Titel:
Erfolglose Untätigkeitsklage im Asyl-Folgeverfahren
Normenketten:
VwGO § 75, § 155 Abs. 4
AsylG § 3, § 4, § 24 Abs. 7, § 71 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Asylverfahrens-RL Art. 31 Abs. 5
Leitsätze:
1. Die Höchstfrist des § 24 Abs. 7 zur Entscheidung über einen Asylantrag gilt auch für einen nach § 71 Abs. 2 AsylG gestellten Folgeantrag. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein staatenloser Armenier, der von 1992 bis 2014 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine hatte, kann vor den derzeit dort stattfindenden Kampfhandlungen in der Westukraine internen Schutz finden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untätigkeitsklage, Asylrecht (Ukraine), Folgeantrag, Höchstfrist zur Entscheidung, Asyl, Ukraine, Armenier, Höchstfrist, Entscheidung, interner Schutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.09.2024 – 11 ZB 24.30203
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11097
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
4. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt einen asylrechtlichen Schutzstatus gegen das untätige Bundesamt im Rahmen eines Folgeverfahrens.
2
Der Kläger ist nach eigenen Angaben staatenloser armenischer Volkszugehöriger und armenisch-orthodoxen (gregorianischen) Glaubens. Er hatte von 1992 bis 2014 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine.
3
1. Der Kläger beantragte am 12. Juni 2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Wesentlichen trug der Kläger im Erstverfahren vor, er sei an Krebs erkrankt und nach Deutschland gekommen, um sein Leben zu retten. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 7. April 2017 abgelehnt und es wurde die Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht. Der Bescheid prüft im weiteren Abschiebehindernisse mit Blick auf die Ukraine. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wurde durch Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. August 2020 (AN 4 K 17.32505) abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. November 2020 (11 ZB 20.32196) abgelehnt.
4
Am 17. Februar 2021 beantragt der Kläger die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Mit dem Antrag wurde ein anwaltliches Begleitschreiben vom 16. Februar 2021 in Vorlage gebracht, das v.a. auf weitere Attestierungen verweist, die ihrerseits ein zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung aktuelles Rezidiv der Krebserkrankung thematisieren. Weiter wurde ein persönliches handschriftliches Begleitschreiben des Klägers in deutscher Sprache vorgelegt, mit dem der Kläger im Wesentlichen seine bisherige Lebens- und Krankengeschichte wiederholt und den Wunsch äußert, in Deutschland weiter behandelt werden zu können. Bei der Folgeantragsbegründung erklärt der Kläger weiter persönlich, dass in Deutschland seine Familie, seine Mutter und sein Bruder lebe, er einen Bekanntenkreis gefunden habe und ihm viele Dinge in Deutschland gefallen (Bl. 121 d.A.).
5
2. Ausweislich der Behördenakte wendet sich der Kläger mit Schreiben vom 26. April 2021 an die Zentrale Ausländerbehörde bei der Regierung von Mittelfranken und mit Schreiben vom 10. Juni 2021 direkt an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In diesen bringt er weitere Attestierungen in Vorlage und berichtet über seinen Gesundheitszustand.
6
Mit Schreiben vom 16. März 2022 zeigt sich ein neuer anwaltlicher Vertreter an und übermittelt im Nachgang weitere aktualisierte Attestierungen. Mit Schreiben vom 30. November 2022 fordert der anwaltliche Vertreter unter Hinweis auf eine Entscheidung des VG Schwerin die zeitnahe Gewährung subsidiären Schutzes (Bl. 330 d.A.). Dieses beantwortet die Beklagte mit Schreiben vom 2. Dezember 2022 und verweist auf die volatile Lage in der Ukraine.
7
Mit Schreiben vom 8. Dezember und vom 28. Dezember 2022 mahnt der anwaltliche Vertreter erneut eine Entscheidung an und zitiert die Entscheidungsfristen der Asylverfahrensrichtlinie und verweist auf die Aufenthaltserlaubnisse für Mutter und Bruder des Klägers und in diesem Zusammenhang auf Art. 6 GG.
8
3. Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 11. Januar 2023 lässt der Kläger Untätigkeitsklage erheben und beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Asyl zu gewähren und hilfsweise Flüchtlingsschutz zuzuerkennen Hilfsweise Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu gewähren Hilfsweise Die Beklagte wird verpflichtet, unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 2017 festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
9
Der Klägervertreter tritt der Einschätzung des Bundesamtes entgegen, dass aufgrund der Lage in der Ukraine ein Grund für die Nichtbescheidung im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO und Art. 31 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie vorliege, da die andauernden und wechselnden Kriegshandlungen keine belastbare Gefährdung von Antragstellern für den Fall der Rückkehr in die Ukraine zulassen. Der Klägervertreter verweist in diesem Zusammenhang auf verschiedene Entscheidungen (VG Schwerin, U.v. 21.10.2022 – 5 A 1172/19 SN; VG Bremen, U.v. 1.11.2022 – 6 K 2297/19; VG Freiburg, U.v. 22.12.2022 – A 7 K 401/18). Weiter verweist der Klägervertreter darauf, dass die 21-Monatige Höchstfrist aus der Asylverfahrensrichtlinie abgelaufen sei.
10
Auf gerichtliche Nachfrage legt der Klägervertreter mit Schreiben vom 10. Januar 2024 aktuelle Attestierungen über den Gesundheitszustand des Klägers vor. Demnach werde von einer Abschiebung des Klägers dringend abgeraten. Ein Abbruch der Therapie und der onkologischen Nachsorge sei lebensgefährlich. Mit Schreiben vom 18. Januar 2024 wurde ein weiteres Attest in Vorlage gebracht und hierzu ausgeführt. Ferner nimmt der Klägervertreter insbesondere zur Frage einer internen Fluchtalternative nach § 3e AsylG und zur Lage in den westukrainischen Oblasten Stellung.
11
4. Die Beklagte erwidert mit Schreiben vom 25. Januar 2023 und beantragt,
12
Hinsichtlich der der Entscheidung entgegenstehenden Gründe werde auf das Schreiben vom 2. Dezember 2022 verwiesen.
13
Mit weiteren Schreiben vom 12. Januar 2024 erklärt die Beklagte, dass ihr eine Entscheidung aufgrund der Weisungslage weiterhin nicht möglich sei.
14
5. Auch im gerichtlichen Verfahren hat der anwaltliche Vertreter mehrmals eine Entscheidung angemahnt sowie mit Schreiben vom 15. August 2023 Verzögerungsrüge erhoben.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch hinsichtlich der eingereichten Schriftsätze und der weiteren Schreiben der Beteiligten, wird auf die Gerichtssowie auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
16
Das Gericht konnte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten, § 101 Abs. 2 VwGO, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
17
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen im Asylverfahren zu prüfenden Status.
18
Die Klage ist zulässig.
19
1. Die Verpflichtungsklage findet als Untätigkeitsklage im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO statt. Die Beklagte hat über den am 17. Februar 2021 gestellten Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) des Klägers ohne zureichenden Grund nicht entschieden.
20
Nach § 75 Satz 1 VwGO ist eine Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Im Asylverfahren ist die Frage der angemessenen Frist dabei durch die Vorschriften des § 24 Abs. 4 bis 8 AsylG vorgegeben. Die abgestufte Fristenregelung geht inhaltlich zugleich darauf ein, welche Gründe für ein Nichtentscheiden vorliegen können. § 24 Abs. 7 AsylG regelt ferner ausdrücklich, dass das Bundesamt spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Abs. 1 und 2 AsylG entscheidet.
21
Diese Höchstfrist gilt vorliegend auch in Ansehung des Umstandes, dass der Antrag als Folgeantrag nach § 71 Abs. 2 AsylG, und nicht nach § 14 AsylG, gestellt wurde. Die Fristen in den § 24 Abs. 4 bis Abs. 8 AsylG wurden in Umsetzung der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) (Asylverfahrens-Richtlinie) im Gesetz aufgenommen (Dickten in BeckOK-Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 39. Ed. 1.10.2023, § 24 AsylG Rn. 12). Da Art. 31 Abs. 5 der Asylverfahrensrichtlinie keine Unterscheidung nach der Verfahrensart trifft und lediglich auf die förmliche Antragstellung abstellt, ist § 24 Abs. 7 AsylG zur effektiven Durchsetzung des Europarechts richtlinienkonform auch auf Folgeanträge anzuwenden (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV; zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. Streinz, EUV/AEUV, 3. A. 2018, Art. 4 Rn. 33).
22
Nachdem die zulässige Höchstfrist zwischen Antragstellung (17. Februar 2021) und dem maßgeblichen gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) mehr als 21 Monate beträgt und damit überschritten ist, findet die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO) als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) statt. Diese Höchstfrist ist Gesetz und bindet damit vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG und zwar unabhängig davon, ob diese das Gesetz für zweckmäßig halten. Eine abweichende Weisungslage beim Bundesamt widerspricht damit den Anforderungen des Gesetzes.
23
2. Der Kläger hat ferner auch ein Rechtsschutzbedürfnis an der gerichtlichen Entscheidung in der geltend gemachten Form.
24
Das Rechtsschutzbedürfnis schützt das Gericht insbesondere vor missbräuchlicher Inanspruchnahme (Wöckel in Eyermann, 16. A. 2022, Vor § 40 VwGO Rn. 11). Sein Vorliegen ist aber nicht davon abhängig, ob das Gericht seine Inanspruchnahme für sinnvoll oder empfehlenswert hält. Obwohl bei der Folgeantragstellung am 17. Februar 2017 eine im Kern unveränderte Sach- und Rechtslage vorlag, der Folgeantrag wenige Monate nach dem Abschluss des Gerichtsverfahrens gestellt wurde und der Kläger letztendlich nur seine Krankengeschichte wiederholte und aktualisierte sowie den Wunsch äußerte, weiter in der Bundesrepublik zu verbleiben, haben sich die Verhältnisse seit der Stellung des Folgeantrags vor allem durch den nunmehr offen geführten russischen Angriffskrieg maßgeblich verändert, so dass sich nunmehr nicht nur die Missbrauchsfrage nicht mehr stellt, sondern vielmehr der Folgeantrag nach § 71 Abs. 1 AsylG zulässig ist.
25
Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf gerichtliches Durchentscheiden und ist nicht auf eine Verpflichtung zur Entscheidung durch die Beklagte zu beschränken. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus den Besonderheiten des Asylverfahrens.
26
Die Frage, ob ein Asylbewerber auf die Möglichkeit der reinen Bescheidungsklage beschränkt ist oder ob er auch Klage mit dem Ziel erheben kann, die Beklagte zur Gewährung internationalen Schutzes oder Feststellung von Abschiebungsverboten zu verpflichten, wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher ausdrücklich offengelassen (BVerwG, U.v. 11.7.2018 – 1 C 18/17 – Rn. 10). Die Möglichkeit der Beschränkung auf die Bescheidungsklage wurde vor allem vor dem Hintergrund der verfahrensrechtlichen Besonderheiten des Asylverfahrens, namentlich der Frage der Anhörung, gesehen (BVerwG, a.a.O. Rn. 37 ff). Dass diese Besonderheiten dazu führen müssten, dass der Kläger nur an einer Verbescheidungsklage Rechtsschutzinteresse hat, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, zumal § 71 Abs. 3 AsylG für die Folgeanträge ohnehin eine andere Regelung hinsichtlich der im Erstverfahren nach § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG obligatorischen Anhörung vorsieht und die im Raum stehenden Fragen hauptsächlich aufgrund ärztlicher Unterlagen und Erkenntnismittel zu beantworten sind.
27
Die Verpflichtungsklage ist unbegründet. Auch vor dem Hintergrund der geänderten Situation im Herkunftsland Ukraine hat der Kläger keinen Anspruch auf Asylanerkennung, auf Flüchtlingsschutz (§ 3 AsylG) oder auf subsidiären Schutz (§ 4 AsylG). Es war ferner auch nicht die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1
28
AufenthG unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 2017 auszusprechen.
29
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Flüchtlingsschutz (§ 3 AsylG).
30
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559 f.), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
31
Mithin erforderlich ist ein Verfolgungsgrund, der an Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. § 3b AsylG) anknüpft. Das Vorliegen eines Verfolgungsgrundes ist im vorliegenden Fall anhand der Auskunftslage zur Ukraine, und auch mit Blick auf die armenische Volkszugehörigkeit des Klägers, nicht ersichtlich.
32
Damit liegt auch der Grund der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG nicht vor.
33
2. Es war ferner kein subsidiärer Schutz zu gewähren. Der Kläger kann vor den Kampfhandlungen in die Westukraine ausweichen. Dort findet er internen Schutz im Herkunftsland (§§ 4 Abs. 3, 3e AsylG).
34
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt (Nr. 1) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (Nr. 2) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (Nr. 3) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG). § 3c bis § 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
35
Nach dem aufgrund § 4 Abs. 3 AsylG für die Frage des subsidiären Schutzes anwendbaren § 3e Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, wenn er (Nr. 1) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und (Nr. 2) er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung dieser Frage sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen (§ 3e Abs. 2 AsylG). Mithin besteht interner Schutz vorliegend dann, wenn in einem Teil des Herkunftslandes keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.
36
Das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bezieht sich auf schädigende Eingriffe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 17 .2.2009 – C-465/07, „Elgafaji“ – Rn. 35). Dies bleibt allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (EuGH, U.v. 17 .2.2009 – C-465/07, „Elgafaji“ – Rn. 36 ff).
37
Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Zur Bestimmung der hierfür erforderlichen Gefahrendichte bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – in Anlehnung an die von ihm zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Grundsätze – zunächst einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers (sog. „quantitativer Ansatz“, vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – Rn. 21 m.w.N.).
38
b) Nach den Erkenntnissen des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl konzentrieren sich die Kampfhandlungen derzeit auf den Osten und den Süden der Ukraine. Im ganzen Land finden Raketen- und Luftangriffe statt, wobei auch ein Beschuss ziviler Infrastrukturen und Wohnbebauung nicht ausgeschlossen werden kann. Täglich fordern Angriffe aus der Luft und durch Bodentruppen Todesopfer und Verletzte, auch unter der Zivilbevölkerung (Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Ukraine, Version 11, 11. Juli 2023, S. 6). Ferner gab es in den Oblasten Rivne und Zakarpattia im ersten Halbjahr 2023 weder sicherheitsrelevante Vorfälle noch Todesopfer im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen (Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Ukraine, Version 11, 11. Juli 2023, S. 8). In der Region Zakarpattia wurde nach Erkenntnissen des Bundesamtes im August 2023 35 Mal Luftalarm ausgelöst, ohne dass es zu Einschlägen oder Explosionen gekommen sei (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse zur aktuellen Sicherheitslage in den ukrainischen Verwaltungsgebieten („Oblaste“), Stand September 2023, S. 2). Auch aus allgemeinen Medienberichten, insbesondere des öffentlichen Rundfunks, ist nicht zu erkennen, dass sich die Kampfhandlungen in den Westen der Ukraine verschoben oder sonst dort intensiviert haben.
39
c) Auf Basis dieser Sach- und Rechtslage ist der Kläger in der Westukraine hinreichend sicher. Der anwaltliche Vertreter verweist in seinem Schriftsatz vom 18. Januar 2024 selbst darauf, dass die Sicherheitslage in den Oblasten der Westukraine derzeit als verhältnismäßig stabil eingeschätzt wird. Im Gegensatz zu der Einschätzung des anwaltlichen Vertreters ist das Gericht allerdings aufgrund der aufgezeigten Rechtslage der Auffassung, dass sich allein aus dem Umstand vereinzelter Luftangriffe und Luftalarmsituationen keine ausreichende Bedrohung für den Kläger ergibt. Zumal, wie oben aufgezeigt, es in einzelnen Oblasten es über Monate hinweg zu keinem sicherheitsrelevanten Vorfall gekommen ist. Es ist aktuell auch nicht ersichtlich, dass sich die Kampfhandlungen ausweiten oder der Beschuss in den betroffenen Oblasten intensivieren wird. Anhand des dargelegten quantitativen Maßstabs hat der Kläger keinen Anspruch auf subsidiären Schutz.
40
Soweit der anwaltliche Vertreter der Klägerseite darauf hinweist, dass nach der Ukraine-Aufenthaltserlaubnis-Fortgeltungsverordnung vom 28. November 2023 die Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG für anlässlich des Krieges in der Ukraine am oder nach dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereiste Ausländer für die Geltungsdauer des vorübergehenden Schutzes gemäß Art. 4 der EU-Massenzustrom-Richtlinie keine räumliche Einschränkung für aus der Westukraine geflohene Personen enthält, zeigt er zutreffend eine unterschiedliche Wertung auf. Diese ergibt sich aber daraus, dass die genannte Verordnung aufgrund einer bewussten politischen Entscheidung des Normgebers zu ihrem Erlass gilt, es streitgegenständlich aber um die Frage eines rechtlichen Anspruchs auf Basis bestehender Gesetze geht. Dementsprechend rechtfertigt sich eine Ungleichbehandlung der insoweit nicht vergleichbaren Sachverhalte. Der Normgeber hat vielmehr bewusst solche Personen ausgeschlossen, die bereits vor dem Stichtag eingereist sind. Diese unterliegen damit der allgemeinen asylrechtlichen Beurteilung.
41
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebehindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 2017.
42
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich die Erkrankung des Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, kann ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (BVerwG U.v. 25.11.1997, Az. 9 C 58/96 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG).
43
Erheblich ist die Gefahr, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Gerät der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in die Heimat in diese Lage, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten der Behandlung seines Leidens angewiesen ist und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte, so ist die Gefahr auch konkret (vgl. BVerwG U.v. 25.11.1997, a.a.O.). Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG U.v. 17.10.2006, Az. 1 C 18/05 – juris Rn. 15).
44
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Weiter muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
45
b) Auf Basis dieser Rechtslage ist schon keine Existenzialgefahr nachgewiesen. Dies ergibt sich auf Grundlage der aktuellen Attestierungen, die die Klägerseite nach Aufforderungen vorgelegt hat. Aufgrund dieser war auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung angezeigt.
46
(1) Das Attest der Urologischen Gemeinschaftspraxis … vom 8. Januar 2024 sieht das Erfordernis einer Nachsorge in regelmäßigen Abständen aufgrund der erfolgten Entfernung der linken Niere, des Harnleiters und der Blasenmanschette. Nach Auffassung des zeichnenden Arztes soll mit Blick darauf, dass es sich um eine zweite Krebserkrankung handelt, die komplette Nachsorge am Ort der Primärversorgung erfolgen. Eine kurzfristige Abschiebung sei „ethisch und medizinisch nicht vertretbar“.
47
Mit der Attestierung wird eine Existenzialgefahr nicht aufgezeigt.
48
(2) Das Attest der HNO … vom 9. Januar 2024 äußert den dringenden Verdacht auf ein Tumorrezidiv, da der Kläger seit einiger Zeit zunehmende Schmerzen im Bereich der rechten Zunge beklage. Für die Tumorart bestehe nach zehn Jahren ein erhöhtes Rezidivrisiko und es sei notwendig in der HNO-Fachklinik weiter betreut zu werden. In seiner Heimat wäre er längst verstorben. Eine Abschiebung würde sein Überleben dramatisch gefährden.
49
Eine konkrete Existenzialgefahr wird durch die Attestierung nicht aufgezeigt. Die attestierende Ärztin schreibt sich zwar Kenntnisse über das ukrainische Gesundheitssystem zu, beschreibt aber etwa nicht, wie sie dem „dringenden Rezidiv-Verdacht“ nachgeht.
50
(3) Das Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin … vom 8. April 2024, also zum Entscheidungszeitpunkt knapp zwei Monate in der Zukunft, und damit wohl Januar 2024 gemeint, beschreibt eine Schädigung des „Nervus accessorius“ und in Folge dessen eine Schultergelenkarthrose und in der Folge deutliche Schmerzen und Einschränkungen im täglichen Leben. Ferner sei Schlucken und Sprechen deutlich erschwert. Es seien vierteljährliche Nachkontrollen erforderlich und im Falle der Verschlechterung eine sofortige therapeutische Reaktion notwendig. Der Kläger bedürfe der medikamentösen Therapie und psychotherapeutische Betreuung. In der Ukraine stehe keine leitliniengerechte Therapie und Nachsorge zur Verfügung und die Reisefähigkeit könne nicht attestiert werden.
51
Auf Grundlage der Attestierung ist eine Existenzialgefahr nicht aufgezeigt. Die weiteren, durch andere Attestierungen nicht beschriebenen Diagnosen (etwa Hypertonie mit hypertonen Krisen), sind inhaltlich nicht nachvollziehbar und erscheinen aus der Luft gegriffen. Wieso der Kläger angeblich nicht reisen kann ist unverständlich.
52
(4) Das Attest des Klinikums … vom 17. Januar 2024 beschreibt ein Wiederauftreten der Tumorerkrankung, was eine spezialisierte und spezifische Tumortherapie dringend erforderlich mache. Der Kläger werde auch in den nächsten Jahren nach einer erfolgreichen Therapie auf eine regelmäßig und leitliniengerechte Kontrolle angewiesen sein. Bei einer nicht adäquaten Weiterbehandlung oder Nachsorge könne es zu einer erneuten lebensbedrohlichen Wiederkehr der Tumorerkrankung kommen oder es können sekundäre Komplikationen entstehen, an welchen der Kläger versterben könne. Es sei eine engmaschige Nachkontrolle erforderlich. Eine Abschiebung sei aus medizinischer Sicht nicht vertretbar.
53
Auffällig an der Attestierung ist die Widersprüchlichkeit. Es wird nicht konkret aufgezeigt, wie das behauptete Wiederauftreten der Erkrankung festgestellt wurde, welche Maßnahmen insoweit ergriffen wurden oder zur Vermeidung der Existenzialgefahr notwendig sind. In der weiteren Attestierung wird dann gesagt, es könne zu einer erneuten lebensbedrohlichen Wiederkehr der Tumorerkrankung kommen. Weiter wird ausgeführt, dass die ursprüngliche Bestrahlungstherapie bei der Tumorersterkrankung schiefgegangen sei. Umstände, die für eine konkrete Existenzialgefahr sprechen, sind damit nicht erkennbar. Es wird weiter kein konkreter Therapiebedarf aufgezeigt, dessen Verfügbarkeit geprüft werden könnte.
54
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebehindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 2017, weder unter dem Aspekt einer drohenden Verelendung noch unter dem Aspekt der Familieneinheit.
55
a) Es war kein humanitärer Abschiebeschutz nach Art. 60 Abs. 5 AufenthG wegen eines außergewöhnlichen Falls schlechter humanitärer Bedingungen im Zielland zu gewähren, weil das wirtschaftliche Existenzminimum dort nicht gesichert wäre.
56
Ein verfolgungssicherer Ort bietet das wirtschaftliche Existenzminimum nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig dann, wenn dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von Dritten jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem das wirtschaftliche Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, ist keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris Rn. 11 m.w.N.).
57
Auch nach aktueller Auskunftslage besteht das Sozialschutzsystem in der Ukraine aus einem breiten Spektrum an Sozialhilfen, Leistungen, Subventionen und Ansprüchen. Dabei hängt die ukrainische Regierung zur Finanzierung ihrer sozialen Unterstützungsprogramme von ausländischen Geldern ab. Das ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Personen, welche sich als ’beeinträchtigte Personen’ registrieren lassen, erhalten Zugang zu speziellen Sozialleistungen, jedoch ist dieser Geldbetrag oft niedriger als die staatliche Pension. Die Höhe des Existenzminimums beträgt pro Person monatlich umgerechnet ca. 65 Euro. Für arbeitsunfähige Personen beträgt das Existenzminimum umgerechnet ca. 52 Euro (Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Ukraine, Version 11, 11. Juli 2023, S. 45).
58
Angesichts dieser Erkenntnislage und der im Raum stehenden Beträge für einen Mindestlebensunterhalt besteht seitens des Gerichts kein Zweifel, dass sich der Kläger zumindest mit Hilfe staatlicher Leistung und weiter mit Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Verwandtschaft, und zwar unabhängig davon ob diese selbst Transferleistungen erhalten oder nicht, ernähren können wird.
59
b) Auch unter dem Aspekt der Familieneinheit, mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, war kein Abschiebehindernis mit Blick auf die erwachsenen Verwandten in Deutschland auszusprechen.
60
In Abweichung zu dem Grundsatz nach § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, werden vorliegend unter Anwendung von § 155 Abs. 4 VwGO der Beklagten die Kosten des nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens auferlegt.
61
Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden.
62
Anlass der Klage war die Weigerung der Beklagten zu entscheiden. Wie oben aufgezeigt verletzte sie damit ihre Pflicht aus § 24 Abs. 7 AsylG und verschuldete damit zugleich das gerichtliche Verfahren und dessen Kosten. Dieses Vorgehen entspricht im Übrigen der Wertung des § 161 Abs. 3 VwGO, wenn die Behörde im gerichtlichen Verfahren tatsächlich noch ihrer Pflicht nachgekommen wäre und so eine Erledigung auszusprechen gewesen wäre.
63
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten bei Verpflichtungsklagen ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
64
Der Gegenstandswert wurde auf Grundlage des § 30 Abs. 1 RVG festgesetzt. Ein Abweichen nach Abs. 2 der Vorschrift kommt aus Sicht des Gerichts im vorliegenden Fall nicht in Betracht.