Titel:
Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz bei Verwendung eines parametergesteuerten Emissionskontrollsystem (Thermofenster, Umgebungsluftdruck, Motorendrehzahl; hier: Opel Insignia GS 2.0 Diesel)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 20001; BeckRS 2022, 29314; BeckRS 2022, 29413; BeckRS 2023, 3004; BeckRS 2023, 10351; BeckRS 2023, 10352; BeckRS 2023, 14670; BeckRS 2023, 22490; BeckRS 2023, 37401; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; BeckRS 2023, 3006; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; OLG Jena BeckRS 2022, 38597; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 3009; OLG Hamm BeckRS 2023, 31503. (redaktioneller Leitsatz)
2. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; BeckRS 2023, 32835; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; BeckRS 2023, 29622; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; BeckRS 2024, 5589; BeckRS 2024, 6664; BeckRS 2024, 6950; BeckRS 2024, 7525; BeckRS 2024, 8552; BeckRS 2024, 8714; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; BeckRS 2024, 5526; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
3. Sollten das sog. Thermofenster und weitere Parameter als andere, unterstellt verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren sein, bedarf die Annahme von Sittenwidrigkeit zusätzlicher Umstände. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Hersteller kann sich nicht entlasten, wenn er den Verbotsirrtum im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses des Käufers nicht ausreichend konkret dargelegt hat, also insbesondere nicht im Einzelnen konkret dargelegt hat, welche verfassungsmäßig berufenen Vertreter sich über die Rechtmäßigkeit der nachweislich verbauten Abschalteinrichtungen mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum befunden haben sollen. (Rn. 77 – 78) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein parametergesteuertes Emissionskontrollsystem in Form eines Thermofensters nebst drehzahl- und umgebungsluftdruckabhängiger Parameter, die zu eng bedatet sind, so dass das Risiko behördlicher Auflagen nicht fernliegend, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung durch das KBA nicht zu erwarten ist, d.h. dieses dem Hersteller absehbar zunächst ermöglicht hätte, die Manipulation der Abgasbehandlung zu beseitigen, rechtfertigt einen Differenzschaden von 10 % des Kaufpreises. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, parametergesteuertes Emissionskontrollsystem, Thermofenster, Umgebungsluftdruck, Motorendrehzahl, Differenzschaden, Nutzungsvorteile, Restwert
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 17.02.2022 – 8 O 2489/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11301
Tenor
I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Traunstein 17.02.2022, Az. 8 O 2489/21, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.450,- € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.11.2021 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei 90 %, die Beklagte 10 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei begehrt im Rahmen des sog. Diesel-Abgasskandals Schadensersatz von der Beklagten.
2
Nach den landgerichtlichen Feststellungen erwarb die Klagepartei nach verbindlicher Bestellung vom 07.12.2019 bei einem näher bezeichneten Dritten einen gebrauchten PKW Opel Insignia GS 2.0 Diesel mit einer Laufleistung von 15.571 km für 14.518,- €. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU 5. Ein verpflichtender Rückruf des KBA besteht für das streitgegenständlichen Fahrzeug nicht.
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Die Klagepartei hat vorgetragen, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems werde in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur (unterhalb 17° C), Umgebungsdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) verringert. Ferner sei eine Softwarefunktion vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1.180 Sekunden nach dem Motorstart in einen anderen Betriebsmodus (schmutzigen Abgasmodus) wechsle, und auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet werde. Ihr stünden daher Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zu.
4
Die Beklagte hat bestritten, die Klagepartei vorsätzlich sittenwidrig geschädigt zu haben. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei aufgrund einer bestandskräftigen Typgenehmigung ohne Einschränkung für den Straßenverkehr zugelassen. Es seien auch künftig keine Einschränkungen zu erwarten, da das Fahrzeug alle gesetzlichen Anforderungen erfülle. Im Typgenehmigungsverfahren seien alle genehmigungsrelevanten Angaben gemacht worden. Es sei keine Prüfzykluserkennung vorhanden. Die Verringerung der Abgasrückführungsrate in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur, Drehzahl des Motors und des Umgebungsluftdrucks sichere die Funktionsfähigkeit des Emissionskontrollsystems, schütze den Motor vor Beschädigung und gewährleiste den sicheren Fahrbetrieb. Eine Deaktivierung der Abgasrückführung finde erst unterhalb von -10°C und oberhalb von 40°C statt.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an sie 14.518,- € nebst näher bezeichneter Zinsen ab Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 582,23 € zu zahlen.
Klageabweisung beantragt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht auf Grundlage von §§ 826, 31 BGB zu. Selbst wenn man zugunsten der Klagepartei unterstelle, dass die behauptete parameterabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren wäre, setze die Annahme von Sittenwidrigkeit nach höchstrichterlichen Rspr. jedenfalls voraus, dass die für die Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der parameterabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Hier liege indes die Unzulässigkeit der von der Klagepartei behaupteten Abschalteinrichtung nicht ohne Weiteres auf der Hand. Denn um eine Umschaltlogik handele es sich nach dem eigenen Vortrag des Klägers gerade nicht; vielmehr erfolge die Steuerung der Abgasreinigung in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl, und damit im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise. Nach dem Klagevortrag sei auch nicht ersichtlich, dass die genannten Parameter exakt auf die Bedingungen auf dem Prüfstand zugeschnitten seien. Es sei daher kein System der Prüfstanderkennung im klägerischen Fahrzeug vorhanden. Eine parameterabhängige Steuerung der Abgasrückführung könne hingegen rechtlich zulässig sein, wenn die Reduzierung der Abgasrückführung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Die Bewertung der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung sei unter Experten keineswegs einhellig. Die Klagepartei habe auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Vergleichbarkeit der behaupteten Steuerung des Emissionskontrollsystems mit einer Prüfstanderkennungssoftware vorgetragen. Soweit die Klagepartei behaupte, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Softwarefunktion vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1.180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus wechsle, was die Beklagte bestritten habe, handele es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein, da konkrete Anhaltspunkte für deren Vorhandensein fehlten, insbesondere die Messergebnisse der Deutschen Umwelthilfe hierfür nicht ausreichend seien. Vielmehr hätten die Messergebnisse der Untersuchungskommission Volkswagen für einen mit dem streitgegenständlichen Motortyp vergleichbaren Motor von Opel, EU 5, ergeben, dass dieses auch im „NEFZ warm“ – dessen Zweck es gerade gewesen sei, eine unerlaubte Optimierung festzustellen – die gesetzlichen Grenzwerte einhalte. Auch habe die Klagepartei keine Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems im Typgenehmigungsverfahren vorgetragen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sei mangels Stoffgleichheit zwischen dem erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteil mit einem etwaigen Vermögensschaden nicht gegeben, eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Bestimmungen scheide aus, da es sich hierbei nicht um Schutzgesetze handele.
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Die Klagepartei wendet sich mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung gegen die Klageabweisung, mit welcher sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge vollumfänglich weiterverfolgt.
10
Sie rügt, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass klägerseits keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen worden seien. Das Landgericht habe die Anforderungen an die Substantiierung insoweit überspannt. Deren Vorhandensein im streitgegenständlichen Fahrzeug ergebe sich aus den vorgelegten Untersuchungsergebnissen zum streitgegenständlichen Motor A 20, die eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte um den Faktor 3,5 ergeben hätten. Die Beklagte habe im Übrigen selbst vorgetragen, dass das Emissionskontrollsystem abhängig von Umgebungstemperatur und -druck sowie Motordrehzahl geregelt werde, wie auch in der Replik u.a. anhand zusätzlicher Gutachten detailliert vorgetragen worden sei. Bei den genannten Parametern handele es sich um eine Prüfstanderkennung, da sie aktiviert würden, wenn NEFZ-Prüfbedingungen während des Straßenbetriebs gefahren würden. Die Prüfbedingungen träten indes nie im normalen Fahrbetrieb auf, sondern dienten nur dazu, die NOx-Werte auf dem Prüfstand zu senken. Dies entspreche genau der Definition einer Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007. Eine technische Notwendigkeit nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bestehe entgegen den Angaben der Beklagten hierfür nicht, sondern beruhe offensichtlich auf dem Verbau minderwertiger Komponenten (thermische Belastungsgrenze des AGR-Kühlers). Allein die Kumulation an Abschalteinrichtungen stelle ein sittenwidriges Verhalten dar. Die Vorstände der Beklagten hätten zudem Kenntnis von der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gehabt, wie sich aus den vorgelegten Artikeln des M. M. und der S. Zeitung ergebe.
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Die Klagepartei hat daher bei Abänderung des landgerichtliche Urteils beantragt (Schriftsatz vom 19.05.2022, Bl. 187 f. d.A.),
I. die Beklagte zu verurteilen, 14.518,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … zu zahlen.
II. hilfsweise, das Verfahren unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zurückzuverweisen.
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Die Beklagte hat beantragt (Schriftsatz vom 13.06.2022, Bl. 257 d.A.),
die Berufung zurückzuweisen.
13
Die Beklagte verteidigt die ergangene Entscheidung des Landgerichts. Sie macht geltend, dass die klägerische Behauptung, der Fahrzeugmotor schalte nach 1.180 Sekunden nach Motorstart in einen schmutzigeren Abgasmodus, erkennbar ins Blaue hinein erfolgt sei, da jeglicher Bezug zum streitgegenständlichen Motor fehle. Selbst wenn man den Klagevortrag zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters für hinreichend konkret hielte, gründe dies keine deliktischen Ansprüche begründe. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine bestandskräftige Typgenehmigung, die Bindungswirkung entfalte. Soweit in der Berufungsbegründung nun vorgetragen werde, dass die Abgasrückführung bereits bei 5°C komplett abgeschaltet werde, was nicht den Tatsachen entspreche, handele es sich um neuen Sachvortrag, der nicht mehr zuzulassen sei. Die Behauptung der Klagepartei, die Beklagte habe neben der Umgebungstemperatur weitere Parameter zur Steuerung des streitgegenständlichen Emissionskontrollsystems verwendet, wie dies bei praktisch jedem Emissionskontrollsystem technisch bedingt der Fall sei, begründe gleichfalls nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Eine solche fehle nach höchstrichterlicher Rspr., wenn die Rate der Abgasrückführung unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc. im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspreche. Weitere Umstände, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, habe die Klagepartei nicht vorgetragen. Die zur Substantiierung vorgelegten Messwerte der Klagepartei wiesen keinerlei Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug mit 2,0 Liter Motor der Emissionsklasse 5 auf, dem die Untersuchungskommission ein unauffälliges Verhalten attestiert habe (Anl. B-2). Der Klagevortrag zur angeblichen Parametrierung des streitgegenständlichen Emissionskontrollsystems sei gleichfalls unzutreffend, wozu bereits in der Klageerwiderung (dort Ziff. 8.14) ausgeführt worden sei. Die behauptete Täuschung im Typgenehmigungsverfahren sei gleichfalls ins Blaue hinein erhoben. Die erstmals im Berufungsverfahren aufgestellte Behauptung des Verbaus „minderwertiger Komponenten“ oder eines „minderwertigen Kühlers“ werde bestritten. Auch das erstmals im Berufungsverfahren vorgelegte und in Bezug genommene Gutachten vom 16.12.2015 betreffe Fahrzeuge der Emissionsklasse 6 mit einem anderen Emissionskontrollsystem, namentlich einem Abgasnachbehandlungssystem in Form eines SCR-Katalysators, das im streitgegenständlichen EU 5-Fahrzeug hingegen nicht zum Einsatz komme. Der Klagepartei sei im Übrigen auch kein Schaden entstanden.
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Mit Verfügung vom 19.11.2023 (Bl. 270 ff.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB ausscheiden dürfte, nach jüngst ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. insb. BGH, Urt. v. 26.06.2023 – Via ZR 335/21) jedoch grundsätzlich eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV bestehen könnte, soweit der Klagepartei aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden ein Differenzschaden entstanden ist.
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Die Klagepartei hat daraufhin mit Schriftsatz vom 06.12.2023 (Bl. 274 d.A.) hilfsweise beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 2.177,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
16
Der Senat hat ergänzend festgestellt, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs am 18.04.2024 unstreitig 44.880 km betrug. Auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 318/320. d.A.) wird Bezug genommen.
17
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Hinweise des Senats sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts bedarf es nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Senats mangels Überschreitung einer Beschwer in Höhe von 20.000,00 € (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) unzweifelhaft nicht zulässig ist (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).
18
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung erweist sich als teilweise erfolgreich. Der Klagepartei steht ein Anspruch i.H.v. 1.450,- € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 30.11.2021 gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegen die Beklagte zu. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
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1. Die Beklagte haftet nicht nach §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB.
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a. Eine entsprechende Haftung kommt nur in Betracht, wenn von der Klagepartei rechtzeitig hinreichender Vortrag sowie unstreitige oder nachgewiesene Anhaltspunkte vorgebracht wurden, die den Schluss nahelegen, dass im Motor ihres Fahrzeugs von der Beklagten entweder eine „Prüfstanderkennungssoftware“ verbaut wurde, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und welche damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hat, wie sie z.B. dem BGH-Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, VW-Motor EA 189) zugrunde lag, wozu hinreichender Vortrag der Klagepartei fehlt, oder eine andere verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtung, wie etwa ein sog. Thermofenster, verbaut worden ist, und zugleich Anhaltspunkte für besondere Umstände i.S.d. Rspr. des BGH vorliegen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, Endbeschluss vom 08.04.2021, Gz. 8 U 4122/20, NZB BGH Az. VII ZR 453/21 zurückgenommen), wozu gleichfalls Vortrag konkreter Anhaltspunkte seitens der Klagepartei fehlt.
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b. Das Landgericht hat die Klage deshalb zu Recht ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die zutreffenden Ausführungen wird insoweit Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt:
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(1) Davon, dass eine sog. Prüfstanderkennungssoftware im oben darlegten Sinn im klägerischen Fahrzeug verbaut worden wäre, geht das Landgericht bereits nicht aus, da die Klagepartei jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für das behauptete Vorhandensein der genannten Funktionen im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen habe, so dass es sich insoweit um Vortrag ins Blaue hinein handeln würde.
23
(a) Die Berufung rügt insoweit, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass klägerseits keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen worden seien. Was sie wo vorgetragen haben will, ist aber schon nicht ersichtlich. Es wird lediglich ausgeführt, dass sich das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus den vorgelegten Untersuchungsergebnissen zum streitgegenständlichen Motor A 20 ergebe, die eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte um den Faktor 3,5 ergeben hätten. Ferner wird darauf verwiesen, dass die Beklagte selbst vorgetragen habe, dass das Emissionskontrollsystem abhängig von Umgebungstemperatur und -druck sowie Motordrehzahl geregelt werde. Zu diesen Funktionen wird pauschal auf Vortrag in der Replik verwiesen, wo anhand zusätzlicher Gutachten detailliert vorgetragen worden sei. Ferner wird pauschal behauptet, dass es sich bei den genannten Parametern um eine Prüfstanderkennung handeln würde, da sie aktiviert würden, wenn NEFZ-Prüfbedingungen während des Straßenbetriebs gefahren würden. Die Prüfbedingungen träten indes nie im normalen Fahrbetrieb auf, sondern dienten nur dazu, die NOx-Werte auf dem Prüfstand zu senken. Sie behauptet auch weiterhin, dass eine Softwarefunktion implementiert sei, die 1.180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen (schmutzigeren) Betriebsmodus wechsle.
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(b) Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich und erneut in der Berufungserwiderung zu diesen gerügten Funktionen ausgeführt. Sie hat in der Klageerwiderung vorgetragen, dass das streitgegenständliche Emissionskontrollsystem nicht zwischen Prüfstand und Normalbetrieb auf der Straße unterscheide und die Funktionsweise nicht prüfstandbezogen anpasse. Die AGR werde nicht unterhalb von 17°C deaktiviert, sondern erst unterhalb von minus 10° C. Von dieser tiefsten Temperatur werde der Sauerstoff-Sollwert im Brennraum verringert und dementsprechend die AGR-Rate stufenweise erhöht bis 17 °C. Deaktiviert werde die AGR wiederum erst oberhalb von 40°C. Entgegen der Behauptung der Klagepartei werde das Emissionskontrollsystem nicht bei einer Motorendrehzahl oberhalb von 2.750 U/min „in seiner Wirkungsweise verringert“, sondern die AGR bis zur maximalen Drehzahl nach Betriebspunkt dynamisch angepasst, so dass gerade keine Abschaltung anhand einer fixierten Drehzahl erfolge. Zum Umgebungsdruck hat sich die Beklagte nicht verhalten. Sie hat ferner die Angaben der Klagepartei in der Berufungsbegründung bezüglich des Thermofensters, wonach die Abgasrückführung angeblich bei 5°C komplett abgeschaltet werde, als unzutreffend bestritten, und unter Verweis auf höchstrichterliche Rspr. zu unterschiedlichen Ausgestaltungen von Emissionssystemen u.a. in Form des Thermofensters, der Drehzahlabhängigkeit sowie anhand des Luftdrucks ausgeführt, dass der BGH diesbezüglich eine Sittenwidrigkeit verneint habe. Der BGH habe hierbei klargestellt, dass angeblich erhöhte Emissionswerte im realen Betrieb keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. gar für eine Manipulation seien.
25
(c) Ein Thermofenster bzw. eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist im Übrigen nicht mit einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik gleichzusetzen (BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Dies ist auch dann noch der Fall, wenn die AGR nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 33°C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, und selbst dann noch, wenn nur unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) die Rate der AGR im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht (BGH, Beschluss v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20). Dass an Parameter angeknüpft wird, die regelmäßig, aber nicht ausschließlich auf dem Prüfstand vorkommen, genügt demnach für das Vorliegen einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik nicht. Weshalb für das hier verbaute Thermofenster, bei welchen nach Klägervortrag die Abgasrückführung unterhalb von 17 °C und über 30 °C nicht unerheblich heruntergefahren werde, etwas anderes gelten sollte, erschließt sich damit nicht.
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(d) Die Rechtsprechung zum Thermofenster ist insoweit auch auf eine Steuerung des Emissionskontrollsystems durch weitere Parameter, wie Motorendrehzahl und Umgebungsluftdruck übertragbar. Zutreffend hat das Landgericht diesbezüglich ausgeführt, dass es vorliegend bereits nach Vortrag der Klagepartei an einer Umschaltlogik fehle, da die Steuerung der Abgasreinigung in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl, und damit im Grundsatz unter gleichen Bedingungen auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im normalen Fahrbetrieb geregelt werde. Dass an Parameter angeknüpft wird, die regelmäßig, aber nicht ausschließlich auf dem Prüfstand vorkommen, genügt, wie bereits ausgeführt, für das Vorliegen einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware bzw. Umschaltlogik nicht.
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Eine Prüfstanderkennung ist daher sowohl hinsichtlich des vorgetragenen Thermofensters, als auch der weiteren Parameter (Umgebungsluftdruck; Motordrehzahl) nicht ersichtlich.
28
(3) Soweit die Berufung behaupten will, die Motorsteuerung erkenne durch das gleichzeitige Vorliegen kumulativer Bedingungen den Prüfstand und regle abhängig davon das Emissionsverhalten, sie also eine Umschaltlogik schlüssig vorträgt, hat die Klagepartei hierfür jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte aufgezeigt.
29
(a) Ein Rückruf betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug wurde vom KBA nicht angeordnet, wobei selbst ein verpflichtender Rückruf noch nicht für die Annahme einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik ausreichen würde (BGH, Urt. v. 21.04.2022, VII ZR 70/21), wie die Berufung zutreffend ausgeführt hat. Konkrete Anhaltspunkte für deren Vorhandensein im streitgegenständlichen Fahrzeug sind dem klägerischen Vortrag darüber hinaus nicht zu entnehmen.
30
(b) Soweit Ergebnisse der Testung des streitgegenständlichen Motortyps im Rahmen des „Untersuchungsberichts Volkswagen“ angeführt werden, die ergeben hätten, dass der zulässige NOx-Grenzwert im realen Fahrbetrieb um den Faktor 3,5 überschritten worden sei, ist darauf zu verweisen, dass Überschreitungen der gesetzlichen Grenzwerte auf der Straße auch mit anderen, gegebenenfalls unzulässigen Abschalteinrichtungen, wie etwa einem vorhandenen, auf den Prüfstand zugeschnittenem Thermofenster erklärbar wären. Aufgrund entsprechender Diskrepanzen kann daher nicht auf das Vorhandensein einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung im klägerischen Fahrzeug geschlossen werden.
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(c) Den bereits in der Replik vorgelegten Presseartikeln im M M vom 15.10.2018 sowie der S Zeitung vom 16.10.2018 ist zudem weder zu entnehmen, dass sich die genannte Razzia auf eine bedatete Prüfstanderkennung mit Umschaltlogik in Fahrzeugen der Beklagten bezogen hätte noch dass hiervon das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen wäre. Es ist lediglich allgemein die Rede von Betrugsverdacht bei Dieselfahrzeugen. Ferner ist die Rede von drei Fahrzeugmodellen, wegen denen das Bundesverkehrsministerium eine amtliche Anhörung gegen Opel angeordnet habe. Kommt es danach ersichtlich auf weitere bestimmte Merkmale einzelner Fahrzeuge an, d.h. etwa auf den Motorkennbuchstaben, die Leistung und den Produktionszeitraum, genügt eine offensichtliche Entwicklungsnähe nicht, wie zwischenzeitlich höchstrichterlich bestätigt, um auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug eines Klägers schließen zu können (vgl. BGH, Urt. V. 23. Juni 2022. VII ZR 442/21 zu Audi 3 I). Um so weniger kann allein von einem ganzen Motortyp auf ein bestimmtes Fahrzeug sogar eines anderen Motortyps geschlossen werden.
32
Aus den genannten Gründen fehlt daher gleichfalls Vortrag konkreter Anhaltspunkte für das klägerseits behauptete Vorhandensein einer Prüfstanderkennungssoftware, die 1.180 Sekunden nach dem Motorstart in einen anderen (schmutzigeren) Betriebsmodus schalten würde.
33
(4) Sollten das sog. Thermofenster und die weiteren Parameter) – als andere, unterstellt verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren sein, hat das Landgericht weiter zutreffend darauf abgestellt, dass die Annahme von Sittenwidrigkeit hier zusätzlicher Umstände bedarf.
34
(a) So hat der BGH erst kürzlich bekräftigt, dass das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil sie einen Motortyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Leitsatz BGH, Urt. v. 16.09.2021 – VII ZR 190/20, ebenfalls zum Motor OM651).
35
Bezüglich der weiteren Parameter – Umgebungsdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) – kann daher zugunsten der Klagepartei an dieser Stelle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gleichfalls unterstellt werden, dass diese Funktion als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 II S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Auch insoweit ist der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Dazu bedarf es vielmehr auch hier weiterer Umstände. (BGH v. 13.10.2021 VII ZR 179/21, Rz. 22 ff, ebenfalls zum Motor OM651).
36
Aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen weiter nach höchstrichterlicher Rspr. noch keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Beklagte tätige Personen im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte dabei – erforderliche – Angaben zu Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 I S. 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, ergeben sich damit nicht (BGH, Urt. vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rz 26 ff.).
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Gleiches gilt für eine etwaig unterbliebene Offenlegung der genauen Wirkungsweise der – unterstellt unzulässigen – weiteren Parameter.
38
(b) Welche Anhaltspunkte die Klagepartei für das Vorliegen des erforderlichen Unrechtsbewusstseins der für die Beklagte tätigen Personen angeführt haben will, ist der Berufung nicht zu entnehmen. Solche sind auch nicht ersichtlich.
39
Der BGH hat insoweit auf einen Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen verwiesen, nach dem Thermofenster von allen Autoherstellern eingesetzt und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet würden; insoweit sei ein Verstoß betreffend die Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 II S. 2 a VO (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016). Eine u.U. nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genüge aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht (BGH, Urt. v. 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rz 31 ff.). Eine derartige unsichere Rechtslage, die auch in Bezug auf die weiteren Parameter bestand, die nach Angaben der Beklagten bei praktisch jedem Emissionskontrollsystem technisch bedingt herangezogen werden, ist danach bei Abstellen auf die aktuelle höchstrichterliche Rspr. gegeben.
40
Es kann auch nicht einfach unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten im Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn für die Vertretbarkeit der Gesetzesauslegung kommt es auf die Umstände zur Zeit des Inverkehrbringens des Fahrzeugs an (so OLG Koblenz, Entscheidung vom 28.12.2020 – 12 U 318/20, nicht beanstandet im Hinweisbeschluss des BGH vom 13. Oktober 2021, Gz: VII ZR 50/21, dort Rz. 7). Dass die Beklagte, wie die Klagepartei mutmaßt, über eine hochqualifizierte Rechtsabteilung verfügt habe, genügt für einen Rückschluss auf ein deswegen vorhandenes Unrechtsbewusstsein nicht. Denn dass die relevanten Umstände bereits damals eventuell erkennbar waren und die Beklagte sie vielleicht kennen hätte können oder müssen, würde für die Feststellung von Vorsatz nicht ausreichen, sondern nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigen (BGH, Urt. v. 06.11.2015 – VI ZR 78/14, Rz. 25).
41
2. Eine Haftung der Beklagten folgt hier nach höchstrichterlicher Rspr. auch nicht aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB.
42
Für eine Haftung wegen Betruges fehlt es bei dem vorliegenden Gebrauchtwagenkauf von einem Dritten schon an der erforderlichen Stoffgleichheit des etwaig erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils seitens der Beklagten mit dem Vermögensschaden der Klagepartei (vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20).
43
3. Nach jüngst ergangener höchstrichterlicher Rspr. (vgl. insb. BGH, Urt. v. 26.06.2023 – Via ZR 335/21) haftet die Beklagte schließlich auch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV nicht auf (Rück-)Abwicklung des (mit einem Dritten geschlossenen) Kaufvertrags, d.h. den sog. großer Schadensersatz, wie von der Klagepartei primär beansprucht.
44
4. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte – wie nunmehr hilfsweise geltend gemacht (Schriftsatz vom 06.12.2023) – aber grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Höhe des ausgeurteilten Betrages zu.
45
Der BGH hat mit Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 – entschieden, dass dem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf den Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen kann. Dieser Anspruch knüpft an die Pflicht des Fahrzeugherstellers an, eine zutreffende Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen. Das unionsrechtlich geschützte Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, ist von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV geschützt.
46
Die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs liegen dem Grunde nach hier vor:
47
a. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße i.S.d. Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064).
48
Aufgrund der Vorgaben des EuGH auf Gewährung eines effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzes im Falle des enttäuschten Käufervertrauens ist eine unionsrechtliche Lesart des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV geboten. Der Wortlaut dieser Normen steht einem unionsrechtlich fundierten Verständnis als Schutzgesetze, deren sachlicher Schutzbereich den Differenzschaden bei Abschluss des Kaufvertrags umfasst, nicht entgegen. Ein Schutzgesetz kann jede Norm des objektiven Rechts sein, sofern darin nur ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausgesprochen wird (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 32, 43).
49
b. Die Beklagte hat als Herstellerin des Fahrzeugs in Bezug auf das verbaute parametergesteuerte Emissionskontrollsystem (Thermofenster, Umgebungsluftdruck, Motorendrehzahl) eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt und damit gegen die Schutzgesetze § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen.
50
Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist (BGH, a.a.O., juris Rn. 34), weil die Bescheinigung dann dessen tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung kommt es nicht an, weil sich die Tatbestandswirkung deren verfügenden Teils nicht über eine seitens der Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus erstrecken kann. Die Übereinstimmungsbescheinigung weist hingegen gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH (Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweist nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 34; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 26 f.).
51
(1) Bei dem im klägerischen Fahrzeug verbauten Thermofenster handelt es sich um eine Abschalteinrichtung.
52
Der Begriff der Abschalteinrichtung ist in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 definiert: Eine „Abschalteinrichtung“ ist danach ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Der Begriff „normaler Fahrbetrieb“ verweist vielmehr auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris zum früheren Zulassungstest NEDC). Eine Grenzwertkausalität ist dabei nicht von Bedeutung (BGH, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 374/22, juris).
53
Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig wenn nicht nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007 ausnahmsweise die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Grundsätzlich trifft dabei die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung die Klagepartei als Anspruchstellerin (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 53).
54
Dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Thermofenster vorhanden ist, hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt. Zu dessen Bedatung hat sie bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass eine Deaktivierung erst unterhalb von – 10°C und oberhalb von 40 °C stattfinde. Nach Angaben der Klagepartei in erster Instanz bewirke das Thermofenster, dass die Abgasreinigung unterhalb von 17°C verringert werde. In der Berufungsbegründung wird ergänzend vorgetragen, dass das AGR-System auch oberhalb von 30°C nicht unwesentlich heruntergefahren werde und später abgeschaltet werde. Auch nach erstinstanzlichem Vortrag der Beklagten wird die AGR-Rate von der tiefsten Temperatur (-10°C) stufenweise erhöht, bis ab 17 °C der minimale Sauerstoffanteil und dementsprechend die maximal in der Brennkammer des Motors rückführbare Abgasmenge erreicht werde. Deaktiviert werde die AGR des streitgegenständlichen Motorsystems wiederum erst oberhalb von 40 °C. Nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien ist daher vorliegend von einem Thermofenster auszugehen ist, bei welchem die Abgasrückführung ab 17 °C reduziert wird und bei -10°C eine Abschaltung erfolgt. Soweit in der Berufungsbegründung nunmehr erstmals – von der Beklagten bestritten und mangels näherer Begründung gemäß § 520 Abs. 3 Ziff. 4 ZPO daher jedenfalls verspätet – lediglich allgemein ausgeführt wird, dass eine Abgasrückführung, die unterhalb von 5 Grad Celsius komplett abgeschaltet werde, nicht mehr als zulässig angesehen werden könne, ist bereits nicht ersichtlich, dass sich dieser Vortrag (auch) auf das streitgegenständliche Fahrzeug bezieht.
55
Außentemperaturen von + 17°C, ab denen die AGR bereits reduziert wird, stellen im Unionsgebiet durchaus übliche Fahrbedingungen dar. Auf die Jahresdurchschnittstemperatur im gesamten Unionsgebiet kommt es insoweit nicht an, da sich die normalen Fahrbedingungen nicht im Wege einer Mittelung der Temperaturen zwischen Nord- und Südeuropa abbilden lassen. Ein Thermofenster mit einer solchen Bedatung beeinträchtigt daher die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist also eine Abschalteinrichtung.
56
(2) Dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung in Abhängigkeit von weiteren Parametern, nämlich der Drehzahl des Motors sowie des Umgebungsluftdrucks verringert wird, hat die Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht in Abrede gestellt.
57
Zu der von der Klagepartei behaupteten Reduzierung der AGR ab einem Umgebungsluftdruck unterhalb von 91,5 kPa hat sich die Beklagte weder erstinstanzlich noch in der Berufung verhalten, so dass die Angaben der Klagepartei mangels Bestreitens insoweit zugrunde zu legen sind (§ 138 Abs. 3 ZPO). Nach nicht bestrittenen Angaben der Klagepartei unter Verweis auf ein Gutachten von Prof. ... (Anl. K 6) stellt ein Umgebungsluftdruck von 915 hPA normale Betriebsbedingungen im Unionsgebiet dar, so dass eine derartige Funktionalität, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, reduziert, eine Abschalteinrichtung darstellt.
58
Bezüglich der Drehzahlabhängigkeit hat die Beklagte zwar erstinstanzlich bestritten, dass die AGR bei einer Motordrehzahl oberhalb von 2.750 U/min in seiner Wirkungsweise verringert wird, wie klägerseits behauptet, und vorgetragen, dass die AGR bis zur maximalen Drehzahl nach Betriebspunkt, also Drehzahl und Last, dynamisch angepasst werde. Weiter hat sie ausgeführt, es erfolge gerade keine Abschaltung anhand einer fixierten Drehzahl, sondern eine variable Ausgestaltung anhand technischer und physikalischer Erfordernisse. Dass die AGR oberhalb von 2.750 U/min abgeschaltet wird, hat die Klagepartei indes nicht behauptet. Auch nach Vortrag der Beklagten erfolgt mithin eine dynamische Anpassung der AGR u.a. anhand der Drehzahl. Wie die Dynamisierung im Einzelnen erfolgt bzw. ab welcher Drehzahl dies der Fall ist, hat die Beklagte indes nicht vorgetragen. Mit einem solchen Vortrag bleibt daher offen, ob die Anpassung der AGR anhand der Drehzahl den im Unionsgebiet üblichen Fahrbedingungen entspricht. Die Klagepartei hat insoweit unter Verweis auf ein Gutachten von Prof. ... (Anl. K 6) vorgetragen, dass Umdrehungen jenseits einer Motordrehzahl von 2.400 U/min normale Betriebsbedingungen im Unionsgebiet darstellten, sodass eine derartige Funktionalität, die die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, reduziert, eine Abschalteinrichtung darstelle. Für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung reicht auch bereits aus, wenn die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit von bestimmten Parametern verändert und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs verringert wird. Um das klägerische Vorbringen zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung insoweit wirksam zu bestreiten, hätte die Beklagte, die als Fahrzeug- und Motorherstellerin im Gegensatz zur Klagepartei über das entsprechende Fachwissen verfügt, die aus ihrer Sicht zutreffende konkrete Bedatung der Steuerungssoftware bezüglich der Motordrehzahl vortragen müssen, was sie indes nicht getan hat. Es fehlt daher bereits an einem substantiierten Bestreiten.
59
(3) Die genannten Abschalteinrichtungen – Thermofenster sowie zwei weitere Parameter (Drehzahlabhängigkeit und Umgebungsluftdruck) – sind auch unzulässig gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007.
60
Eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Verwendung der Abschalteinrichtung ist nicht gegeben, insbesondere nicht nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, wonach die Verwendung zulässig ist, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
61
a. Der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a VO (EG) Nr. 715/2007 setzt kumulativ (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, juris, Rn. 62; VG Schleswig, Urteil vom 20.02.2023 – 3 A 113/18, juris, Rn. 310) voraus, dass eine Notwendigkeit der Einrichtung zum Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall besteht und dass dies zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich ist.
62
Die Begriffe „Unfall“ und „Beschädigung“ in diesem Sinn sind dahin auszulegen, dass eine die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringernde Abschalteinrichtung, um nach dieser Bestimmung zulässig zu sein, notwendig sein muss, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen, was voraussetzt, dass unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall bestehen, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20, juris, Rn. 59 ff.). Die bloße Verschmutzung und ein Verschleiß des Motors können daher nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ in diesem Sinn angesehen werden, da sie im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20, Rn. 65 und vom 17.12.2020 – C-693/18, Rn. 110 sowie VG Schleswig, Urteil vom 20.02.2023 – 3 A 113/18, Rn. 302, jeweils juris). Auch der Begriff „Motor“ ist eng auszulegen. AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter sind vom Motor im Sinn dieses Ausnahmetatbestandes getrennte Bauteile (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20, Rn. 63; VG Schleswig, Urteil vom 20.02.2023 – 3 A 113/18, Rn. 300, jeweils juris).
63
Notwendig im Sinn dieses Ausnahmetatbestandes ist eine Abschalteinrichtung zum Motorschutz zudem nur dann, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung zur Verfügung gestanden hatte, um unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall abzuwenden, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20, Rn. 80 und Urteil vom 14.07.2022, C-134/20, Rn. 81, jeweils juris). Mit der alternativen Technik einhergehende Mehrkosten für den Hersteller fallen dabei nicht ins Gewicht (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-145/20 Rn. 77, 78 und Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, Rn. 66, 67, jeweils juris). Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet wäre, ist daher nicht notwendig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a VO (EG) Nr. 715/2007 (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, juris, Rn. 65 f.).
64
b. Nach diesen Maßstäben hat die hierfür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung schon nicht ausreichend dargelegt.
65
Die Beklagte hat auf die hiesigen Hinweise vom 19.11.2023 allgemein vorgetragen, dass die Verwendung des hier in Rede stehenden parametergesteuerten Emissionskontrollsystems im maßgeblichen Entwickungszeitraum branchenüblich gewesen sei. Erstinstanzlich hat die Beklagte ausweislich der Feststellungen im landgerichtlichen Urteil lediglich pauschal ausgeführt, dass die Verringerung der AGR in Abhängigkeit von der Außentemperatur, der Drehzahl des Motors und des Umgebungsluftdrucks die Funktionsfähigkeit des Emissionskontrollsystems sichere, den Motor vor Beschädigung schütze und den sicheren Fahrbetrieb gewährleiste. Welche Gefahr ab welchen Außentemperaturen, welcher Drehzahl und welchem Umgebungsluftdruck konkret besteht, so dass deshalb eine Reduzierung der Abgasrückführung zu erfolgen hat, hat die Beklagte jedoch nicht dargelegt. Es fehlt insoweit an der Darlegung einer Kausalkette für hieraus entstehende unmittelbare Risiken für den Motor, die beim Fahren eine konkrete Gefahr hervorrufen und, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der EG-Typgenehmigung keine andere technische Lösung zur Verfügung gestanden hätte, um dies zu verhindern.
66
Damit ist schon nach dem Vortrag der Beklagten eine der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfüllt.
67
c. Die Erteilung der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ist zumindest fahrlässig und damit schuldhaft erfolgt. Die mit dem Schutzgesetzverstoß einhergehende Verschuldensvermutung hat die Beklagte nicht widerlegt und einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht dargelegt. Auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich nicht berufen.
68
Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.
69
Nach den allgemeinen Beweisregeln trifft den Anspruchsteller für das Verschulden die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH, a.a.O., juris Rn. 59). Weil das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (BGH, a.a.O., juris Rn. 61).
70
Verweist der Fahrzeughersteller weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf einen externen qualifizierten Rechtsrat, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkrete Abschalteinrichtung eine nicht in seinem Sinne geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Gleiches gilt, wenn er sich erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, er also schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste.
71
Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den Angaben des KBA rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 25.09.2023, Via ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 70).
72
Vor diesem Hintergrund ist der Beklagten nicht gelungen, den Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung zu widerlegen.
73
Die Beklagte trägt vor, die Verwendung von parametergesteuerten Emissionskontrollsystemen sei bei Herstellung des Fahrzeugs branchenüblich gewesen. Die seinerzeitige Auslegung und Anwendung der relevanten Vorschriften des europäischen Typgenehmigungsrechts durch die Beklagte habe der Auffassung des KBA wie auch des TÜV ... entsprochen. Die Typgenehmigungsbehörde habe Kenntnis von der Funktionsweise und des Emissionsverhaltens aller relevanter OPEL-Baureihen der Emissionsklasse 5 gehabt, diese jedoch bis heute nicht beanstandet Opel-Motoren der Baureihe A 20, EU 5, wie im vorliegenden Fall, seien im Rahmen der Untersuchungskommission Volkswagen eingehend auf das Vorhandensein unzulässiger bzw. aus Gründen des Motorschutzes zulässiger Abschalteinrichtungen untersucht worden. Dem getesteten Motor sei ein unauffälliges Verhalten attestiert worden bzw. die dargestellte Rechtfertigung als „technisch plausibel und akzeptabel“ befunden worden. Damit trägt sie zu einem Irrtum vor, denn tatsächlich war die Verwendung jedenfalls des nach Angaben der Klagepartei verbauten Thermofensters sowie der weiteren Parameter unzulässig. Entlastend wirkt ein solcher Irrtum nur, wenn es sich um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt hat (BGH, a.a.O., juris Rn. 63).
74
aa) Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen (BGH, a.a.O.).
75
Hinsichtlich des Verbotsirrtums muss der Fahrzeughersteller zunächst darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23, juris Rn. 14).
76
Die Unvermeidbarkeit des konkret dargelegten und im Falle des Bestreitens des Geschädigten nachgewiesenen Verbotsirrtums kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung beweisen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Gelingt der Nachweis auf diesem Wege nicht, kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung zum anderen darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Eine Entlastung allein mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass jedes Kraftfahrzeug mit einem Dieselmotor mit einer Abgasrückführung über ein Thermofenster verfügt, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, a.a.O., juris Rn. 64 ff.).
77
bb) Nach diesen Maßstäben kann sich die Beklagte vorliegend nicht entlasten, da sie den Verbotsirrtum im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Klagepartei nicht ausreichend konkret dargelegt hat.
78
Sie hat insbesondere nicht, wie von der höchstrichterlichen Rspr. gefordert, zunächst im Einzelnen konkret dargelegt, welche verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten sich über die Rechtmäßigkeit der nachweislich verbauten Abschalteinrichtungen mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum befunden haben sollen, sondern lediglich allgemein vorgetragen, dass im Jahr 2010 vom seinerzeitigen Vorstand ein Compliance-Team u.a. zur Überwachung und Befolgung rechtlicher und technischer Anforderungen an die Fahrzeuge ins Leben gerufen worden sei, das sich mindestens einmal im Monat getroffen habe. Mitglieder des Teams seien verschiedene Abgesandte des Vorstands, insbesondere Vertreter aus den Regulierungs-, Umwelt-, Tygenehmigungs- und Entwicklungsabteilung gewesen. Die Abteilungen hätten einem Vice President berichtet, der wiederum einem für technische Compliance zuständigen Vorstandsmitglied direkt berichtet habe. Dieser pauschale Vortrag genügt schon deshalb nicht, weil hieraus schon nicht ersichtlich ist, welche Personen in welcher Position sich geirrt haben sollen. Auch kann nicht sicher beurteilt werden, ob es sich bei den Ausstellenden um verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB handelte.
79
Erst im Anschluss an die Darlegung und ggfs. den Nachweis dieser Umstände ist jedoch nach der Rspr. des BGH zu prüfen, ob eine festgestellte Abschalteinrichtung in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2997 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt war oder genehmigt worden wäre (BGH, Urteil vom 25.09.2023 – Via ZR 1/23).
80
Eine zu vermutende jedenfalls vorliegende Fahrlässigkeit hat die Beklagte damit nicht widerlegt Auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum und eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich aus den dargelegten Gründen nicht berufen.
81
d. Die Klagepartei hätte zur Überzeugung des Gerichts das Fahrzeug auch nicht erworben, wenn sie von der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung Kenntnis gehabt hätte.
82
Der Käufer eines zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassenen oder zulassungsfähigen Fahrzeugs wird regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, d.h. nach § 6 Abs. 3 S. 1 FZV auch die Übereinstimmungsbescheinigung, vorliegen und dass wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV drohen. Er geht auch ohne Kenntnisnahme der Übereinstimmungsbescheinigung typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urt. v. 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259). Bereits aufgrund eines Erfahrungssatzes kann ausgeschlossen werden, dass ein Käufer ein Fahrzeug, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, zu dem vereinbarten Kaufpreis erwirbt (BGH, Urt. v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962; BGH, Urt. v. 26.06.2023, Via ZR 335/21, NJW 2023, 2259).
83
Diesen Erfahrungssatz hat die Beklagte nicht erschüttert. Der lediglich pauschale Vortrag der Beklagten, dass im Dezember 2019 längst öffentlich bekannt gewesen sei, dass praktisch in jedem EU5-Dieselfahrzeug ein Emissionskontrollsystem verbaut war, welches abhängig von der Umgebungstemperatur gesteuert wurde, genügt hierfür nicht.
84
e. Mithin hat die Beklagte nach §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV der Klagepartei ihren Differenzschaden zu erstatten, der sich hier auf 1.450,- € beläuft.
85
(1) Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Der Schaden der Klagepartei liegt daher in dem Betrag, um den sie ihr Fahrzeug wegen der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Die mit dem Verbau einer solchen einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt dessen objektiven Wert im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition, d.h. bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liegt (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 41). Der Bundesgerichtshof hat seine diesbezügliche Rechtsprechung zwischenzeitlich vielfach als mit dem Schadensrecht in Einklang stehend bestätigt. Anlass, davon abzugehen, oder ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, hat er nicht gesehen (u.a. Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1199/22, juris Rdnr. 11; Urteil vom 25.09.2023, Via ZR 1277/22, juris Rdnr. 11; Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1537/22, juris Rdnr. 11, Urteil vom 16.10.2023, Via ZR 37/21, juris Rdnr. 16, 18; BGH, Urteil vom 16.10.2023, VIa ZR 1139/22, juris Rdnr. 10, 13).
86
(2) Bezüglich des Differenzschadens hat der Bundesgerichtshof Vorgaben des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) für die Anwendung des nationalen Rechts in Bezug auf die Unter- und Obergrenze des nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu gewährenden Schadensersatzes gesehen, die das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzen. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind dabei u.a. die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände, das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls. Das Gericht hat nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden, wie hoch sich der Schaden, falls streitig, innerhalb des vorgegebenen Schätzrahmens beläuft. Dabei bleibt es den Parteien unbenommen, Anknüpfungstatsachen für die Bemessung vorzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 73 ff.).
87
Das Gericht legt seiner Entscheidung hier einen Differenzschaden in Höhe von 10 % des Kaufpreises, mithin 1.450,- €, zugrunde. Bei Vertragsschluss wies die Motorsteuerungssoftware ein parametergesteuertes Emissionskontrollsystem in Form eines Thermofensters sowie Drehzahl- und Umgebungsluftdruck abhängiger Parameter auf, die zu eng bedatet waren (s.o.). Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 47, 70) und der daran anschließenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 06.02.2023, VIa ZR 419/21, NJW-RR 2023, 802, juris Rdnr. 13), war dabei das Risiko behördlicher Auflagen nicht fernliegend, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung durch das KBA nicht zu erwarten war, d.h. dieses der Beklagten absehbar zunächst ermöglicht hätte, die Manipulation der Abgasbehandlung zu beseitigen. Der Pflichtenverstoß der Beklagten durch Implementierung des näher bezeichneten parametergesteuerten Emissionskontrollsystems, dessen Unzulässigkeit sich – wie die bisherige Sachbehandlung des KBA die Parameter betreffend zeigt – nicht unmittelbar aufdrängen musste, als auch der Grad ihrer Fahrlässigkeit bewegen sich zudem allenfalls im durchschnittlichen Bereich. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Ziele, die mit der VO (EG) Nr. 715/2007 erreicht werden sollen, nämlich die Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte (z.B. Grund 6 der VO (EG) Nr. 715/2007). Auch wenn lediglich auf den Verbau eines zu eng bedateten Thermofensters im klägerischen Fahrzeug abgestellt würde, würde dies an der Schätzung nichts ändern, da sich das Risiko behördlicher Auflagen hierdurch nicht erhöht hätte und der Pflichtenverstoß nicht gravierender wäre.
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(3) Nutzungsvorteile und Restwert sind nicht vorteilsausgleichend zu berücksichtigen, weil sie in der Summe den Kaufpreis abzüglich des Differenzschadens nicht übersteigen.
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Nutzungsvorteile und Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Die Vorteilausgleichung kann der Gewährung eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB sogar gänzlich entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Via ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 22).
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Die Voraussetzungen für eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände hat der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Via ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Die Bemessung der Höhe der anzurechnenden Vorteile ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris NJW 2023, 3010, Rdnr. 12).
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a. Der Nutzungsvorteil aus dem Gebrauch des Fahrzeugs beträgt 1.815,- €.
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Das Gericht schätzt den Nutzungsvorteil gemäß § 287 ZPO grundsätzlich unter Zugrundelegung der linearen Formel „Kaufpreis multipliziert mit der seit Erwerb gefahrenen Strecke geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 24.01.2022, Via ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 24). Zudem legt es bei Bezugnahme auf die Ausführungen des OLG Naumburg (Urt. v. 9.4.2021 – 8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880 Rn. 35, beck-online) regelmäßig eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens ist insoweit entbehrlich. Der Bundesgerichtshof hat Laufleistungen zwischen 200.000 km und 300.000 km für angemessen erachtet. Zudem bewegt sich das Gericht mit seiner Bemessung innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung (vgl. Übersicht bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Rdnr. 3574).
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Ein Anlass für eine abweichende Schätzung besteht vorliegend nicht. Der Umstand, dass die Klagepartei ausweislich der festgestellten aktuellen Laufleistung eine unterdurchschnittliche jährliche Kilometerleistung gefahren ist, führt zu keiner anderen Bemessung. Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die minimal oder maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung ab, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 82, Urteil vom 27.04.2021, Az.: VI ZR 812/20, Rdnr. 15 ff., vom 18.05.2021 – VI ZR 720/20, Rdnr. 13, Beschluss vom 21.07.2021, Az.: VII ZR 56/21, Rdnr. 1).
94
Die Nutzungsvorteile sind nach der höchstrichterlich anerkannten Formel wie folgt zu berechnen:
14.518,- € (Kaufpreis) × 29.309 km (44.880 km – 15.571 km = gefahrene km ab Erwerb) 234.429 km (250.000 km – 15.571 km = erwartete Restlaufleistung im Zeitpunkt des Erwerbs)
95
b. Als Restwert legt der Senat 6.600,- € zugrunde.
96
Der Senat betrachtet den Restwert des Fahrzeugs als einen Vorteil, der sich nicht unmittelbar aus dem schädigenden Ereignis ergibt, sondern auf einen zusätzlichen, vielleicht gar zeitlich versetzt hinzutretenden Umstand zurückzuführen ist, weshalb zum Beispiel die Entwicklung auf dem Gebrauchtwagenmarkt Eingang finden muss.
97
Im Übrigen kann für die Restwertbemessung, worauf bereits hingewiesen wurde, auf Angaben etwa der DAT zurückgegriffen werden, deren Gebrauchtwagen-Wertermittlung auf der Basis von Händler-Verkaufserlösmeldungen unter Berücksichtigung von Serien- und Sonderausstattungen sowie Ausstattungspaketen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Fahrzeugzustands/Reparaturaufwands, erfolgt.
98
Die Klagepartei hat zuletzt einen Auszug aus einer erholten DAT-Anfrage vom 04.11.2023 (Schriftsatz vom 06.12.2023, S. 3) für das streitgegenständliche Fahrzeug vorlegt (Anl. BK 4), aus der sich ein Restwert von 7.407,- € ergeben soll. Die Beklagte hat diesen Restwert bestritten, da aus der vorgelegten Anfrage der Klagepartei die eingegebenen Parameter nicht erkennbar seien.
99
Die Beklagte hat ihrerseits vorgetragen, dass der Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei Zugrundelegung einer Laufleistung von 41.251 km und einer EZ 4/2014 ausweislich des gerichtlich anerkannten Fahrzeugbewertungsportals mindestens 7.900,- € betrage und hat zum Beleg eine Anfrage bei DAT als Anl. B-7 vorgelegt. Sie macht ferner lediglich pauschal geltend, dass hierauf ein Aufschlag von 30 % für die Ausstattung des Fahrzeugs zu machen sei, und ist so rechnerisch zu einem Restwert von rund 10.270,- € gelangt, ohne jedoch näher zu begründen, welche Ausstattung sie dabei werterhöhend berücksichtigt hat. Ferner hat sie Anzeigen auf mobile.de sowie des ADAC vorgelegt (Anl. B – 8).
100
Das Gericht hat den Vortrag der Parteien anhand einer eigenen FIN-basierten Abfrage auf www.dat.de unter Zugrundelegung des aktuellen Kilometerstandes plausibilisiert und hat bei seiner Recherche für vergleichbare Fahrzeuge Händler-Verkaufswerte zwischen 6.789,- € und 7.923,- € bzw. Händlereinkaufswerte zwischen 5.385,- € und 6.433,- € festgestellt. In der Gesamtschau, d.h. einem Abgleich der Händlerverkaufswerte sowie der Händlereinkaufswerte ist nach Auffassung des Gerichts davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Veräußerung des Fahrzeugs im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Sinne des § 287 Abs. 1 ZPO bei einem durchschnittlichen Verhandlungsgeschick wahrscheinlich 6.600,- € erzielen kann.
101
c. Hiernach ergibt sich folgende Berechnung:
14.518,- € (Kaufpreis brutto)
- 1.450,- (10 % Differenzschaden)
= 13.068,- € (obj. Verkehrswert)
1.815,- € (Nutzungsvorteil)
102
Die Vorteile übersteigen mithin nicht den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Erwerb, so dass sich die Klagepartei diese nicht anrechnen lassen muss.
103
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 261 Abs. 1 ZPO. Die Klagepartei kann Zinsen ab Rechtshängigkeit verlangen. Rechtshängigkeit in diesem Sinne ist die Zustellung der ursprünglichen Klage, die hier ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 29.11.2021 erfolgt ist.
104
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO.
105
Die Klagepartei hat sowohl in erster Instanz als auch mit ihrer Berufung in der Hauptsache Zahlung von 14.518,- € abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung beantragt, die sie sich ausweislich des angegebenen Berufungsstreitwerts von 13.935,77 € ersichtlich in Höhe von 583,- € anrechnen lassen will. Demgegenüber hätten ihr nur die jetzt zugesprochenen 1.450,- € zugestanden. Dies entspricht einer Quote von ca. 10 % zu 90 % zu ihren Lasten.
106
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
107
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwerts ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, in der ersten Instanz also der Klageantrag, in der Berufungsinstanz die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene wertreduzierende Antragsänderungen (z.B. teilweise Berufungsrücknahme, teilweise Klagerücknahme, teilweise Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016, 15 U 2407/16, NJW-RR 2017, 700, juris Rdnr. 16).
108
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beantworten. Im Übrigen handelt es sich um einzelfallbezogene, tatrichterliche Würdigungen.