Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 03.05.2024 – Vf. 65-VI-21
Titel:

Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Baugenehmigung

Normenketten:
BV Art. 103, Art. 118 Abs. 1
VfGHG Art. 51 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Mangels Substanziierung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Bauwerks auf einem benachbarten Grundstück. (Rn. 17 – 31)
1. Eine aus sich heraus verständliche und nachvollziehbare Darlegung eines Grundrechtsverstoßes setzt insbesondere voraus, dass sich der Beschwerdeführer mit dem Inhalt der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur notwendigen Substanziierung der Verfassungsbeschwerde gehört weiter, dass die angegriffenen Entscheidungen vorgelegt werden oder wenigstens ihr wesentlicher Inhalt mitgeteilt wird. Außerdem müssen grundsätzlich auch die Schriftsätze aus dem Ausgangsverfahren vorgelegt werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfassungsbeschwerde, Baugenehmigung, Eigentumsgrundrecht, Willkürverbot, Substanziierungsgebot, Darlegungsgebot
Fundstellen:
BayVBl 2024, 519
BeckRS 2024, 11644
LSK 2024, 11644

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Den Beschwerdeführern wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines zweiten Wohnhauses auf einem benachbarten Grundstück.
2
Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer des unbebauten Grundstücks Fl.Nr. 1792/7 der Gemarkung S. Das sich nordöstlich unmittelbar anschließende, 1.108 m2 große Grundstück Fl.Nr. 1790/1 (Vorhabengrundstück) ist im vorderen Bereich mit einem Wohnhaus und im rückwärtigen Bereich an der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführer mit einer Doppelgarage bebaut. Beide Grundstücke grenzen an die P.-Straße. Dasjenige der Beschwerdeführer liegt in zweiter Reihe und ist an die P.-Straße über einen etwa 5 m breiten und 23 m langen Streifen unmittelbar angebunden. Für diese Teilfläche ist im Grundbuch zulasten des Grundstücks der Beschwerdeführer ein Geh- und Fahrtrecht zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Vorhabengrundstücks eingetragen. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 3 „Drei Linden Süd“ der Stadt Sch., der für den fraglichen Bereich ein allgemeines Wohngebiet festsetzt und die überbaubaren Grundstücksflächen durch Baugrenzen bestimmt.
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Mit dem angegriffenen Bescheid vom 1. August 2018 Az. 302-BV180406 erteilte das Landratsamt N.-Sch. den Beigeladenen (im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren) im vereinfachten Verfahren die Baugenehmigung für die Errichtung eines – zweiten – Einfamilienhauses im rückwärtigen Grundstücksbereich. Dabei ließ es im Einvernehmen mit der Stadt Sch. die Überschreitung der Baugrenze unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB zu. Das Bauvorhaben soll im nordöstlichen Grundstücksbereich – etwa 14 m von der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführer entfernt – errichtet werden.
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2. Die Beschwerdeführer erhoben Klage gegen die Baugenehmigung zum Verwaltungsgericht München. Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor, der geplante Neubau sei verkehrsmäßig nicht erschlossen, weil er von der P.-Straße aus über das eigene Grundstück wegen der vorhandenen Bebauung nicht mit Rettungsfahrzeugen erreichbar sei und weil das zulasten ihres Grundstücks bestehende Geh- und Fahrtrecht zusätzlichen Verkehr für ein zweites Wohnhaus nicht umfasse. Zudem sei die Ermessensentscheidung über die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans unzureichend und verletze die Rechte der Beschwerdeführer.
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Nachdem das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ohne Erfolg geblieben war (VG München vom 20.2.2019 – M 9 SN 18.4319 – und BayVGH vom 21.5.2019 – 1 CS 19.474), wies das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 18. September 2019 Az. M 9 K 18.4318 ab. Zur Begründung führte es – teils unter Bezugnahme auf seine Entscheidung im Eilverfahren – insbesondere aus: Drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermittelten und Prüfungsgegenstand im Baugenehmigungsverfahren seien, seien nicht verletzt. Bei Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB richteten sich die Erfolgsaussichten eines Nachbarrechtsbehelfs danach, ob von nachbarschützenden oder von nicht nachbarschützenden Vorschriften befreit werde. Nur in ersterem Fall würde etwa die städtebauliche Vertretbarkeit der Befreiungsentscheidung als Tatbestandsmerkmal eine Rolle spielen. Den hier in Rede stehenden Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche komme grundsätzlich keine drittschützende Wirkung zu. Auch im vorliegenden Einzelfall sei nichts dafür ersichtlich; weder sei den bauplanerischen Festsetzungen eine solche Aussage zu entnehmen noch verhalte sich die Begründung des Bebauungsplans hierzu. Somit könnten sich die Beschwerdeführer nur auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen. Eine danach beachtliche Rücksichtslosigkeit sei jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften sei auch mit Blick auf die von den Beschwerdeführern gerügte Erschließungsproblematik nicht ersichtlich. Insbesondere sei die Entstehung eines Notwegerechts nicht zu befürchten. Denn es bestehe für das Vorhabengrundstück eine gesicherte Erschließung über die unmittelbar angrenzende P.-Straße. Nach allgemeiner Meinung reiche es regelmäßig und so auch hier aus, wenn das Baugrundstück, nicht notwendigerweise alle bauliche Anlagen, an das öffentliche Straßennetz angeschlossen seien.
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3. Der Antrag der Beschwerdeführer auf Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. Mai 2021 Az. 1 ZB 19.2034, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 14. Juni 2021, abgelehnt. Die geltend gemachten Zulassungsgründe seien nicht dargelegt oder lägen nicht vor. Insbesondere bestünden an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils keine ernstlichen Zweifel. Soweit die Beschwerdeführer rügten, das Vorhaben sei nicht erschlossen und ihnen werde durch die Baugenehmigung ein Notwegerecht aufgezwungen, fehle es an der erforderlichen Darlegung. Ernstliche Zweifel bestünden auch nicht im Hinblick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die erteilte Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze die Beschwerdeführer nicht in ihren subjektiven Rechten verletze. Die Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche sei grundsätzlich nicht drittschützend. Ein vom Planungswillen der Gemeinde abhängiger ausnahmsweiser Drittschutz sei nicht ersichtlich. Die von den Beschwerdeführern angenommene Konzeption zur Freihaltung der rückwärtigen Grundstücksbereiche als Gartenbereiche lasse sich den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entnehmen.
II.
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1. Die Beschwerdeführer haben mit Schriftsatz vom 27. Juli 2021, eingegangen am 3. August 2021, Verfassungsbeschwerde „gegen die Baugenehmigung“ eingelegt. Sie rügen, diese verletze ihr Eigentumsgrundrecht (Art. 103 BV) und das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV).
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Die Baugenehmigung erlaube auf dem Nachbargrundstück die Bebauung mit einem zweiten Einzelhaus vollständig außerhalb der Baugrenzen. Das widerspreche den Grundzügen der im Bebauungsplan „Drei Linden Süd“ festgelegten Planung, der eine solche Nachverdichtung ablehne. Die Grundzüge der Planung dürften nicht im Weg der Befreiung für ein Einzelvorhaben geändert werden. Auch wenn die Festsetzung von Baugrenzen grundsätzlich nicht drittschützend sei, so verlange effektiver Grundrechtsschutz eine Ausnahme, wenn, wie hier, ein erheblicher Eingriff in das nachbarliche Austauschverhältnis vorliege. Denn der Bebauungsplan ermögliche eine Bebauung nur innerhalb eng begrenzter Baufenster mit nur einem freistehenden Wohngebäude und erhalte die restliche Grundstücksfläche als Grünfläche. Durch die erteilte Befreiung würde das Nachbargrundstück in Widerspruch zu den Grundzügen des Bebauungsplans zugelassen, was der Plangeber selbst in dieser Form nicht festlegen dürfe, ohne gegen das verfassungsrechtliche Abwägungsgebot zugunsten aller Planbetroffenen zu verstoßen.
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Die Baugenehmigung sei willkürlich. Die Befreiung werde lediglich damit begründet, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt würden. Das widerspreche der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und sei nicht nachvollziehbar, objektiv falsch und abwegig.
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Die Erschließung für das genehmigte Vorhaben sei entgegen § 30 Abs. 1 BauGB nicht gesichert. Das Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück der Beschwerdeführer reiche zur Erschließung eines weiteren Wohnhauses auf dem Nachbargrundstück aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen nicht aus. Die entgegengesetzten Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien in der Sache unzutreffend und darüber hinaus verfahrensrechtlich unzulässig. Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Erschließung überschreite das Maß des richterlichen Ermessens- und Interpretationsspielraums und weise in den Bereich der Willkür. Die Hinweise auf Erschließungsmöglichkeiten änderten nichts daran, dass eine aktuelle Erschließung nicht vorliege und die Baugenehmigung keine Angaben darüber enthalte, wie das geplante Vorhaben erschlossen werden solle. Nachbarschutz müsse auch dann gewährt werden, wenn es an der Erschließung fehle.
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Die Beschwerdeführer würden durch die Baugenehmigung in zweifacher Hinsicht besonders schwer benachteiligt. Zum einen entstehe eine Zweitbebauung mit Vorbildcharakter, die das Baugebiet vollständig verändern könne. Zum anderen sei damit zu rechnen, dass die Zivilgerichte aufgrund der bestandskräftigen Baugenehmigung zulasten der Beschwerdeführer ein Notwegerecht anerkennen würden. Sie könnten mangels Drittschutzes gegen die rechtswidrige Baugenehmigung nicht erfolgreich vorgehen und müssten sich in einem Zivilverfahren entgegenhalten lassen, dass eine Baugenehmigung vorliege.
12
Mit Schriftsätzen vom 20. September 2021 und 18. August 2023 haben die Beschwerdeführer ihre Verfassungsbeschwerde vertieft und ergänzt. Sie bringen insbesondere vor, dass sich ihre Verfassungsbeschwerde wegen der Besonderheiten bei Nachbarklagen gegen die Baugenehmigung richte. Sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass sich eine Verfassungsbeschwerde gegen die nachfolgenden Gerichtsentscheidungen richten müsse, dann solle die Verfassungsbeschwerde so auszulegen sein, dass sie neben der Baugenehmigung als den Beschwerdegegenstand auch die gerichtlichen Entscheidungen erfasse. Die Beschwerdeführer machten aber nicht geltend, durch die Judikative in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Eine solche Verletzung liege zwar zwingend immer dann vor, wenn die Fachgerichte den Grundrechtsschutz außer Acht gelassen hätten, was der Fall sei. Jedoch werde nicht gerügt, dass neben einer solchen inzidenten Grundrechtsverletzung ein Verfassungsverstoß durch die Judikative vorliege. Aus diesem Grund fänden sich in der Verfassungsbeschwerde keine Ausführungen zu einem solchen nicht geltend gemachten Verfassungsverstoß.
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2. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, im Übrigen auch unbegründet.
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Da sich die Verfassungsbeschwerde allein gegen die behördliche Baugenehmigung richte, sei sie bereits unstatthaft. Maßgeblicher Prüfungsgegenstand sei das Urteil des Verwaltungsgerichts, welches eine umfassende materiell-rechtliche Prüfung des zugrundeliegenden Sachverhalts vornehme. Nur in diesem Rahmen könne die behördliche Ausgangsentscheidung mit einbezogen werden. Die Beschwerdeführer richteten sich aber weder gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts noch gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs, sondern ausdrücklich allein gegen die behördliche Baugenehmigung. Diese isolierte Vorgehensweise sei auch bei einer Drittanfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung nicht statthaft. Eine erweiternde, die Gerichtsentscheidungen mit einbeziehende Auslegung komme nicht mehr in Betracht, weil der Schriftsatz mit der entsprechenden Anregung erst nach Ablauf der Verfassungsbeschwerdefrist eingegangen sei. Unabhängig hiervon wäre die Verfassungsbeschwerde gegen die Gerichtsentscheidungen jedenfalls unbegründet, weil diese die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten verletzten. Soweit die Beschwerdeführer geltend machten, das Bauvorhaben sei nicht hinreichend erschlossen, beschränkten sich ihre Einwendungen darauf, dass das Verwaltungsgericht hierzu eine aus ihrer Sicht unrichtige Rechtsauffassung vertrete. Gleiches gelte hinsichtlich der Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Reichweite des Grundsatzes der Planerhaltung nicht hinreichend berücksichtigt.
III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
16
1. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführer ihre Verfassungsbeschwerde gegen die behördliche Baugenehmigung als alleinigen Beschwerdegegenstand richten durften oder ob sie zumindest das nachfolgende Urteil des Verwaltungsgerichts innerhalb der Zweimonatsfrist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG hätten ausdrücklich einbeziehen müssen (vgl. VerfGH vom 7.7.2000 VerfGHE 53,131/133).
17
2. Die Verfassungsbeschwerde ist – unabhängig vom maßgeblichen Beschwerdegegenstand – jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Beschwerdeführer die behaupteten Verletzungen des Eigentumsgrundrechts (Art. 103 BV) und des Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 BV) nicht fristgerecht in einer den Anforderungen des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG genügenden Weise in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts begründet haben.
18
a) Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 VfGHG setzt die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde voraus, dass das verfassungsmäßige Recht, dessen Verletzung der Beschwerdeführer geltend macht, genau bezeichnet und die behauptete Verletzung im Einzelnen dargelegt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gehört dazu auch der Vortrag des wesentlichen Sachverhalts, aus dem die Rechtsverletzung hergeleitet wird. Der die behauptete Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang muss vollständig und nachvollziehbar dargelegt werden, sodass der Verfassungsgerichtshof in die Lage versetzt wird, ohne Rückgriff auf die Akten des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfassungsverstoß nach dem Vortrag des Beschwerdeführers zumindest möglich erscheint.
Die Verfassungsbeschwerde muss aus sich heraus verständlich sein (VerfGH vom 2.2.1966 VerfGHE 19, 14/15; vom 4.1.2023 BayVBl 2023, 192 Rn. 19 m. w. N.).
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Eine aus sich heraus verständliche und nachvollziehbare Darlegung eines Grundrechtsverstoßes setzt insbesondere voraus, dass sich der Beschwerdeführer mit dem Inhalt der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt (VerfGH vom 20.3.2018 BayVBl 2019, 207 Rn. 14 m. w. N.). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung (VerfGH vom 10.12.2019 – Vf. 50-VI-18 – juris Rn. 22; vom 20.9.2022 Vf. 1-VI-22 – juris Rn. 30 m. w. N.). Die bloße Behauptung, eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung sei unrichtig oder fehlerhaft, genügt den Anforderungen nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 16.8.2017 NJW-RR 2017, 1423 Rn. 23; vom 28.2.2023 – Vf. 53-VI-22 – juris Rn. 41; vom 17.10.2023 - Vf. 72-VI-21 – juris Rn. 60, jeweils m. w. N.). Stützt sich eine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen, muss sich der Beschwerdeführer mit jeder dieser Begründungen befassen (VerfGH vom 7.11.2019 – Vf. 46-VI-18 – juris Rn. 19; vom 9.2.2022 – Vf. 62-VI-20 – juris Rn. 35).
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Das gilt wegen des Gebots der Rechtswegerschöpfung (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG) auch dann, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht eigenständiger Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist, aber zum Rechtsweg gehört (vgl. VerfGH vom 8.11.2019 – Vf. 77-VI-18 – juris Rn. 13). Denn die Verfassungsbeschwerde ist wegen ihres subsidiären Charakters nur dann zulässig, wenn alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, um dem als verfassungswidrig beanstandeten Hoheitsakt entgegenzutreten. Die Verfassungsbeschwerde ist ein letzter, außerordentlicher Rechtsbehelf, der nur dann zum Zug kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, um eine verfassungswidrige Maßnahme zu beseitigen. Versäumt ein Beschwerdeführer eine prozessuale oder tatsächliche Möglichkeit, eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte auszuräumen, so begibt er sich dieser Rechte (VerfGH vom 8.11.2019 – Vf. 48-VI-18 – juris Rn. 24 m. w. N.). Für Nachbarklagen gegen eine Baugenehmigung gilt entgegen der Sichtweise der Beschwerdeführer nichts Anderes. Zwar ist der Nachbar nicht Adressat der Baugenehmigung und kann im fachgerichtlichen Verfahren keine umfassende objektive Rechtskontrolle erreichen. Eine Verletzung seiner eigenen (subjektiven) Rechte, namentlich seiner Grundrechte, kann er aber mit einer Klage zu den Verwaltungsgerichten uneingeschränkt geltend machen (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Verletzt die Baugenehmigung ein solches subjektives Recht, ist sie von den Verwaltungsgerichten aufzuheben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Zur notwendigen Substanziierung der Verfassungsbeschwerde gehört weiter, dass die angegriffenen Entscheidungen vorgelegt werden oder wenigstens ihr wesentlicher Inhalt mitgeteilt wird (VerfGH BayVBl 2019, 207 Rn. 14 m. w. N.). Außerdem müssen grundsätzlich auch die Schriftsätze aus dem Ausgangsverfahren vorgelegt werden, ohne deren Kenntnis das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht dahingehend überprüft werden kann, ob dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität Genüge getan worden ist (VerfGH vom 16.7.2020 – Vf. 69-VI-17 – juris Rn. 32).
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Den dargestellten Substanziierungsgeboten muss der Beschwerdeführer innerhalb der Zweimonatsfrist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG genügen. Nach Ablauf dieser Frist kann er die Beschwerdebegründung zwar noch in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ergänzen; er kann aber nicht mehr fehlende notwendige Bestandteile der Verfassungsbeschwerde nachschieben (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 9.8.2021 – Vf. 111-VI-20 – juris Rn. 41 m. w. N.; vom 23.2.2022 BayVBl 2022, 407 Rn. 52).
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b) Gemessen daran haben die Beschwerdeführer die behaupteten Grundrechtsverletzungen mit ihrer innerhalb der Frist des Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG eingegangenen Verfassungsbeschwerde vom 27. Juli 2021 nicht hinreichend dargelegt. Die weiteren Schriftsätze sind nach Ablauf der Frist (16. August 2021) eingegangen und können diesen Mangel nicht mehr beheben.
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aa) Die Darlegung ist schon deshalb unzureichend, weil die Beschwerdeführer ihren Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht fristgerecht vorgelegt oder seinem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt haben. Deshalb kann nicht geprüft werden, ob sie dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität genügt und alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die behaupteten Grundrechtsverletzungen im fachgerichtlichen Verfahren auszuräumen. Das gilt umso mehr, als der Verwaltungsgerichtshof den Zulassungsantrag mit Beschluss vom 31. Mai 2021 unter anderem mit der Begründung abgelehnt hat, der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils sei teilweise schon nicht dargelegt.
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bb) Unabhängig davon haben sich die Beschwerdeführer zur Darlegung der behaupteten Grundrechtsverletzungen nicht in der gebotenen Weise mit den entscheidungstragenden Erwägungen vor allem des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt.
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(1) Das gilt zunächst für die Rüge, die Annahme der Baugenehmigungsbehörde, die Erschließung des genehmigten Vorhabens sei gesichert, verletze das grundrechtlich geschützte Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV.
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Das Verwaltungsgericht hat insoweit eine Verletzung subjektiver Rechte der Beschwerdeführer – durch Bezugnahme auf seinen im Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 20. Februar 2019 – mit folgender (Haupt-)Erwägung ausgeschlossen: Das aus § 30 Abs. 1 BauGB folgende Erfordernis der gesicherten Erschließung diene grundsätzlich nur den öffentlichen Interessen und habe keine nachbarschützende Funktion. Eine Ausnahme sei nur dann gegeben, wenn eine wegen fehlender Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf das Duldenmüssen eines Notwege- oder Notleitungsrechts bewirke. Ein solcher Ausnahmefall liege aber schon deshalb nicht vor, weil eine gesicherte Erschließung über die an das Vorhabengrundstück unmittelbar angrenzende P.-Straße bestehe. Nach allgemeiner Meinung reiche es regelmäßig und so auch hier aus, wenn das Baugrundstück, nicht notwendigerweise alle baulichen Anlagen, an das öffentliche Straßennetz angeschlossen seien. Diesen – ohne Weiteres nachvollziehbaren – Erwägungen hält die Verfassungsbeschwerde lediglich ihre abweichende einfachgesetzliche und tatsächliche Auffassung zur Notwendigkeit einer qualifizierten Binnenerschließung auf dem Vorhabengrundstück mit einer Zufahrtmöglichkeit in den hinteren Bereich entgegen, ohne damit aber auch nur ansatzweise aufzuzeigen, inwiefern Grundrechte der Beschwerdeführer betroffen sein sollen.
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(2) Unzureichend dargelegt ist weiter die Rüge, die Baugenehmigungsbehörde habe durch die Erteilung der Befreiung von den im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 103 und 118 Abs. 1 BV verletzt, weil diese in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise in das Austauschverhältnis der vom Bebauungsplan betroffenen Grundstückseigentümer eingreife.
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Mit dieser Rüge wenden sich die Beschwerdeführer ausdrücklich allein gegen den Baugenehmigungsbescheid. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr Vorbringen aus dem fachgerichtlichen Verfahren, setzen sich aber nicht mit den entscheidungstragenden Gründen im verwaltungsgerichtlichen Urteil auseinander. Das Verwaltungsgericht ist bei Auslegung des Bebauungsplans zu dem vom Verwaltungsgerichtshof bestätigten Ergebnis gelangt, dass die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche keine nachbarschützende Funktion zugunsten der Beschwerdeführer haben. Einen Verstoß des genehmigten Vorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme hat es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände verneint. Damit befasst sich die Verfassungsbeschwerde nicht in der erforderlichen Weise.
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(3) Dem Darlegungsgebot ist schließlich nicht genügt, soweit die Beschwerdeführer sinngemäß rügen, das von den Fachgerichten – in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – zugrunde gelegte Konzept des baurechtlichen Nachbarrechtsschutzes sei unzureichend, um die durch die behördliche Genehmigung des zweiten Wohnhauses völlig außerhalb der Baugrenzen bewirkten Grundrechtsverletzungen abzuwehren. Zum einen bringen sie für eine solche Rechtsschutzlücke keine stichhaltigen Argumente vor. Zum anderen unterstellen sie eine Rechtsposition, die ihnen der Bebauungsplan „Drei Linden Süd“ der Stadt Sch. nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht einräumt.
31
Die Beschwerdeführer gehen davon aus, die in Rede stehenden Festsetzungen von Baugrenzen begründeten zwischen den betroffenen Grundstückseigentümern eine wechselseitige Schicksalsgemeinschaft, die es dem Plangeber und erst recht der Genehmigungsbehörde verfassungsrechtlich verbiete, allein auf dem Vorhabengrundstück außerhalb der Baugrenzen ein zweites Wohnhaus zuzulassen (Verstoß gegen das „verfassungsrechtliche Abwägungsgebot“). Diese Sichtweise kann schon im Ausgangspunkt nicht nachvollzogen werden. Die planerischen Festsetzungen beruhen auf der Ermächtigung durch das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung, mit denen der Bundesgesetz- und Verordnungsgeber Inhalt und Schranken des Eigentums im Interesse eines angemessenen Ausgleichs der wechselseitigen privaten Interessen einerseits und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums andererseits ausgestaltet hat (vgl. BVerwG vom 23.8.1996 BVerwGE 101, 364/370 ff.) und die dem Landesverfassungsrecht vorgehen (vgl. Art. 31 GG). Ob der Plangeber Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung auch zum Schutz des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, darf er nach der bundesrechtlichen Ermächtigung regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden (BVerwG vom 9.8.2018 BVerwGE 162, 363 Rn. 17). Das gilt in gleicher Weise für die hier in Rede stehenden Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien und Baugrenzen nach § 23 BauNVO (BVerwG vom 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4 m. w. N.). Solche Festsetzungen sind, anders als die Beschwerdeführer unterstellen, gerade nicht regelhaft darauf ausgerichtet, die davon betroffenen Grundstückseigentümer wechselseitig in ein nicht einseitig aufhebbares Austauschverhältnis einzubinden. Sie können es, müssen es aber nicht. Eine nachbarschützende Funktion der Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche, die den Beschwerdeführern eine eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition vermitteln könnte, hat das Verwaltungsgericht dem Bebauungsplan „Drei Linden Süd“ allerdings gerade nicht entnehmen können. Dem setzt die Verfassungsbeschwerde lediglich ihr eigenes Verständnis der planerischen Festsetzungen entgegen. Inwiefern das Verwaltungsgericht bei seiner Auslegung des Bebauungsplans die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus der Bayerischen Verfassung verletzt haben könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
IV.
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Es ist angemessen, den Beschwerdeführern eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).