Titel:
Vorläufige Vollstreckbarkeit, Ausnahmegenehmigung, Elektronisches Dokument, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Ergänzungsgutachten, Kostenentscheidung, Außergewöhnliche Umstände, Anderweitige Erledigung, Qualifizierte elektronische Signatur, Kosten des Berufungsverfahrens, Sachverständige, Formlose Mitteilung, Aufgabe zur Post, Rechtsbehelfsbelehrung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Sicherheitsleistung, Luftfahrtunternehmen, Ausführung, Vorübergehende Unmöglichkeit
Schlagworte:
Berufungszulassung, außergewöhnlicher Umstand, Ausgleichsleistung, Ausnahmegenehmigung, Nachtflugbeschränkungen, Verspätung, Kostenentscheidung
Vorinstanz:
AG Erding, Urteil vom 01.05.2022 – 105 C 4286/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11489
Tenor
(abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 01.05.2022, Az. 105 C 4286/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Erding ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 250,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
2
1. Die Berufung ist zulässig.
3
Die Beschwer übersteigt zwar nicht 600 €, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Berufung wurde aber im Urteil des Amtsgerichts Erding zugelassen und ist daher gem. § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig.
4
Im Tenor des Urteils findet sich nichts zur Zulassung der Berufung. In den Gründen S. 7 f. unter Ziff. IV. werden Ausführungen dazu gemacht, warum die Berufung zugelassen wurde. Bei Betrachtung des Urteils insgesamt legt dies daher den Schluss nahe, dass die Berufung zugelassen und lediglich versehentlich übersehen wurde, dies in den Tenor aufzunehmen.
5
Dass die zuständige Richterin im vorliegenden Fall, wie sie im Vermerk vom 19.05.2022 ausführt, hingegen die Berufung nicht zulassen wollte und nur übersehen hat die forumularmäßigen Ausführungen zur Zulassung zu löschen, ergibt sich gerade nicht aus dem Urteil und ist daher für dessen Auslegung unbeachtlich. Insbesondere sind die Ausführungen zur Zulassung der Berufung inhaltlich nicht dergestalt, dass offensichtlich wäre, dass sie nichts mit dem konkreten Rechtsstreit zu tun haben. Auch aus der Gestaltung ergibt sich nicht, dass es sich um formularmäßige Ausführungen handelt, die nur versehentlich angefügt bzw. nicht gelöscht wurden und dort eigentlich nicht hingehören.
6
2. Die Berufung ist unbegründet und war daher insgesamt zurückzuweisen.
7
Zwar stellen Slotzuweisungen von E., die auf Umständen basieren, die dem Einfluss des Luftfahrtunternehmens entzogen sind, zur Überzeugung der Kammer einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 dar.
8
Der Beklagten ist jedoch vorliegend der Nachweis, dass die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges wegen außergewöhnlicher Umstände erfolgte, nicht gelungen. Ihre Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung entfällt daher nicht gem. Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004.
9
Der Sachverständige Prof. Dr. N.N. kommt in seinem schriftlichen Gutachten vom 31.10.2023, ergänzt am 17.03.2024, zu dem Ergebnis, dass die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung für den streitgegenständlichen Flug beim zuständigen Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr möglich gewesen wäre und damit einem Start dieses Fluges um 22:19 UTC nichts entgegengestanden hätte.
10
Die Darlegungen des Sachverständigen sind sorgfältig und sehr gut nachvollziehbar. Insbesondere wird im Ergänzungsgutachten ausgeführt, dass es sich bei derartigen Ausnahmegenehmigungen immer um Einzelfallentscheidungen handelt und in der fraglichen Nacht Ausnahmegenehmigungen bis 0:45 Uhr (Ortszeit = 22:45 UTC), also bis zu einem Zeitpunkt deutlich nach dem für die Beklagte relevanten (22:19 UTC), erteilt wurden.
11
Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, dessen Sachkunde der Kammer aus zahlreichen weiteren Beauftragungen bekannt ist.
12
Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte spätestens, als der Vor-Vorflug xx um 19:11 UTC in London Gatwick mit 2 Stunden und 24 Minuten Verspätung (wegen Regulierungsmaßnahmen von E.) landete, eine Ausnahmegenehmigung für den streitgegenständlichen Flug hätte beantragen können und dies auch nicht aussichtslos war. Der streitgegenständliche Flug hätte daher nicht ausschließbar mit Verspätung um 22:19 UTC in München trotz Nachtflugbeschränkungen starten können. Das hätte für die Passagiere die schnellstmögliche Beförderung an den Zielort ermöglicht.
13
Die Beklagte kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für sie kaum zu antizipieren ist. Das ist eben die Natur einer Einzelfallentscheidung. Es ist der Beklagten zuzumuten, zumindest den – nicht aussichtslosen – Versuch zu unternehmen, bevor sie einen Flug annulliert. Es hätte den Interessen aller betroffenen Fluggäste entsprochen zu versuchen die geplanten Flüge (Vorflug von Gatwick nach München und streitgegenständlichen Flug von München nach Gatwick), wenn auch mit Verspätung, durchzuführen anstatt zu annullieren, was für die Fluggäste definitiv mit größeren Verzögerungen verbunden war.
14
Die übrigen Erwägungen der Beklagten, was gewesen wäre, wenn eine Genehmigung nicht erteilt worden wäre, sind rein fiktiv, nicht nachgewiesen und damit nicht relevant. Sie sind auch deshalb nicht überzeugend, weil vorliegend bereits während des Vor-Vorflugs xx oder spätestens nach dessen Landung um 19:11 UTC eine Klärung hätte herbeigeführt werden können, ob eine Ausnahmegenehmigung vom Nachtflugverbot in München für den streitgegenständlichen Flug, der um ca. 22:19 UTC ggf. hätte starten können, erteilt wird. Dass dies nicht versucht wurde, obwohl hierzu mehrere Stunden zur Verfügung standen, ist mit den vagen theoretischen Befürchtungen der Beklagten nicht zu rechtfertigen und es ist erst recht nicht die bessere Lösung für die Fluggäste von dem Versuch gänzlich abzusehen.
15
Auch die Befürchtung der Beklagten, dass eventuell der Slot mit Ausnahmegenehmigung aus anderen Gründen wiederum nicht hätte wahrgenommen werden können, ist rein fiktiv und im konkreten Fall nicht plausibel, weil in dieser Nacht tatsächlich Flüge bis 22:44 UTC starteten, was sich aus dem Ergänzungsgutachten ergibt.
16
3. Die Kostenentscheidung erging gem. § 97 ZPO.
17
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
18
Der Streitwert war gem. 47 GKG festzusetzen.