Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 27.05.2024 – 8 U 1004/23
Titel:

Betriebsschließungsversicherung: Einschränkungen des Krankenhausbetriebs während der Corona-Pandemie

Normenketten:
BGB § 307
IfSG § 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1
ZPO § 301, § 304, § 308 Abs. 1, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7
AVB Betriebsschließungsversicherung
Leitsätze:
Die behördlich angeordneten Einschränkungen des Krankenhausbetriebs während der Corona-Pandemie (hier: Zurückstellung planbarer Behandlungen und Freihaltung von Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten) stellen zwar Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten im Sinne der Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung dar (Abgrenzung von LG Frankfurt a.M., BeckRS 2023, 17632). Es besteht jedoch kein Deckungsschutz, weil durch diese Maßnahmen kein versicherter Betrieb oder Betriebsteil geschlossen wurde und es auch nicht zu einer „faktischen Schließung“ gekommen ist. (Rn. 40 – 47, 48 – 57 und 62 – 64)
2. Versprechen die AVB einer Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe Versicherungsschutz u.a. für den Fall, dass von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des RKI der versicherte Betrieb/Betriebsteil zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen wird, kommt es nicht darauf an, ob die Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten den alleinigen oder hauptsächlichen Zweck der konkreten behördlichen Maßnahme darstellt; vom Versicherungsschutz erfasst ist demnach grds. auch eine behördliche Anordnung, planbare Behandlungen in Krankenhäusern im Rahmen des medizinisch Vertretbaren zurückzustellen bzw. zu unterbrechen (entgegen LG Frankfurt a.M. BeckRS 2023, 17632 Rn. 25 ff.; LG München I BeckRS 2022, 58533). (Rn. 40 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. "Geschlossen" wird ein Betrieb oder Betriebsteil bei einem solchen Leistungsversprechen, wenn der Kern der dort bestimmungsgemäß ausgeübten Tätigkeit untersagt wird und der Versicherungsnehmer daher zur Einstellung seines Betriebs gezwungen ist. Eine bloße Betriebseinschränkung oder eine teilweise Einstellung des Leistungsangebots wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht als von der Formulierung "geschlossen" umfasst ansehen. Bezogen auf ein Krankenhaus ist die Untersagung der "Normalbelegung" daher nicht als Betriebsschließung zu bewerten. (Rn. 48 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zur Frage einer "faktischen" Schließung des Betriebs oder eines Betriebsteils in einem solchen Fall. (Rn. 62 – 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Krankenhaus, Cafeteria, Corona-Pandemie, COVID-19, SARS-CoV-2, Grundurteil, Teilurteil
Vorinstanz:
LG Amberg, Grundurteil vom 28.04.2023 – 24 O 42/22
Fundstellen:
VersR 2024, 1288
NJW-RR 2024, 1093
LSK 2024, 11193
BeckRS 2024, 11193

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 28.04.2023, Az. 24 O 42/22, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Klageanspruch ist in der Hauptforderung dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit er die Schließung der Cafeteria der Klägerin betrifft.
2. Der Klageanspruch ist hinsichtlich der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit sich diese Kosten auf einen Anspruch wegen der Schließung der Cafeteria der Klägerin beziehen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.852.388,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.
2
Die Klägerin betreibt das Klinikum S. in A., welches in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommen ist (§ 4 BayKrG). Zum Klinikbetrieb gehört auch eine Cafeteria, die hauptsächlich von Patienten und Besuchern genutzt wird.
3
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten mindestens seit 2015 eine Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe gegen Schäden infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern (Anlagen K 1, B 1 und BK 4). Für das Versicherungsjahr 2020 waren eine Betriebsschließungssumme von 118.747.000,00 € und eine Tagesentschädigung von 332.491,00 € für die Dauer von bis zu 60 Schließungstagen vereinbart. Die Jahresnettoprämie betrug 11.542,21 € (Anlage K 1).
4
Dem Vertrag liegen zum einen die mit „BS 312/02“ bezeichneten Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zur Betriebsschließungsversicherung gegen Schäden infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern für Krankenhäuser, Kliniken und Heimbetriebe (im Folgenden: AVB-BSV; Anlage K 2) zugrunde. Ferner gelten die als „HV 5905/01“ bezeichneten Besonderen Vereinbarungen und Bestimmungen zur Betriebsschließungs-Versicherung (im Folgenden: BB-BSV) sowie die als „BS 2440/00“ bezeichnete Besondere Vereinbarung (Anlagenkonvolut K 3).
5
In den AVB-BSV ist auszugsweise Folgendes geregelt:
§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen ganz oder teilweise schließt; als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten;
II. Wann ist der Versicherungsfall gegeben?
Ein Versicherungsfall ist
1. im Fall des Abs. I. Ziffer 1: die behördliche Anordnung der Schließung;
In den BB-BSV ist u.a. Folgendes vereinbart worden:
A.2 Besondere Vereinbarungen und Bestimmungen
A.2.1 Gegenstand der Versicherung
A.2.1.1 Abweichend von § 1 der BS 312/02 bietet der Versicherer Versicherungsschutz für den Fall, dass von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des RKIes a) der versicherte Betrieb/Betriebsteil zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen wird. Als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten;
A.2.1.3 Der vereinbarte Versicherungsschutz gilt auch für den Fall, dass nicht der gesamte versicherte Betrieb, sondern nur Teilbereiche von einem Schadenfall betroffen sind oder dass statt einer Betriebsschließung oder sonstiger versicherter Einschränkung oder Auflagen der Versicherungsnehmer in Abstimmung mit dem Versicherer nach Rücksprache mit dem zuständigen Gesundheitsamt Schadenminderungsmaßnahmen durchführt, damit eine behördliche Anordnung nicht erforderlich ist.
Die Besondere Vereinbarung „BS 2440/00“ enthält u.a. folgende Klausel:
1.2 Wenn bei einem Versicherungsfall nur ein Teil der versicherten Betriebsstätten betroffen sind, hat der Versicherungsnehmer nachzuweisen, welchen Anteil diese an der Gesamtbetriebsschließungssumme aller versicherten Betriebsstätten haben; die Höhe der Tagesentschädigung bestimmt sich nach dem Verhältnis der durch den Versicherungsfall betroffenen Betriebsschließungssumme zur Gesamtbetriebsschließungssumme.
6
Auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz IfSG ordnete das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege durch Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 an, dass die in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommenen Krankenhäuser, soweit medizinisch vertretbar, bis auf Weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen haben, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten – also Erkrankte mit dem seinerzeit neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 – freizumachen. Die Behandlung von Notfällen musste gewährleistet bleiben (Anlage K 4). Diese Allgemeinverfügung galt vom 20.03.2020 an bis zum 08.05.2020.Mit einer weiteren Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration sowie des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 08.05.2020 wurde angeordnet, dass die in den Krankenhausplan des Freistaats Bayern aufgenommenen Krankenhäuser grundsätzlich, soweit medizinisch vertretbar, planbare stationäre Aufnahmen, stationäre Operationen und Eingriffe sowie stationäre Rehabilitations- und Vorsorgeleistungen zu verschieben oder auszusetzen haben (Vorhaltepflicht), um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten und die Entlastung anderer Krankenhäuser freizumachen (Anlage K 5). Nach Ziff. 1.3.1. der genannten Allgemeinverfügung waren grundsätzlich 30% der vorhandenen Intensivkapazitäten mit invasiven Beatmungsmöglichkeiten sowie 25% der Allgemein-/Normalpflegebetten für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten verfügbar zu halten.
7
Diese Anordnungen galten bis zum 28.05.2020. Von diesem Zeitpunkt an gestattete die Regierung der Oberpfalz die teilweise Wiederaufnahme des Regelbetriebs in den betroffenen Krankenhäusern (Anlage K 6).
8
Bereits mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020 waren Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt worden. Ausgenommen hiervon waren Betriebskantinen in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ferner ausgenommen war die Ausgabe von Speisen zum Mitnehmen (Anlage B 2).
9
Die Untersagung jeglicher Gastronomiebetriebe, mit Ausnahme der Ausgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen, war schließlich Gegenstand der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27.03.2020 (Anlage B 3). Ab dem 18.05.2020 war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien unter bestimmten Voraussetzungen wieder gestattet. Vom 25.05.2020 an war, unter gewissen Voraussetzungen, der Betrieb von Speisewirtschaften auch in Innenräumen wieder zulässig.
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Die Klägerin behauptet, im Hinblick auf die beschriebenen behördlichen Verbote habe sie im Zeitraum vom 20.03.2020 bis 18.05.2020 alle planbaren Behandlungen und Eingriffe, soweit medizinisch vertretbar, unterlassen. Der Betrieb der Cafeteria sei während des zuvor genannten Zeitraums vollständig eingestellt gewesen. Ohne die behördlichen Anordnungen wäre die Cafeteria – so die Klägerin – an allen Tagen regulär geöffnet worden.
11
Für den geltend gemachten Schließungszeitraum von 60 Tagen erhielt die Klägerin staatliche Ausgleichszahlungen nach § 21 Abs. 2 und 3 KHG in Höhe von insgesamt 5.105.412,60 € (Anlage K 8, Anlagenkonvolut B 6).
12
Mit der Klage fordert die Klägerin Entschädigung aus der bestehenden Betriebsschließungsversicherung, weil die Fortführung eines erheblichen Teils ihres Klinikbetriebs und des Betriebs der zur Klinik gehörenden Cafeteria aufgrund behördlicher Anordnung verboten gewesen sei. Der geltend gemachte Entschädigungsbetrag bestehe aus der anteilig (auf insgesamt 39,89%) gekürzten vereinbarten Tagesentschädigung für 60 Schließungstage (60 x 132.630,00 € = 7.957.800,00 €) abzüglich der staatlichen Ausgleichszahlung.
13
Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, die behördlichen Maßnahmen seien, soweit sie die Klägerin betroffen hätten, nicht ausdrücklich und primär zu dem Zweck erfolgt, die weitere Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Vielmehr könne die Stärkung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten nicht als Instrument der Ausbreitungseindämmung verstanden werden. Im Übrigen seien keine (Teil-)Betriebsschließungen angeordnet worden. Die Beklagte hat daher vorgerichtlich eine Eintrittspflicht abgelehnt (Anlage B 9).
14
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
15
Das Landgericht (BeckRS 2023, 21573) hat der auf Zahlung von 2.852.388,00 € sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 20.478,12 € gerichteten Klage ohne Beweisaufnahme mit Urteil vom 28.04.2023 bezüglich der Hauptforderung dem Grunde nach stattgegeben. Es hat im Tenor dieses Grundurteils festgestellt, dass sowohl für die Zurückstellung und Unterbrechung planbarer Behandlungen als auch für die Untersagung und Einschränkung des Betriebs der Cafeteria ein Versicherungsfall „dem Grunde nach“ gegeben sei. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die erfolgten und auf § 28 IfSG gestützten Teilschließungen vom Versicherungsschutz erfasst seien. Die maßgeblichen Vertragsbedingungen setzten weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck voraus, dass die behördliche Maßnahme als Haupt- oder Alleinzweck der Verhinderung oder Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten diene. Es sei auch zur Schließung eines Betriebsteils gekommen, denn das von der Klägerin abverlangte Freihalten von Kapazitäten sei ohne das Unterlassen anderer Behandlungen nicht möglich gewesen. Jedenfalls habe sich die behördliche Anordnung faktisch wie eine Betriebsschließung ausgewirkt. Der Versicherungsfall habe vom 20.03.2020 bis 18.05.2020 angedauert und umfasse damit den maximal zu entschädigenden Zeitraum von 60 Tagen.
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Dieses Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 28.04.2023 zugestellt. Die hiergegen gerichtete Berufung ging am 09.05.2023 beim Oberlandesgericht Nürnberg ein (Bl. 1 f. d.A. – OLG). Das Rechtsmittel wurde innerhalb verlängerter Frist mit einem am 25.08.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 8 ff. d.A. – OLG).
17
Die Beklagte beantragt im Berufungsrechtszug,
das Urteil des Landgerichts Amberg vom 28. April 2023 (Az. 24 O 42/22) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
18
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit ihrer Erwiderung vom 07.11.2023 (Bl. 51 ff. d.A. – OLG).
20
Der Senat hat am 11.03.2024 mündlich zur Sache verhandelt und in diesem Rahmen den stellvertretenden Vorstand der Klägerin, …, informatorisch befragt (Bl. 69 ff. d.A. OLG).
21
Anschließend haben die Parteien innerhalb nachgelassener Frist ergänzend Stellung genommen (Bl. 76 ff. und 87 ff. d.A. – OLG).
II.
22
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache überwiegend Erfolg und führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
23
1. Das angefochtene Grundurteil ist in Bezug auf die Berufung als Endurteil anzusehen (§ 304 Abs. 2 ZPO).
24
a) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob das angefochtene Grundurteil erlassen werden durfte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 04.12.2012 – II ZR 159/10, NJW-RR 2013, 363 Rn. 14 m.w.N.). Dies ist zu bejahen, da der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist (§ 304 Abs. 1 ZPO; LGU 24). Die Zweckmäßigkeit eines Grundurteils ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahren. Vielmehr beschränkt sich dessen Gegenstand auf die Frage, ob der eingeklagte Anspruch dem Grunde nach besteht (vgl. BeckOK-ZPO/Elzer, § 304 Rn. 40 f. [Stand: 01.04.2024]).
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b) Die Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils enthält zugleich einen Feststellungausspruch, der einen „dem Grunde nach“ eingetretenen Versicherungsfall benennt und diesen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Derartiges ist jedoch nicht beantragt worden (§ 308 Abs. 1 ZPO) und wäre nach Ansicht des Senats nur in den Entscheidungsgründen auszuführen gewesen. Ein Grundurteil hat zwar der Sache nach einen feststellenden Charakter (vgl. OLG Brandenburg, BeckRS 2021, 38464 Rn. 28; MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl., § 304 Rn. 6). Es hat sich in seiner Urteilsformel jedoch nur zu dem geltend gemachten Anspruch zu verhalten, nicht zu einzelnen Anspruchsvoraussetzungen. Aus den Urteilsgründen hat sich sodann zu ergeben, über welche Streitpunkte mit Bindungswirkung für das Betragsverfahren entschieden werden sollte.
26
Die Tenorierung erweist sich im Übrigen auch deshalb als widersprüchlich, weil festgestellt wird, dass hinsichtlich der Zurückstellung und Unterbrechung planbarer Behandlungen ab 20.03.2020 bis 18.05.2020 ein Versicherungsfall gegeben sei. Demgegenüber heißt es in den Entscheidungsgründen auf Seite 49 unter Ziffer 2., dass die Frage, ob auch der Zeitraum ab dem 09.05.2020 vom Versicherungsschutz gedeckt sei, die Anspruchshöhe betreffe und damit – aus der Sicht des Landgerichts – mit dem Grundurteil noch nicht beantwortet werden sollte.
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2. Das angefochtene Urteil stellt sich darüber hinaus als Teilurteil dar (§ 301 ZPO). Zu dem in erster Instanz gestellten Klageantrag zu 2., der die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 20.478,12 € betrifft, verhält sich das Grundurteil weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen. Dort heißt es nur, dass die Entscheidung hierüber – d.h. über Grund und Höhe der Forderung – dem Betragsverfahren vorbehalten sei (LGU 50 zu C.).
28
a) Die in objektiver Klagehäufung geforderte Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stellt zwar einen von mehreren mit der Klage geltend gemachten Ansprüchen dar. Ein Teilurteil zu erlassen, war hier jedoch nicht zulässig. Diese Unzulässigkeit folgt – trotz grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstandes – aus der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Diese Gefahr wiederum ergibt sich aus der materiell-rechtlichen Verzahnung selbständiger prozessualer Ansprüche und aus einer möglicherweise abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 21.11.2017 – VI ZR 436/16, NJW 2018, 623 Rn. 7 und vom 11.05.2011 − VIII ZR 42/10, NJW 2011, 2736 Rn. 13). Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden.
29
Für die Frage der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist (erneut) über den Eintritt eines Versicherungsfalls zu entscheiden, weil nur bejahendenfalls ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Betracht kommt. Insofern besteht die Möglichkeit, dass der Senat einen solchen Versicherungsfall vollständig verneint, während das Landgericht ihn im Zusammenhang mit der noch ausstehenden Entscheidung über die Rechtsanwaltskosten bejaht.
30
b) Die Unzulässigkeit des Teilurteils ist von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2011 − VIII ZR 42/10, NJW 2011, 2736 Rn. 19 m.w.N.). Eine – auch ohne Antrag mögliche – Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO erscheint hier nicht sinnvoll. Vielmehr macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den noch erstinstanzlich anhängigen Rest an sich zu ziehen und über den gesamten Streitstoff dem Grunde nach zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2011 − VIII ZR 42/10, NJW 2011, 2736 Rn. 29 m.w.N.). Das ausdrückliche Einverständnis der Parteien war hierfür nicht erforderlich. Der Senat hat im Übrigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die beabsichtigte Verfahrensweise hingewiesen, ohne dass die Parteien widersprochen haben.
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3. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen, soweit sie die geltend gemachte Schließung des von der Klägerin betriebenen Krankenhauses betrifft. Die Klägerin hat gegen die Beklagte bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf eine Entschädigungsleistung aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVB-BSV im Hinblick auf den eigentlichen Krankenhausbetrieb. Insofern ist kein Versicherungsfall eingetreten.
32
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Soweit das Landgericht den Eintritt eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls festgestellt hat (LGU 25 ff.), bestehen durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung. Die im Berufungsrechtszug maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen eine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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a) Für das hier betroffene Jahr 2020 bestand zwischen den Parteien unstreitig eine Betriebsschließungsversicherung unter der Vertrags-Nr. .... Für diese haben die Parteien die Geltung der AVB-BVS, der BB-BBS und der weiteren Besonderen Vereinbarung „BS 2400/00“ verabredet. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem als Anlage K 1 vorgelegten Versicherungsschein, der den vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 maßgeblichen Vertragsgegenstand dokumentiert.
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b) Der im Streitfall einzig in Betracht kommende Versicherungsfall ist zunächst allgemein in § 1 Abs. 1 Nr. 1 AVB-BSV beschrieben worden, wobei in zeitlicher Hinsicht auf die behördliche Anordnung der Schließung abgestellt wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AVB-BSV).
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aa) Diese Klausel hat jedoch durch die Besonderen Vereinbarungen und Bestimmungen zur Betriebsschließungsversicherung (Anlage K 3) eine wesentliche Änderung erfahren. Zwar besteht weiterhin Versicherungsschutz (nur) im Falle ordnungsbehördlicher Maßnahmen nach dem IfSG (Ziffer A.1.1 BB-BSV). Gemäß Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV tritt der Versicherungsfall jedoch abweichend von § 1 AVB-BSV ein, wenn von der zuständigen Behörde oder auf Empfehlung des RKIs der versicherte Betrieb/Betriebsteil zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen wird. Diese Klausel gilt nach Ansicht des Senats nicht ergänzend als gleichwertige Alternative zu § 1 AVB-BSV, sondern „abweichend“ von den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, mithin als eine hierzu im Gegensatz stehende speziellere Regelung. Demzufolge ist der mit einer Schließung nach dem IfSG im Zusammenhang stehende Versicherungsfall letztlich ausschließlich und abschließend in Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV geregelt.
36
Die anderen vom vertraglichen Risikoschutz umfassten Fälle werden von Ziffer A.2.1.1 lit. b) bis e) BB-BSV angesprochen (insbesondere Desinfektion, Vernichtung von Waren, Tätigkeitsverbot für Beschäftigte, Beobachtungsmaßnahmen) und sind im Streitfall ersichtlich nicht einschlägig.
37
bb) Demgemäß wird für einen Versicherungsfall zunächst vorausgesetzt, dass die behördliche Maßnahme
- auf der Grundlage des IfSG sowie
- zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten erfolgt.
38
Die erstgenannte Voraussetzung wird durch die beiden Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.03.2020 unzweifelhaft erfüllt, wie sich schon aus der jeweils in der Präambel herangezogenen Rechtsgrundlage ergibt. Es steht auch außer Streit, dass die Klägerin zu den betroffenen Adressaten beider Allgemeinverfügungen gehörte.
39
Die behördliche Maßnahme muss ferner den Zweck verfolgen, die Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten zu verhindern. Das kommt durch den Gebrauch der finalen Präposition „zur“ unmissverständlich zum Ausdruck.
40
Zutreffend und mit ausführlicher Begründung hat die Vorinstanz entschieden, dass diese weitere Voraussetzung hinsichtlich der beiden Allgemeinverfügungen vom 19.03.2020 und 08.05.2020 zu bejahen ist (LGU 28 ff.; a.A. LG München I, Urteil vom 25.03.2022 – 25 O 1883/21, Seite 12 ff, Anlage B 17; Dallwig, jurisPR-VersR 11/2023 Anm. 5 sowie für identische Versicherungsbedingungen und die in Hessen angeordneten Maßnahmen auch LG Frankfurt a.M., BeckRS 2023, 17632 Rn. 25 ff.). Das Landgericht hat insbesondere überzeugend herausgearbeitet, dass es weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV darauf ankommt, ob die Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten den alleinigen oder hauptsächlichen Zweck der konkreten behördlichen Maßnahme darstellt (LGU 29 ff.). Dergleichen kann ein verständiger Versicherungsnehmer der Klausel nicht entnehmen. Ein enger verstandener Charakter der vom Versicherungsschutz erfassten Anordnungen hätte im Bedingungswerk durch eine der Beklagten ohne Weiteres mögliche und zumutbare Klarstellung zum Ausdruck kommen müssen (LGU 32). Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Versicherungsnehmer wird daher auch solche Maßnahmen als vom Versicherungsschutz umfasst ansehen, die Teil einer behördlichen Strategie sind, welche aus Anlass einer Pandemie die Ziele des IfSG erreichen soll.
41
Die Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 (Anlage K 4) wurde aus Anlass des Auftretens des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 erlassen und sie stand unter der Überschrift „Corona-Pandemie“. Dass es sich hierbei um eine gefährliche Infektionskrankheit handelt(e), kann nicht zweifelhaft sein und wird auch von den Parteien nicht bestritten.
42
Ferner war die Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt. Diese Rechtsgrundlage erlaubte in der seinerzeit geltenden Fassung die behördliche Anordnung von notwendigen Schutzmaßnahmen, „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Auch ganz allgemein war und ist es Zweck des Infektionsschutzgesetzes, die Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten beim Menschen zu verhindern (§ 1 Abs. 1 IfSG). Mit diesem übergeordneten Zweck wird daher jeder Adressat eine auf das IfSG gestützte behördliche Maßnahme verbinden.
43
Die Begründung der Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 ist einleitend getragen von der Befürchtung einer extrem raschen Verbreitung des Coronavirus und einer möglichen Infektionsrate von über 50% der Bevölkerung. Die konkret getroffene Anordnung, planbare Behandlungen in Krankenhäusern im Rahmen des medizinisch Vertretbaren zurückzustellen bzw. zu unterbrechen, diente zwar primär dem Ziel „möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19 Patienten freizumachen“. Aber auch dies sollte aus der Sicht der anordnenden Behörde dem „Schutz der Bevölkerung“ dienen. Es kann daher nach dem Gesamtkontext und der herangezogenen Rechtsgrundlage kein Zweifel daran bestehen, dass es sich hierbei um einen Teil eines öffentlichen Maßnahmenbündels handelte, das insgesamt der Verhinderung der (weiteren) Verbreitung einer gefährlichen Infektionskrankheit diente. Die Bereithaltung von Behandlungskapazitäten für bereits an COVID-19 erkrankte Personen diente der Isolierung und Heilung solcher Patienten und hatte somit (auch) eine Begrenzung der Verbreitung zur Folge.
44
Nichts anderes gilt im Ergebnis für die weitere Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 über die Auferlegung einer sog. Vorhaltepflicht (Anlage K 5). Diese stand zwar unter dem Leitmotiv der „Bewältigung erheblicher Patientenzahlen in Krankenhäusern“. Aber auch sie war u.a. auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt und – wie die Begründung ergibt – maßgeblich von der Befürchtung einer nach wie vor extrem raschen Verbreitung des Virus geprägt. Das mit der Anordnung verfolgte Ziel, die „Patientenströme so geordnet und effizient wie möglich zu lenken“ steht nach Ansicht des Senats ohne Weiteres im Zusammenhang mit dem übergeordneten Ziel der Behörden, die weitere Verbreitung der Infektionskrankheit zu verhindern.
45
Ein mit solchermaßen begründeten staatlichen Anordnungen konfrontierter verständiger Versicherungsnehmer musste die politischen Hintergründe der getroffenen Maßnahmen weder kennen noch in seine Prüfung, ob ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eingetreten sein könnte, einbeziehen. Zwar hatten die Ministerpräsidenten der Länder im Rahmen einer Besprechung mit der Bundeskanzlerin am 12.03.2020 verschiedene Sofortmaßnahmen aus Anlass der Verbreitung des neuartigen Coronavirus getroffen (Anlage B 18). Die hier erörterte Verschiebung und Aussetzung planbarer Krankenhausbehandlungen war eine dieser Maßnahmen (unter Ziffer II.), während die Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des Virus gesondert erwähnt werden (unter Ziffer V.). Über diese speziell für die Krankenhäuser geltende politische Beschlusslage hat der damalige Bundesgesundheitsminister tags darauf, am 13.03.2020, informiert (Anlage B 19). Außerdem war den Krankenhäusern die Einschätzung ihres Dachverbandes zu der „Gipfelrunde im Kanzleramt“ mitgeteilt worden (Anlage B 21). All diese Hintergründe führen jedoch nicht dazu, dass die beiden Allgemeinverfügungen der Bayerischen Staatsregierung vom 19.03.2020 und vom 08.05.2020 aus ihrem Gesamtzusammenhang zu lösen sind und ausschließlich der jeweilige Anordnungstenor von Bedeutung wäre.
46
cc) Dass eine bedingungsgemäße Maßnahme „von der zuständigen Behörde“ nur eine Einzelfallanordnung (d.h. einen Verwaltungsakt) meint, die sich konkret gegen den Krankenhausbetreiber als Adressaten richten muss, lässt sich der Ziffer A.2.1.1 BB-BSV ebenfalls nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit entnehmen (LGU 45-47). Der Wortlaut dieser Klausel bietet ebenso wenig wie der Sinn und Zweck einen Anhaltspunkt für eine Differenzierung nach der verwaltungsrechtlichen Form der Maßnahme. Daher sind auch solche Anordnungen erfasst, die – wie hier – durch eine Allgemeinverfügung i.S.v. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG ergehen und bei denen der Versicherungsnehmer zum Adressatenkreis gehört. Für die Frage der Leistungspflicht des Versicherers kommt es im Übrigen nicht auf die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahme an (vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21, NJW 2023, 684 Rn. 22). Daher sind im hier maßgeblichen Zusammenhang auch nicht die Erforderlichkeit und Geeignetheit der Anordnungen zu beurteilen.
47
dd) Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, wonach Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV nicht verlangt, dass die gefährliche Infektionskrankheit dem Betrieb des Versicherungsnehmers entspringt (sog. intrinsische Gefahr; LGU 47). Eine solche Einschränkung enthält die Klausel schon ihrem Wortlaut nach nicht. Sie folgt auch nicht aus der Gleichstellung eines umfassenden Tätigkeitsverbots für alle Beschäftigten mit einer Betriebsschließung (vgl. LG Ravensburg, BeckRS 2023, 24794 Rn. 46). Allenfalls für die in Ziffer A.2.1.1. lit. b) bis d) gesondert geregelten Versicherungsfälle mag etwas Anderes gelten, denn dort geht die Gefahr von mit Erregern behafteten Gegenständen oder erkrankten Mitarbeitern aus. Letztlich bedeutet es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus dem ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung keinen Unterschied, ob sich die Gefahr der Schließung aus seinem Betrieb oder aus von außerhalb herrührenden Umständen ergibt. Die Betriebsschließung und der Ertragsausfallschaden treten in beiden Fällen gleichermaßen ein (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, NJW 2022, 872 Rn. 11).
48
ee) Allerdings fehlt es im Streitfall entgegen der Ansicht des Landgerichts (LGU 43 ff.) an der weiteren in Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV genannten Voraussetzung eines durch die Behörde „geschlossenen“ Betriebs oder Betriebsteils. Dieses Erfordernis korrespondiert mit den gemäß Ziffer A.2.2.1 BB-BSV zu erstattenden „Kosten der Schließung“. Eine nähere Regelung, was darunter zu verstehen ist, findet sich in den Bedingungen nicht.
49
(1) Es handelt es sich bei den genannten Klauseln unzweifelhaft um Allgemeine Versicherungsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG. Diese sind nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. etwa BGH, Urteile vom 07.02.2018 – IV ZR 53/17, NJW 2018, 1019 Rn. 18 und vom 14.12.2016 – IV ZR 527/15, NJW 2017, 1620 Rn. 25). Werden Versicherungsverträge – wie hier – typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (vgl. BGH, Urteile vom 21.04.2010 – IV ZR 308/07, r+s 2010, 286 Rn. 12 und vom 25.05.2011 – IV ZR 117/09, r+s 2011, 295 Rn. 22). Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist folglich zu berücksichtigen, dass der typische Adressat und Versicherte nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Betreiber von Krankenhäusern abzielt (vgl. auch BGH, Urteil vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19, NJW 2021, 231 Rn. 11).
50
In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2017 – IV ZR 151/15, NJW 2017, 2831 Rn. 26 m.w.N.). Demzufolge sind auch versicherungswirtschaftliche Überlegungen nur insoweit beachtlich, als sie sich aus dem Wortlaut der Bedingungen für den verständigen Versicherungsnehmer unmittelbar erschließen (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2000 – IV ZR 113/99, NJW-RR 2000, 1341, 1342).
51
Nach diesen Auslegungskriterien wird ein Betrieb oder Betriebsteil „geschlossen“, wenn der Kern der dort bestimmungsgemäß ausgeübten Tätigkeit untersagt wird und der Versicherungsnehmer daher zur Einstellung seines Betriebs gezwungen ist (vgl. Notthoff, r+s 2020, 551, 554). Das Wort „geschlossen“ bzw. das synonym im Bedingungswerk verwendete Substantiv „Schließung“ (vgl. etwa Ziffern A.2.1.2 und A.2.1.3 BB-BSV) werden im alltäglichen Sprachgebrauch als „eine Sache nach außen versperren“ oder „den Durchgang untersagen“ verstanden (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/schlieszen). Eine Schließung bei geöffneten Türen gibt es begrifflich nicht (vgl. OLG Hamburg, BeckRS 2021, 21090 Rn. 35).
52
Erweitert man den Begriff in der gebotenen Weise auf seinen funktionalen Sinn, so wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer eine bloße Betriebseinschränkung oder eine teilweise Einstellung des Leistungsangebots nicht als von der Formulierung „geschlossen“ umfasst ansehen (vgl. OLG Karlsruhe, r+s 2021, 438 Rn. 58; LG München I, r+s 2020, 578 Rn. 40). Bereits der zur Bezeichnung der streitgegenständlichen Versicherung verwendete Begriff der „Betriebsschließungs-Versicherung“ legt nahe, dass es sich nicht um eine Betriebseinschränkungsversicherung handelt. Trifft eine Behörde Anordnungen, die nicht schlechthin einen Betrieb untersagen, sondern ihn lediglich Einschränkungen unterwerfen, kann also grundsätzlich nicht davon die Rede sein, die Behörde habe den Betrieb „geschlossen“ (vgl. OLG München, BeckRS 2021, 13077 Rn. 39). Bezogen auf ein Krankenhaus ist die Untersagung der „Normalbelegung“ daher auch nicht als Betriebsschließung zu bewerten.
53
Indem Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV es als „Schließung“ ansieht, wenn sämtliche Betriebsangehörige ein Tätigkeitsverbot erhalten, wird deutlich, dass es auf die Einstellung des gesamten Krankenhausbetriebs ankommt. Würde mit einem Teil der Betriebsangehörigen ein – wenn auch eingeschränkter – Krankenhausbetrieb aufrechterhalten bleiben können und dürfen, läge keine bedingungsgemäße Schließung und damit kein Versicherungsfall nach Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV vor. Es käme dann nur die Anwendung der Ziffer A.2.1.1 lit. d) BB-BSV in Betracht, die jedoch keine Betriebsschließung, sondern eine sonstige versicherte Einschränkung regelt.
54
Mit anderen Worten unterscheiden die Besonderen Vereinbarungen und Bestimmungen zur Betriebsschließungs-Versicherung (Anlage K 3) zwischen einer Betriebsschließung und der Aufrechterhaltung des Betriebes unter einer sonstigen versicherten Einschränkung oder Auflage (Ziffer A.2.1.3 BB-BSV). In letzterem Fall werden nur die mit den Auflagen verbundenen Kosten und Aufwendungen ersetzt (§ 2 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AVB-BSV, Ziffer A 2.1.2 BB-BSV). Der streitgegenständliche Vertrag kennt also auch einen Versicherungsfall in Gestalt der behördlichen Einschränkung des Krankenhausbetriebs, ohne dass damit eine Schließung verbunden ist.
55
Wäre es der Wille der Vertragsparteien gewesen, es auch als versicherte „Schließung“ anzusehen, wenn die zuständige Behörde die Neuaufnahme von bestimmten Patienten untersagt, so dass insofern auch keinerlei Behandlungen durchgeführt werden können, hätte es einer entsprechenden Regelung bedurft (so in den Fällen des LG München I, Urteil vom 25.03.2022 – 25 O 1883/21, Seiten 2 f. [Anlage B 17], des LG Oldenburg, BeckRS 2023, 23616 Rn. 5 und des LG Münster, BeckRS 2023, 24785 Rn. 12). Im Streitfall wird der verständige Versicherungsnehmer dem maßgeblichen Bedingungswerk hingegen entnehmen, dass allein das Ausbleiben einer bestimmten Art oder Anzahl von Patienten und sich hieraus ergebende Umsatzeinbußen nicht als Schließung versichert sind.
56
(2) Diesem Verständnis steht nach Ansicht des Senats nicht entgegen, dass die Parteien Regelungen für einen Versicherungsfall getroffen haben, der nur einen Teil des Betriebes bzw. einen Teil der versicherten Betriebsstätten betrifft (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVB-BS; Ziffer 1.2 der Besonderen Vereinbarung „BS 2440/00“). Der gegenständliche Versicherungsvertrag kennt in quantitativer Hinsicht eine abgestufte Tagesentschädigung, die davon abhängt, ob der Klinikbetrieb in seiner Gesamtheit oder (nur) ein Betriebsteil geschlossen worden ist.
57
Der in der maßgeblichen Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV erwähnte „Betriebsteil“ ist in den Versicherungsbedingungen wiederum nicht näher definiert. Gleiches gilt für den „Teil der versicherten Betriebsstätte“. Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird damit nicht lediglich eine Mehrzahl von Betriebsmitteln assoziieren, sondern einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil der betrieblichen Ressourcen im Sinne einer organisatorischen Untergliederung. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck sowie der Systematik der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen, nach denen die Ermittlung einer anteiligen Tagesentschädigung im Falle einer Teilbetriebsschließung vom Verhältnis der durch die Schließungsanordnung betroffenen Betriebsschließungssumme zur Gesamtbetriebsschließungssumme abhängt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVBBSV). Unabhängig davon muss dieser konkrete (abgrenzbare) Teil nicht nur in seinem Betrieb beeinträchtigt, sondern – als Gegenstand der behördlichen Maßnahme – ebenfalls „geschlossen“ worden sein, um einen Versicherungsfall auszulösen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.2022 – IV ZR 305/21, r+s 2023, 10 Rn. 11; LG Oldenburg, BeckRS 2023, 23616 Rn. 25). Dass dies unverzichtbar ist, wird auch an Ziffer 1.2 der Besonderen Vereinbarung „BS 2440/00“ deutlich, wo dem klaren Wortlaut nach der Eintritt eines Versicherungsfalls (im Sinne einer Schließung) vorausgesetzt wird.
58
(3) Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV enthält keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klausel ist in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich die streitgegenständliche Versicherung an Betreiber von Krankenhäusern richtet, ist der Versicherungsfall ausreichend transparent geregelt. Ein gesetzliches Leitbild für Betriebsschließungsversicherungen i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, von dem die Klausel abweichen könnte, existiert nicht. Insbesondere stellt das IfSG keinen tauglichen Maßstab für die unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers einer Betriebsschließungsversicherung dar (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, NJW 2022, 872 Rn. 39 m.w.N.). Das zuvor genannte Klauselverständnis führt auch nicht zu einer Gefährdung des Vertragszwecks (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Mit dem Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor finanziellen Einbußen aufgrund von behördlichen Maßnahmen nach dem IfSG. Der von der Beklagten versprochene Versicherungsschutz wird nicht dadurch ausgehöhlt, dass der Versicherungsfall der „Schließung“ eine behördlich veranlasste Stilllegung des Betriebs oder eines abgrenzbaren Betriebsteils erfordert.
59
(4) Die beiden Allgemeinverfügungen der Bayerischen Staatsministerien vom 19.03.2020 und 08.05.2020 haben nicht die Schließung des Krankenhausbetriebs der betroffenen Adressaten – und somit auch nicht der Klägerin – angeordnet. Im Gegenteil sollten die erfassten Krankenhäuser gerade geöffnet bleiben, um dort in möglichst umfangreichem Maße die Behandlung von COVID-19-Patienten zu gewährleisten und die erwartete massive Fallzahlensteigerung bewältigen zu können. Die Behörden wollten zielgerichtet die zur Verfügung stehenden Behandlungskapazitäten erheblich ausweiten, um dem festgestellten Notstand in der stationären Versorgung entgegenzuwirken.
60
Davon, dass einzelne Betriebsteile der betroffenen Krankenhäuser (z.B. sämtliche Behandlungsleistungen einer bestimmten medizinischen Fachrichtung oder Station; vgl. hierzu Jula, Betriebsunterbrechungsversicherung, Kap. 17 Rn. 36) einzustellen seien und es folglich zu einer quantitativen Einschränkung der Behandlungskapazitäten kommen sollte, ist in den beiden Allgemeinverfügungen nicht die Rede. Derartiges hätte den zuvor beschriebenen Anordnungszielen, der geforderten Verfügbarhaltung und der Lenkung von Patientenströmen auch diametral widersprochen. Durch die verpflichtende Verschiebung und Absage von Eingriffen und Behandlungen sollten nicht etwa personelle und räumlich-technische Kapazitäten vorübergehend obsolet werden, sondern vorrangig zur Behandlung von Corona-Patienten verwendet bzw. vorgehalten werden. Gleichzeitig musste aber auch die dringliche Behandlung von Nicht-Corona-Patienten sichergestellt bleiben. Ausdrücklich eingestellt – und damit „geschlossen“ – wurden durch die Allgemeinverfügung vom 19.03.2020 nur „Müttergenesungseinrichtungen“ i.S.v. § 111a SGB V in dieser Funktion. Davon war die Klägerin unstreitig nicht betroffen. Die in der Allgemeinverfügung vom 08.05.2020 geforderte Möglichkeit, die Behandlungskapazitäten mit invasiver Beatmung notfalls kurzfristig erhöhen zu können, ist bereits begrifflich etwas anderes als eine nach den Versicherungsbedingungen erforderliche Schließung des Betriebes oder seiner Teile. Maßnahmen, die lediglich eine Umplanung der Betriebsaufläufe erforderlich machen und dabei einzelne Betriebsvorgänge zu Gunsten von anderen – zu priorisierenden – zurückstellen, können bei verständiger Würdigung schon dem Wortlaut nach nicht als Schließung bezeichnet werden. Das zuvor erläuterte Klauselverständnis lässt es mangels personeller und sachlicher Abgrenzbarkeit auch nicht zu, die Tätigkeit „planbare Behandlungen“ für sich genommen als Betriebsteil anzusehen.
61
Unstreitig war das von der Klägerin betriebene Klinikum S. im Zeitraum vom 20.03.2020 bis 18.05.2020 weiterhin in Betrieb und aufnahmebereit. Es wurden – erlaubtermaßen – Patienten aufgenommen sowie unter ärztlicher Leitung untersucht und behandelt. Damit wurden die ein Krankenhaus kennzeichnenden Leistungen (§ 2 Nr. 1 KHG) erbracht. Zu einer Schließung des Betriebes oder eines Betriebsteils durch behördliche Anordnung ist es demzufolge nicht gekommen.
62
(5) In den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen ist die Schließung des versicherten Betriebes bzw. Betriebsteils als Voraussetzung für die Entschädigungsleistung explizit geregelt. Es erscheint daher nicht zulässig, auf der Grundlage wirtschaftlicher Überlegungen gänzlich auf das Vorliegen dieser objektiv zuverlässig feststellbaren Voraussetzung zu verzichten (vgl. auch Korff, COVuR 2020, 246 f.). Davon abgesehen hatte die behördliche Untersagung der „Normalbelegung“ der betroffenen Krankenhäuser auch nicht zur Folge, dass diese nicht mehr zu ihrem bestimmungsgemäßen Zweck genutzt werden konnten. Es lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass die Klägerin den Krankenhausbetrieb nur in ganz unerheblichem Umfang oder in völlig anderer Form hätte fortführen dürfen. Denn die Klägerin macht geltend, die von den behördlichen Anordnungen betroffenen planbaren (elektiven) stationären Krankenhausleistungen hätten entsprechend der Kalkulation der Versicherungssumme ca. 39% der Gesamterlöse umfasst (Anlage K 7). Dies zeigt, dass das Klinikum S. in dem hier fraglichen Zeitraum in einem nicht unerheblichen Umfang – zumal in seinem Kernbereich – weiterbetrieben und in nennenswertem Maße Einnahmen erzielt werden konnten. Der Klägerin ist eine wirtschaftlich sinnvolle Betätigungsmöglichkeit verblieben, ohne dass sie auf unternehmerische Alternativen ausweichen musste, die bislang wirtschaftlich keine Rolle gespielt haben. Sie war insbesondere nicht auf rein administrative Arbeiten zurückgeworfen. Der von der Klägerin vollzogene Betrieb stellte mithin zu keinem Zeitpunkt ein „aliud“ gegenüber dem Regelbetrieb dar, welches die Annahme einer „faktischen Schließung“ des gesamten Betriebes rechtfertigen könnte (vgl. hierzu OLG München, BeckRS 2021, 19490 Rn. 30; Jula, Betriebsunterbrechungsversicherung, Kap. 17 Rn. 40; Günther, NJW 2020, 818 Rn. 22; Verdugo Morales/Laiblin, VersR 2021, 1069, 1072 f.).
63
Auch die „faktische Schließung“ eines Betriebsteils lag hier nicht vor. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass es ihr auch ohne ausdrücklich hierauf gerichtete behördliche Anordnung nicht mehr sinnvoll möglich gewesen sei, einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil ihrer betrieblichen Ressourcen weiterhin zu nutzen. Dass alle klinischen Mitarbeiter der Klägerin – namentlich Ärzte, Schwestern und Pfleger – weiterbeschäftigt worden sind, um sowohl Covid-Patienten als auch sonstige Notfall-Patienten behandeln und versorgen zu können, erscheint naheliegend. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin kursorisch angesprochen, dass die orthopädische Abteilung des Klinikums sowie die Ambulanz in dem fraglichen Zeitraum geschlossen gewesen seien, weil dort typischerweise überwiegend elektive Behandlungen stattgefunden hätten. Hierzu fehlt es jedoch an hinreichend konkretem Sachvortrag. Aber auch wenn man diese bestrittene Behauptung zugunsten der Klägerin unterstellt, hätte es sich nicht um die unmittelbare Folge eines behördlich angeordneten Verbots gehandelt, sondern um eine eigenverantwortliche unternehmerische und rein interne organisatorische Entscheidung der Klägerin. Zu keinem Zeitpunkt ist es der Klägerin infolge behördlich angeordneter Beschränkungen faktisch unmöglich gemacht worden, Patienten in den Bereichen Orthopädie und Ambulanz aufzunehmen und zu behandeln. Ein auf einen bestimmten versicherten Betriebsteil bezogenes Handeln der zuständigen Behörde hat – abgesehen von den sogleich noch erörterten Gastronomiebetrieben (s. unten 4.) – nicht stattgefunden. Darüber hinaus hätte es wiederum dem Ziel der behördlichen Anordnungen, Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten zu schaffen bzw. verfügbar zu halten, widersprochen, ganze Abteilungen des Klinikums aus der medizinischen Versorgung herauszunehmen.
64
Weder der Sinnzusammenhang noch der Zweck des Bedingungswerks verlangen, dass bloße Betriebseinschränkungen, mögen sie auch von Gewicht sein, als „teilweise Betriebsschließung“ einer echten Schließung gleichgestellt werden. Demzufolge ist der Versicherungsfall auch nicht bereits eingetreten, wenn eine behördliche Maßnahme bei dem Versicherungsnehmer zu einem Umsatzverlust führt. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt diese Sichtweise auch nicht dazu, dass der vertraglich zugesagte Versicherungsschutz für Teilschließungen im Ergebnis gegenstandslos wird. Der vertragsspezifische Zweck einer Betriebsschließungsversicherung für Krankenhäuser und Kliniken verlangt keine über das erläuterte Verständnis hinausgehende Auslegung der Begriffe „Schließung“ und „Betriebsteil“. Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, die es der Beklagten nach Treu und Glauben untersagen würden, sich auf das Fehlen einer Betriebsschließung zu berufen (vgl. hierzu LG Berlin, BeckRS 2021, 6599 Rn. 26 ff.).
65
4. Unbegründet ist die Berufung hingegen, soweit das Landgericht der Klage hinsichtlich der Schließung der Cafeteria dem Grunde nach stattgegeben hat (LGU 42). Insofern ist ein Versicherungsfall gemäß Ziffer A.2.1.1 lit. a) BB-BSV eingetreten, wie die Vorinstanz zu Recht entschieden hat.
66
a) Bei der Cafeteria handelt es sich um einen Betriebsteil im Sinne der vorbenannten Klausel, d.h. einen personell und sachlich abgrenzbaren Teil des Klinikbetriebs. Dass dort keine ärztlichen und pflegerischen Behandlungsleistungen erbracht werden, steht dieser Würdigung nicht entgegen. Zwar entfällt der wesentliche Teil der Krankenhausleistung auf den ambulanten und stationären Behandlungsbereich. Für einen „Betriebsteil“ im Sinne der Bedingungen wird es aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aber ausreichend sein, wenn dieser verselbständigte Teil eine Hilfsfunktion für den Klinikbetrieb erfüllt (vgl. im arbeitsrechtlichen Kontext: BAG, NZA 1994, 686, 688). Dies ist hier unzweifelhaft der Fall. Die informatorische Befragung des stellvertretenden Vorstandes und kaufmännischen Direktors der Klägerin durch den erkennenden Senat hat ergeben, dass es sich bei der Cafeteria um einen räumlich abgegrenzten Bereich auf dem Klinikgelände mit ausschließlich dort tätigen Mitarbeitern handelt. Die Ausgabe von Speisen und Getränken erfolgt in erster Linie an Patienten und Besucher, was mit dem primären Zweck der Klinik in einem hinreichend engen Zusammenhang steht.
67
b) Die Cafeteria wurde auch von der zuständigen Behörde auf der Grundlage des IfSG sowie zur Verhinderung der Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten geschlossen.
68
Die Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020 (Anlage B 2) war u.a. auf § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG gestützt. Diese Rechtsgrundlage erlaubte es in der seinerzeit gültigen Fassung insbesondere, Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen zu beschränken oder zu verbieten. Die Allgemeinverfügung regelte unter Ziffer 3. ihres Anordnungsteils die Untersagung von Gastronomiebetrieben jeder Art. Ausgenommen hiervon waren u.a. Betriebskantinen in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr sowie die Ausgabe von Speisen zum Mitnehmen. Beide Ausnahmen trafen auf die Cafeteria des Krankenhauses nicht zu. Die Klägerin hat die Cafeteria als gastronomische Einrichtung für Patienten und Besucher betrieben. Sie verfügte über ca. 50 Sitzplätze, war also auf den Verzehr der Speisen an Ort und Stelle ausgelegt. Der Verpflegung der Mitarbeiter der Klägerin diente ein hiervon unabhängiger, für die Öffentlichkeit nicht zugänglicher Speisesaal auf dem Klinikgelände. All dies hat die informatorische Befragung des stellvertretenden Vorstandes und kaufmännischen Direktors der Klägerin zur Überzeugung des Senats ergeben.
69
In der Begründung der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 hieß es u.a., dass sich das neuartige Coronavirus in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe, eine sehr dynamische Situation vorliege und alle Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Die Schließung der Gastronomiebetriebe müsse erfolgen, da sonst über die dortigen Kontakte die Weiterverbreitung des Virus erfolge. Inhalt und Zweck der behördlichen Maßnahme erscheinen daher ebenso wenig zweifelhaft wie deren Charakter als versicherte „Schließung“.
70
Nichts anderes gilt für die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV – vom 27.03.2020 (Anlage B 3). Sie erging auf der Grundlage des § 32 Satz 1 IfSG, welcher wiederum die Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 28 IfSG umfasste. § 2 Abs. 2 BayIfSMV enthielt abermals eine Untersagung von Gastronomiebetrieben jeder Art, einschließlich der Bewirtung im Freien und mit Ausnahme der Abgabe mitnahmefähiger Speisen.
71
c) Dass ein bestimmungsgemäßer Betrieb der Cafeteria seit dem 18.03.2020 nicht mehr stattfand, ist unstreitig. Die Beklagte hat lediglich bestritten, dass die Cafeteria im geltend gemachten Zeitraum durchgängig coronabedingt geschlossen war. Es fehle an Vortrag der Klägerin, ob in diesen Zeitraum nicht auch reguläre Schließungstage gefallen seien, so dass insofern gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVB-BSV keine Entschädigung zu zahlen sei. Im Übrigen ergebe sich aus der als Anlage B 13 vorgelegten E-Mail, dass die Klägerin die Cafeteria vorübergehend als „Sichtungsstelle für aufzunehmende Patienten“ genutzt habe. In zweiter Instanz soll dies durch einen Screenshot von der Internetseite der Klägerin untermauert werden (Anlage BK 8).
72
Dieser Einwand ist in der gegenwärtigen Prozesssituation teils unerheblich und im Übrigen nicht begründet. Nach den Aussagen des stellvertretenden Vorstandes und kaufmännischen Direktors der Klägerin hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin den Cafeteria-Betrieb aufgrund der Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 eingestellt hat. Die Betriebsschließungsversicherung soll ihrem erkennbaren Zweck nach nur gegen Ertragsausfälle infolge behördlich angeordneter Schließungen absichern (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, NJW 2022, 872 Rn. 11). Es gibt im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beendigung des Betriebs der Cafeteria völlig unabhängig von der behördlichen Schließungsanordnung und ausschließlich aus freiem unternehmerischem Ermessen heraus geschehen ist. Erst deutlich nach Einstellung des Cafeteria-Betriebs hat die Klägerin eine „Sichtungsstelle für aufzunehmende Patienten und Besucher“ eingerichtet und hierfür die nicht mehr für eine Cafeteria benötigten Räume genutzt. Auch dies hat die Sachaufklärung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eindeutig ergeben.
73
Die weiteren Gesichtspunkte betreffen nur die Dauer der Schließung der Cafeteria und damit die Höhe des Entschädigungsanspruchs. Die Klägerin hat den Anteil der Cafeteria am Gesamterlös (d.h. an der im Versicherungsschein ausgewiesenen Betriebsschließungssumme) mit 261.467,00 € beziffert. Hieraus macht sie 0,22% der Tagesentschädigung, mithin 731,00 € pro Tag geltend. Die Einzelheiten sind im Betragsverfahren zu ermitteln.
74
5. Die Klage ist darüber hinaus dem Grunde nach gerechtfertigt, soweit die Klägerin mit dem Klageantrag zu 2. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Dieser Anspruch gegen die Beklagte, über den der Senat im vorliegenden Berufungsverfahren ebenfalls durch Grundurteil (§§ 525 Satz 1, 304 Abs. 1 ZPO) entscheidet, folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB.
75
Soweit ein Entschädigungsanspruch der Klägerin wegen der Schließung der Cafeteria besteht, befand sich die Beklagte vorgerichtlich mit der Leistung in Verzug. Derartige Ansprüche hatte die Klägerin im November 2020 gegenüber der Beklagten geltend gemacht (Anlage B 11), welche sodann in die Leistungsprüfung eingetreten ist (Anlage B 12 und B 14). Unstreitig hatte die Beklagte in der Folge alle geltend gemachten Leistungen aus der bestehenden Betriebsschließungsversicherung abgelehnt und damit zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht weitere Ermittlungen nicht mehr erforderlich sind. Sie hatte sich auf den – unzutreffenden – Standpunkt gestellt, dass die Cafeteria weiterhin für Patienten und Mitarbeiter offengestanden habe und dass die „Umwidmung“ der Cafeteria als Sichtungsstelle nicht Gegenstand des Versicherungsvertrages sei. Unter den gegebenen Umständen war keine nochmalige Leistungsaufforderung notwendig, bevor die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgerichtlich beauftragt und mit Schreiben vom 02.07.2021 gegenüber der Beklagten tätig geworden sind (Anlage K 10). In Anbetracht des Umfangs und der Schwierigkeiten des Falles erscheint die Beauftragung der klägerischen Rechtsanwälte zur zweckgerichteten Verfolgung des Anspruchs erforderlich und angemessen.
76
Über die Höhe des Anspruchs, insbesondere den für die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit maßgeblichen Gegenstandswert und Gebührensatz, ist im Betragsverfahren zu entscheiden.
77
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen der Beklagten im Berufungsverfahren stellt sich als geringfügig dar und hat keine höheren Kosten veranlasst. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
78
7. Auf Befragen haben die Parteivertreter gegenüber dem Senat erklärt, dass es noch eine erhebliche Zahl von Auseinandersetzungen zwischen Klinikbetreibern einerseits und Versicherern – namentlich der hiesigen Beklagten – anderseits gibt, die ebenfalls die vorliegenden Streitfragen betreffen und die sich aufgrund eines vorübergehenden Verjährungsverzichts noch im außergerichtlichen Stadium befinden. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen haben demnach über den Einzelfall hinaus eine besondere Bedeutung für die betroffenen Verkehrskreise. Eine höchstrichterliche Beantwortung steht noch aus, so dass die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache erfolgt (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10.12.2003 – IV ZR 319/02, NJW-RR 2004, 537, 538).
79
Mit der Entscheidung über die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs als Revisionsgericht trägt der Senat dem sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO ergebenden Erfordernis Rechnung (vgl. BGH, Beschluss vom 18.02.2021 – III ZR 79/20, VersR 2021, 990 Rn. 5). Die Anwendung von Bundesrecht bildet den Schwerpunkt des Rechtsstreits (§ 8 Abs. 2 EGGVG).
80
8. Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren erfolgte gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1, 43 Abs. 1 GKG. Die für den Streitwert maßgebliche Berufungsbeschwer der durch das Grundurteil belasteten Beklagten entspricht im Fall der unbeschränkt eingelegten Berufung der Höhe der Klageforderung, der dem Grunde nach stattgegeben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.01.2024 – VI ZB 45/23, BeckRS 2024, 4567 Rn. 10 m.w.N.).