Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 22.01.2024 – AN 1 K 22.00137
Titel:

Schadenersatzpflicht für Kosten einer rechtwidrig einberufenen Veranstaltung

Normenketten:
BeamtStG § 48 S. 1
BayGO Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Art. 34 Abs. 1 S. 1, Art. 61
Leitsätze:
1. Die Verursachung von Kosten durch Einberufung einer Veranstaltung, die keine der Neutralitätspflicht unterliegende gemeinderechtliche  Bürgerversammlung darstellt, verstößt gegen die Pflicht zur sparsamen Aufgabenerfüllung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Einberufung ist grob fahrlässig, wenn eine behördenintern gegebene Informationsmöglichkeit nicht genutzt wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch einer Gemeinde gegenüber ehemaliger Bürgermeisterin, Voraussetzungen einer Bürgerversammlung verneint, Beamter, Bürgermeister, Bürgerversammlung, Kosten, Dienstpflichtverletzung, Sparsamkeit, Neutralität, Schadenersatz, grobe Fahrlässigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11153

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

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Die Klägerin, ehemalige Bürgermeisterin der Beklagten, wendet sich mit ihrer Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte Schadensersatzforderungen gegen die Klägerin geltend macht.
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1. Mit Bescheid vom 22. Dezember 2021 verpflichtete die Beklagte die Klägerin die Kosten für die Veranstaltung „…“ in Höhe von … EUR an die Beklagte zu zahlen (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids). Der Betrag werde einen Monat nach der Bekanntgabe des Bescheides fällig (Ziffer 2).
3
In tatsächlicher Hinsicht wurde ausgeführt, auf Einladung der Klägerin habe am … in der alten Turnhalle in … ein sogenannter „…“ stattgefunden. Ausweislich der der Beklagten vorliegenden drei Rechnungen (* …, … und …*) seien dafür Kosten in Höhe von insgesamt … EUR angefallen, die von der Beklagten zwischenzeitlich bezahlt wurden. Am 7. Mai 2019 habe der Stadtrat den Beschluss gefasst, dass diese Kosten von der Klägerin als Privatperson zu tragen seien. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 sei die Klägerin von der Beklagten unter Fristsetzung bis zum 30. November 2019 aufgefordert worden, die angefallenen Gesamtkosten an die Stadtkasse der Beklagten zu überweisen. Mit Schreiben vom 21. September 2020 sei der Klägerin eine 1. Mahnung unter nochmaliger Fristsetzung zur Zahlung bis zum 1. Oktober 2020 gesetzt worden. Mit weiteren Aufforderungsschreiben vom 7. Dezember 2020 sei ihr zur Vermeidung weiterer Maßnahmen eine Zahlungsfrist bis 18. Dezember 2020 gesetzt worden und die zwischenzeitlich weiter angefallenen Mahngebühren und Auslagen von … EUR ebenfalls in Rechnung gestellt worden. Hieraus ergebe sich der Gesamtbetrag von … EUR.
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In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass sich die Zahlungsverpflichtungen der Klägerin aus § 48 BeamtStG ergebe. Die benannte Veranstaltung sei keine Veranstaltung gewesen, die ausschließlich sachliche Themen der Stadt umfasst habe. Es sei nicht gerechtfertigt, dass die Beklagte, mithin die Bürger, für die Kosten aufkämen. Die Grundsätze einer Bürgerversammlung, wie sie in Art. 18 GO festgeschrieben seien, würden bei dieser Veranstaltung in vielfacher Hinsicht als nicht erfüllt angesehen. So habe die Veranstaltung beispielsweise nicht dazu gedient, Bürger über aktuelle Projekte der Stadt sachlich zu informieren. Sie habe lediglich zur Darstellung von Vorgängen aus Sicht der Klägerin gedient. Auch dass sowohl ein Sicherheitsdienst als auch ein Moderator gegen Geld engagiert worden seien, sei unüblich für derartige Veranstaltungsformate.
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2. Die Klägerin ließ gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2021 am 20. Januar 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe mit Aufruf im Mitteilungsblatt der Beklagten vom 4. Mai 2018 zu einer Bürgerinformationsveranstaltung am … unter dem Thema „Bürgerinformation und Dialog“ eingeladen. Die Bürgerversammlung habe der Information über aktuelle Themen in der Stadt aus erster Hand inklusive der Richtigstellung zuvor verbreiteter Fehl- und Falschinformationen gedient. Themen seien zum Beispiel das neu gegründete Kommunalunternehmen, eine digitale Informationsstelle für Touristen und Bürger, der Breitbandausbau, Datenschutz und Sicherheit, aber auch beispielsweise die Zusammenarbeit im Stadtrat und mit dem Gewerbering … sowie die personelle und finanzielle Situation der Stadt gewesen. In der Presse sei der Termin am 4. Mai 2018 veröffentlicht worden. Vor dem beabsichtigten Termin der Bürgerversammlung seien ein anonymer Drohbrief, der am 13. oder 14. Mai 2018 in den Briefkasten der Beklagten geworfen worden sei, sowie ein Hinweis darauf eingegangen, dass seitens des Gewerberings die Veranstaltung gesprengt werden solle. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin ein Sicherheitsteam für die Veranstaltung am … und … zur Moderation der Bürgerversammlung verpflichtet. Es sei am 7. Mai 2019 ein Stadtratsbeschluss gefasst worden, der Klägerin die Kosten in Rechnung zu stellen. Die Klägerin habe diesen Stadtratsbeschluss beanstandet.
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Der Bescheid sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei kein Schaden aus einer angeblichen Pflichtverletzung der Klägerin bei der Abhaltung der Bürgerversammlung am … entstanden. Eine Pflichtverletzung in diesem Zusammenhang könne der Klägerin nicht angelastet werden. Im Gegenteil sei die Klägerin sogar verpflichtet gewesen, mindestens einmal jährlich gemäß Art. 18 Abs. 1 GO eine Bürgerversammlung zur Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten einzuberufen. Eine Bürgerversammlung sei nicht beschränkt auf Informationen der Bürger über aktuelle Projekte der Stadt, sondern diene allgemein der Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten. Eine gemeindliche Angelegenheit sei es auch, wenn einzelne Bürger, Mitglieder des Stadtrats, Fraktionen oder politische Wählervereinigungen über Sachthemen der Gemeinde unterschiedlicher Auffassungen seien. Auch dann handele es sich um eine gemeindliche Angelegenheit. Auch gegen die Einschaltung des Moderators sei nicht zu erinnern. Die Einschaltung sei notwendig gewesen, weil eine hitzige Diskussion in der Bürgerversammlung zu erwarten gewesen sei. Die Moderation habe die Klägerin nicht selbst übernehmen können, weil sie sich selbst in die Diskussion eingeschaltet habe und eigene Wortbeiträge beibringen habe wollen. Aus dem gleichen Grund der Besorgnis der hitzigen Diskussion sowie wegen der vorangegangenen anonymen Drohungen und der Warnung, die Veranstaltung solle gesprengt werden, sei auch die Einschaltung eines Sicherheitsunternehmens erforderlich und geboten gewesen.
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Die Klägerin ließ beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2021, Az. …, wird aufgehoben.
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3. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Eine Klageerwiderung erfolgte mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2023, worauf Bezug genommen wird.
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4. Mit Beschluss vom 4. September 2023 wurde vom vorliegenden Verfahren das Verfahren bezüglich eines weiteren Bescheids der Beklagten gegenüber der Klägerin vom 27. Dezember 2021 abgetrennt, mit dem ebenfalls Schadensersatz geltend gemacht wird, und unter dem Aktenzeichen AN 1 K 23.1785 fortgeführt.
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In der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2024 waren die Klägerin und ihr Bevollmächtigter erschienen. Auch die Beklagtenseite war vertreten. Das Verfahren wurde zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung mit dem Verfahren AN 1 K 23.1785 verbunden. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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5. Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Satz 1 BeamtStG. Danach haben Beamtinnen und Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
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Die Klägerin war als Bürgermeisterin der Beklagten Beamtin nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 GO.
16
Die Beklagte ist zudem berechtigterweise von einer Pflichtverletzung durch die Klägerin gegenüber ihr ausgegangen. Dienstpflichtverletzung kann jedes Tun oder Unterlassen sein, das objektiv gegen den Inhalt einer ihm aufgrund des Beamtenverhältnisses obliegenden Pflicht verstößt (BVerwG, U.v. 3.2.1972 – VI C 22.68 – BeckRS 1972, 30431333). Vorliegend hat die Klägerin durch die Durchführung der Veranstaltung am … auf Kosten der Beklagten gegen die allgemeine Pflicht zur sparsamen Aufgabenerfüllung (Art. 61 GO) verstoßen. Die durch die Klägerin einberufene Veranstaltung stellt keine Bürgerversammlung nach Art. 18 GO dar. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 GO hat die erste Bürgermeisterin mindestens einmal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderats auch öfter, eine Bürgerversammlung zur Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten einzuberufen. Die Veranstaltung stellte keine Bürgerversammlung in diesem Sinne dar. Wesentliche Bedeutung kommt bei dieser Wertung dem Einladungstext – veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Stadt vom 4. Mai 2018, S. 4 – zu. Hierin hat die Klägerin zu einer „Bürgerinformation und zum Dialog am … – … in der …“ eingeladen. Dieser Einladung sind weder eine Tagesordnung, die der Vorabinformation der Bürger dient und ihre Möglichkeit zur Partizipation verbessern soll, zu entnehmen noch erfolgt eine Bezugnahme auf Art. 18 GO. Darüber hinaus bleiben die Angaben, was genau Gegenstand dieser Veranstaltung sein soll, völlig vage und geradezu nebulös („möchten Sie Informationen aus Erster Hand und wissen, was dran ist an all dem Gerede, den Gerüchten, den Berichten?“). Der gesamte Duktus der Einladung („Durch die Gasse der Vorurteile muss die Wahrheit ständig Spießruten laufen.“ „Wir jedenfalls können es uns nicht leisten, die Suppe zu versalzen.“ „In vino veritas.“) entspricht dabei nicht einer der Neutralitätspflicht unterliegenden (vgl. Müller in Widtmann/ Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 18 Rn. 1) Veranstaltung. Auch führte die Klägerin nicht den Vorsitz in der Veranstaltung, wie es Art. 18 Abs. 3 GO grundsätzlich vorsieht. Der Hauptamtsleiter der Beklagten hat schließlich in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen ausgeführt, dass bei sonstigen Bürgerversammlungen die Bürger um Themenvorschläge für die Veranstaltung gebeten würden, was hier ebenfalls unterblieben sei.
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Dem steht nicht entgegen, dass bei dieser Veranstaltung nach den Angaben der Klägerin über das neu gegründete Kommunalunternehmen, die digitale Informationsstelle für Touristen und Bürger, den Breitbandausbau, Datenschutz und Sicherheit, die Zusammenarbeit im Stadtrat und mit dem Gewerbering … sowie die personelle und finanzielle Situation gesprochen wurde. Dies konnte durch das Gericht als wahr unterstellt werden. Entscheidend ist aus Sicht der Kammer, dass der gesamte Rahmen der Veranstaltung nicht einer sachlichen Information der Bürger diente, sondern einer Darstellung der Dinge aus der persönlichen Sicht der Klägerin, wodurch sie einen politischen Charakter bekam.
18
Die Klägerin hat diese Pflichtverletzung auch schuldhaft begangen. Sie hat jedenfalls grob fahrlässig gehandelt. Derart handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz nahe liegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (BVerwG, U.v. 12.8.2008 – 2 A 8.07 – BeckRS 2008, 39053). Rechtsanwendungsfehler sind grob fahrlässig, wenn die vom Beamten vertretene Auffassung unvertretbar ist, der Sachverhalt offensichtlich nicht ausreichend ermittelt oder offensichtlich unsorgfältig bei Auslegung und Auswertung der Hilfsmittel vorgegangen wurde. Danach ist hier jedenfalls eine grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, da die rechtliche Annahme, es könnte sich bei der Veranstaltung vom … um eine Bürgerversammlung im Sinne von Art. 18 GO handeln, leicht vermeidbar gewesen wäre, wenn sich die Klägerin – selbst als rechtlicher Laie – unter Zurhilfenahme auch ihrer behördlichen Mitarbeiter über die Voraussetzungen des Art. 18 GO informiert hätte (vgl. hierzu VGH Kassel, B.v. 25.8.2023 – 1 A 837/18 – BeckRS 2023, 25391).
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Der Beklagten ist durch die Pflichtverletzung der Beklagten auch ein Schaden entstanden. Dieser besteht in den durch die Stadt beglichenen Kosten (Sicherheitsfirma … EUR + Moderation … EUR + Getränke … EUR = … EUR zzgl. der Mahnkosten i.H.v. … EUR) für die Veranstaltung. Da es für die Annahme des Schadens nicht darauf ankam, ob für die Einschaltung einer Sicherheitsfirma vor dem Hintergrund eines möglichen Drohschreibens ein Bedürfnis bestand, konnte dieser Umstand ebenfalls als wahr unterstellt werden.
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Weitere Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids wurden nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeitsentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.