Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 08.01.2024 – W 8 K 23.30461
Titel:

Konversion vom Islam zum Christentum begründet beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran

Normenketten:
AsylG § 3, § 71 Abs. 1
VwVfG § 51
Leitsatz:
Iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, unterliegen bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung iSd Art. 9 Anerkennungs-RL, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, zulässiger Folgeantrag, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Kläger in Deutschland, Berücksichtigung von Nachfluchtaktivitäten, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Lutherische ...kirche ..., persönliches Bekenntnis zum Christentum, christliche Aktivitäten, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, exilpolitische Aktivitäten, einzelne Teilnahmen an regimekritischen Demonstrationen in Deutschland, Gefahrerhöhung durch repressive Maßnahmen gegen Protestbewegung im Iran, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, Konversion, Christentum, exilpolitische Tätigkeit, Flüchtlingseigenschaft, Glaubenswandel
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1148

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2023 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.   

Tatbestand

1
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Ein erster Asylantrag wurde mit Urteil des VG Würzburg vom 11. Oktober 2021 (W 8 K 21.30533 – juris) unanfechtbar abgelehnt. Am 13. April 2023 stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung seines Folgeantrages gab er im Wesentlichen an: Er sei vom Islam zum Christentum konvertiert. Am 12. November 2022 sei er in der …kirche … … getauft worden. Er nehme aktiv am Gemeindeleben teil. Die politische Lage im Iran habe sich verschärft. Der Kläger engagiere sich auch politisch und setze sich für die Rechte von Frauen und Menschenrechte im Iran ein.
2
Mit Bescheid vom 26. Juli 2023 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einem anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist würde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien vorliegend gegeben. Dem Kläger könne nicht geglaubt werden, dass ihm bei einer Rückkehr in den Iran die Todesstrafe wegen seiner Konversion zum Christentum drohen solle. Der Vortrag des Klägers sei widersprüchlich, soweit dieser den Inhalt des vorgelegten Bestätigungsschreibens vom 22. Juni 2023 der …kirche … … betreffe, in dem von seiner Verfolgung durch dessen Vater berichtet werde. Der Kläger könne auch nicht damit überzeugen, nunmehr identitätsprägend Christ geworden zu sein. Schon die Abkehr von seinem alten Glauben werde vom Kläger in nicht nachvollziehbarer Art und Weise geschildert. Auch hinsichtlich der Hinwendung zum Christentum verwickele sich der Kläger in Widersprüche. Der Kläger habe nicht von einer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellung überzeugen können. Vielmehr liege gerade keine andauernde christliche Prägung des Klägers vor. Auf die im Anwaltsschreiben vorgetragenen etwaigen exilpolitischen Aktivitäten und den Einsatz für Frauenrechte berufe sich der Kläger selbst nicht.
3
Am 18. August 2023 ließ der Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Zur Klagebegründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger drohe hinsichtlich seiner religiösen Grundentscheidung Verfolgung. Der Kläger sei getaufter Christ. Er sei aktives Mitglied seiner Kirchengemeinde. Es stehe fest, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr wegen der Ausübung seines christlichen Glaubens in einem Heimatland jedenfalls administrative und polizeiliche mit einiger Wahrscheinlichkeit aber auch diskriminierende Maßnahmen zu befürchten habe, wobei auch die Anwendung physischer Gewalt nicht auszuschließen sei. Eine Gefährdung könne auch durch radikale militante Muslime sowie durch Personen aus dem Kreis seiner Großfamilie ausgehen.
4
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2023 wiederholte der Klägerbevollmächtigte sein bisheriges Vorbringen und erklärte, der Kläger sei am 12. November 2021 getauft worden.
5
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 23. August 2023,
die Klage abzuweisen.
6
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. August 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
7
Der Klägerbevollmächtigte beantragte für den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 8. Januar 2024,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2023 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
8
Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akten des Verfahrens W 8 K 23.30898 der Schwester) und die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten des Erstverfahrens sowie der Akten seiner Schwester und seiner Mutter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
11
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2023 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG war nicht zu entscheiden.
12
Im Ergebnis war ein weiteres Asylverfahren durchzuführen (vgl. § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG). Die Beklage hat dies – in der Sache und im Ergebnis – zutreffend bejaht. Auf die betreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 26. Juli 2023, S. 4 ff, wird insoweit Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
13
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
14
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
15
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
16
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 23.11.2023, Iran: Gefährdung von Konvertierten), besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtlich wahrscheinliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen etwa VG Würzburg, U.v. 24.7.2023 – W 8 K 23.30161 – juris; U.v. U.v. 30.1.2023 – W 8 K 22.30651 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie NdsOVG, B.v. 30.6.2023 – 8 LA 105/22 – juris; OVG LSA, U.v. 14.7.2022 – 3 L 9/20 – juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 – 4 LB 785/20 OVG – juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 – 2 Bf 539/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 6.7.2021 – 6 A 31/20.A – juris; U.v. 21.6.2021 – 6 A 2114/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. etwa VG Würzburg, U.v. 24.7.2023 – W 8 K 23.30161 – juris; U.v. 30.1.2023 – W 8 K 22.30651 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 3.1.2022 – W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 – W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 – W 8 K 21.30835 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
17
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da der Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass er ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung des Klägers vorliegt und dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich der Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
18
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass dieser ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte der Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Der Kläger schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und seine christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen des Klägers sind plausibel und in sich schlüssig. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe des Klägers, seine Konversion zum Christentum sowie seine christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde seine Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
19
Der Kläger hat seinen Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Der Kläger erklärte, er sei als Moslem geboren und habe die islamischen Regel eingehalten auch in der Schule. Man müsse die Rituale, wie in die Moschee gehen oder fasten, ab dem 15. Lebensjahr eingehalten. Er habe diese aber schon vorher eingehalten, und zwar in Abhängigkeit von anderen Menschen. Solange er im Iran gewesen sei, sei er Moslem gewesen. In Deutschland habe er zunächst kurz Kontakt in B. … mit einer christlichen Gemeinde gehabt sowie weitere zehn bis elf Monate in B. … Die Atmosphäre dort habe ihm ganz gut gefallen. Er sei teilweise allein hin, teilweise mit Freunden und teilweise mit seiner Familie. Dann sei er im Jahr 2020 nach … … umverteilt worden. Von dort sei er zunächst zu einer christlichen Gemeinde nach W. … gefahren. Er sei mit anderen Iraner dort gewesen. Dort sei auf Monitore übertragen worden. Ein anderer Iraner habe übersetzt, es sei quasi zweisprachig gewesen. Dieses Treffen seien immer freitags gewesen. Dann sei er zu einer freikirchlichen Gemeinde in … … Bei dieser habe er sonntags immer den Gottesdienst besucht. Ein Anderer habe übersetzt. Dieser habe englisch gesprochen und übersetzt. Er habe auch einiges gefragt und erklärt. Er sei zu dem Zeitpunkt auf dem Weg (zum Christentum) gewesen; die Liebe und die Ruhe im Christentum hätten ihn bewegt. Demgegenüber habe er im Iran mit dem Islam keine guten Erfahrungen gemacht. Schließlich sei er im Mai 2022 durch einen anderen Herrn zur …kirche gekommen. Er sei dann dort in die Gottesdienste gegangen. Zur Taufvorbereitung hätten die Besuche der Kurse in Würzburg beigetragen. Außerdem habe im Heiligen Buch gelesen. Sein Deutsch sei besser geworden und er habe vieles mitbekommen, was in der Kirche besprochen worden sei. Der als Beistand in der mündlichen Verhandlung anwesende Pfarrer aus der christlichen Gemeinde erklärte, die Taufvorbereitung laufe bei ihm individuell. Er habe sich nach dem Gottesdienst immer wieder mit dem Kläger unterhalten. Sie hätten sich auch zweimal so getroffen. Er habe den Eindruck gewonnen, dass sich der Kläger intensiv mit dem Glauben beschäftigt und auseinandergesetzt habe und sich aus eigener Motivation mit dem Christentum und den Grundfragen des Christentums beschäftigt habe. Weiter gab der Kläger glaubhaft an, die Taufe habe im November 2022 stattgefunden. Die Taufe bedeute für ihn, neu geboren zu werden. Auch Jesus Christus sei getauft worden, d.h. die Sünden würden abgelöst und der Heilige Geist komme in den Körper. Außerhalb der Gottesdienste bete er. In seiner Wohnung gebe es die Bibel, einen Ring und ein Bild, auf dem ein Satz aus der Bibel stehe. Er lese in der Bibel und gehe in die Kirche. Denn gerade, wenn sie sich zusammenfänden, gebe es eine Stärkung. Innerhalb der Kirchengemeinde stehe er im Wesentlichen in Kontakt mit dem Pfarrer. Ab und zu fahre er zudem immer noch nach N. … zu dem dortigen Gottesdienst in persischer Sprache. Bei Instagram sei er aktiv und veröffentliche auch dort christliche Stories.
20
Abgesehen davon sei er auch exilpolitisch aktiv. Er sei zwei- bis dreimal in B. … gewesen und einmal in N. … bei einer Demonstration.
21
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass der Kläger seinen Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass er sich auch für seinen Glauben engagiert. Der Kläger erklärte: Er habe andere missioniert, etwa den Cousin mütterlicherseits und auch einige Freunde. Sie seien im Iran. Mit denen habe er über Telegram Kontakt gehabt. Er denke, die Reaktion des Cousins sei positiv gestimmt gewesen, aber er sei unter den Umständen im Iran nicht frei gewesen. Der Cousin habe wohl Angst gehabt. Er, der Kläger selbst, habe die Botschaft empfangen und habe die Botschaft an Freunde weitergeleitet. Aber er denke, bei diesen sei es das Gleiche, sie hätten die Botschaft empfangen, aber sie hätten auch Angst. Jedenfalls hätten die Anderen nicht abweisend reagiert oder gesagt, es sei Quatsch, sondern hätten Interesse gezeigt. Negative Erfahrungen mit seinen Missionierungen habe er insofern gemacht, als er versucht habe, zwei Afghanen zu missionieren. Die hätten ihn ausgelacht und gesagt, Jesus Christus sei ein Prophet. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass der Kläger bei seiner Glaubensbetätigung auch nicht vor seiner Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
22
Der Kläger verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft seine Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte er – in seinen Worten und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit seinen Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte der Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass er dies verinnerlicht hat. Der Kläger erklärte: Bewegt habe ihn die Liebe und Ruhe, die er im Christentum gefunden habe. Im Islam habe er keine guten Erfahrungen gemacht. Dort sei er dauernd Ängsten und Stress ausgesetzt gewesen. Sein Leben habe sich durch das Christentum schon sehr geändert. Er sei zunächst feige gewesen und habe kein Selbstbewusstsein gehabt. Wenn ihn jemand geschlagen habe, habe er zurückgeschlagen. Dies habe sich alles geändert. In Bezug auf Gott habe er das Gefühl, dass Gott jetzt mit ihm sei. Gott sei damals im Islam nicht mit ihm gewesen. Nur Gott könne über ihn urteilen. Jesus Christen habe seine Schuld auf sich genommen und sei gekreuzigt worden und er erkenne ihn als Gott an. Im Christentum sei Jesus Christus Gott und es gebe die Dreieinigkeit. Es seien Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gott habe Jesus Christus in Gestalt eines Menschen auf die Erde geschickt, vor 2024 Jahren. Gott sei auf die Erde gekommen und habe uns auch seinen Heiligen Geist geschenkt. Diesen gebe es auch in seinem Körper. Er glaube an den christlichen Gott. Der Mensch sei von Geburt an sündig. Die Sünde komme von Adam und Eva. Dies komme aus der Schöpfung. Sie seien die ersten Menschen auf der Erde gewesen und sie hätten dann widerrechtlich Obst von dem Baum gegessen. Damit sei auf Generationen die Sünde in die Welt gekommen. Dies sei die Schuld, die dann Jesus Christus auf sich genommen habe. Durch den Glauben an Jesus Christus könne man gerettet werden. Das bedeute auch, dass er, der Kläger, beim jüngsten Gericht wieder auferstehen werde.
23
Der Kläger offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die seine Glaubensentscheidung und seinen Gewissensschritt zusätzlich belegen. Der Kläger benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte der Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Der Kläger bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
24
Der Kläger erklärte glaubhaft weiter, er könne sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Er habe das Beichtgebot bzw. auch das Rettungsgebot abgegeben, bis zum Lebensende ihm zu folgenden. Das Gebot gehe so, er bezeuge, dass er schuldig sei, er könne nicht allein durch seine Taten gerettet werden. Der Kläger gab weiter aufrichtig an, er könne sich nicht vorstellen, bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran seine Konversion zu verheimlich. Man dürfe das Licht nicht zudecken, sondern müsse es auf den Tisch stellen. Selbst wenn ihm Gefahren drohen würden, müsste er dies tun. Wenn andere Christen im Iran zurzeit lebten und dieses Gebot der Bibel nicht einhielten, hielten sie sich jedenfalls nicht an das Gebot der Bibel.
25
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten des Klägers vor und nach seiner Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihm vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Der Kläger hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar seine Motive für die Abkehr vom Islam und seine Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Er hat seine Konversion anhand der von ihm gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass der Kläger missionarische Aktivitäten entwickelt, indem er bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
26
Der Kläger hat insgesamt durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass er nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
27
Dazu tragen auch die Ausführungen seines Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Der Pfarrer erklärte: Im Iran sei die Religion eine Pflicht, werde aber nicht aus eigener Überzeugung gewählt. Der Kläger habe es in Deutschland entdeckt, nach freier Glaubensüberzeugung zu entscheiden. Er sei noch auf der Suche, er sei aber sehr engagiert. Der Kläger habe entdeckt, dass es für den Glauben eine ganz andere Motivation sei, als wenn es staatlicherseits verpflichtet sei. Er entdecke immer noch die Freiheit im Glauben. Der Kläger sei aufrichtig. Dafür spreche auch der lange Weg, den er gegangen sei, mit den vielen Stationen in N. … und W. … und … … Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 28 AsylG Rn. 17).
28
Auch aus Art. 5 der RL 2011/95 EU ergibt sich, dass religiöse Überzeugungen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn der Betreffende sie nicht in seinem Heimatland geäußert hat. Vielmehr kann eine Situation auch berücksichtigt werden, wenn die betreffende Person erst nach Verlassen des Herkunftslandes beschließt, aufgrund einer Änderung der persönlichen Identität, ihrer persönlichen Anschauung oder auch ihrer politischen Überzeugung neue Nachfluchtaktivitäten aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Allein aus dem Umstand, dass jemand nach Verlassen seines Heimatlandes zu einer anderen Religion konvertiert, lässt nicht auf einen Rechtsmissbrauch schließen. Zu prüfen ist, ob die Ausübung der Nachfluchtaktivitäten von der echten, aufrichtigen und ernsthaften Überzeugung und Ausrichtung zeugt. Diese Prüfung soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die Person diese Aktivitäten auch nach einer Rückkehr in das Heimatland fortsetzen wird. Gegebenenfalls kann sogar eine Person, deren Religionswechsel nicht aufrichtig wäre, aber durch die Taufurkunde dokumentiert wird, von den Behörden bestimmter Länder, wie etwa im Iran, als Verbrechen der Apostasie für schuldig befunden werden, sodass bei einer Rückkehr in dieses Land die reale Gefahr einer Verfolgung drohen würde. In einem zweiten Schritt ist aber zu prüfen, wie die Aktivitäten vom Verfolgerstaat aufgefasst werden, eventuell auch als „Scheinaktivitäten“. Die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist nur gerechtfertigt, wenn dadurch ein offensichtlich missbräuchliches oder zweckgerichtetes Verhalten der Person geahndet werden soll. Hierfür muss die Person bewusst unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen vorgenommen bzw. an den Tag gelegt haben, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Anerkennung als Flüchtling darf dann nur verweigert werden, wenn nach einer umfassenden Prüfung aller für die individuelle Situation der antragstellenden Person maßgeblichen Umstände mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden kann, dass der Antrag eindeutig auf eine Verfolgungsgefahr gestützt ist, die die Person nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen alleine deshalb vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (vgl. im Einzelnen Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 15.6.2023 – C 222/22 – juris Rn. 37 ff.).
29
Schon allein aufgrund der aufrichtigen Konversion des Klägers vom Islam zum Christentum hat er einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
30
Auf die exilpolitischen Aktivitäten, die für sich gefahrerhöhend und/oder verfolgungsauslösend sein können, gerade angesichts der landesweiten Proteste und Repressionen im Iran seit September 2022 (vgl. VG Würzburg, U.v. 30.10.2023 – W 8 K 23.30338 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 25.9.2023 – W 8 K 23.30323 – juris Rn. 28 ff.; U.v. 20.3.2023 -- juris Rn. 28 ff.; U.v. 20.3.2023 – W 8 K 22.30707 – juris Rn. 29 ff. mit zahlreichen Hinweisen zu den Erkenntnissen), kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an.
31
Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
32
Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
33
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
34
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.