Inhalt

AG Augsburg, Endurteil v. 23.04.2024 – 20 C 3353/23
Titel:

Abschalteinrichtung, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Maßgeblicher Zeitpunkt, Elektronischer Rechtsverkehr, Sicherheitsleistung, Erfahrungssätze, Vorteilsausgleichung, Streitwert, Schutzgesetzverletzung, Übereinstimmungsbescheinigung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Schadensschätzung, Anderweitige Erledigung, Compliance, Darlegungs- und Beweislast, Unzulässigkeit, Verbotsirrtum

Schlagworte:
Schutzgesetzverletzung, Abschalteinrichtung, Kausalität, Schadensersatz, Verschuldensvermutung, Differenzhypothese, Schadensschätzung, Schadenshöhe, Nutzungsvorteile, Restwert
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11299

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 2.150,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.11.2023 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.225,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus behaupteter Dieselabgasmanipulation.
2
Die Klagepartei erwarb am 07.10.2016 von der Fa.  … das Gebrauchtfahrzeug Opel CASCADA INNOVA 2.0 (121) 6 G S mit der Fahrgestellnummer … zu einem Kaufpreis von 21.500,- € (Anlage K1).
3
Zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte das streitgegenständliche Fahrzeug eine Laufleistung von 26.600 km. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 53.539 km.
4
In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Motorenbezeichnung A20 (Euro 5) verbaut. Zur Reduzierung der Stickoxidemissionen wird bei dem streitgegenständlichen Motor ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehenden Gase zurück in das Ansaugsystem des Motors geleitet, wo diese erneut an der Verbrennung teilnehmen. Der normalerweise in der Umgebungsluft vorhandene Sauerstoff wird dadurch zum Teil durch Kohlendioxid ersetzt, was letztlich zu einer Verringerung der Verbrennungsspitzentemperatur führt. Die Abgasrückführung wird hierbei unter Berücksichtigung diverser Rahmenbedingungen gesteuert.
5
Verschiedene Ausführungen von Motoraggregaten verschiedener Hersteller hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in den letzten Jahren technisch überprüft und – soweit sich hierbei eine Gesetzeswidrigkeit der verbauten Motorsteuerungssoftware wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ergab – durch die Herstellerin zurückrufen lassen. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem Rückruf des KBA aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht betroffen.
6
Die Klagepartei behauptet im Wesentlichen, das Fahrzeug halte die gesetzlichen Grenzwerte der Emissionsklasse nicht ein. Das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor, der Abgasnorm Euro 5 erfüllen solle, sei baugleich den von einem Zwangsrückruf betroffenen Motoren der EU-RO-Klasse 6. Vermutlich sei lediglich wegen Arbeitsüberlastung des KBA noch kein Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs erlassen worden. In dem Fahrzeug seinen multiple Abschalteinrichtungen verbaut. Es sei eine Software vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug nach 1180 Sekunden in einen anderen Modus wechsele und die Abgasreinigung zurückgefahren werde. Das verwendete „Thermofenster“ unterscheide zwischen den Prüfbedingungen des NEFZ und dem normalen Zyklusbetrieb auf der Straße, sodass die Abgasreinigung (fast ausschließlich) nur im Prüfzyklus funktioniere. Die Bedingungen Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl müssten im Sinne einer UND-Verbindung vorliegen, was bedeute, dass sich die Wirkungsweise des Emissionskontrollsystems verringere, wenn nur einer der Parameter nicht vorliege. Die Einwirkung in die Emissionskontrolle bei einem Außenluftdruck von unter 915hPa stelle ebenso wie die Einwirkung in das Emissionskontrollsystem abhängig von der Motordrehzahl eine weitere illegale Abschalteinrichtung dar. Überdies sei das OBD-System manipuliert.
7
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe der Differenzschaden nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2023, 2259) bzw. der kleine Schadensersatz (BGH NJW-RR 2022, 1033) zu.
8
Die Klagepartei beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 3.225,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte weder eine Prüfstands- oder Prüfzykluserkennung noch eine sonstige unzulässige Abschalteinrichtung. Das Typengenehmigungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das Emissionskontrollsystem erfülle die gesetzlichen Anforderungen.
11
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin habe bereits keinen Schaden erlitten. Ein etwaiger Minderwert, der allenfalls bei 5 % des Kaufpreises läge, sei gänzlich im Wege der vorzunehmenden Vorteilsausgleichung kompensiert.
12
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.03.2024 sowie die zwischen den Parteien gewechselten anwaltlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
A)
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Die Klage ist zulässig.
15
Das Amtsgericht Augsburg ist gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
B)
16
Die Klage ist jedoch nur in Höhe von 2.150,00 € begründet.
17
1. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Art. 3 Nr. 36, 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 schützen neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (EuGH NJW 2023, 1111). In der Folge sind diese Vorschriften und – in unionsrechtskonformer Auslegung – auch die nationalen Ausführungsbestimmungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV drittschützend i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Als Käufer des streitgegenständlichen, mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen (s. dazu im folgenden unter 2.) Kfz unterfällt die Klägerin dem persönlichen Schutzbereich der genannten Normen; auch der sachliche Schutzbereich ist eröffnet.
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2. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde von der Beklagten als Inhaberin der EG-Typgenehmigung unter Verstoß gegen § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV mit einer ungültigen Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr gebracht. Die Übereinstimmungsbescheinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, mit der bescheinigt wird, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht, weist im vorliegenden Fall entgegen Art. 3 Nr. 36 RL (EG) 46/2007 eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Fahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 aus (s. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 34), weil dieses mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist:
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2.1. Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer Abschalteinrichtung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 VO (EG) 715/2007) trägt die Klägerin.
20
Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug in Abhängigkeit bestimmter Parameter moduliert wird. Darin liegt nach den oben dargelegten Kriterien eine Abschalteinrichtung.
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2.2. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 zulässig ist.
22
2.2.1. Im vorliegenden Fall scheitert die Annahme einer Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 schon daran, dass die Beklagte nicht vorgetragen hat, dass die parameterbezogene Modulierung der Abgasrückführung in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung notwendig war, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (vgl. EuGH NJW 2022, 2605 Rn. 62; NJW 2023, 1111 Rn. 64). Zwar hat die Beklagte insbesondere für die Verwendung eines Thermofensters technische Gründe angeführt (insb. Gefahr von Verrußung/Versottung). Hierbei handelt es sich aber um einen allmählich eintretenden Vorgang, der kein unmittelbares Risiko für den Motor begründete.
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2.2.2. Es kommt hinzu, dass eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen kann (EuGH EuZW 2022, 1073 Rn. 82). Diese Einschränkung beträfe jedenfalls das Thermofenster, das nach dem Vortrag der Beklagten erst bei +17 °C die maximale AGR-Rate erreicht. Im Klartext heißt das, dass das Thermofenster bereits bei Temperaturen unter +17°C eine Veränderung der Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems bewirkt, die dessen Wirksamkeit verringert. Temperaturen von unter 17 °C sind allgemein bekannt in Europa nicht außergewöhnlich.
24
3. Zur Erwerbskausalität kann sich die Klägerin auf den Erfahrungssatz stützen, dass sie den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 55). Denn der Käufer eines zugelassenen Fahrzeuges wird regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und keine sie einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können (BGH a.a.O., Rn. 56).
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Die Beklagte hat nichts vorgetragen, was die Anwendung dieses Erfahrungssatzes in Frage stellen würde. Dass bei Erwerb 2016 hinlänglich bekannt war, dass alle Dieselfahrzeuge mit sog. Thermofenstern ausgestattet waren, erschüttert den Erfahrungssatz nicht. Die behauptete „Verhaltensänderung“ der Beklagten (Entwicklung und Abstimmung eines Software-Updates) ist nach den vom BGH aufgestellten Voraussetzungen schon mangels Bekanntgabe der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geeignet, den Anspruch auszuschließen: „Hat der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts […] allerdings dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des Erfahrungssatzes in Frage stellen“ (NJW 2023, 2259 Rn. 57).
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4. Die Beklagte hat schuldhaft, nämlich fahrlässig, gegen ein Schutzgesetz (§§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) verstoßen. Die von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 59) hat die Beklagte nicht widerlegt.
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4.1. Auch insoweit hat sie gerade nicht vorgetragen, „die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekanntgegeben [zu haben], die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lässt“ (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 61).
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4.2. Die Beklagte hat auch nicht substantiiert dargetan, sich in einem Verbotsirrtum befunden zu haben. Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs wie auch für den für die Beurteilung der Schuld maßgeblichen Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrags (vgl. BGH NJW 2023, 3796 Rn. 15). Will ein Fahrzeughersteller sich auf einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum berufen, muss er darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH NJW 2023, 3796 Rn. 14). Dem genügt der Vortrag der Beklagten bereits deshalb nicht, weil die Beklagte zwar einen Irrtum der Mitglieder des sog. Compliance-Gremiums behauptet (vgl. Klageerwiderung), diesen aber zeitlich nicht eingrenzt. Bezogen auf die Mitglieder des Vorstandes wird zudem lediglich vorgetragen, diese hätten die Rechtsauffassung des Compliance-Boards mitgetragen, von einem Irrtum ist hier nicht die Rede. Es kommt noch hinzu, dass die Mitglieder des Compliance-Gremiums über den Inhalt einer Begrifflichkeit geirrt haben sollen („‚normale Betriebsbedingungen‘ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007“), die es in dieser Vorschrift gar nicht gibt. Richtigerweise verweist Art. 5 Abs. 2 über den Begriff der ‚Abschalteinrichtung‘ in Art. 3 Nr. 10, wo aber von „Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“ die Rede ist. Es erscheint kaum denkbar, dass das u.a. mit Mitgliedern der Rechtsabteilung der Beklagten besetzte Compliance-Gremium diesen Begriff mit den NEFZ-Bedingungen gleichgesetzt haben sollte.
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5. Es ist bereits aus Rechtsgründen davon auszugehen, dass die Klägerin kausal durch die Schutzgesetzverletzung einen Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat (sog. Differenzschaden, BGH NJW 2023, 2259 Rn. 39 ff.). Zu ersetzen ist der Klägerin ein nicht durch Vorteile ausgeglichener Schaden in Höhe von 2.150,00,- €.
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5.1. Das Gericht schätzt den Schaden unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aus dem Unionsrecht hergeleiteten Vorgaben nach § 287 ZPO im konkreten Einzelfall auf 10 % des gezahlten Kaufpreises und damit auf 2.150,00 €. Die Schadenschätzung ist das Ergebnis einer Gesamtabwägung, in welche die erlittenen Nachteile der Klägerin (insb. das Risiko behördlicher Anordnungen), den Umfang und die Eintrittswahrscheinlichkeit der in Betracht kommenden Betriebsbeschränkungen, das Gewicht des Verstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte und den Grad des Verschuldens eingestellt hat. Zur Differenzierung innerhalb des unionsrechtlich vorgegebenen Spielraums (5 bis 15 %) wurden dabei vor allem solche Gesichtspunkte herangezogen, die den vorliegenden Fall von anderen Fällen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen unterscheiden. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht zunächst berücksichtigt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine an verschiedenen Parametern orientierte Abschalteinrichtung verbaut ist, die keinen Prüfstandsbezug aufweist. Der Grad des Verschuldens erscheint eher gering, zumal davon auszugehen ist, dass insbesondere der Verwendung von Thermofenstem – im umkämpften Pkw-Markt – ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag (OLG Schleswig BeckRS 2023, 6575). Die Gefahr von Betriebsbeschränkungen ist mit Blick auf den erfolgten Rückruf als durchaus real anzusehen.
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5.2. Das Gericht berücksichtigt schadensmindernd Vorteile aus dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von insgesamt 14.159,29 €.
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5.2.1. Die von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile schätzt das Gericht – ausgehend von einem Kilometerstand von 26.600 km bei Erwerb des Fahrzeugs sowie von einem Kilometerstand von ca. 53.539 km (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung) nach § 287 ZPO auf 2.919,29 €. Dieser Betrag ergibt sich aus der von der Rechtsprechung als zutreffend erachteten Formel, wonach der von der Klägerin gezahlte (Brutto-)Kaufpreis in Höhe von 21.500,00 € für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit der gefahrenen Strecke seit Erwerb multipliziert wird (vgl. BGHZ 226, 322-329 Rn. 12). Hierbei hat das Gericht im Wege der Schätzung eine Gesamtlaufleistung von 225.000 km zugrunde gelegt. Dieser Schätzung liegt eine Betrachtung von Fahrzeugtyp, Motor und Baujahr zugrunde.
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5.2.2. Den aktuellen Wert des Fahrzeugs schätzt das Gericht auf 11.000,00 €, was die Beklagte unbestritten als Mindestrestwert vorgetragen gelegt hat. Doch auch der von der Beklagten genannte Restwert von 14.300 € würde aufgrund der geringen Fahrleistung der Klägerin zu keiner Kompensation im Wege der Vorteilsausgleichung führen.
C)
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ff. ZPO.