2. Mai 2022 gilt der Bescheid vom 8. April 2022 als zugestellt.
40
Die Klagefrist begann somit am 3. Mai 2022 gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB zu laufen und endete gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 2. Juni 2022, so dass die am 2. Juni 2022 eingegangene Klage fristgerecht erhoben wurde.
41
II. Der Kläger ist gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a UmwRG klagebefugt.
42
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass die Entscheidung oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG), dass sie in ihrem satzungsmäßigen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen berührt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG) und wenn sie im Falle eines Verfahrens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG zur Beteiligung berechtigt war (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a UmwRG).
43
1. Die Anwendbarkeit des Umweltrechtsbehelfs-Gesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG i.V.m. § 5 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Nr. 8.1.1.3 Spalte 2 zum UVPG sowie gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG i.V.m. Anlage 1 Nr. 8.1.1.3 zur 4. BImschV i.V.m Nr. 5.2 a) des Anhangs I der IE-RL eröffnet.
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Bei der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung handelt es sich um eine Zulassungsentscheidung nach § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG, bei der gemäß § 5 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Nr. 8.1.1.3 Spalte 2 zum UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht.
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2. Der Kläger ist auch eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung.
46
Die Anerkennung ist ein Dauerverwaltungsakt und hat konstitutive Wirkung. Die Frage, ob ein Umweltverband den in § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwRG genannten Anforderungen entspricht, wird vorab und unabhängig von einem konkreten Rechtsbehelf im Rahmen des Anerkennungsverfahrens geprüft und deshalb später in den jeweiligen Verfahren, in denen es um Klagegegenstände des § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 2 UmwRG geht, nicht noch einmal geklärt. Mit Erlass der Anerkennung tritt die sog. Tatbestandswirkung ein, so dass alle Behörden und Gerichte verpflichtet sind, die betroffene Umweltvereinigung als anerkannt anzusehen (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller, 102. EL September 2023, UmwRG § 3 Rn. 50; Bunge, UmwRG, § 3, Rn. 15, 18). Anderen Behörden oder Gerichten ist es demnach versagt, die Rechtmäßigkeit der Anerkennung in Frage zu stellen bzw. das Nichtvorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen geltend zu machen und so eine Mitwirkung der anerkannten Umweltvereinigung im Zulassungsverfahren zu verweigern (OVG Münster, B.v. 15.9.2008 – 8 B 900/08.AK, Rn. 13 – juris; Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller, 102. EL September 2023, UmwRG § 3 Rn. 50). Etwas anderes gilt nur im Falle der Nichtigkeit der Anerkennung nach § 44 VwVfG. In allen anderen Fällen kann eine bereits erteilte Anerkennung nur nach Maßgabe der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder zurückgenommen bzw. widerrufen werden (BT-Drs. 16/12274, 79).
47
Hiervon ausgehend hat das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger eine anerkannte Umweltvereinigung gemäß § 3 UmwRG ist. Ausweislich der öffentlich zugänglichen Liste der Anerkennungsstelle Umwelt-Rechtsberatungsgesetz ist der Kläger eine vom Bund (Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium) anerkannte Umweltvereinigung (vgl. Liste nach § 3 Abs. 1 Satz 5 UmwRG, abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1/dokumente/anerkannte_umwelt-_und_naturschutzvereinigungen.pdf, zuletzt abgerufen am 12.1.2024).
48
Selbst unter der Annahme, dem Gericht stünde eine Überprüfung der Anerkennungsvoraussetzungen im Sinne des § 3 UmwRG zu, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Soweit die Beigeladene vorträgt, der Kläger verfolge mit den gerichtlichen Aktivitäten keine gemeinwohlverträglichen und gemeinwohlfördernden Zwecke und es bestehe kein freier Mitgliederzugang im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG, führt dieser Vortrag nicht zum Erfolg.
49
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 UmwRG muss die Umweltvereinigung gemeinnützige Zwecke i.S.v. § 52 der Abgabenordnung (AO) verfolgen (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller, 102. EL September 2023, UmwRG § 3 Rn. 28). Gemäß § 52 AO ist dies dann der Fall, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. § 52 Abs. 2 AO enthält einen Katalog einzelner Belange, die als gemeinnützige Zwecke anerkannt sind. Hierzu gehört u.a. die Förderung des Umweltschutzes (§ 52 Abs. 2 Nr. 8 AO).
50
Nach § 2 der Satzung (Stand: 06.12.2021) verfolgt der Kläger das Ziel, die natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen und die Biodiversität im Ganzen vor weiterer Zerstörung zu bewahren und wiederherzustellen. Der Kläger ist selbstlos tätig und verfolgt eigenwirtschaftliche Zwecke nur zur Erfüllung des Verbandszweckes (vgl. § 3 der Satzung).
51
Für die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke spricht auch, dass der Kläger von der Körperschaftssteuer befreit ist (vgl. Freistellungsbescheid vom Finanzamt Regensburg vom 16.1.2023, St.-Nr. 244/147/80055).
52
Der Gemeinnützigkeit steht nicht entgegen, dass der Kläger am politischen Diskurs einen Beitrag leistet und seine Rechtsansichten durch gerichtliche Rechtsbehelfe durchzusetzen vermag (vgl. BFH, U.v. 13.12.1978 – I R 39/78, BeckRS 1978, 22004723; U.v. 29.8.1984 – I R 203/81).
53
Unerheblich ist auch, dass der Kläger seinen Mitgliedern in der Delegiertenversammlung kein volles Stimmrecht einräumt.
54
Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG setzt die Erteilung einer Anerkennung u.a. voraus, dass die Vereinigung jeder Person den Eintritt als Mitglied ermöglicht, die die Ziele der Vereinigung unterstützt; Mitglieder sind Personen, die mit dem Eintritt volles Stimmrecht in der Mitgliederversammlung der Vereinigung erhalten; bei Vereinigungen, deren Mitgliederkreis zu mindestens drei Vierteln aus juristischen Personen besteht, kann von der Voraussetzung nach Halbsatz 1 abgesehen werden, sofern die Mehrzahl dieser juristischen Personen diese Voraussetzung erfüllt.
55
Nach dem sog. Prinzip der Binnendemokratie hat eine Vereinigung jeder Person, die Ziele der Vereinigung unterstützt, die Aufnahme als stimmberechtigtes Mitglied zu ermöglichen. Von der binnendemokratischen Organisation lässt sich nach § 3 Abs. 1 Satz Nr. 5 Halbsatz 3 UmwRG lediglich bei Verbänden absehen, deren Mitglieder zu mindestens drei Vierteln juristische Personen sind, und auch dann nur, wenn die Mehrzahl der juristischen Personen sie für den eigenen Bereich erfüllt. Mit dieser Regelung bezweckt das Gesetz, Dachverbänden – einer „typischen Form der demokratischen Repräsentation“ – die Anerkennung zu ermöglichen (Bunge, UmwRG, § 3 Rn. 58). Die Regelung erfasst Dachvereinigungen, die selbst Dachvereinigungen als Mitglieder haben. Diese Mitgliedsdachvereinigungen müssen ebenfalls das Prinzip der Binnendemokratie einhalten, damit die gesetzliche Anforderung erfüllt ist (BT-Drucks. 16/12274, 79).
56
Folglich steht der Anerkennung nicht entgegen, dass Mitglieder des Klägers auch juristische Personen sind und das Stimmrecht über Mitgliederversammlungen innerhalb der juristischen Personen ausgeübt wird. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Halbsatz 1 UmwRG liegen vor.
57
Gemäß § 5 der Satzung des Klägers können natürliche und juristische Personen Mitglied werden. Die Delegiertenversammlung vertritt die Mitglieder. Sie besteht aus den Mitgliedern des Landesvorstandes, den Mitgliedern des Landesbeirates, den Mitgliedern der Landesjugendleitung, 10 von der Jugendvertreterversammlung gewählten Delegierten oder deren Stellvertretern sowie den Delegierten der 76 Kreisgruppen. Die Delegierten der Kreisgruppen setzen sich wiederum zusammen aus den ersten Vorsitzenden oder Stellvertretern der Kreisgruppen, den gewählten Delegierten jeder Kreisgruppe, sowie je zweitausend Mitgliedern nach dem Stand vom 1. Januar des laufenden Jahres einem/einer weiteren gewählten Delegierten.
58
Demnach sind Mitglieder des Klägers als Dachverband überwiegend juristische Personen. Die jeweiligen Kreisgruppen setzen sich zusammen aus den Mitgliedern, die im Kreisgebiet ihren Wohnsitz haben. Die Mitglieder der Kreisgruppen üben ihr Stimmrecht im Rahmen der Mitgliederversammlung aus (§ 10 der Satzung), so dass jedenfalls innerhalb der juristischen Personen das Prinzip der Binnendemokratie eingehalten wird, § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Halbsatz 3 UmwRG.
59
3. Der Kläger macht auch geltend, dass die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung Rechtsvorschriften widerspricht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG, und in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes berührt zu sein (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG).
60
Ein geltend gemachter Normverstoß ist für die Entscheidung von Bedeutung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG, wenn seine Entscheidungsrelevanz zumindest möglich ist (BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 9 CS 20.892 – juris Rn 38; Remmert, VBlBW, 2019, 181/184). Die Rechtsvorschrift kann umweltbezogen sein, muss es bei Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG aber nicht. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es zu vermeiden, dass entscheidungsirrelevante Aspekte zum Gegenstand des Streitstoffes im Rechtsbehelfsverfahren gemacht werden können (BT-Drs. 16/2495, S. 12). Unerheblich ist hingegen, ob die verletzte Rechtsvorschrift zur Aufhebung der Entscheidung führt (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schille, 102. EL September 2023, UmwRG § 2 Rn. 15; Bunger, UmwRg § 2 Rn. 37, 116).
61
Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG liegen vor.
62
Der Kläger rügt Verstöße gegen die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. BVT-Schlussfolgerungen sowie gegen das Klimaschutzgesetz. Darüber hinaus trägt der Kläger vor, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Indem der Kläger Verstöße gegen immissionsschutzrechtliche, naturschutzrechtliche und klimarechtliche Vorschriften rügt, ist er in seinem satzungsmäßigen Aufgabenbereich der „Förderung des Naturschutzes und […] des Umweltschutzes …“ (vgl. § 2 der Satzung, Stand: 6. Dezember 2021) berührt.
63
Auch soweit der Kläger geltend macht, dass im Falle einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die bauplanungsrechtliche Grundlage entzogen sei, rügt er einen Verstoß gegen die immissionsschutzrechtliche Regelung in §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 13 BImSchG i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 BauGB.
64
Bei § 13 BImSchG handelt es sich jedenfalls insoweit um eine umweltbezogene Rechtsvorschrift, als von der Konzentrationswirkung umfasste behördliche Entscheidungen ihrerseits von der Einhaltung solcher umweltbezogenen Rechtsvorschriften abhängen, die im immissionsschutzrechtlichen Verfahren zu prüfen sind (BVerwG, U.v. 8.11.2022 – 7 C 7.21 – juris Rn. 27 ff.). Vorliegend hat die Genehmigungsbehörde im immissionsschutzrechtlichen Verfahren auch die Einhaltung Bauplanungs- und Bauordnungsrechts gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu prüfen.
65
Die Vereinbarkeit mit Bauplanungsrecht berührt den Kläger in seinen satzungsmäßigen Aufgaben zur Förderung des Umweltschutzes. Bei der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 171 waren u.a. die Belange des Umweltschutzes nach § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB zu berücksichtigen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hängt gerade davon ab, ob das Vorhaben den Festsetzungen eines Bebauungsplans entspricht, die dem Umweltschutz dienen (vgl. BVerwG, B.v. 13.4.1995 – 4 B 70/95, NJW 1995, 2648, 2649; BayVGH, U.v. 25.9.2023 – 9 BV 22.481; B.v. 10.12.2020 – 9 CS 20.892, BeckRS 2020, 36190 Rn. 30 ff., 33.).
66
4. Der Kläger war auch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a UmwRG zur Beteiligung berechtigt.
67
Das Beteiligungsrecht ergibt sich aus §§ 4 Abs. 1, 10 Abs. 3 BImSchG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 b) der 4. BImSchV i.V.m. Anlage 1 Nr. 8.1.1.3 zur 4. BImschV sowie aus §§ 5 Abs. 1, 18 Abs. 1 UVPG i.V.m. Anlage 1 Nr. 8.1.1.3 Spalte 2 zum UVPG.
68
Die Klage ist auch begründet, weil die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht im Einklang mit bauplanungsrechtlichen Vorschriften gem. §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 13 BImSchG i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 BauGB steht. Der immissionsschutzrechtliche Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig und ist aufzuheben, weil die Verletzung nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann.
69
Bei der streitgegenständlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung handelt es sich um eine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a UmwRG, so dass sich das Prüfprogramm nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG richtet.
70
Die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG regelt – spiegelbildlich zur Rügebefugnis eines Umweltverbands nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG – den gerichtlichen Prüfungsmaßstab bei Klagen gegen Entscheidungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG. Ein Umwelt-Rechtsbehelf ist danach begründet, soweit die Entscheidung gegen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, verstößt und der Verstoß Belange berührt, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören.
71
I. Die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung verstößt gegen §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 13 BImSchG i.V.m. §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 BauGB.
72
Zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gehören auch planungsrechtliche Vorgaben, die wegen der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 13 BImSchG ebenfalls Gegenstand der materiellen Prüfung sind (BVerwG, U.v. 8.11.2022 – 7 C 7.21 – juris Rn. 27 ff.).
73
Nach diesem Maßstab erweist sich die streitgegenständliche Anlage als bauplanungsrechtlich unzulässig.
74
Die Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach §§ 29, 30 Abs. 1 BauGB.
75
Zwar ist der Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 171/1 der Stadt S. unwirksam (vgl. BayVGH, U.v. 3.8.2022 – 15 N 21.1291). Dies hat jedoch zur Folge, dass der Bebauungsplan der Stadt S. „SO Kläranlage – Flächen für Anlagen der öffentlichen Ver- und Entsorgung“ Nr. 171 aus dem Jahr 2008 unverändert fort gilt (vgl. BVerwG, U.v. 10.08.1990 – 4 C 3/90).
76
Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (sog. qualifizierter Bebauungsplan), zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
77
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann offenbleiben, ob die Erschließung der geplanten Klärschlammverbrennungsanlage gesichert ist. Jedenfalls widerspricht das streitgegenständliche Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 171 der Stadt S. aus 2008.
78
Der Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 171 vom 27. Oktober 2008 setzt als Nutzungsart ein Sondergebiet mit Flächen für Anlagen der öffentlichen Verund Entsorgung, konkret einer Kläranlage, fest. Kläranlagen sind solche Anlagen, die der Reinigung des Abwassers dienen. Die geplante Klärschlammverbrennungsanlage dient hingegen nicht der Abwasserreinigung, sondern stellt eine eigenständige Anlage zur thermischen Verwertung von Klärschlämmen dar (vgl. Nr. 8.1.1.3 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV).
79
II. Der Verstoß gegen das Bauplanungsrecht ist auch von Bedeutung im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 1 UmwRG. Von Bedeutung ist der Verstoß, wenn er Entscheidungsrelevanz hat. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es zu vermeiden, dass entscheidungsirrelevante Aspekte zum Gegenstand des Streitstoffes im Rechtsbehelfsverfahren gemacht werden können (BT-Drs. 16/2495, 12). Die Voraussetzung entspricht inhaltlich den Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in Ziffer B.
80
II. 3. Bezug genommen wird (vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schille, 102. EL September 2023, UmwRG § 2 Rn. 58).
81
III. Der Verstoß berührt auch Belange des Umweltschutzes und somit solche Belange, die der Kläger nach seiner Satzung fördert.
82
Im Unterschied zu Klagen gegen Entscheidungen und Maßnahmen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a bis 6 UmwRG, bei denen ein Verstoß gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften (§ 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UmwRG) gerade Voraussetzung für den Erfolg der Klage ist, erstreckt sich die gerichtliche Kontrolle im Rahmen der Anwendung von § 2 Abs. 4 Nr. 1 UmwRG auf alle materiellrechtlichen und prozessualen Bestimmungen, die für die angefochtene Entscheidung von Bedeutung sind. Daraus folgt eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle bei Rechtsbehelfen von Umweltvereinigungen nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 UmwRG (Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schille, 102. EL September 2023, UmwRG § 2 Rn. 57; Schink/Reidt/Mitschang/Franzius, 2. Aufl. 2023, UmwRG § 2 Rn. 27). Dieser weitreichende Prüfmaßstab entspricht auch den Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens vom 25.06.1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an den Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen – AK – BGBl. 2006 II S. 1251), die der deutsche Gesetzgeber auch mit § 2 Abs. 4 UmwRG umgesetzt hat (vgl. BT-Drs. 18/9526 S. 38 f.; i.Ü. BVerwG, B.v. 12.7.201 – 7 B 15/17, BeckRS 2018, 16822 Rn.19). Ein spezifischer und unmittelbarer Bezug des jeweiligen Rechtsverstoßes zu Umweltbelangen ist damit nicht gefordert, so dass bei Genehmigungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG jeder Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift zur Begründetheit des Rechtsbehelfs führt (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2017 – 7 C 17.15 – UPR 2017, 314 Rn. 26 f.; BVerwG AbfallR 2019, 55 = BeckRS 2018, 16822) Eyermann, 16. Aufl. 2022, UmwRG § 2 Rn. 19, 20a; Schink/Reidt/Mitschang/Franzius, 2. Aufl. 2023, UmwRG § 2 Rn. 27; Kment NVwZ 2018, 921 (927))
83
Entgegen dem Vortrag der Beigeladenen kommt es daher nicht darauf an, ob es zu den satzungsmäßigen Aufgaben des Klägers gehört, die bauplanungsrechtliche Situation zu prüfen.
84
Unabhängig davon handelt es sich bei § 13 BImSchG jedenfalls insoweit um eine umweltbezogene Rechtsvorschrift, als von der Konzentrationswirkung umfasste behördliche Entscheidungen ihrerseits von der Einhaltung solcher umweltbezogenen Rechtsvorschriften abhängen, die im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren von der Genehmigungsbehörde zu prüfen sind, weil sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen dürfen (BVerwG, U.v. 7 C 7.21 – juris Rn. 29 ff.). Erweist sich die immissionsschutzrechtliche Anlage als bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie den Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 1 BauGB widerspricht, liegt insoweit ein Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 13 BImSchG vor. Ein Verstoß gegen diese immissionsschutzrechtlichen Vorschriften berührt zweifelsohne die Belange des Klägers als Umweltvereinigung.
85
IV. Der Kläger ist mit seinem Klagevortrag auch nicht nach § 6 UmwRG präkludiert.
86
Gemäß § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist (§ 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die Frist kann nach § 6 Satz 4 UmwRG (nur) dann auf Antrag verlängert werden, wenn die Person in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.
87
Der Kläger hat die Begründungsfrist ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung eingehalten.
88
Die zehnwöchige Frist begann mit Erhebung der Klage nach § 81 Abs. 1 VwGO am 2. Juni 2022 zu laufen und endete mit Ablauf des 11. August 2022 (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
89
Mit Schriftsatz vom 11. August 2022, eingegangen am selben Tag beim Verwaltungsgericht Regensburg, hat der Kläger vorgetragen, dass im Falle einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die bauplanungsrechtliche Grundlage entzogen wäre (vgl. Klagebegründung vom 11. August 2022, Seite 55).
90
V. Nach alledem ist die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 8. April 2022 rechtswidrig. Dies führt zur Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids und nicht (nur) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit.
91
Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG führt eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 UmwRG, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG regelt damit die Folgen eines Rechtsverstoßes abweichend von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Kann in einem ergänzenden Verfahren ein Rechtsfehler behoben werden, so sieht das Gericht von der Aufhebung des Bescheids ab und stellt nur fest, dass dieser rechtswidrig und nicht vollziehbar ist. Während dieses Schwebezustands besteht die Möglichkeit, den Fehler im ergänzenden Verfahren zu beheben (BVerwG, U.v. 29.5.2018 – 7 C 18.17 –, NVwZ 2018, 1734 Rn. 30 f.).
92
1. Eine Ergänzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 UmwRG kommt nicht in Betracht.
93
Eine Entscheidungsergänzung kommt nur dann in Betracht, wenn die Identität des Vorhabens nicht angetastet wird und die Behebung des Mangels nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Eine Ergänzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung scheidet jedoch aus, wenn durch eine Entscheidungsergänzung die Genehmigung nicht rechtmäßig wird, da sie noch an anderen, nicht behebbaren Fehlern leidet (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 4 UmwRG Rn. 17 u. § 7 UmwRG Rn. 10 m.w.N.).
94
Für den Bereich des Immissionsschutzrechts wird einer Entscheidungsergänzung nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 UmwRG in der Literatur kein bzw. nur ein marginaler Anwendungsbereich zugesprochen (vgl. etwa Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 7 UmwRG Rn. 92; Seibert, NVwZ 2018, 97/99; Hoppenberg/de Witt BauR-HdB, K VIII. Verbandsklage Rn. 71, beck-online). Dies wird damit begründet, dass es sich bei der Heilung materieller Fehler durch Entscheidungsergänzung um ein Instrument des Planfeststellungsrecht handelt (vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 44). Im Planfeststellungsrecht ist die Konstellation einer Planergänzung dadurch charakterisiert, dass die Planung nicht zu beanstanden ist und damit sicher feststeht, dass das durch den Planfeststellungsbeschluss festgestellte Vorhaben verwirklicht werden darf. Dieser Ansatz, dem die planungsrechtliche Unterscheidung von Abwägungsergebnis und Abwägungsvorgang zugrunde liegt, lässt sich nicht auf das Immissionsschutzrecht übertragen, weil, anders als im Planfeststellungsrecht, eine Vorhabenzulassung grundsätzlich voraussetzt, dass alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten sind (Seibert, NVwZ 2018, 97 (99)). Eine Entscheidungsergänzung kommt daher nur für den Fall in Betracht, dass das Vorhaben an sich nicht zu beanstanden ist und damit sicher feststeht, dass es verwirklicht werden darf. Bei gebundenen Entscheidungen, wie einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, kann diese Konstellation bei gleichzeitiger Ergänzungsbedürftigkeit aber nicht eintreten. Eine Ergänzung wäre nur über entsprechende Nebenbestimmungen nach Maßgabe des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG zu erreichen. Hiernach darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, nur mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Sind die demnach maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes ohne die Nebenbestimmung nicht erfüllt, darf aber bereits die Genehmigung nicht erlassen werden; das Vorhaben ist in diesem Fall rechtlich zu beanstanden, so dass eine Entscheidungsergänzung nicht möglich ist (vgl. Hoppenberg/de Witt BauR-HdB, K VIII. Verbandsklage Rn. 71; im Ergebnis ebenso Seibert NVwZ 2018, 97 (99)).
95
Nach diesen Maßstäben scheidet eine Entscheidungsergänzung gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 UmwRG aus. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 8. April 2022 erweist sich als rechtswidrig, weil das Vorhaben wegen Verstoßes gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 171 der Stadt S. bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Dieser Mangel kann nicht durch Nebenbestimmungen, sondern allenfalls durch Aufstellung eines (Änderungs-) Bebauungsplans geheilt werden.
96
2. Schließlich scheidet auch ein ergänzendes Verfahren zur Fehlerbehebung gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 UmwRG aus.
97
Eine Fehlerbehebung im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens setzt voraus, dass sich der Mangel in absehbarer Zeit beseitigen lässt. Wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung feststeht, dass eine Beseitigung des Mangels aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht in Betracht kommt, steht dem Vorhaben ein unüberwindliches Hindernis entgegen, das der Fehlerbehebung in einem ergänzenden Verfahren keinen Raum mehr ließe (BayVGH, B.v. 7.2.2023 – 22 CS 22.1908 –, juris).
98
Vorliegend erweist sich die immissionsschutzrechtliche Genehmigung als rechtswidrig, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Dieser Mangel könnte durch Aufstellung eines Bebauungsplans geheilt werden. Allerdings ist nicht absehbar, ob und wenn ja wann ein (geänderter) Bebauungsplan dem Vorhaben zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit verhelfen könnte.
99
Ein Bebauungsplan, nach dessen Festsetzungen eine Klärschlammverbrennungsanlage im Plangebiet zulässig wäre, wurde zwar von der Stadt S. aufgestellt (Bebauungsplan Nr. 171/1). Dieser Bebauungsplan wurde jedoch mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. August 2022 wegen beachtlicher Ermittlung- und Bewertungsmangel für unwirksam erklärt (Az. 15 N 21.1291). Hierzu führte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung aus, dass der festgestellte Ermittlung- und Bewertungsmangel beachtlich sei, da die Möglichkeit bestünde, dass ohne diesen Mangel die Planung anders ausgefallen wäre. Insbesondere bestünde die Möglichkeit, dass nach ordnungsgemäßer Ermittlung und Bewertung der höheren Verkehrsbelastung eine andere Erschließungsmöglichkeit anstelle der I.straße gewählt wird oder der Plangeber durch hinreichend bestimmte Festsetzungen im Bebauungsplan diejenigen Nutzungen einschränkt, die mit Zusatzverkehr einhergehen (vgl. BayVGH, U.v. 3.8.2022 – 15 N 21.1291 – juris Rn. 33, 34). Hierbei handelt es sich um einen beachtlichen Mangel, der zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 171/1 führt, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 215 BauGB. Eine rückwirkende Heilung des für unwirksam erklärten Bebauungsplans Nr. 171/1 kommt nur nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB in Betracht.
100
Der Ausgang dieses ergänzenden Verfahrens ist jedoch offen. Nach den Ausführungen der Stadt S. wurde ergänzend zu den erneut in Auftrag gegebenen Verkehrs- und Lärmgutachten ein Gutachten zur Beurteilung der Geruchsimmissionen erstellt. Außerdem wird der Umweltbericht aktualisiert, da sich während des laufenden Verfahrens ergab, dass das Plangebiet ein Wiesenbrüterhabitat ist (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2024 im Verfahren RN 7 K 22.1525). Auch wenn die Stadt S. keine neue Gesamtkonzeption des Plangebietes vorgesehen hat, so bleibt u.a. offen, wie die Stadt S. die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof festgestellten Mängel beheben wird, welche abwägungsrelevanten Erkenntnisse den neuen Gutachten entnommen werden können sowie ob die Stadt S. eine andere Erschließungssituation wählen wird.
101
Ein ergänzendes Verfahren zur Beseitigung des Mangels, der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens, scheidet auch deshalb aus, weil die Genehmigungsbehörde nicht den Mangel beheben kann, sondern nur die Stadt S. durch ein (zusätzliches) ergänzendes Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB.
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Zwar können nach der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 5 UmwRG unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens auch Mängel ausgeräumt werden, deren Heilung nicht in der Hand der Genehmigungsbehörde selbst liegen, sondern das Einschreiten eines anderen Verwaltungsträgers in einem externen Verfahren voraussetzt (vgl. BT-Drucks. 18/9526, S. 45; zum ergänzenden Verfahren nach dem FStrG: BVerwG Urt. v. 1.4.2004 – 4 C 2/03, BeckRS 2004, 22764; BVerwG Urt. v. 24.11.2010 – 9 A 13.09, BeckRS 2011, 48124; Seibert NVwZ 2018, 97, 101).
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Dieser Grundsatz ist jedoch auf das vorliegende Verfahren nicht übertragbar. Der Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Bebauungsplan nicht den Zielen der Raumordnung nach § 1 Abs. 4 BauGB entsprach. Das Bundesverwaltungsgericht entschied in diesem Fall, dass ein Verstoß gegen das Anpassungsgebot ein solcher Mangel sei, der im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens behoben werden könne. Eine Fehlerbehebung könne durch Abweichungen von dem verbindlichen regionalen Raumordnungsplan zugelassen werden. Eine solche Abweichungsentscheidung komme nicht durch die Gemeinde als Träger für die Bauleitplanung in Betracht, sondern durch einen anderen Verwaltungsträger, der zuständigen Landesplanungsbehörde (BVerwG Urt. v. 18.9.2003 – BVerwG 4 CN 20.02 – DVBl 2004, 251). Voraussetzung hierfür ist ein Zielabweichungsverfahren (vgl. für Bayern Art. 4 BayLplG i.V.m. § 6 Abs. 2 ROG).
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Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich jedoch von der Erteilung einer Abweichungsentscheidung durch eine Landesplanungsbehörde. Denn die Zulassung einer Abweichung vom Raumordnungsplan wird entweder erteilt oder nicht erteilt. Versagt die Landesplanungsbehörde die Erteilung einer Abweichung, kann die betroffene Gemeinde diese Entscheidung im Wege der Verpflichtungsklage gerichtlich überprüfen lassen (Kment, ROG, 1. Auflage 2019, § 6 Rn. 176).
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Der geänderte Bebauungsplan ist hingegen das Ergebnis einer umfassenden Abwägungsentscheidung. Zudem erfolgt der Beschluss des Bebauungsplans durch Mehrheitsentscheid im Stadtrat nach dem Grundsatz des freien Mandats. Die Stadtratsmitglieder folgen bei der Abstimmung nur ihrem Gewissen, weshalb das Abstimmverhalten nicht vorhersehbar ist (BVerwG Urt. v. 27.3.1992 – 7 C 20/91, BeckRS 1992, 778; Widtmann/Grasser/Glaser BayGemeindeO/Glaser, 33. EL April 2023, BayGO Art. 51 Rn. 31).
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Im Übrigen kommt ein ergänzendes Verfahren dann nicht in Betracht, wenn die Identität des genehmigten Vorhabens angetastet wird und der Mangel einen „zentralen Punkt“ betrifft, der sich nicht bereinigen lässt, ohne dass ein gänzlich neues Zulassungsverfahren durchgeführt wird (Seibert NVwZ 2018, 97, 100 m.w.N.).
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass das ergänzende Verfahren gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 UmwRG nicht zugleich dem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB entspricht. Ob der Mangel in Form der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens im Rahmen eines ergänzendes Verfahrens nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 UmwRG behoben werden kann, setzt eine inzidente Prüfung des wiederum zu heilenden Bebauungsplans durch ein separates ergänzendes Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB voraus.
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Ist der Ausgang des ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB offen, betrifft dies einen zentralen Punkt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, weshalb eine Fehlerbehebung nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 UmwRG nicht möglich ist. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das streitgegenständliche Vorhaben nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zur Fehlerbehebung des Bebauungsplans derart geändert werden muss, dass die Identität des Gesamtvorhabens, insbesondere die Erschließungssituation angetastet wird (vgl. Landmann/Rohmer UmweltR/Fellenberg/Schiller, 100. EL Januar 2023, UmwRG § 7 Rn. 114 m.w.N.).
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Das Gericht kann offenlassen, ob der angefochtene Bescheid über den in dieser Entscheidung festgestellten Mangel hinaus an weiteren Rechtsfehlern leidet.
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Zwar ist das Gericht grundsätzlich gehalten, das Klagevorbringen umfassend zu prüfen und den Umfang der Rechtswidrigkeit in seinem Urteil genau festzustellen. Aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils sind die Rechtsfehler des angefochtenen Bescheides auf der Grundlage einer umfassenden rechtlichen Prüfung abschließend zu benennen. Sinn und Zweck der Regelung ist es, der Genehmigungsbehörde umfassend Gelegenheit zu geben, die vom Gericht identifizierten Fehler in einem auf deren Korrektur beschränkten ergänzenden Verfahren zu beheben (siehe BVerwG, B.v. 20.3.2018 – 9 B 43.16 – juris Rn. 65 und B.v. 28.7.2014 – 7 B 22.13 – UPR 2015, 34 Rn. 5 f., 9 f., jeweils m.w.N.)
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Diese höchstrichterlichen Grundsätze gelten jedoch nur für den Fall, dass das Gericht den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt, weil die Mängel, an denen er leidet, durch Planergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können.
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Vorliegend war der streitgegenständliche Bescheid aufzuheben und nicht (nur) dessen Rechtswidrigkeit festzustellen, weshalb das Gericht offenlassen durfte, ob der streitgegenständliche Bescheid an weiteren Rechtsfehlern leidet.
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Daher durfte das Gericht auch den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung ablehnen, weil die unter Beweis gestellte Tatsache – der anlagenbedingte Verkehrslärm – nicht entscheidungserheblich ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und, da die Beigeladene einen Antrag stellte und dabei unterlag, aus § 154 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 159 Satz 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.