Inhalt

VG München, Beschluss v. 15.01.2024 – M 5 S 23.5783
Titel:

Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entlassung eines Polizeibeamten auf Probe

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BeamtStG § 10 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 34
LlbG Art. 12 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine Entlassung eines Beamten auf Probe wegen mangelnder Bewährung ist sachlich bereits dann gerechtfertigt, wenn sich während der Probezeit Zweifel an der persönlichen oder fachlichen Eignung des Beamten ergeben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine mangelnde Bewährung liegt nicht erst dann vor, wenn endgültig die fehlende Eignung, Befähigung oder fachliche Leistung erwiesen ist, sondern schon dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Beamte den an ihn zu stellenden Anforderungen persönlich oder fachlich gewachsen sein wird. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Unschuldsvermutung schützt den Beschuldigten nur vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafzumessung vorausgegangen ist, nicht jedoch vor Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben. Die Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Beamten auf Probe im Rahmen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BeamtStG hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Sicherung der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Abmahnung ist allenfalls dann erforderlich, wenn die Mängel grundsätzlich behebbar erscheinen, z.B. bei Leistungsmängeln oder bei nicht „selbsterklärenden Pflichten“. Bei charakterlichen Eignungsmängeln ist mit einer Änderung nicht ernsthaft zu rechnen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
1.  Eine Entlassung eines Beamten auf Probe wegen mangelnder Bewährung ist sachlich bereits dann gerechtfertigt, wenn sich während der Probezeit Zweifel an der persönlichen oder fachlichen Eignung des Beamten ergeben. (redaktioneller Leitsatz)
2.  Eine mangelnde Bewährung liegt nicht erst dann vor, wenn endgültig die fehlende Eignung, Befähigung oder fachliche Leistung erwiesen ist, sondern schon dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Beamte den an ihn zu stellenden Anforderungen persönlich oder fachlich gewachsen sein wird. (redaktioneller Leitsatz)
3.  Die Unschuldsvermutung schützt den Beschuldigten nur vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafzumessung vorausgegangen ist, nicht jedoch vor Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben. Die Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Beamten auf Probe im Rahmen des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BeamtStG hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Sicherung der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. (redaktioneller Leitsatz)
4.  Eine Abmahnung ist allenfalls dann erforderlich, wenn die Mängel grundsätzlich behebbar erscheinen, z.B. bei Leistungsmängeln oder bei nicht „selbsterklärenden Pflichten“. Bei charakterlichen Eignungsmängeln ist mit einer Änderung nicht ernsthaft zu rechnen. (Redaktionelle Leitsätze) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamter auf Probe, Entlassung, Charakterliche Nichteignung, Fortlaufender Umgang mit illegalen Drogen, Verurteilung, Nicht rechtskräftig, Ermittlungsverfahren, Besitz und Verbreitung kinderpornographischer Inhalte, Gewaltdarstellung
Fundstellen:
FDStrafR 2024, 001129
BeckRS 2024, 1129

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 9.151,87 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der 1999 geborene Antragsteller wurde mit Wirkung zum *. März 2019 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Polizeimeisteranwärter und mit Wirkung zum *. März 2020 in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen. Nach Beendigung der Ausbildung wurde er mit Wirkung zum *. September 2021 zum Polizeimeister (Besoldungsgruppe A 7) ernannt. Er ist bei der Bayerischen Bereitschaftspolizei in einer Einsatzhundertschaft tätig.
2
Am … Juni 2022 wurde gegenüber dem Antragsteller ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung angeordnet. Grund war der Verdacht auf Besitz bzw. Verbreitung kinderpornographischer Inhalte, weshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Zudem wurden auf seinem Smartphone zahlreiche Bilder und Videos gefunden, die die Darstellung der Herstellung von Joints bzw. den Konsum von Marihuana zum Inhalt hatten. Auch wegen dieses Sachverhalts wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet. Ebenso wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da Videos bzw. Darstellungen von Erschießungen von Menschen auf dem Smartphone des Antragstellers gefunden wurden. Am *. Juli 2022 wurde das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte schriftlich wiederholt und dem Antragsteller für die Dauer dieses Verbots Hausverbot für sämtliche Diensträume der Bayerischen Bereitschaftspolizei erteilt, außerdem wurde ihm untersagt, Dienstkleidung zu tragen und eine Dienstwaffe zu führen. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen wurde angeordnet. Diese Verfügungen wurden – soweit ersichtlich – bestandskräftig.
3
Wegen dieser Sachverhalte hörte das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei den Antragsteller mit Schreiben vom … Juli 2022 zu dessen beabsichtigter Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe an. Der Antragsteller ließ hierzu vortragen, dass die Bilder und Videos von Marihuanakonsum aus einer Zeit stammten, als der Kläger noch kein Polizeibeamter gewesen sei. Die übrigen Vorwürfe wurden bestritten. Es sei ausreichend, den Antragsteller vorübergehend vom Dienst zu suspendieren.
4
Das Ermittlungsverfahren wegen Gewaltdarstellung wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom *. August 2022 eingestellt, da die Tat bei der Vernehmung des Beschuldigten bereits verjährt gewesen sei.
5
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers wurden ein Blutentnahmeset sowie zwei Drogenschnelltests gefunden, die aus den Beständen einer Polizeidienststelle stammten, bei der der Beamte ein Praktikum absolviert hatte. Wegen dieses Sachverhalts wurde ebenfalls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
6
Mit Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 24. August 2023 (1 Cs 43 Js 8594/22, hinzuverbunden 1 Ds 11 Js 21478/21 und 1 Ds 40 Js 2528/23) wurde der Antragsteller wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in fünf jeweils selbständigen Fällen in Tatmehrheit mit Diebstahl zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 80 EUR verurteilt. In der Hauptverhandlung wurde das Verfahren wegen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte gemäß § 154 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) vorläufig eingestellt. Gegen dieses Urteil wurde Berufung eingelegt, über die – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
7
Der auf Antrag des Beamten beteiligte Personalrat stimmte der Entlassung des Antragstellers am … November 2023 zu.
8
Mit Bescheid vom … November 2023 wurde der Antragsteller mit Ablauf des … Dezember 2023 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Durch die verwirklichten Straftatbestände hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie den über einen langen Zeitraum fortlaufenden Umgang mit Cannabisprodukten, was sich an den zahlreichen auf seinem Smartphone gefundenen Bildern und Videos zeige, sei der Beamte charakterlich nicht als Polizeivollzugsbeamter geeignet. Auch durch die strafrechtlich geahndete Entwendung des Blutentnahmesets und der beiden Drogenschnelltests habe er sich als charakterlich ungeeignet gezeigt. Der Anfangsverdacht wegen Besitzes bzw. der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte sowie wegen Gewaltdarstellung unterstreiche das. Die Entlassung sei auch geeignet und erforderlich. Das besondere Vollzugsinteresse überwiege das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs.
9
Der Bescheid wurde der Antragstellerpartei am … November 2023 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Am … November 2023 wurde Widerspruch gegen den Bescheid vom … November 2023 erhoben, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
10
Der Antragsteller hat am *. Dezember 2023 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gestellt. Die vom Dienstherrn für die Entlassung angeführten Gründe bezögen sich zum größten Teil auf ein nicht rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren und ein nicht rechtskräftiges Amtsgerichtsurteil. Der Vorwurf der Kinderpornographie habe sich im Rahmen des Strafverfahrens gerade nicht bestätigt.
11
Der Antragsteller hat beantragt,
12
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … November 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom … November 2023 wird wiederhergestellt.
13
Das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei hat für den Antragsgegner beantragt,
14
den Antrag abzulehnen.
15
Beim Umgang mit Betäubungsmitteln handle es sich um eine Verhaltensweise, die über einen längeren Zeitraum vor Berufung in das Beamtenverhältnis gezeigt worden sei und sich danach fortgesetzt habe. Eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung sei für die Entlassung wegen charakterlicher Eignungszweifel nicht erforderlich. Die Einschätzung der charakterlichen Nichteignung beruhe nicht auf der Verurteilung durch das Amtsgericht Ingolstadt, sondern auf den Feststellungen des strafgerichtlichen Ermittlungsverfahrens. Der Vorwurf der Kinderpornographie runde den Sachverhalt insgesamt ab, stelle aber kein tragendes Element der Bewertung des Antragsgegners dar.
16
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
17
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Bestimmung stellt eine zentrale Norm der Verwaltungsrechtspflege dar, denn der Bürger hat nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) Anspruch auf eine tatsächlich wirksame Kontrolle der Verwaltung. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage aber nicht schlechthin. Die Behörde darf sie gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO durch Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, wenn dafür ein besonderes öffentliches Interesse besteht, das grundsätzlich über jenes Interesse hinauszugehen hat, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.
19
Dieses besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts ist nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen.
20
Die Begründung der Vollzugsanordnung in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids vom 10. November 2023 genügt diesem gesetzlichen Erfordernis. Sie ist nicht lediglich formelhaft, sondern lässt erkennen, dass die Behörde eine Einzelfallprüfung vorgenommen und die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abgewogen hat. Insbesondere hat die Behörde nicht nur einseitig auf die Interessenlage der öffentlichen Hand abgestellt, sondern auch die Interessen des Antragstellers berücksichtigt.
21
Über diese Feststellung hinaus bedarf es keiner weiteren Erörterung der von der Behörde genannten Gründe, da das Gericht nicht auf die Überprüfung dieser Gründe beschränkt ist, sondern im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unter Abwägung der öffentlichen Belange gegen den Rechtsanspruch des Einzelnen selbst zu beurteilen hat, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Soweit dabei die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs oder der Klage bereits absehbar sind, hat das Gericht sie zu berücksichtigen. Ergibt diese im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigerweise summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf oder die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, so scheidet, sofern ein öffentliches Interesse für den sofortigen Vollzug spricht, ein Vorrang der privaten Interessen von vornherein aus, da an der Aussetzung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts in der Regel kein überwiegendes privates Interesse bestehen kann (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.1982 – 19 AS 82 A.2049 – BayVBl 1983, 23).
22
Die Begründung, dem Dienstherrn sei nicht zuzumuten, dass ein Beamter, bei dem bereits aktuell feststehe, dass seine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht infrage komme, weiterhin im Beamtenverhältnis auf Probe verbleibe, bis ein eventuelles Rechtsmittelverfahren abgeschlossen sei, und für diesen Zeitraum weiterhin Bezüge erhalte, ist tragfähig, weil diese Argumentation der Behörde in Kombination mit dem sich anschließenden Argument zu sehen ist, der Verbleib im Beamtenverhältnis auf Probe würde verhindern, dass der Dienstherr die Planstelle an einen anderen, geeigneteren Bewerber vergeben könne; angesichts der begrenzten Zahl der Planstellen wäre dies ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Personalhoheit des Dienstherrn (BayVGH, B.v. 17.5.2017 – 3 CS 17.26 – juris Rn. 5 m.w.N.). Mit der Erwägung, es stehe bereits fest, dass eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nicht infrage komme, sodass eine vorübergehende Fortsetzung des Dienstverhältnisses für das weitere berufliche Fortkommen des Antragstellers nicht von Nutzen sei (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2017 a.a.O.), hat der Antragsgegner eine Interessenabwägung in seine Argumentation aufgenommen. Denn er hat ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der Interessen des Beamten sei es sinnvoll und notwendig, die Entlassung und die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu verfügen, um den Antragsteller über seine berufliche Zukunft nicht im Unklaren zu lassen. Dass diese Erwägungen in nahezu allen Fällen der Entlassung eines Probebeamten herangezogen werden können, ist unschädlich. Die Gründe, die die Entlassung des Probebeamten rechtfertigen, fordern zugleich auch deren Vollzug (vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 16.8.2017 – 3 CS 17.1342 – juris Rn. 3).
23
2. Die summarische Überprüfung der angefochtenen Entlassungsverfügung vom 10. November 2023 ergibt im vorliegenden Fall, dass keine durchgreifenden Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit bestehen.
24
Der Antragsgegner hat ohne Rechtsfehler die Entlassung auf § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er sich in der Probezeit hinsichtlich seiner Eignung, Befähigung oder fachlichen Leistung nicht bewährt hat.
25
Das Gericht hat im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unter Abwägung der öffentlichen Belange gegen den Rechtsanspruch des Einzelnen zu beurteilen, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Soweit dabei die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs oder der Klage bereits absehbar sind, hat das Gericht sie zu berücksichtigen. Ergibt diese im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigerweise summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf oder die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, so scheidet – sofern ein öffentliches Interesse für den sofortigen Vollzug spricht – ein Vorrang der privaten Interessen von vornherein aus, da an der Aussetzung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts in der Regel kein überwiegendes privates Interesse bestehen kann (Schmidt in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 89 ff.; vgl. BayVGH, B.v. 4.10.1982 – 19 AS 82 A.2049 – BayVBl 1983, 23).
26
a) Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids.
27
Dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen des Dienstherrn gegeben (Art. 28 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes/BayVwVfG). Soweit sich der Antragsgegner in seinem Bescheid zur Begründung der charakterlichen Nichteignung auch auf die Verurteilung wegen fünf Fällen unerlaubten Drogenbesitzes sowie den Vorwurf des Diebstahls eines Blutentnahmesets sowie von zwei Drogenschnelltests aus Beständen der Bayerischen Polizei beruft, so war dies nicht Gegenstand der Anhörung des Antragstellers zur beabsichtigten Entlassung mit Schreiben vom … Juli 2022. Der Antragsteller konnte jedoch im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wie auch im Widerspruchsverfahren umfassend auch zu diesem Umstand Stellung nehmen. Damit ist ein eventueller Anhörungsmangel geheilt (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG; vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 14.9.2022 – 3 CS 22.1637 – juris Rn. 3).
28
Der Personalrat, der auf Antrag des Beamten beteiligt wurde, hat der beabsichtigten Entlassung zugestimmt (Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 3, Art. 72 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes/BayPVG). Auch die Entlassungsfrist von sechs Wochen zum Kalendervierteljahr wurde beachtet (Art. 56 Abs. 5 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetzes/BayBeamtG).
29
b) Auch materiell ist gegen den streitgegenständlichen Bescheid rechtlich nichts zu erinnern.
30
aa) Die beamtenrechtliche Probezeit soll dem Beamten die Möglichkeit geben, während des gesamten Laufs der Probezeit seine Eignung und Befähigung zu beweisen. Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob sich der Beamte bewährt hat, ist ein Akt wertender Erkenntnis seines für die Beurteilung zuständigen Organs. Dabei genügen bereits begründete ernstliche Zweifel des Dienstherrn, ob der Beamte die Eignung und Befähigung besitzt und die fachlichen Leistungen erbringt, die für die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit notwendig sind, um eine Bewährung zu verneinen. Diese Entscheidung ist gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Begriff der mangelnden Bewährung und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde liegt und ob allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind (BVerwG, U.v. 18.7.2001 – 2 A 5/00 – ZBR 2002, 184). Eine Entlassung wegen mangelnder Bewährung ist sachlich bereits dann gerechtfertigt, wenn sich während der Probezeit Zweifel an der persönlichen oder fachlichen Eignung des Beamten ergeben (BVerwG, U.v. 29.9.1960 – II C 79.59 – BVerwGE 11, 139/140). Der Feststellung der Bewährung während der Probezeit kommt als Voraussetzung für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit der Charakter einer Prognose im Hinblick darauf zu, dass der Beamte aufgrund der während der Probezeit erbrachten Leistungen, seines während der Probezeit gezeigten Verhaltens oder sonstiger während der Probezeit bekannt gewordener Umstände voraussichtlich auf Dauer den an einen Beamten seiner Laufbahn zu stellenden persönlichen und fachlichen Anforderungen gewachsen sein wird. Eine mangelnde Bewährung liegt also nicht erst dann vor, wenn endgültig die fehlende Eignung, Befähigung oder fachliche Leistung erwiesen ist, sondern schon dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Beamte den an ihn zu stellenden Anforderungen persönlich oder fachlich gewachsen sein wird (Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: September 2023, § 23 BeamtStG Rn. 136 m.w.N.). Bei der Feststellung der Bewährung oder mangelnden Bewährung, die von den zahlreichen Anforderungen des konkreten Aufgabengebiets sowie von der Beurteilung der Persönlichkeit des Beamten abhängt, handelt es sich um einen Akt wertender Erkenntnis, um ein an den Anforderungen der konkreten Laufbahn auszurichtendes, persönlichkeitsbedingtes Werturteil.
31
Der Dienstherr verfügt insoweit über einen Beurteilungsspielraum, als die Einschätzung der persönlichen und charakterlichen Eignung ein personenbezogenes Werturteil voraussetzt (VG München, U.v. 6.7.2004 – M 5 K 03.3884 – juris Rn. 19). Das Gericht kann die Entscheidung des Dienstherrn daher nur daraufhin überprüfen, ob sie an Beurteilungsfehlern leidet, insbesondere, ob der Dienstherr den anzuwendenden gesetzlichen Rahmen sowie die anzuwendenden Begriffe richtig erkannt, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe beachtet, den Sachverhalt richtig erfasst und keine sachfremden Erwägungen angestellt hat (vgl. zum Ganzen: VG München, U.v. 24.9.2019 – M 5 K 18.3333 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 11.6.2017 – 3 CS 17.512 – juris Rn. 2).
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bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Präsidium ohne Rechtsfehler die charakterliche Nichteignung des Antragstellers angenommen.
33
Die Gesamtschau der in der Entlassungsverfügung aufgelisteten einzelnen Vorkommnisse und Verfehlungen rechtfertigen die Beurteilung, dass es dem Probebeamten an der charakterlichen Eignung fehlt.
34
(1) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei als Kern für Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers auf den fortgesetzten Umgang mit Cannabisprodukten abstellt.
35
Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass das Präsidium für die Bewertung der charakterlichen Nichteignung wesentlich auf das Gesamtbild des Antragstellers abgestellt hat, das einen fortlaufenden – mehrjährigen – Umgang mit Cannabisprodukten zeigt. Dabei konnten auch die Bilder und Videos aus der Zeit vor der Berufung des Antragstellers in das Beamtenverhältnis berücksichtigt werden, denn sie unterstreichen den fortlaufenden und sich auch während der Zeit des Beamtenverhältnisses fortsetzenden Kontakt mit illegalen Drogen (vgl. Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: September 2023, § 23 BeamtStG Rn. 92). Denn auf dem Smartphone des Antragstellers befanden sich nach dem Auswertungsbericht der beauftragten Firma „response“ nicht nur entsprechende Bilder und Videos aus der Zeit vor der Berufung des Antragstellers in ein Beamtenverhältnis (1.3.2019), sondern auch danach, etwa Video Nr. 14 (Erzeugungsdatum …8.2020), Bild Nr. 15 (Erzeugungsdatum …6.2019), Bild Nr. 16 (Erzeugungsdatum …11.2021). In dieses Gesamtbild fügt sich auch die strafrechtliche Verurteilung ein, die wegen vier Fällen des unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes vor dem … März 2019 und einem Fall des unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes nach dem *. März 2019 – am … August 2020 – erfolgt ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner diesem Fehlverhalten auch ein besonders hohes Gewicht beimisst.
36
Es begegnet insbesondere keinen rechtlichen Bedenken, für die Einstellung in den Polizeidienst besonders hohe Anforderungen an die Gesetzestreue und charakterliche Stabilität des Bewerbers zu stellen, weshalb Sachverhalte mit strafrechtlicher Relevanz Zweifel an der charakterlichen Eignung begründen können. Der Antragsgegner begründet seine Zweifel an der charakterlichen Eignung mit Zweifeln an der Gesetzestreue des Antragstellers. Dieser sei als Polizeivollzugsbeamter in besonderer Weise verpflichtet, sich gesetzestreu zu verhalten und habe sowohl sein innerdienstliches, aber auch sein außerdienstliches Verhalten dahingehend auszurichten. Der Besitz von Drogen stehe nicht in Einklang mit der beamtenrechtlichen Pflicht zu gesetzestreuem und achtungswürdigem Verhalten im Sinne des § 34 BeamtStG (vgl. VG Berlin, B.v. 18.11.2022 – 5 L 714/22 – juris Rn. 26 f.).
37
Dem steht nicht entgegen, dass die Verurteilung wegen unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes in fünf Fällen mit Urteil des Amtsgerichts I* … am … August 2023 noch nicht rechtskräftig ist, da hiergegen Berufung eingelegt wurde, über die noch nicht entschieden ist. Die Unschuldsvermutung schützt den Beschuldigten nur vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafzumessung vorausgegangen ist, nicht jedoch vor Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben (BVerfG, B.v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, 1343/88 – BVerfGE 82, 106, juris Rn. 41). Auf Verfahren, die nach ihrer Zielsetzung nicht auf die Feststellung und Ahndung strafrechtlicher Schuld gerichtet sind, sondern die außerhalb der eigentlichen Strafrechtspflege eine Entscheidung über andere Rechtsfolgen eines (auch) strafrechtlich relevanten Sachverhalts zum Gegenstand haben, erstreckt sich die Unschuldsvermutung nicht (BVerwG, B.v. 24.1.2017 – 2 B 75.16 – NJW 2017, 2295, juris Rn.14 m.w.N.). Die Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Beamten auf Probe im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG hat keinen Strafcharakter, sondern dient der Sicherung der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung (BVerwG, B.v. 24.1.2017 – 2 B 75.16 – NJW 2017, 2295, juris Rn.16; vgl. zum Ganzen auch BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – PersR 2021, Nr. 11, 39, juris Rn. 14).
38
(2) Entsprechend hält es sich auch im rechtlich zulässigen Rahmen, dass das Präsidium zur Begründung der charakterlichen Nichteignung auch darauf abgestellt hat, dass der Antragsteller dienstlich benötigte Gegenstände aus seiner Praktikumszeit von der Polizeidienststelle (Blutentnahmeset und zwei Drogenschnelltests) mit nach Hause genommen und nicht zeitnah zurückgegeben hat. Auch wenn die Gegenstände nur einen relativ geringen Wert haben mögen, so darf der Dienstherr aus einem solchen Verhalten darauf schließen, dass diesem Beamten die charakterliche Eignung fehlt. Denn darin kommt zum Ausdruck, dass er die Eigentums- und Besitzverhältnisse an diesen Sachen nicht respektiert.
39
(3) Die Vorwürfe des Besitzes bzw. der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte und wegen Gewaltdarstellung führten zwar nicht zu einer strafrechtlichen Ahndung, jedoch zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Sie runden aber das vom Dienstherrn gewonnene Bild des Antragstellers ab, nicht strikt die Rechtsordnung zu beachten. Entsprechend ist es nicht zu beanstanden, hieraus Zweifel an der charakterlichen Eignung als Polizeivollzugsbeamter abzuleiten.
40
Das Absehen von der Strafverfolgung verbietet es nicht, in Verfahren mit anderer Zielsetzung die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten. Den Verwaltungsbehörden und den Gerichten ist es nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine persönliche Ungeeignetheit eines Beamten ergeben (BayVGH, B.v. 13.4.2021 – 6 CS 21.587 – PersR 2021, Nr. 11, 39, juris Rn. 17).
41
cc) Eine Abmahnung des Antragstellers musste vor seiner Entlassung nicht erfolgen. Eine Abmahnung wird allenfalls dann für erforderlich erachtet (vgl. BVerfG, B.v. 15.12.1976 – 2 BvR 841/73 – juris), wenn die Mängel grundsätzlich behebbar erscheinen, z.B. bei Leistungsmängeln oder bei nicht „selbsterklärenden Pflichten“ (vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2014 – 3 ZB 13.2214 – juris Rn. 31). Bei – wie hier – charakterlichen Eignungsmängeln ist mit einer Änderung nicht ernsthaft zu rechnen (vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 16.8.2017 – 3 CS 17.1342 – juris Rn. 20).
42
dd) Schließlich sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Steht für den Dienstherrn die fehlende Bewährung eines Probebeamten endgültig fest, kommt ihm kein weiteres Handlungsermessen zu. Nach der zwingenden Vorschrift des § 10 Satz 1 BeamtStG darf ein Beamter nur dann in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen werden, wenn er sich in der Probezeit bewährt hat. § 10 Satz 1 BeamtStG wirkt sich wie eine absolute Ermessensschranke aus, die bei endgültig feststehender mangelnder Bewährung nur die Entlassung als sachgerecht („ermessensgerecht“) erscheinen lässt. Das wird in Art. 12 Abs. 5 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz/LlbG) wiederholt. Für eine Verlängerung der Probezeit bei einem Beamten, dessen fachliche Nichtbewährung endgültig feststeht – wie also bei dem Antragsteller –, ist daher kein Raum (Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Stand: September 2023, § 23 BeamtStG Rn. 160 m.w.N.).
43
3. Auch eine isolierte Interessenabwägung des öffentlichen Vollzugsmit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Angesichts der durch erhebliche Auffälligkeiten und Defizite zutage getretenen charakterlichen Nichteignung ist es dem Antragsgegner nicht zuzumuten, den Antragsteller bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiter zu beschäftigen. Dabei wiegt gerade der fortgesetzte Umgang mit illegalen Drogen besonders schwer. Dieser Umstand ist so wesentlich, dass das Interesse des Antragstellers an einer Fortsetzung seiner Tätigkeit während des Rechtsbehelfsverfahrens hinter dem öffentlichen Interesse an seiner sofortigen Entlassung zurücktreten muss.
44
4. Der Antragsteller hat nach § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen.
45
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3, § 40 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Jahresbezüge des Antragstellers im Jahr 2023 hätten sich inklusive jährlicher Sonderzahlung in der Besoldungsgruppe A 7 von monatlich 2.713,94 EUR zuzüglich Polizeivollzugszulage von 168,54 EUR auf insgesamt 36.607,50 summiert, hiervon ein Viertel (Halbierung der Summe im Hauptsacheverfahren, da nicht ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zur Prüfung steht, weitere Halbierung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit): Das ergibt den als Streitwert festzusetzenden Betrag von 9.151,87 EUR.