Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 14.05.2024 – Vf. 81-VI-21
Titel:

Substanziierungspflicht einer Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen

Normenketten:
VfGHG Art. 51
OWiG § 74, § 79 Abs. 3
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
EMRK Art. 6
Leitsätze:
Mangels hinreichender Substanziierung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen in einem Bußgeldverfahren. (Rn. 21)
1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es idR einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Die bloße Behauptung, eine gerichtliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen nicht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Ablauf der Zweimonatsfrist des Art. 51 Abs. 2 S. 2 VfGHG kann die Beschwerdebegründung zwar noch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ergänzt werden, fehlende notwendige Bestandteile der Verfassungsbeschwerde können aber nicht mehr nachgeschoben werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Beurteilung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG kommt es allein darauf an, ob der Betroffene tatsächlich entschuldigt war und nicht, ob er sich (ausreichend) entschuldigt hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die der strafprozessualen Revision nachgezeichnete Rechtsbeschwerde im Ordnungswidrigkeitenverfahren verlangt der Subsidiaritätsgrundsatz wie im Strafverfahren, dass die vermeintlichen Verletzungen von Grundrechten durch das Tatgericht so zu rügen sind, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Begründung der Verfassungsbeschwerde, Recht auf ein faires Verfahren, Willkürverbot, rechtliches Gehör, Verfahrensrüge, Ordnungswidrigkeitenverfahren, Erkrankung zum Termin der mündlichen Verhandlung, ärztliches Attest
Vorinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 08.09.2021 – 201 ObOWi 957/21
AG Bayreuth, Urteil vom 07.05.2021 – 2 Owi 149 Js 12606/19
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11650

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 7. Mai 2021 Az. 2 OWi 149 Js 12606/19 sowie den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. September 2021 Az. 201 ObOWi 957/21.
2
1. Gegen den Beschwerdeführer wurde durch die Zentrale Bußgeldstelle des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts S. am 30. August 2019 ein Bußgeldbescheid erlassen. In diesem wurde wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld von 160 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
3
2. Der Beschwerdeführer legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. Termin zur Hauptverhandlung über den Einspruch wurde vom zuständigen Amtsgericht Bayreuth – nach mehrfachen Terminsverlegungen – festgesetzt auf den 7. Mai 2021, 11:10 Uhr. Am 6. Mai 2021 rief der Beschwerdeführer mehrfach bei der Geschäftsstelle des zuständigen Richters an und erklärte, erkrankt zu sein und am Verhandlungstermin am Folgetag nicht teilnehmen zu können. Die Geschäftsstelle teilte dem Beschwerdeführer mit, er müsse einen schriftlichen Verlegungsantrag stellen und diesem ein ärztliches Attest beifügen. Der Beschwerdeführer übersandte daraufhin per Telefax am selben Tag, eingegangen bei Gericht um 16:10 Uhr, ein handschriftliches Schreiben, in dem er die Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragte. Zur Begründung führte er aus, er habe seit dem Morgen des 6. Mai 2021 „Schmerzen in der linken Seite, die vermutlich auf einem abgegangenen Harn-, Nierenstein“ beruhten, und nehme starke Schmerzmittel. Kurzfristig habe er erst für den 7. Mai 2021 um 12 Uhr einen Termin bei einem Urologen in Gr. vereinbaren können, der sein Steinleiden bereits früher mit „ESWL“ (extrakorporale Stoßwellenlithotripsie) behandelt habe. Das ärztliche Attest werde er unverzüglich nach dem Termin nachreichen.
4
3. Das Amtsgericht Bayreuth verwarf den Einspruch des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 2 OWiG. Der Beschwerdeführer sei ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Dem Verlegungsantrag habe nicht stattgegeben werden können. Dazu hätte es eines ärztlichen Attests bedurft. Es sei nicht ersichtlich, warum der Betroffene aufgrund seiner akuten Beschwerden nicht zu einem anderen Arzt gegangen sei.
5
Mit Schreiben vom 10. Mai 2021 übersandte der Beschwerdeführer eine ärztliche Bescheinigung vom 7. Mai 2021. In dieser bestätigte ein Facharzt für Urologie, dass der Beschwerdeführer am 7. Mai 2021 um 12 Uhr aufgrund eines akuten Steinleidens in der urologischen Fachpraxis in Gr. behandelt worden sei. Dem Schreiben vom 10. Mai 2021 war ferner eine ärztliche Bescheinigung einer chirurgischen Klinik in S. vom 8. Mai 2021 beigefügt, wonach der Beschwerdeführer vom 8. Mai 2021 bis voraussichtlich 22. Mai 2021 arbeitsunfähig sei.
6
4. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10. Juni 2021 legte der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth Rechtsbeschwerde ein mit dem Antrag, das Urteil mit den tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bayreuth zurückzuverweisen. Der Beschwerdeführer rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts und führte zur Begründung aus, er habe am Morgen des 6. Mai 2021 kolikartige Schmerzen in seiner linken Körperseite erlitten, die er aufgrund Erfahrungen in den letzten Jahren einem abgegangenen Harn- bzw. Nierenstein zugeordnet habe. Er habe das Amtsgericht angerufen und um Terminsverlegung gebeten. Hierauf sei ihm von der Geschäftsstelle mitgeteilt worden, er müsse den Verlegungsantrag schriftlich unter Beifügung eines ärztlichen Attests stellen. In der Folgezeit sei es ihm, durch wellenartige Kolikschmerzen „gehandicapt“, gelungen, bei einem Urologen, der sein Steinleiden bereits früher mit ESWL, einer ambulanten, schonenden Therapieform, behandelt habe, für den 7. Mai 2021 um 12 Uhr einen Termin zu vereinbaren. Um 16:10 Uhr habe er den Verlegungsantrag an das Amtsgericht gefaxt und ausgeführt, er habe kolikartige Schmerzen in der linken Seite und nehme starke Schmerzmittel. Das Amtsgericht habe den Begriff der „genügenden Entschuldigung“ verkannt und dementsprechend das Fernbleiben des Betroffenen zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen. Werde als Entschuldigungsgrund eine Erkrankung geltend gemacht, sei die Darlegung eines behandlungsbedürftigen und/oder Arbeitsunfähigkeit bewirkenden krankheitswertigen Zustands erforderlich, aber auch ausreichend. Die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dem Verlegungsantrag hätte nur stattgegeben werden können, wenn ein ärztliches Attest vor dem Termin zur Hauptverhandlung vorgelegt worden sei, widerspreche der ständigen Rechtsprechung und den Regeln eines fairen Verfahrens. Das Amtsgericht verkenne seine Aufklärungs- und Fürsorgepflicht. Eine Erkrankung stelle einen Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach Art und Auswirkung eine Beteiligung am Hauptverfahren unzumutbar mache. Soweit die Unzumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung aufgrund der geschilderten Krankheitssymptome nicht im Erfahrungswissen des Erstgerichts gestanden hätte, hätte es durch Recherche im Internet feststellen können, dass derartige Steinleiden „zu den heftigsten Schmerzereignissen“ gehörten.
7
5. a) Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragte in ihrer Stellungnahme vom 21. Juli 2021, die Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Eine Verfahrensrüge sei nicht in zulässiger Weise erhoben. Es fehle an einer Darlegung der konkret am Terminstag bestehenden Symptomatik. Auch die Rechtsbeschwerdebegründung enthalte keine Angaben zu einer Verhandlungsunfähigkeit am Terminstag selbst. Eine fehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG sei nicht ersichtlich. Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Aufklärungspflicht sei die Verfahrensrüge ebenfalls nicht in zulässiger Weise erhoben, weil nicht mitgeteilt werde, was weitere Ermittlungen konkret ergeben hätten. Mit der Sachrüge könne nur das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses gerügt werden. Anhaltspunkte hierfür gebe es jedoch nicht.
8
b) Der Beschwerdeführer wies die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft in seiner Stellungnahme vom 1. September 2021 mit der Begründung zurück, ausgehend davon kämen krankheitsbedingte Entschuldigungsgründe erst unmittelbar vor der Hauptverhandlung in Betracht, da ja immer eine Spontanheilung eintreten könne. Tatsächlich gehe es um die adäquate Kausalität des krankheitswertigen Zustands und der daraus regelhaft resultierenden Symptomatik im Hinblick auf eine nach der Lebenserfahrung zu erwartende Reise- bzw. Verhandlungsunfähigkeit am Verhandlungstag. Vorliegend gehe es um einen Zeitraum von etwa 24 Stunden zwischen dem Auftreten der Krankheitssymptome und der Hauptverhandlung. Der Beschwerdeführer habe mit seinem handschriftlichen Verlegungsantrag vom 6. Mai 2021 seiner Obliegenheit, einen konkreten und schlüssigen Vortrag zu einem krankheitswertigen Zustand zu erbringen, genügt. Durch die beiden am 10. Mai 2021 vorgelegten Atteste seien die Entschuldigungsgründe des Beschwerdeführers vollumfänglich bestätigt worden. Vor der Hauptverhandlung sei es dem Amtsrichter aus rechtlichen Gründen verwehrt gewesen, binnen des fraglichen Zeitraums von 24 Stunden die Vorlage eines ärztlichen Attests zu verlangen. Die von der Generalstaatsanwaltschaft aufgeworfene Frage, ob die 24 Stunden vor der Hauptverhandlung erfolgte Darlegung der Entschuldigungsgründe auch für den Folgetag gelte, sei mit der Lebenserfahrung und einer adäquaten Kausalität nicht vereinbar. Zudem sei das Aufsuchen eines anderen Arztes dem Beschwerdeführer unzumutbar gewesen.
9
6. Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 8. September 2021, dem Beschwerdeführer zugestellt am 13. September 2021 und seinem Verteidiger am selben Tag formlos zugegangen, als unbegründet. Ein Urteil, das den Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfe, sei grundsätzlich nur mit einer Verfahrensrüge angreifbar, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechen müsse. Danach seien die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Rechtsbeschwerdebegründung prüfen könne, ob die Rüge begründet sei, wenn die behaupteten Tatsachen zuträfen. Berufe sich der Betroffene wie hier auf eine Erkrankung als Entschuldigungsgrund, gehörten zum notwendigen Rechtsbeschwerdevorbringen neben der Art der Erkrankung eine Darstellung der aktuell zum Terminszeitpunkt bestehenden Symptomatik und die Darlegung der daraus resultierenden konkreten körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Der Vortrag des Betroffenen in der Rechtsbeschwerde erschöpfe sich darin, dass er seinen Zustand am Tag vor der Hauptverhandlung schildere. Ausgehend davon sei dem Senat die Beurteilung der tatsächlichen Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit des Erscheinens des Betroffenen zur Hauptverhandlung nicht möglich. Es verstehe sich keinesfalls von selbst, dass sich der Betroffene am 7. Mai 2021 in einem derartigen Zustand befunden habe, dass ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht möglich gewesen sei. Dem Vortrag der Rechtsbeschwerde zufolge habe der Beschwerdeführer am 6. Mai 2021 unter kolikartigen Schmerzen gelitten und Schmerzmittel eingenommen. Vor diesem Hintergrund, insbesondere der Einnahme von Schmerzmitteln, erscheine es nicht fernliegend, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der anberaumten Hauptverhandlung in der Lage gewesen sei, an dieser teilzunehmen. Ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung verhandlungsfähig gewesen sei, könne der Senat nur aufgrund des Vorbringens in der Rechtsbeschwerde überprüfen. An einem solchen Sachvortrag fehle es aber, sodass sich die Verfahrensrüge als unzulässig erweise. Dass der Tatrichter unter Umständen zu Unrecht ein ärztliches Attest angefordert habe und etwaigen Zweifeln über das Vorliegen einer geltend gemachten Erkrankung im Freibeweisverfahren hätte nachgehen müssen, ändere nichts. Es entbinde den Beschwerdeführer nicht von der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergebenden Pflicht, selbst in der Rechtsbeschwerdebegründung die tatsächlichen Umstände der Erkrankung nach ihrer Art und konkreten Symptomatik zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im Einzelnen darzutun. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweise, dass der Beschwerdeführer am 10. Mai 2021 ärztliche Bescheinigungen vorgelegt habe, sei dies unbehelflich. Nachträgliches Entschuldigungsvorbringen, welches das Gericht bei Urteilserlass noch nicht habe berücksichtigen können, sei im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 74 Abs. 4 OWiG geltend zu machen und könne in der Rechtsbeschwerde keine Berücksichtigung finden. Dass vorliegend kein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden sei, ändere daran nichts. Mit der Sachrüge könne nur das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses gerügt werden. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
II.
10
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom 12. November 2021, eingegangen am selben Tag, beantragt der Beschwerdeführer, den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts und das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Bayreuth zurückzuverweisen. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 91 Abs. 1 BV (rechtliches Gehör), Art. 101 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 BV (Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren) – wobei er auch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV) geltend macht – und Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV (Recht auf körperliche Unversehrtheit).
11
Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere sei der Rechtsweg erschöpft. Einer Anhörungsrüge habe es nicht bedurft. Die maßgebliche Gehörsverletzung sei durch das Amtsgericht erfolgt. Die Rechtsbeschwerde sei der Sache nach maßgeblich mit Gehörsverletzungen begründet worden, nämlich dass das Amtsgericht dem Beschwerdeführer durch die Verwerfung des Einspruchs die Möglichkeit des Vortrags abgeschnitten habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht habe der Rechtsbeschwerde zwar nicht abgeholfen, hierin aber nicht selbst das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Es sei aus der Begründung des Beschlusses nicht ersichtlich, dass das Bayerische Oberste Landesgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht beachtet hätte. Eine Anhörungsrüge gegenüber dem Bayerischen Obersten Landesgericht wäre daher ins Leere gegangen und unzulässig gewesen. Bei einer derartigen sekundären Gehörsverletzung sei die Anhörungsrüge gerade keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Die Rechtsbeschwerde sei lege artis eingelegt und begründet worden. Dem Bayerischen Obersten Landesgericht sei die Beurteilung der tatsächlichen Unzumutbarkeit bzw. Unmöglichkeit des Erscheinens des Beschwerdeführers zur Hauptverhandlung möglich gewesen. Der Beschwerdeführer habe in der Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragen, dass er am Tag der Hauptverhandlung verhandlungsunfähig erkrankt gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Zusammenschau der Textstellen, in denen er seinen Zustand am Vortag, dem 6. Mai 2021, geschildert und ausgeführt habe, dass das Erstgericht gegebenenfalls im Internet dazu hätte recherchieren können, dass kolikartige Schmerzen bei Steinleiden zu den „heftigsten“ Schmerzereignissen gehörten. Diesen Vortrag habe das Bayerische Oberste Landesgericht offensichtlich auch zur Kenntnis genommen.
12
Die Verfassungsbeschwerde sei begründet. Eine Gehörsverletzung liege vor. Die durch das einfache Prozessrecht vorgegebenen Voraussetzungen für die Verwerfung wegen Säumnis hätten nicht vorgelegen. Das Amtsgericht und das Bayerische Oberste Landesgericht bemängelten, dass der Beschwerdeführer am Tag vor der Hauptverhandlung nicht zu einem anderen Arzt gegangen sei, um sich ein entsprechendes Attest ausstellen zu lassen. Damit ließen sie den Vortrag des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Schmerzen unberücksichtigt. Der Beschwerdeführer habe am Tag der Hauptverhandlung keine – gegenüber den Schilderungen vom Vortag – gegenteiligen Angaben hinsichtlich seines Gesundheitszustands gemacht. Somit habe das Gericht davon ausgehen können und müssen, dass der Status Quo unverändert gewesen sei. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die starken Schmerzen auch am Folgetag anhielten. Bei Zweifeln hätte das Amtsgericht dies durch Rückfrage am Tag der Hauptverhandlung abklären müssen. Eine erneute Mitteilung durch den Beschwerdeführer am Folgetag wäre eine bloße Förmelei gewesen. Der Beschwerdeführer sei auch nicht verpflichtet gewesen, zu einem beliebigen anderen Arzt zu gehen, nur um sich noch am Vortag ein Attest ausstellen zu lassen. Das Urteil des Amtsgerichts beruhe darauf, dass dieses den Begriff der genügenden Entschuldigung zu eng ausgelegt und damit den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt habe.
13
Die Verwerfung des Einspruchs des Beschwerdeführers verletze ferner dessen Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, auf den Ausgang des fachgerichtlichen Verfahrens Einfluss zu nehmen, da der Einspruch ohne jede Sachprüfung verworfen worden sei.
Die Verwerfung sei unverhältnismäßig gewesen, habe weder einen legitimen Zweck verfolgt noch sei sie erforderlich oder angemessen gewesen. Der Beschwerdeführer habe einen Verlegungsgrund kundgetan. Es sei ihm nicht möglich beziehungsweise zumutbar gewesen, sich am Tag vor der Hauptverhandlung ein Attest bei einem anderen Arzt zu besorgen.
14
Außerdem verletze die Verwerfung des Einspruchs den Beschwerdeführer in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Umfasst von diesem Grundrecht sei auch das Recht auf Wahl der individuell bevorzugten Heilmethode, was das Amtsgericht nicht beachtet habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht habe dem Verstoß nicht abgeholfen. Die vom Amtsgericht gestellten Anforderungen hätten den Beschwerdeführer gezwungen, bereits am Tag vor der Hauptverhandlung über seine Gesundheit zu disponieren und sich für eine andere als die gewünschte ambulante, schonende und beim zertifizierten Facharzt bereits für den 7. Mai 2021 avisierte ESWL-Behandlungsmethode zu entscheiden. Bei der Vorstellung in einer Notaufnahme am 6. Mai 2021 wäre ein stationärer, operativer Eingriff mit erheblichen Begleitschmerzen erfolgt. Die Aufrechterhaltung des Hauptverhandlungstermins habe eine Zwangslage des Beschwerdeführers bewirkt, sich zwischen seiner eigenen Gesundheit und seiner prozessualen Obliegenheit zu entscheiden.
15
In seiner weiteren Stellungahme vom 29. Dezember 2021 wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen seinen bisherigen Sachvortrag. Das Bestehen des Amtsgerichts auf einem Attest sei offensichtlich rechtswidrig gewesen. Ob das Vorgehen des Gerichts die Grenze zur Willkür überschreite, könne dahinstehen. Jedenfalls fehle diesem Vorgehen jede Stütze in der erstinstanzlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur. Mit Eingang des Verlegungsantrags am 6. Mai 2021 beim Amtsgericht sei der Beschwerdeführer für den Hauptverhandlungstermin am Folgetag entschuldigt gewesen; dies sei der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt. Das Recht auf ein faires Verfahren betreffe hier im Kern andere Aspekte als die, aus denen die Verletzung des rechtlichen Gehörs hergeleitet werde. Das Bayerische Oberste Landesgericht habe in einem anderen Verfahren mit Beschluss vom 6. September 2019 entschieden, dass bei einer überschaubaren Zeitspanne von nur wenigen Tagen bis zum Hauptverhandlungstermin keine Pflicht bestehe, den Gesundheitszustand des Betroffenen im Stil täglicher ärztlicher Bulletins dem Gericht gegenüber mitzuteilen. Das Rechtsbeschwerdegericht habe im Gegensatz zur vorzitierten Entscheidung unzutreffend eine Pflicht konstatiert, die tatsächlichen Umstände der Erkrankung nach ihrer Art und konkreten Symptomatik nochmals zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zur formgerechten Erhebung der Rüge im Einzelnen darzutun. Sowohl die Einholung eines Attests bei einem diese Therapie nicht praktizierenden Arzt als auch ein etwaiger Abbruch der eingeleiteten Heilbehandlung wären unzumutbar, sachwidrig und schlechterdings unvertretbar gewesen. Schon das Beharren des Amtsgerichts und dessen Perpetuierung durch das Rechtsbeschwerdegericht verletzten die Grundrechte des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und seine körperliche Unversehrtheit.
16
Im Schriftsatz vom 21. Januar 2022 betont der Beschwerdeführer erneut, er gehe davon aus, dass die apodiktische Anforderung eines spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung vorliegenden ärztlichen Attests durch das Amtsgericht verfassungswidrig gewesen sei. Er erhoffe sich vom Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Bestätigung auch im Hinblick auf künftige Verfahren. Allerdings werde die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht weiterverfolgt, ohne dass dies unter eine Bedingung gestellt oder der Sache nach weiter eine Gehörsverletzung angenommen würde. Angesichts der übrigen gerügten Grundrechtsverletzungen komme es auf diesen Aspekt auch nicht mehr entscheidend an.
17
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Prüfungsgegenstand sei nur der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Auf die Gehörsrüge komme es nicht mehr an, da der Beschwerdeführer diese nicht weiterverfolge. Die Rechte auf ein faires Verfahren und auf körperliche Unversehrtheit würden nicht verletzt. Der Beschwerdeführer habe nicht substanziiert dargelegt, inwiefern das Bayerische Oberste Landesgericht das Prozessrecht in unvertretbarer Weise ausgelegt und gehandhabt habe. Der Beschwerdeführer hätte sich mit der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts konkret auseinandersetzen müssen, also mit der Ansicht, dass es zum Rechtsbeschwerdevorbringen gehöre, die tatsächlich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehende Symptomatik und die daraus zu diesem Zeitpunkt resultierenden körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen darzulegen. Die bloße Behauptung, die gerichtliche Entscheidung sei fehlerhaft, genüge nicht.
18
3. Der Beschwerdeführer moniert in seiner Erwiderung hierauf vom 28. April 2022, es fehle in der Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zur rechtswidrigen Vorgehensweise des Amtsgerichts Bayreuth jedes Wort, obwohl ein Hinweis nötig wäre, um einer solchen rechtswidrigen Praxis entgegenzutreten.
III.
19
Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig.
20
1. Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft hat (Art. 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VfGHG), indem er den Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nach § 356 a StPO, § 79 Abs. 3 OWiG nicht ergriffen hat (vgl. VerfGH vom 4.2.2019 – Vf. 39-VI-18 – juris Rn. 17; vom 4.1.2023 BayVBl 2023, 192 Rn. 20; vom 16.11.2023 – Vf. 48-VI-22 – juris Rn. 42 f., jeweils m. w. N.).
21
2. Denn die Verfassungsbeschwerde ist deshalb unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG in einer den Anforderungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG genügenden Weise begründet worden ist.
22
a) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Die bloße Behauptung, eine gerichtliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 16.11.2021 – Vf. 51-VI-20 – juris Rn. 33; vom 28.2.2023 – Vf. 53-VI-22 – juris Rn. 41 f.; vom 17.10.2023 – Vf. 72-VI-21 – juris Rn. 60, vom 16.11.2023 – Vf. 48-VI-22 – juris Rn. 29, jeweils m. w. N.). Den Substanziierungspflichten muss der Beschwerdeführer innerhalb der Zweimonatsfrist nach Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG genügen. Nach Ablauf dieser Frist kann er die Beschwerdebegründung zwar noch in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ergänzen, fehlende notwendige Bestandteile der Verfassungsbeschwerde aber nicht mehr nachschieben (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 10.2.2014 - Vf. 53-VI-12 – juris Rn. 18; vom 16.11.2021 – Vf. 51-VI-20 – juris Rn. 28; BayVBl 2023, 192 Rn. 19; vom 16.11.2023 – Vf. 48-VI-22 – juris Rn. 30, jeweils m. w. N.).
23
b) Diesen Anforderungen hat der Beschwerdeführer nicht genügt.
24
aa) Gegenüber der Anwendung von Bundesrecht, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die materielle Prüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt, mithin schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig, eindeutig unangemessen entschieden hat (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 25.10.2016 – Vf. 83-VI-14 – juris Rn. 26; vom 16.11.2021 – Vf. 51-VI-20 – juris Rn. 32, 34; vom 16.11.2023 – Vf. 48-VI-22 – juris Rn. 24, 27). In verfahrensrechtlicher Hinsicht überprüft der Verfassungsgerichtshof Entscheidungen, die in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, auch daraufhin, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das – wie zum Beispiel das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV) oder der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) – mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.1.1990 VerfGHE 43, 12/17 f; vom 8.2.2019 – Vf. 67-VI-17 – juris Rn. 17; vom 29.11.2022 – Vf. 5-VI-22 – juris Rn. 38; vom 16.11.2023 – Vf. 48-VI-22 – juris Rn. 24).
25
bb) Gemessen daran ist ein Verfassungsverstoß nicht dargelegt.
26
(1) Die fristgerecht eingereichte Verfassungsbeschwerde vom 12. November 2021 setzt sich nicht hinreichend mit der angegriffenen Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts auseinander. Dieses hatte maßgeblich darauf abgestellt, dass die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genüge. Dass die insoweit tragenden Erwägungen des Rechtsbeschwerdegerichts nicht nur fehlerhaft, sondern willkürlich, schlechthin unhaltbar oder offensichtlich unangemessen gewesen wären, zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf.
27
Soweit das Bayerische Oberste Landesgericht Vortrag in der Rechtsbeschwerdebegründung zu den Krankheitssymptomen und den daraus resultierenden körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen am Verhandlungstag gefordert hat, entspricht dies der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte. Denn bei der Beurteilung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG kommt es allein darauf an, ob der Betroffene tatsächlich entschuldigt war, und nicht, ob er sich (ausreichend) entschuldigt hat (vgl. etwa KG vom 9.7.2019 – 3 Ws (B) 201/19 – juris Rn. 7; OLG Braunschweig vom 7.8.2019 – 1 Ss (OWi) 159/19 – juris Rn. 2; OLG Düsseldorf vom 31.10.2022 BeckRS 2022, 33585 Rn. 3; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 35 m. w. N.; sowie zu § 329 StPO OLG Hamm vom 30.10.2012 – III-3 RVs 81/12 – juris Rn. 3; KG vom 24.7.2023 BeckRS 2023, 21392 Rn. 7 ff.). Dass diese Auslegung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig oder eindeutig unangemessen wäre, wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Die einschlägigen Normen werden in der Verfassungsbeschwerde nicht einmal erwähnt. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht dargelegt, dass die Rechtsanwendung des Bayerischen Obersten Landesgerichts willkürlich wäre. Aus der vom Beschwerdeführer herangezogenen „Zusammenschau der Textstellen“ ergibt sich jedenfalls nicht zwingend die bestimmte Behauptung, der Beschwerdeführer sei auch am Tag der Hauptverhandlung verhandlungsunfähig erkrankt gewesen; eine konkrete Beschreibung der am Verhandlungstag bestehenden Symptome ist insoweit nicht erkennbar. Im Übrigen beschränkt sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde auf den Vortrag, dass die Anforderung eines Attests vor dem Hauptverhandlungstermin durch das Amtsgericht und die auf die fehlende Vorlage des Attests gestützte Verwerfung des Einspruchs fehlerhaft gewesen seien. Auf diese Aspekte hat das Bayerische Oberste Landesgericht aber gerade nicht abgestellt. Im Gegenteil hat es ausgeführt „Dass der Tatrichter unter Umständen zu Unrecht ein ärztliches Attest angefordert hat … führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn dies entbindet den Betroffenen nicht von der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG ergebenden Verpflichtung …“.
28
Auch die Darlegungen im Schriftsatz vom 29. Dezember 2021 genügen den Anforderungen an die nötige Substanziierung nicht. Dort führt der Beschwerdeführer lediglich aus, das Bayerische Oberste Landesgericht habe „unzutreffend“ eine Verpflichtung konstatiert, die tatsächlichen Umstände der Erkrankung nach Art und Symptomatik nochmals zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im Einzelnen darzutun. Dazu verweist der Beschwerdeführer auf eine frühere Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6. September 2019 Az. 202 ObOWi 1581/19, wonach bei Vorlage eines ärztlichen Attests einige Tag vor dem Termin keine Pflicht bestehe, dem Gericht bis zum Hauptverhandlungstermin täglich den aktuellen Gesundheitszustand mitzuteilen. Dies lässt schon unbeachtet, dass sich diese Entscheidung gar nicht mit den Anforderungen befasst, die von Gesetzes wegen an die Zulässigkeit einer entsprechenden Verfahrensrüge zu stellen sind. Dort war die Verfahrensrüge – anders als hier – zulässig erhoben, so dass sich das Gericht inhaltlich mit den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG zu befassen hatte. In dem Schriftsatz finden sich auch sonst keine Ausführungen, weshalb die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht nur unzutreffend, sondern willkürlich sein könnte. Zudem könnte selbst eine ausreichende Substanziierung im Schriftsatz vom 29. Dezember 2021 der Verfassungsbeschwerde nicht mehr zur Zulässigkeit verhelfen. Der Schriftsatz ist deutlich nach Ablauf der Zweimonatsfrist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG bei Gericht eingereicht worden. Die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist dem Beschwerdeführer und seinem Verteidiger am 13. September 2021 zugegangen.
29
Ob die Ausführungen im noch späteren Schriftsatz vom 28. April 2022 dem Substanziierungsgebot genügen würden, kann aus dem gleichen Grund dahingestellt bleiben. Im Übrigen führt allein der Wunsch des Beschwerdeführers, der Verfassungsgerichtshof möge bezüglich der Anforderung ärztlicher Atteste einer „rechtswidrigen Praxis“ der Amtsgerichte entgegentreten, ebenso wenig zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wie die ohne weitere Begründung aufgestellte Behauptung, die Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts beruhe auf einem Denkfehler. Soweit der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 28. April 2022 behauptet, der „Entschuldigungsgrund einer Heilbehandlung am Verhandlungstag“ sei ausreichend vorgetragen worden, würde dies, selbst wenn der Vortrag berücksichtigungsfähig wäre, zu keinem anderen Ergebnis führen. Den Umstand, dass der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen am Terminstag um 12 Uhr einen Behandlungstermin vereinbart hatte, hat das Bayerische Oberste Landesgericht bei seiner Entscheidung zur Kenntnis genommen. Wenn es gleichwohl aufgrund des unvollständigen Vortrags zum Krankheitsbild, welches Anlass für den Behandlungstermin gab, davon ausging, dass ihm „die Beurteilung der tatsächlichen Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit des Erscheinens“ in der Hauptverhandlung nicht möglich sei, ist dies jedenfalls nicht willkürlich. Denn es liegt nahe, dass die Frage, ob und inwieweit ein vereinbarter ärztlicher Behandlungstermin am Hauptverhandlungstag eine genügende Entschuldigung darstellt, maßgeblich von Art und Ausmaß der Symptomatik auch an diesem Tag abhängig ist.
30
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, wonach die mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 nachgereichten ärztlichen Bescheinigungen vom 7. und 8. Mai 2021 nur im Wege eines Wiedereinsetzungsantrags gemäß § 74 Abs. 4 OWiG hätten geltend gemacht werden können, im konkreten Fall zutreffend ist (vgl. zur Parallelproblematik bei § 329 StPO Quentin in Münchner Kommentar, StPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. 96, 103 m. w. N.). Denn der Beschwerdeführer setzt sich mit dieser Begründung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht auseinander. Im Übrigen wäre er, selbst wenn die genannten Bescheinigungen im Rahmen der Rechtsbeschwerde berücksichtigungsfähig wären, nicht von konkretem Vortrag zu den Krankheitssymptomen und Beeinträchtigungen am Verhandlungstag entbunden gewesen; diese ergeben sich auch aus den Attesten nicht.
31
(2) Mangels erfolgreicher Willkürrüge kann die angegriffene Entscheidung von vornherein nicht an anderen materiellen Grundrechten der Bayerischen Verfassung, wie hier am Recht auf körperliche Unversehrtheit, gemessen werden (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.3.2018 – Vf. 31-VI-16 – juris Rn. 44; vom 4.2.2019 – Vf. 39-VI-18 – juris Rn. 34; vom 8.2.2019 – Vf. 67-VI-17 – juris Rn. 36; BayVBl 2023, 192 Rn. 47).
32
(3) Auch mit Blick auf das Verfahren zeigt die Verfassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß nicht auf. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Bayerische Oberste Landesgericht wurde von vornherein nicht und wird insgesamt nicht mehr geltend gemacht. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren rügt, hat der Verfassungsgerichtshof bisher offengelassen, ob sich ein solches Recht, wie es in Art. 6 EMRK positivrechtlich normiert ist und wie es das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG herleitet (BVerfG vom 26.5.1981 BVerfGE 57, 250/274 f.; vom 12.11.2020 NJW 2021, 451 Rn. 31 ff.), als ein verfassungsbeschwerdefähiger Grundrechtsanspruch auch aus Art. 101 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ergibt (vgl. VerfGH vom 20.5.2003 VerfGHE 56, 92/98; vom 17.11.2014 VerfGHE 67, 291 Rn. 51; vom 13.1.2022 – Vf. 61-VI-19 – juris Rn. 38, vom 29.11.2022 – Vf. 5-VI-22 – juris Rn. 42, jeweils m. w. N.). Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn auch insoweit fehlt es – das Bestehen eines solchen Grundrechts unterstellt – an einer nachvollziehbaren Darstellung einer Verletzung der Verfahrensfairness durch das Bayerische Oberste Landesgericht. Der Beschwerdeführer stützt die Rüge einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren im Kern auf die gleichen sachlichen und inhaltlichen Erwägungen, die zugleich die Willkür der angegriffenen Entscheidung belegen sollen. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde erschöpfen sich im Wesentlichen erneut darin, die Einspruchsverwerfung durch das Amtsgericht zu beanstanden, ohne sich ausreichend mit den tragenden Erwägungen des Rechtsbeschwerdegerichts zur Verfahrensrüge auseinanderzusetzen.
33
cc) Hinzu kommt, dass die Verfassungsbeschwerde nicht erkennen lässt, dass der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt ist. Danach muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird, und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. VerfGH vom 2.2.2017 ─ Vf. 36-VI-14 ─ juris Rn. 23; vom 13.01.2022 – Vf. 61-VI-19 – juris Rn. 39; vom 27.12.2022 – Vf. 32-VI-22 – juris Rn. 21; vom 17.10.2023 – Vf. 72-VI-21 – juris Rn. 53, jeweils m. w. N.). Im Strafverfahren verlangt der Subsidiaritätsgrundsatz von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt (BVerfG vom 29.1.2008 – 2 BvR 2262/07 – juris Rn. 11; vom 9.8.2023 – 2 BvR 558/22 – juris Rn. 20; vgl. auch BVerfG vom 4.9.2023 – 2 BvR 1239/13 – juris Rn. 9, jeweils zur Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht). Für die der strafprozessualen Revision nachgezeichnete (vgl. § 79 Abs. 3 OWiG) Rechtsbeschwerde im Ordnungswidrigkeitenverfahren kann nichts anderes gelten. Auch die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips ist innerhalb der zweimonatigen Verfassungsbeschwerdefrist (Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG) vom Beschwerdeführer darzulegen und nachzuweisen (vgl. VerfGH BayVBl 2023, 192 Rn. 22). Daran fehlt es, nachdem es der Beschwerdeführer verabsäumt hat, seine Rüge einer Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechenden Weise zu begründen, und er nicht substanziiert dargelegt hat, dass die zugrunde liegende Rechtsauffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts gegen Verfassungsrecht verstößt. Da er im Fall einer erfolgreichen Verfahrensrüge und einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht seine Einwände hätte vorbringen und die behaupteten Grundrechtsverletzungen im zweiten Rechtsgang hätten beseitigt werden können, ist auch aus diesem Grund die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig (vgl. VerfGH vom 4.2.2019 NJW 2019, 2297 Rn. 25 f.; vom 11.12.2021 BayVBl 2022, 89 Rn. 47; BayVBl 2023, 192 Rn. 26, jeweils zur Anhörungsrüge; vgl. auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 472 f.).
IV.
34
Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).