Inhalt

BayObLG, Urteil v. 24.05.2024 – 206 StRR 94/24
Titel:

Maßgeblichkeit des Gesamtinhaltes eines Bildes bei der Prüfung, ob ein kinderpornographischer Inhalt vorliegt; Voraussetzungen der Vorlagepflicht

Normenketten:
StGB § 184 Abs. 1, § 184b Abs. 1
GVG § 121 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Für Beurteilung, ob ein Bild einen kinderpornographischen Inhalt darstellt, ist auf die Gesamtdarstellung und den Gesamtinhalt des Bildes abzustellen. „Pornographie“ ist dabei die Vermittlung sexueller Inhalte, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und dabei die in Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands (eindeutig) überschreitet. Bleibt der Aussagegehalt eines Bildes nach dem Gesamtwerk unklar (hier: "Onkel-Meme"), liegt kein (kinder)pornograhischer Inhalt vor. (Rn. 9 – 11) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Eine Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG setzt die Abweichung in einer Rechtsfrage voraus. Eine solche „Abweichung“ liegt hingegen nicht vor, wenn die Anwendung eines Rechtsbegriffes von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls abhängt und die Auffassungen darüber auseinandergehen, welche Umstände zu berücksichtigen und wie diese zu bewerten sind; so auch vorliegend, da in Frage steht, ob das konkrete Bild in seiner konkreten Verwendungsart einen kinderpornographischen Inhalt darstellt. (Rn. 12 – 13) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Onkel-Meme, kinderpornographischer Inhalt, Pornographie, Gesamtinhalt, Gesamtdarstellung, Erregung eines sexuellen Reizes, Vorlagepflicht, Abweichung in einer Rechtsfrage, tatsächliche Umstände des Einzelfalles, konkrete Bewertung
Vorinstanz:
AG Kaufbeuren, Urteil vom 06.12.2023 – 1 Ls 510 Js 6839/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11237

Tenor

I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 6. Dezember 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Kaufbeuren hat den Angeklagten mit Urteil vom 6. Dezember 2023 vom Tatvorwurf des Verbreitens kinderpornographischer Inhalte freigesprochen. Es hat hierzu folgenden Sachverhalt festgestellt:
2
Der Angeklagte ist Nutzer der Internetplattform F. und des Internetdienstes W.. Am 12. Mai 2022 versandte der Angeklagte in einer W.-Gruppe mit dem Namen „W.“ ein nachbezeichnet näher beschriebenes Bild mit nach Auffassung der Staatsanwaltschaft kinderpornographischem Inhalt, um dieses Bild den anderen Chatpartnern zur Verfügung zu stellen. Am 2. September 2022 postete er dasselbe Bild öffentlich auf der T. seines F.accounts, um es hierdurch anderen Nutzern des Netzwerks zur Verfügung zu stellen.
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Das Bild zeigt im Vordergrund einen älteren Mann mit einer Bierflasche sowie den Text „Habe ein altes Bild von meinem Onkel gefunden. Er war ein ganz schöner Haudegen! Ich habe im Hintergrund gespielt …“. Im Hintergrund ist ein ca. 6-jähriger Junge zu sehen, welcher vor einem anderen, vermutlich weiblichen Kind kniet, deren Beine gespreizt hält und eine Position wie beim Geschlechtsverkehr einnimmt.
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Das Tatgericht hat den Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen, weil das versandte Bild keinen kinderpornographischen Inhalt habe. Zwar solle die eingenommene Körperposition der Kinder den Eindruck vermitteln, diese würden den Geschlechtsverkehr vollziehen. Allerdings sei das Bild nicht pornographisch, weil die Vermittlung der sexuellen Inhalte nach dem Gesamtkontext des Bildes nicht ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet sei. Es diene überwiegend humoristischen Zwecken.
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Mit der Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, dass Bild habe einen kinderpornographischen Inhalt. Sie führt im Wesentlichen aus, dass es sich um ein Bild handele, das realitätsbezogene sexuelle Handlungen von Kindern zum Gegenstand habe, und damit (wie regelmäßig) kinderpornographisch sei. Eine etwaige humoristische Intention des Verbreiters sei für die Strafbarkeit ohne Belang. Im Übrigen beruft sie sich auf eine (bisher nicht veröffentlichte) Entscheidung des Oberlandesgerichtes Rostock vom 6. März 2024, das „dasselbe Bild“ als kinderpornographisch angesehen habe. Das Rechtsmittel wird von der Generalstaatsanwaltschaft München im Ergebnis vertreten.
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Der Senat hat bereits mit der Terminierung darauf hingewiesen, dass er die Revision für unbegründet hält.
II.
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1. Das statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1 StPO, §§ 344, 345 StPO) Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Der Freispruch des Angeklagten ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
8
a) Die Revisionsbegründung verweist zunächst allerdings zutreffend darauf, dass für die Beurteilung, ob ein kinderpornographischer Inhalt vorliegt, der objektive Inhalt des Bildes und nicht die Intention des das Bild versendenden Angeklagten maßgeblich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 01.09.2020, 3 StR 275/20, zitiert nach juris, dort Rdn. 4ff.; Schönke-Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184 Rdn. 8). Ob die Versendung des Bildes humoristischen Zwecken dienen sollte, ist somit tatsächlich nicht von entscheidender Bedeutung.
9
b) Im Übrigen übersieht die Staatsanwaltschaft aber bereits, dass für die inhaltliche Beurteilung des Bildes auf die Gesamtdarstellung und den Gesamtinhalt des Bildes abzustellen ist (vgl. BGH aaO Rdn. 8; Nestler in: Leipziger Kommentar zum StGB (LK-StGB), 13. Aufl., § 184 Rdn. 16f.). Die Revision hingegen stellt allein auf die sich im Hintergrund des Bildes befindenden beiden Kinder ab, ohne auf den übrigen Inhalt des Bildes einzugehen. Ihre auf dieser Grundlage vorgenommene Bewertung, auf dem Bild seien sexuelle Handlungen (genauer: der Geschlechtsverkehr) von Kindern zu sehen, teilt der Senat auch im Ergebnis nicht. Das Amtsgericht stellt nämlich zutreffend fest, dass auf dem Bild weder Geschlechtsteile der Kinder noch eine Penetration oder der Kontakt der Geschlechtsteile zu erkennen sind (UA S. 5). Auch die Generalstaatsanwaltschaft führt in ihrer Antragsschrift (dort S. 3) daher zutreffend (nur) aus, es seien „zwei Kinder in einer Pose wie beim Geschlechtsverkehr“ zu sehen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Revisionsbegründung überwiegend mit anderen, hier nicht festgestellten Sachverhalten. Soweit sie auf die vorgenannte Entscheidung des OLG Rostock Bezug nimmt, erschließt sich mangels näherer Ausführungen in den Entscheidungsgründen nicht, auf welcher Grundlage dieses bei der Bewertung des dort gegenständlichen Bildes zu der Einschätzung kommt, es seien „zwei Kinder in Missionarsstellung“ abgebildet, auf die der Blick des Betrachters durch die Bildunterschrift (…) „sofort gelenkt“ werde, womit ein kinderpornographischer Inhalt vorliege.
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Das Amtsgericht kommt hingegen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des gesamten Inhaltes des gegenständlichen Bildes (UA S. 6) rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis, dieses sei jedenfalls nicht ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunktes BVerfG, Beschluss vom 03.03.2023, 2 BvL 11/22 u. a., BeckRS 2023, 5979, dort Rdn. 32f.; Schönke-Schröder/Eisele aaO § 184 Rdn. 8; BGH, Urteil vom 11.02.2014, 1 StR 485/13, zitiert nach juris, dort Rdn. 43ff., insbesondere Rdn. 50 und 66) und damit nicht (kinder-)pornographisch. „Pornographie“ ist nach zutreffender Auffassung die Vermittlung sexueller Inhalte, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und dabei in Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands (eindeutig) überschreitet (BGH aaO Rdn. 49; Schönke-Schröder/Eisele aaO § 184 Rdn. 8). Das Merkmal „pornographisch“ dient dem Ausscheiden von Fallgestaltungen, in denen die dargestellte sexuelle Handlung keine Straftat darstellt und nicht überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielt (BGH aaO Rdn. 66).
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Der Senat teilt diese Bewertung des Amtsgerichts jedenfalls im Ergebnis, da der Aussagegehalt des Bildes nach dem Gesamtwerk unklar bleibt und keinen überwiegend sexuellen Inhalt hat. Dies gilt vor allem deshalb, weil bei dem sich im Vordergrund des Bildes befindlichen „Onkel“ keine sexuellen Verhaltensweisen erkennbar sind und auch der Text jedenfalls keinen unmittelbaren Zusammenhang mit sexuellen Handlungen an oder mit Kindern herstellt. Die Revision versucht demgegenüber lediglich, durch das (rechtsfehlerhafte) Hinausgreifen von Einzelinhalten des Bildes (s. o.) ihre eigene Bewertung des Gesamtbildes zum rechtlichen Maßstab zu machen. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben.
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2. Eine Vorlagepflicht des Senates nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock besteht nicht.
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Dies würde die Abweichung in einer Rechtsfrage, also einer Frage, die sich auf die Auslegung einer Rechtsnorm oder auf die Formulierung von allgemeinen rechtlichen Grundsätzen und Anforderungen bezieht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 121 GVG Rdn. 5a m. w. N.), voraussetzen. Eine solche „Abweichung“ liegt hingegen nicht vor, wenn die Anwendung eines Rechtsbegriffes von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls abhängt und die Auffassungen darüber auseinandergehen, welche Umstände zu berücksichtigen und wie diese zu bewerten sind (vgl. Löwe-Rosenberg/Gittermann, StPO, 27. Aufl., § 121 GVG Rdn. 58a, 58b). Eine der letztgenannten Konstellationen ist hier gegeben, da in Frage steht, ob das konkrete Bild in seiner konkreten Verwendungsart einen kinderpornographischen Inhalt darstellt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.