Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 08.01.2024 – W 8 K 23.30660
Titel:

Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Iran)

Normenketten:
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a
KErzG § 2 Abs. 3 S. 5, § 3 Abs. 2 S. 5
Anerkennungs-RL Art. 5
Leitsatz:
Für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, besteht im Iran die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Frau mit minderjähriger Tochter, iranische Staatsangehörigkeit der Tochter einer iranischen Mutter und eines afghanischen Vaters im konkreten Fall zweifelhaft, angebliche Zwangsrekrutierung des afghanischen Ehemannes/Vaters, Ausreise wegen Ehemann bzw. Vater, vereinzelter Vorfall wegen Verstoß gegen die Kopftuchpflicht im Jahr 2020, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Evangelisch-Lutherische E* Hellip B. K* Hellip, persönliches Bekenntnis zum Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Bibelstudien, Katechese, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr bei glaubhafter Konversion vom Islam zum Christentum sowohl im Iran als auch in Afghanistan, Flüchtlingseigenschaft, Konversion, iranische Staatsangehörigkeit eines Kindes, religiöse Prägung, eingeschränkte Religionsmündigkeit, Kirchenasyl
Fundstelle:
BeckRS 2024, 1147

Tenor

I.    Die Nummern 1 und 3 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2023 werden aufgehoben. 
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.    Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

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Die Klägerinnen, eine Frau, iranische Staatsangehörige, mit einer gut elfjährigen Tochter, reisten nach eigenen Angaben im August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 24. September 2020 Asylanträge. Zur Begründung ihrer Asylanträge gab die Klägerin zu 1) im Wesentlichen an: Sie sei wegen der Probleme ihres afghanischen Ehemannes im Iran ausgereist. Er sei verhaftet und zur Rekrutierung gezwungen worden. Außerdem habe die Klägerin zu 1) per SMS eine Nachricht bekommen, dass sie sich bei der Sittenpolizei melden solle, da man sie im Auto fahrend ohne Kopftuch gesehen habe. Die Klägerin zu 1) sei konfessionslos. Für die Klägerin zu 2) wurden diverse Atteste vorgelegt, wonach sie psychische Probleme habe, Verdacht auf PTBS sowie Entwicklungsstörungen.
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Mit Bescheid vom 16. Oktober 2023 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte die Anträge auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Soweit die Klägerin zu 1) zu den Problemen ihres afghanischen Ehemannes im Iran vorgetragen habe, habe dies im Wesentlichen keine Auswirkungen auf die beiden Klägerinnen. Hinsichtlich des Nachbarn sei es bei verbalen Äußerungen geblieben. Der Hinweis per SMS wegen des fehlenden Kopftuchs habe sich im Jahr 2020, also vor dem gewaltsamen Tod der Kurdin M. A. im Jahr 2022 ereignet. Hinsichtlich der Konfessionslosigkeit habe die Klägerin zu 1) nichts vorgetragen. Soweit die Klägerin zu 2) über keine Identitätspapiere verfüge, sei dies ebenfalls kein Grund für eine positive Entscheidung, weil sie iranische Staatsangehörige sei, da ihre Mutter im Iran geboren sei. Den beiden Klägerinnen sei im Iran bis zu ihrer Ausreise kein persönlicher Schaden zugefügt worden. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis sei nicht erkennbar. Eine Versorgung auf westeuropäischen Niveau sei nicht erforderlich. Es könne von ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten im Iran ausgegangen werden.
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Am 31. Oktober 2023 ließen die Klägerinnen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben.
4
Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2023 ließen die Klägerinnen durch ihren Prozessbevollmächtigten unter Vorlage verschiedener Unterlagen im Wesentlichen ausführen: In der Anlage würden die Nachweise über die stattgefundene Taufe der Klägerinnen am 16. Juli 2023 vorgelegt. Die Klägerinnen seien in der E. in B. K. getauft worden. Der Kindsvater sei bereits am 2. Januar 2022 in dieser Kirche getauft worden. Die Klägerinnen seien zum christlichen Glauben übergetreten und müssten befürchten, im Heimatland deswegen verfolgt zu werden. Die Klägerinnen seien iranische Staatsangehörige. Der Ehemann und Kindsvater sei afghanischer Staatsangehöriger. Die Klägerin zu 2) habe im Iran keine Schule besuchen dürfen, da sie Kind eines ausländischen Staatsangehörigen sei. Sie hätten auch nicht am kulturellen Leben teilnehmen dürfen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 6. November 2023,
die Klage abzuweisen.
6
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 31. Oktober 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 13. November 2023 lehnte das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ab.
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In der mündlichen Verhandlung am 8. Januar 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2023 zu verpflichten, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise den Klägerinnen den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Gericht hörte die Klägerinnen informatorisch an.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte (einschließlich der Akte des Ehemanns/Vaters der Klägerinnen) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2023 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 4 rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerinnen haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
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Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran (und in Afghanistan) haben die Klägerinnen einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
14
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
15
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerinnen aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
16
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 24.7.2023 – W 8 K 23.30161 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie NdsOVG, B.v. 30.6.2023 – 8 LA 105/22 – juris; OVG LSA, U.v. 14.7.2022 – 3 L 9/20 – juris; SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 – 4 LB 785/20 OVG – juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 – 2 Bf 539/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; B.v. 6.7.2021 – 6 A 31/20.A – juris; U.v. 21.6.2021 – 6 A 2114/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 24.7.2023 – W 8 K 23.30161 – juris; U.v. 30.1.2023 – W 8 K 22.30651 – juris; U.v. 5.9.2022 – W 8 K 22.30383 – juris; U.v. 27.5.2022 – W 8 K 21.31219 – juris; U.v. 3.1.2022 – W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 – W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 – W 8 K 21.30835 – juris; U.v. 12.4.2021 – W 8 K 20.31281 – juris; U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
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In dem Zusammenhang merkt das Gericht mit Blick auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AsylG (Herkunftsland der Staatsangehörigkeit) an, dass das Gericht Zweifel an der iranischen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) hat, dass es aber nicht entscheidungserheblich darauf ankommt. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist im streitgegenständlichen Bescheid laut den Ausführungen auf dessen Seite 4 davon ausgegangen, dass die Klägerin zu 2) iranische Staatsangehörige sei, da ihre Mutter, die Klägerin zu 1), ebenfalls iranische Staatsangehörige sei. Jedoch kann eine Frau im Iran anders als ein Mann nicht ohne weiteres die iranische Staatsangehörigkeit an ihr Kind weitergeben. Vielmehr besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Einbürgerung. Nach einem im Jahr 2019 erlassenen Staatsbürgerschaftsgesetz – das mittlerweile aber womöglich schon wieder modifiziert ist, so dass nur noch ein Daueraufenthaltstitel statt eine Einbürgerung möglich wäre – kann das Kind einer iranischen Mutter und eines ausländischen (hier: afghanischen) Vaters theoretisch unter gewissen Voraussetzungen die iranische Staatsangehörigkeit erhalten, wenn unter anderem ein entsprechender Antrag bei den iranischen Behörden gestellt ist, diese den Antrag geprüft haben und die Einbürgerung genehmigen. Mangels entsprechender Antragstellung im Iran seitens der Klägerin zu 1) bzw. der Kindseltern spricht vieles dafür, dass die Klägerin zu 2) entgegen der Annahme der Beklagten nicht iranische Staatsangehörige ist, sondern als Tochter eines afghanischen Staatsangehörigen afghanische Staatsangehörige ist (vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretär für Migration, SEM, Sektion Analysen, Notiz Iran, Staatsbürgerschaft, 26.1.2023, S. 7 ff.).
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Gleichwohl ändert sich im Ergebnis nichts an der Annahme der flüchtlingsrelevanten Verfolgung, weil afghanische Christen und gerade vom Islam zum Christentum konvertierten Afghanen – wie die Klägerin zu 2) – nicht nur im Iran, sondern mit Blick auf Afghanistan erst recht flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Denn gerade nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist davon auszugehen, dass ein offenes Ausleben und Praktizieren des christlichen Glaubens nicht geduldet wird. Konvertierte Christen gelten als Abtrünnige. Ihnen droht von Gesetzes wegen die Todesstrafe bzw. eine lange Freiheitsstrafe oder Peitschenhiebe. Weiter drohen Folter, willkürliche Inhaftierung und unmenschliche Bestrafung bzw. Behandlung seitens staatlicher Akteure sowie Repressionen, Schikanen und Denunziation seitens Privatpersonen. Die Ausübung des christlichen Glaubens durch eine konvertierte Person, wie er in Deutschland möglich ist und praktiziert wird, würde die Person in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib oder Leben oder des Freiheitsverlustes aussetzen. Wer sich öffentlich zum Christentum bekennt oder auch nur in Verdacht dazu steht, muss mit Diskriminierung, Misshandlung und willkürlicher Verhaftung oder Tötung rechnen (vgl. etwa BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan vom 28.9.2023; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan – Lagefortschreibung – Stand Juni 2023 vom 26.6.2023 sowie zuletzt etwa VG Bremen, U.v. 17.2.2023 – 3 K 503/19 – juris Rn. 43 ff.; SächsOVG, U.v. 10.11.2022 – 1 A 1078/17.A – juris Rn. 38 ff., 44 ff.; jeweils m.w.N.).
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Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerinnen eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran oder nach Afghanistan, da die Klägerinnen aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen haben. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerinnen aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis haben, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausüben. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerinnen vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben wollen. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerinnen bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt haben. Die Würdigung der Angaben der Klägerinnen zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 – 2 A 577/19.A – juris; U.v. 30.11.2021 – 2 A 488/19.A – juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris; U.v. 7.6.2021 – 6 A 2215/19.A – Milo; B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
20
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert sind. So legten die Klägerinnen ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerinnen schilderten weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerinnen sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerinnen legten verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufen der Klägerinnen, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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In Bezug auf die ca. 11 ½ Jahre alte Klägerin zu 2) ist zum einen vorweg noch festzuhalten, dass sie aufgrund ihres Alters eingeschränkt religionsmündig ist, so dass sie – wie auch in der mündlichen Verhandlung erfolgt – persönlich anzuhören war (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 5 und § 3 Abs. 2 Satz 5 des Gesetzes über die religiöse Kinderziehung – KErzG, soweit es um die religiöse Erziehung geht). Die gesetzliche Regelung verwirklicht so früh den Gedanken eines stufenweisen Heranreifens des Kindes zur religiösen Selbstbestimmung (vgl. Huber in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2024, vor § 1 RelKErzG Rn. 1). Zum anderen war unter Würdigung religiösen Prägung der Klägerin zu 2) durch ihre Eltern und Ihr sonstiges Umfeld auch ihr Alter zu berücksichtigen. Weiter war zu beachten, dass die Klägerin zu 2) den Iran schon im Alter von ca. 6 ½ Jahren verlassen hatte, dort die Schule nicht besuchen durfte und insoweit auch keine vertiefte islamische Prägung erfahren gehabt hatte, wenngleich sie formal als Tochter eines sunnitischen Vaters als Sunnitin gegolten hat.
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Dies vorausgeschickt haben sowohl die Klägerin zu 2) als auch ihre Mutter, die Klägerin zu 1), glaubhafte Angaben zu ihrer Konversion gemacht. Die Klägerinnen haben ihren Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Die Klägerin zu 1) gab an, sie selbst sei im Iran als Schiitin geboren. Sie habe auch in der Schule entsprechenden Unterricht besucht und islamische Regeln eingehalten. Ihre Familie sei streng religiös gewesen und habe sie angehalten, die islamischen Regeln einzuhalten. Sie seien fast extrem religiös gewesen. Sie sei auch gegen die Eheschließung mit dem sunnitischen Mann gewesen. Die Klägerin zu 1) habe auch Kopftuch tragen müssen. Dies sei obligatorisch gewesen. Sie sei schon im Iran vom islamischen Glauben abgefallen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie schon verheiratet gewesen sei. Sie sei vom Islam abgefallen, nachdem sie die Diskriminierung erlebt habe und ihr Kind nicht zur Schule gedurft habe. In ihrer Geburtsurkunde sei vermerkt, dass ihre Tochter, die Klägerin zu 2), eine Ausländerin sei. Sie habe versucht ihre Tochter in der Schule anzumelden. Dies sei mit der Begründung abgelehnt worden, dass diese keine Iranerin sei. Kontakt zum Christentum habe sie, die Klägerin zu 1), erst in Deutschland erhalten und zwar über ihren Mann sowie über ihre Tochter. Dies sei noch vor dem Kirchenasyl gewesen. Ihr afghanischer Ehemann sei in Deutschland schon im Jahr 2022 getauft worden und habe eine Bibel auf Persisch bekommen. Ihr Ehemann habe sie dazu bewegt auch Kontakt zum Christentum aufzunehmen. Ihr Mann habe ihr die Bibel gegeben. Sie habe sie aufgeschlagen. Besonders berührt habe sie eine Bibelstelle bei Jesaja (vgl. Jesaja, Kapitel 42, Vers 3 „Das geknickte Rohr wird er [der Knecht] nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“). Die Klägerin zu 1) erklärte dazu weiter, sie sei heute noch aufgewühlt deswegen. Er werde Gutes verbreiten, er werde die Stimme nicht erheben. Man werde in den Gassen seine Lieder nicht hören. Er werde die zerbrochene Flöte nicht ganz kaputt machen und er werde den nur noch leicht brennenden Docht nicht löschen. Sie habe sich mit dieser Flöte und mit dem Docht identifiziert. Sie habe sich dann entschlossen, weiter das Heilige Buch zu lesen. Auch ihre Tochter, die Klägerin zu 2), habe sie motiviert, mit in die Kirche zu gehen. Sie habe dort festgestellt, dass sie auch eine innere Ruhe verspüre.
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Die Klägerin zu 2) gab – kindgemäß – glaubhaft an, sie sei im Iran in keiner Koranschule gewesen. An irgendwelche religiösen Sachen im Iran könne sie sich nicht erinnern. Im Iran sei Kopftuchpflicht erst mit sieben Jahren. Sie sei vorher ausgereist und habe im Iran kein Kopftuch getragen. In B. K. sei sie zur Schule gekommen und habe dort Ethik-Unterricht gehabt, ab der 2. Klasse. Sie sei jetzt in der 4. Klasse. In der 3. Klasse sei es im Ethik-Unterricht mehr um die Kinderrechte gegangen; in der 4. Klasse sei es über andere Religionen gegangen. Als ihr Vater getauft worden sei, habe sie auch getauft werden wollen. Sie habe schon ab der 3. Klasse Informationen über die christliche Religion bekommen. Außerdem sei sie im Kindergottesdienst gewesen. Sie sei auch im normalen Gottesdienst gewesen und habe da immer auch die Bücher erst ausgeteilt und dann wieder eingesammelt und auch eine Kerze angezündet. Außerdem habe sie die Kinderbibel gelesen. Sie habe einmal eine Kinderbibel von der Lehrerin geschenkt bekommen und einmal eine von ihrer Taufpatin. Über den Islam habe sie keine großen Informationen gehabt, wie auch der Pfarrer aus der christlichen Gemeinde bestätigte.
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Der Pfarrer bestätigte weiter, während des Kirchenasyls habe es eine Taufvorbereitung gegeben. Sie hätten sich immer wieder getroffen, ebenso wie seine Kollegin, die auch Pfarrerin sei und die die Taufpatin der Klägerin zu 2) geworden sei. Dabei sei ein Heft verwendet worden über den christlichen Glauben auf Deutsch und auf Farsi. Die Klägerinnen hätten beide in diesem Heft gelesen. Die Pfarrerin des Kindergottesdienstes sei auch gleichzeitig die Taufpatin der Klägerin zu 2). Die Taufen hätten in einem öffentlichen Gottesdienst stattgefunden. Die Taufpatin habe die Klägerin zu 1) im Juli 2023 getauft. Er selbst, der Beistand habe die Klägerin zu 2) getauft. Die Klägerin zu 1) und die Klägerin zu 2) würden sich gegenseitig „erziehen“, im christlichen Glauben verstärken und bestärken. Dazu erklärte die Klägerin zu 1) weiter: Selbstverständlich erziehe sie ihre Tochter christlich. Die Tochter – die Klägerin zu 2) – habe an Depressionen gelitten. Der Vater habe vorgeschlagen, die Kirche zu besuchen. Beim Kirchenbesuch hätten sie festgestellt, dass ihnen sehr viel Liebe entgegengebracht worden sei. Die Tochter sei zuvor sehr isoliert gewesen. Nach dem Kirchenbesuch sei sie ganz begeistert gewesen und habe ein ganz anderes Selbstbewusstsein bekommen. Die Klägerinnen machten beide übereinstimmend geltend, dass der Ehemann/Vater sie dazu bewegt habe, zum Christentum zu gehen und dort zu bleiben.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerinnen ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin leben, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagieren. Die Klägerin zu 1) erklärte: Im Iran habe sie Kontakt mit ihrer Schwester. Sie habe die Bilder ihrer Taufe über WhatsApp veröffentlicht. Deshalb wisse ihre Schwester Bescheid. Sie habe auf Frage ihrer Schwester bejaht, dass sie Christin geworden sei. Sie habe ihrer Schwester auch gesagt, wenn sie wüsste, was das Christentum sei, würde sie sicherlich auch konvertieren. Die Klägerin zu 2) hat – wie schon ausgeführt – dazu beigetragen, ihre Mutter zum Christentum hinzuführen. Beide Klägerinnen gaben zudem an, dass sie zusammen an einer Demonstration in Berlin wegen der – islamisch bedingten – Kopftuchpflicht teilgenommen hätten. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerinnen bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt machen, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Die Klägerinnen verdeutlichten in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legten sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machten die Klägerinnen zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigten, dass sie dies verinnerlicht haben. Die Klägerin zu 1) erklärte: Im Christentum gebe es viele Wunder von Jesus Christus. Das größte Wunder sei, dass er uns die Sünden verzeihe. Die islamische Religion schreibe nur Gesetze vor; man dürfe das und das nicht machen. Man könne aber durch die islamischen Gesetze keine Änderung in sich vornehmen, was aber im Christentum der Fall sei. Sie sei psychisch belastet und isoliert gewesen. Jetzt könne sie auf andere Menschen zugehen und denen vergeben. Mohammed sei kein Gott, sondern ein Prophet, und Jesus Christus sei Gott. Gott erscheine in drei Gestalten, auch um mit den Menschen zu kommunizieren. Vater, Sohn und Heiliger Geist stellten zusammen eine Einheit dar. Jesus Christus sei gekreuzigt worden. Er habe die Schuld für unsere Sünden auf sich genommen. Der Mensch sei von Geburt aus Sünder und begehe ständig Sünden. Dies gehe auf die Erbsünden von Adam und Eva zurück, weshalb diese auch aus dem Garten Eden vertrieben worden seien. Die Klägerin zu 2) gab an: Adam und Eva hätten von dem verbotenen Baum gegessen, von der Frucht des Apfelbaums und hätten damit einen Fehler begangen. Den hätten sie bereut und trotzdem seien sie auf die Erde geschickt worden. Gott sei der, der sie auf die Welt gebracht habe und sie liebe, sie liebe ihn auch wie ihren Vater. Es seien ihre eigenen Gedanken gewesen, die sie zum Christentum gebracht hätten.
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Die Klägerinnen offenbarten weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Klägerinnen benannten in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannten die Klägerinnen auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerinnen bezogen sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Die Klägerinnen erklärten glaubhaft weiter, sie könnten sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Die Klägerin zu 1) erklärte: Sie könne sich nicht vorstellen, wieder zum Islam zurückzukehren, weil sie durch Jesus Christus das Ewige Leben erlangt habe und durch den Heiligen Geist eine neue Geburt. Die Veränderungen, die durch das Christentum hervorgerufen worden seien, seien in ihrem ganzen Leben nie durch den Islam passiert. Die Klägerin zu 2) erklärte: Im Ethik-Unterricht sei der Islam wie alle anderen Religionen auch durchgenommen worden; aber sie wolle beim Christentum bleiben, weil sie an Jesus Christus glaube. Die Klägerinnen legten auch glaubhaft dar, dass sie ihre Konversion bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran nicht verheimlichen könnten. Die Klägerin zu 1) erklärte in dem Zusammenhang, sie habe das Christentum angenommen und könne ihre Religion auch nicht mehr verleugnen. Nach all den Strapazen sei sie froh, dass sie hier seien und dass ihre Tochter hier aufwachse und dass sie jetzt alle gerettet worden seien. Sie wolle nicht, dass ihr Kind im Iran aufwachse. Es kenne diese Umstände nicht. Jesus Christus habe auch gesagt, man dürfe seine Religion nicht verleugnen und man solle auch andere Menschen sagen, was im Heiligen Buch stehe.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerinnen vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerinnen bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würden. Die Klägerinnen haben lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie haben ihre Konversion anhand der von ihnen gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerinnen missionarische Aktivitäten entwickeln, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben werben. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerinnen bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würden, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einer Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn sie aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
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Die Klägerinnen haben insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten sind, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen haben. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Dazu tragen auch die Ausführungen ihres Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Der Pfarrer der christlichen Gemeinde erklärte: Er kenne die Klägerinnen schon sehr lange. Seit sie in der Gemeinde seien, seien sie auch regelmäßig zu ihm in die Kirchengemeinde gekommen und hätten Kontakt gesucht. Sie seien auch sehr beliebt in der Kirchengemeinde. Sie hätten sich bewusst dafür entschieden, in einem öffentlichen Gottesdienst unter Teilnahme der Anderen getauft zu werden. Die Anderen hätten auch mit Interesse daran teilgenommen und sich für sie gefreut. Sie würden auch alles zusammen unternehmen. Darüber hinaus sei es ihnen ein persönliches Anliegen, Christinnen zu sein und als Christinnen zu leben. Das Christentum sei ein Teil von ihnen geworden. Sie hätten damit etwas gefunden, was sie schon länger gesucht hätten.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner bzw. eine Iranerin seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 28 AsylG Rn. 17). Mit Blick auf Afghanistan und mit Blick auf die wahrscheinlich afghanische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) gilt dasselbe.
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Auch aus Art. 5 der RL 2011/95 EU ergibt sich, dass religiöse Überzeugungen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn der/die Betreffende sie nicht in seinem Heimatland geäußert hat. Vielmehr kann eine Situation auch berücksichtigt werden, wenn die betreffende Person erst nach Verlassen des Herkunftslandes beschließt, aufgrund einer Änderung der persönlichen Identität, ihrer persönlichen Anschauung oder auch ihrer politischen Überzeugung neue Nachfluchtaktivitäten aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Allein aus dem Umstand, dass jemand nach Verlassen seines Heimatlandes zu einer anderen Religion konvertiert, lässt nicht auf einen Rechtsmissbrauch schließen. Zu prüfen ist, ob die Ausübung der Nachfluchtaktivitäten von der echten, aufrichtigen und ernsthaften Überzeugung und Ausrichtung zeugt. Diese Prüfung soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die Person diese Aktivitäten auch nach einer Rückkehr in das Heimatland fortsetzen wird. Gegebenenfalls kann sogar eine Person, deren Religionswechsel nicht aufrichtig wäre, aber durch die Taufurkunde dokumentiert wird, von den Behörden bestimmter Länder, wie etwa im Iran, als Verbrechen der Apostasie für schuldig befunden werden, sodass bei einer Rückkehr in dieses Land die reale Gefahr einer Verfolgung drohen würde. In einem zweiten Schritt ist aber zu prüfen, wie die Aktivitäten vom Verfolgerstaat aufgefasst werden, eventuell auch als „Scheinaktivitäten“. Die Weigerung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist nur gerechtfertigt, wenn dadurch ein offensichtlich missbräuchliches oder zweckgerichtetes Verhalten der Person geahndet werden soll. Hierfür muss die Person bewusst unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen vorgenommen bzw. an den Tag gelegt haben, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Anerkennung als Flüchtling darf dann nur verweigert werden, wenn nach einer umfassenden Prüfung aller für die individuelle Situation der antragstellenden Person maßgeblichen Umstände mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden kann, dass der Antrag eindeutig auf eine Verfolgungsgefahr gestützt ist, die die Person nach Erlass der bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag bewusst herbeigeführt hat, indem er unredliche Aktivitäten, Handlungen oder Verhaltensweisen alleine deshalb vorgenommen bzw. an den Tag gelegt hat, um die für seine Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (vgl. im Einzelnen Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 15.6.2023 – C 222/22 – juris Rn. 37 ff.).
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Nach alledem ist den Klägerinnen unter Aufhebung der sie betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides jeweils die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
35
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.