Titel:
Wiedereinräumung von Mitbesitz durch einstweilige Verfügung
Normenketten:
ZPO § 924, § 929 Abs. 2, Abs. 3
BGB § 275 Abs. 1, § 858, § 861, § 862
Leitsätze:
1. Der Dringlichkeit eines Verfügungsantrages steht auch bei einer Besitzentziehung Selbstwiderlegung entgegen, wenn die Vollziehungsfrist verstrichen ist und sich lediglich aufgrund eines Widerspruchs des Antragsgegners eine zweite Vollziehungsmöglichkeit zugunsten des Antragstellers ergeben könnte. (Rn. 37 und 41) (red. LS Axel Burghart)
2. Wiedereinräumung von Mitbesitz ist rechtlich unmöglich, wenn eine Kontaktaufnahme sowie ein Zusammentreffen der Parteien gemäß einem von ihnen geschlossenen Vergleich faktisch nicht mehr möglich ist. (Rn. 51 und 54) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Selbstwiderlegung aufgrund Fristablaufs der Vollziehungsfrist im einstweiligen Rechtsschutz, Dringlichkeit bei Besitzentziehung, Mitbesitz, Unmöglichkeit der Wiedereinräumung des Mitbesitzes, Erledigendes Ereignis durch Vergleichsschluss, Erledigendes Ereignis durch Antragsteller, Rechtsschutzbedürfnis für Erledigungsklage im einstweiligen Rechtsschutz, Nichtamtliche Orientierungssätze:, einstweilige Verfügung, Rechtsschutzbedürfnis, Vollziehungsfrist, Besitz, Wiedereinräumung des Besitzes, Dringlichkeit, Selbstwiderlegung, Unmöglichkeit, Erledigung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 11095
Tenor
1. Der Beschluss vom 27.07.2023 des Amtsgerichts G. - Az. 10 C 336/23 - wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache bezüglich der Ziffern 1 und 4 des Beschlusses vom 27.07.2023 - Az. 10 C 336/23 - erledigt hat.
3. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Der Streitwert wird auf 7.400,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien stritten um Besitz- und Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit beweglichen Sachen sowie einer Wohnung. Aktuell streiten die Parteien noch über die Wiedereinräumung des Besitzes an der Bordeuxdogge A.
2
Die Parteien lebten seit 15.06.2022 zusammen mit deren Kindern in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft in der O… . Beide Parteien waren Mieter des Wohnhauses.
3
Anfang Juni 2023 trennten sich die Parteien und lebten seitdem in getrennten Wohnungen. Die Wohnung wird mittlerweile von keinem der beiden Parteien mehr bewohnt.
4
Die Verfügungsbeklagte ließ Mitte Juli 2023 die Schlösser der Wohnung austauschen.
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Der Verfügungskläger hatte seitdem keinen Zugang mehr zur Wohnung und keinen Zugriff auf seine im Eigentum stehenden Gegenstände, insbesondere die Bordeuxdogge A.
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Am 26.07.2023 beantragte der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Amtsgericht G. Az. 10 C 336/23.
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Mit Beschluss vom 27.07.2023 wurde den Anträgen vollumfänglich stattgegeben. Laut Empfangsbekenntnis wurde der Beschluss dem Verfügungsklägervertreter am 31.07.2023 zugestellt.
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Mit E-Mail vom 03.08.2023 forderte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte auf, diesem zwei Termine zu nennen, damit dieser seine Sachen abholen kann.
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Die Verfügungsbeklagte teilte dem Kläger mit E-Mail vom 03.08.2023 mehrere Termine mit.
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Am 08.08.2023 beantragte der Verfügungskläger die Vollziehung des Beschlusses vom 27.07.2023 durch Ersatzvornahme.
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Am 17.08.2023 legte die Verfügungsbeklagte Widerspruch gegen den Beschluss vom 27.07.2023 ein.
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Am 29.08.2023 versendete der Verfügungsklägervertreter den Beschluss vom 27.07.2023 per beA Anwalt zu Anwalt an die Verfügungsbeklagtenvertreterin. Ein Empfangsbekenntnis wurde nicht abgegeben.
13
In der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2023 vor dem Amtsgericht G. erklärte der Verfügungskläger, dass er nicht mehr in die ehemalige Wohnung möchte.
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Am 23.11.2023 schlossen die Parteien vor dem Amtsgericht G., Az. 002 F 549/23, einen Vergleich. Nach Ziffer 5 und 6 dieses Vergleiches sind sämtliche gegenwärtigen Ansprüche der Parteien abgegolten und die Beteiligten sind sich einig, dass das Verfahren 10 C 336/23 erledigt ist. Ausgenommen hiervon ist jeweils die Boerdeuxdogge A.
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Der Verfügungskläger ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch auf Besitzeinräumung nach §§ 861, 862 BGB zusteht.
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Mit Beschluss vom 09.10.2023 hat das Amtsgericht G. das Verfahren an das Landgericht Würzburg abgegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023 hat der Verfügungskläger die Klageanträge Ziffer 1, 3 und 4 vollständig sowie Ziffer 2 teilweise für erledigt erklärt. Die Verfügungsbeklagte hat der Erledigterklärung widersprochen.
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Der Verfügungskläger beantragt zuletzt,
- 1.
-
Der Beschluss vom 27.07.2023 wird bestätigt, soweit dem Verfügungskläger der unmittelbare Besitz an der Bordeuxdogge A. inklusive ihrer Sachen zum Spielen, Schlafen, Fressen und Gassigehen inklusive aller Papiere und Dokumente wieder einzuräumen ist.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache im Übrigen erledigt hat.
18
Die Verfügungsbeklagte beantragt zuletzt,
- 1.
-
Die Einstweilige Verfügung vom 27.07.2023 wird aufgehoben.
- 2.
-
Der Antrag des Antragstellers vom 26.07.2023 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
- 3.
-
Der Antrag auf Feststellung der Hauptsacherledigung wird zurückgewiesen.
19
Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht vorliegen. Insbesondere fehlt es an einem Verfügungsgrund sowie am Rechtsschutzbedürfnis, weil keine ordnungsgemäße Parteizustellung des Beschlusses vom 27.07.2023 stattgefunden hat. Weiter ist die Verfügungsbeklagte der Ansicht, dass der Beschluss bis heute nicht wirksam zugestellt worden ist.
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Bezüglich des übrigen Parteivorbringens wird auf den gegenseitigen Schriftverkehr sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 29.08.2023 sowie 13.12.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Beschluss vom 27.07.2023 war aufzuheben und dem geänderten Antrag war im tenorierten Umfang stattzugeben. Im Übrigen war der Antrag zurückzuweisen.
A. Verfügungsantrag bezüglich der Bordeuxdogge A.
22
Der Beschluss vom 27.07.2023 ist bezüglich der Herausgabe der Bordeuxdogge A. aufzuheben und zurückzuweisen.
23
I. Der Verfügungsantrag bezüglich der Bordeuxdogge A. ist zwar zulässig.
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1. Das Landgericht Würzburg ist gemäß §§ 281 Abs. 1 S. 4, 12, 13 ZPO, 23, 71 GVG sachlich und örtlich zuständig.
25
2. Das Rechtsschutzbedürfnis liegt gerade noch vor.
26
Zwar ist eine Vollziehung des Beschlusses vom 27.07.2023 unstatthaft, weil die Fristen des § 929 Abs. 2, 3 ZPO nicht gewahrt wurden.
27
Die Vollziehung wurde zwar vor Ablauf der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO beantragt. Der Beschluss wurde gemäß §§ 173, 175 Abs. 3 ZPO gegen Empfangsbekenntnis am 31.07.2023 an den Verfügungsklägervertreter zugestellt. Die Ersatzvornahme wurde am 08.08.2023 beantragt.
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Die Frist des §§ 929 Abs. 2, 3 ZPO ist dennoch nicht gewahrt. Der Verfügungsbeklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Beschluss vom 27.07.2023 gemäß §§ 922 Abs. 2, 195, 173, 175 ZPO an die Verfügungsbeklagtenvertreterin zugestellt worden ist. Es fehlt der Nachweis eines (elektronischen) Empfangsbekenntnisses. Der (qualifizierte) Nachweis der Versendung reicht nicht aus. Dies ergibt sich bereits daraus, dass gerade keine Empfangsbereitschaft von Seiten der Beklagtenvertreterin vorgelegen hat und mangels Erteilung eines Empfangsbekenntnisses auch keine Zustellung nachgewiesen worden ist (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, ZPO § 173 Rn. 5,16). Selbst wenn man hierin einen Verstoß gegen die BRAO sehen möchte, so führt das trotzdem zu keiner wirksamen Zustellung.
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Demzufolge wäre eine Vollziehung mangels rechtzeitiger Zustellung innerhalb der Monatsfrist ohnehin unstatthaft gewesen (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, ZPO § 929 Rn. 27,28).
30
Allerdings kann das Überprüfungsverfahren im Rahmen von § 924 ZPO zugunsten des Verfügungsklägers dazu führen, dass dieser eine zweite Vollziehungsmöglichkeit erhält. Im Falle einer günstigen Entscheidung, würde die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO erneut – und zwar ab Zustellung des Urteils – zu laufen beginnen (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, ZPO § 929 Rn. 7).
31
Die Frage des Verstreichenlassens der Vollziehungsfrist wird jedoch im Rahmen der Dringlichkeit zu beachten sein.
32
II. Der Antrag ist vollumfänglich unbegründet.
33
1. Soweit der Verfügungskläger einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß §§ 861, 862, 858 BGB geltend macht, fehlt es sowohl an einem Verfügungsgrund als auch an einem Verfügungsanspruch.
34
a) Es fehlt bereits an einem Verfügungsgrund, weil der Verfügungskläger die Dringlichkeit selbst widerlegt hat.
35
aa) Ein Verfügungsgrund setzt voraus, eine vorläufige Regelung notwendig und dringlich ist (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO Kommentar, 43. Aufl. 2022, § 940 Rn. 5).
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Dabei kann eine Selbstwiderlegung durch den Antragsteller in Betracht kommen, wenn dieser die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ungenutzt versäumt (vgl. MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 935 Rn. 22; BeckOK ZPO/Mayer, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 935 Rn. 19).
37
Eine Selbstwiderlegung kommt dabei auch dann in Betracht, wenn die Vollziehungsfrist verstrichen ist und sich lediglich auf Grund eines Widerspruchs der Antragsgegnerseite eine zweite Vollziehungsmöglichkeit zugunsten des Antragstellers ergeben könnte.
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Insofern schließt sich das Gericht den Rechtsgrundsätzen des OLG Celle (Beschluss vom 30.8.2012 – 5 W 42/12, BeckRS 2013, 766, beck-online) sowie des Kammergerichts Berlin (Urteil vom 21-05-1991 – 9 U 1164/90 in NJW-RR 1992, 318, beck-online) an.
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Die dort aufgestellten Rechtsgrundsätze sind auch auf diesen Fall anwendbar, weil auch dort die Vollziehungsfrist ohne erkennbaren Grund versäumt worden ist. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob ein neuer Antrag in einem neuen Verfahren gestellt wird oder – wie hier – ein Widerspruchsverfahren durchgeführt wird. In beiden Fällen muss die Dringlichkeit der Anordnung im Falle einer wesentlichen Versäumung der Vollziehungsfrist beachtet werden.
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bb) Im vorliegenden Fall ist es zwar so, dass die Dringlichkeit bei einer Besitzentziehung nach § 861 BGB bejaht wird (vgl. BeckOK ZPO/Mayer, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 935 Rn. 13).
41
Diese Dringlichkeitsvermutung kann dennoch selbst widerlegt werden, was der Verfügungskläger in diesem Fall durch sein Verhalten auch getan hat.
42
Das Verstreichenlassen der Vollziehungsfrist führt dazu, dass dem Verfügungskläger die Wiedereinräumung des Besitzes der Bordeuxdogge A. nicht eilig war. Wäre es eilig gewesen, hätte dieser die Vollziehung beantragt und insbesondere rechtzeitig zugestellt.
43
Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass bereits die Zustellung des Beschlusses an die Verfügungsbeklagte vom 27.07.2023 innerhalb der Monatsfrist nicht nachgewiesen worden ist (vgl. A.I.2.). Insofern ist es deshalb auch nicht relevant, dass das Amtsgericht über den Antrag auf Ersatzvornahme nicht entschieden hat. Selbst wenn eine Ersatzvornahme durchgeführt worden wäre, wäre diese aufgrund der – bislang nicht nachgewiesenen – Parteizustellung des Beschlusses gemäß § 929 Abs. 2 S. 1, 3 S. 2 ZPO unwirksam geworden.
44
Ein etwaiges darin liegendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten, muss sich der Verfügungskläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
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b) Darüber hinaus fehlt es mittlerweile an einem Verfügungsanspruch.
46
aa) Der Besitzschutz gegenüber einem anderen Mitbesitzer ist gemäß § 866 BGB dahingehend beschränkt, dass Besitzschutz nur bei Besitzstörungen stattfindet (vgl. BeckOGK/Götz, 1.10.2023, BGB § 866 Rn. 48).
47
Dabei stellt der Mitbesitz eine geteilte Sachherrschaft über eine ganze Sache dar (BeckOGK/Götz, 1.10.2023, BGB § 866 Rn. 4).
48
Der Besitz ist demnach von vorneherein seit Begründung des Mitbesitzes lediglich auf den Mitbesitz an der Sache und nicht auf Alleinbesitz der Sache gerichtet. Im Falle der Besitzentziehung besteht deshalb lediglich ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes (BeckOGK/Götz, 1.10.2023, BGB § 866 Rn. 44).
49
Wegen § 90a S. 3 BGB finden die Vorschriften der §§ 854 ff. BGB und die soeben dargelegten Grundsätze auch auf Tiere Anwendung.
50
bb) Im vorliegenden Fall hat der Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes ursprünglich bestanden. Das Austauschen der Schlösser des gemeinsamen Wohnhauses stellte eine verbotene Eigenmacht gemäß § 858 BGB dar.
51
Mittlerweile ist die Wiedereinräumung des Mitbesitzes an dem Hund unmöglich geworden, § 275 Abs. 1 BGB.
52
§ 275 BGB findet auch außerhalb des Rechts der Schuldverhältnisse ausnahmsweise auf dingliche Ansprüche des Sachenrechtes Anwendung. Eine derartige Anwendung ist insbesondere immer dann geboten, wenn es um einen dinglichen Anspruch auf Erfüllung in Natur geht (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 275 Rn. 17). Auch in solchen Fällen kann die Einräumung einer dinglichen Position – wie des Besitzes – unmöglich werden, insbesondere wenn die Sache zerstört wird oder rechtliche wie tatsächliche Hindernisse eine Erfüllung unmöglich machen.
53
Dem steht § 864 BGB nicht entgegen, weil dieser lediglich zwei Fälle des Erlöschens von Ansprüchen nach §§ 861, 862 BGB und zwar in einem speziell prozessrechtlichen Zusammenhang regelt. Zur Frage der Unmöglichkeit der Leistung verhält sich diese Regelung nicht. Auch sonst findet sich in den §§ 854 ff. BGB keine spezielle sowie abschließende Regelung, welche einer Anwendbarkeit von § 275 BGB entgegenstehen würde.
54
Die rechtliche Unmöglichkeit der Wiedereinräumung des Mitbesitzes ergibt sich aus dem vor dem Amtsgericht G. (Az. 002 F 549/23) geschlossenen Vergleich vom 23.11.2023. Dieser stellt ein dauerndes Rechtshindernis dar, welches die Ausübung eines Mitbesitzes im Sinne von § 866 BGB unmöglich macht.
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Nach Ziffer 1 bis 4 des Vergleiches ist eine Kontaktaufnahme sowie ein Zusammentreffen der Parteien faktisch nicht mehr möglich. Gemeinsame Zusammentreffen sowie das Aufsuchen der Wohnung der Verfügungsbeklagten in einem Umkreis von 50m ist ohne Zustimmung nicht erlaubt. Weiter ergibt sich aus Ziffer 4, dass Zusammentreffen nur bezüglich der Auseinandersetzung um die Bordeuxdogge A. gestattet sind. Weiter ergibt sich aus Ziffer 2 des Vergleiches, dass die Verfügungsbeklagte nicht mehr in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung wohnt.
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Die Wiedereinräumung eines Mitbesitzes im Sinne einer tatsächlichen Sachherrschaft ist nach diesen Umständen unmöglich. Zunächst besteht keine gemeinsame Wohnung mehr, weshalb ein klassischer Mitbesitz im Rahmen eines gemeinsamen Zusammenwohnens nicht mehr verwirklicht werden kann. Weiter scheitert ein sonstiger anderweitig geregelter Mitbesitz an den strengen Kontaktregelungen des geschlossenen Vergleiches. Danach soll es gerade nicht mehr zu gemeinsamen Zusammentreffen kommen, weshalb die gemeinsame Besitzausübung allein deshalb nicht mehr verwirklicht werden kann.
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Schließlich hat die Verfügungsbeklagte aus denselben Gründen auch ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 Abs. 2 BGB. Gerade mit Blick auf den von beiden Parteien freiwillig geschlossenen Vergleich würde sich eine gemeinsame Ausübung des Besitzes nach Treu und Glauben als grob unverhältnismäßig herausstellen. Der hier zu betreibende Aufwand für einen gemeinsamen Mitbesitz würde komplizierte Absprachen und Regelungen sowie möglicherweise die Einschaltung unbeteiligter Dritter erfordern, damit die getroffenen Regelungen des Vergleiches nicht verletzt werden. Der damit verbundene Aufwand ist für die Verfügungsbeklagte nicht zumutbar und kann vom Verfügungskläger nach Treu und Glauben auch nicht verlangt werden.
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cc) Ein Anspruch auf Einräumung des Alleinbesitzes hat wegen § 866 BGB nie bestanden. Dieser ist auch nicht mit Blick auf die Unmöglichkeit des Anspruches auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes entstanden.
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Dies liegt vor allem daran, dass gerade kein Alleinbesitz gemäß § 858 BGB entzogen worden ist. Die Einräumung des Alleinbesitzes kann deshalb auch nicht verlangt werden. Die Beschränkungen des § 866 BGB werden gerade nicht dadurch aufgehoben, dass der Mitbesitz im Laufe der Zeit unmöglich wird.
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2. Soweit der Verfügungskläger einen Anspruch auf Herausgabe der Bordeuxdogge A. gemäß § 985 BGB geltend macht, fehlt es an einem Verfügungsgrund.
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Aus diesem Grund kann die Frage der Eigentümerstellung offen bleiben. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023 übergebene Tierüberlassungsvertrag gemäß § 296, 282 ZPO präkludiert ist.
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a) Im Gegensatz zu §§ 861, 862 BGB wird der Verfügungsgrund bei einem Vorgehen nach § 985 BGB gerade nicht ohne Weiteres angenommen.
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Eine Dringlichkeit kommt immer dann in Betracht, wenn eine konkrete Gefahr für die Sachsubstanz droht oder die wirtschaftliche Sache völlig entwertet wird. Eine Weiterbenutzung der Sache reicht nicht aus (vgl. BeckOGK/Spohnheimer, 1.11.2023, BGB § 985 Rn. 148).
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Dabei ist auch zu beachten, dass die Hauptsache in der Regel nicht vorweggenommen werden darf. Selbst im Falle der Behauptung einer nicht artgerechten Haltung, wäre die Sache lediglich an einen Gerichtsvollzieher hinauszugeben (vgl. MüKoBGB/Baldus, 9. Aufl. 2023, BGB § 985 Rn. 283).
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b) Nach diesen Grundsätzen liegt keine Dringlichkeit im Sinne eines Verfügungsgrundes vor.
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Zunächst ist die Dringlichkeit bereits aufgrund der Selbstwiderlegung zu verneinen. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf Ziffer A.II.1.a Bezug genommen.
67
Weiter hat der Verfügungskläger weder behauptet noch dargelegt, dass die Bordeuxdogge A. durch den Besitz der Verfügungsbeklagten gefährdet wird. Die Frage der Eigentümerstellung kann auch in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden. Anhaltspunkte für einen schlechten Zustand oder einen baldigen Verlust der Bordeuxdogge A. wurden nicht vorgetragen.
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Weitere Gründe, welche eine einstweilige Regelung erforderlich machen könnten, wurden ebenfalls nicht vorgetragen.
B. Antrag auf Feststellung der teilweisen Erledigung der Hauptsache
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Der Beschluss vom 27.07.2023 war aufzuheben. Dem geänderten Antrag war teilweise stattzugeben. Im Übrigen war er zurückzuweisen.
70
I. Der Antrag auf Feststellung der Erledigung der übrigen Hauptsache ist trotz einiger Bedenken zulässig.
71
1. Das Landgericht Würzburg ist zuständig (vgl. Ziffer A.I.1.).
72
2. Die Antragsänderung von einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu einem Antrag auf Feststellung der Erledigung, ist in diesem Einzelfall gemäß §§ 263, 267 ZPO mangels Widerspruchs der Verfügungsbeklagten zulässig.
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3. Das Rechtsschutzbedürfnis ist gerade noch gegeben.
74
Dagegen spricht, dass die Kostenverteilungsfrage im einstweiligen Rechtsschutz nicht mehr dringlich ist und etwaige Kostenerstattungsansprüche in einem Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden können.
75
In diesem Fall besteht jedoch das Rechtsschutzbedürfnis insbesondere deshalb, weil sich die Verfügungsbeklagte auf den neuen Klageantrag eingelassen hat. Ein Interesse des Verfügungsklägers an einer gerechten Kostenentscheidung ist in einem derartigen Fall ausnahmsweise anzunehmen. Letztlich ist der Dispositionsgrundsatz der Parteien als Herren des Verfahrens in diesem Fall zu akzeptieren.
76
II. Der Antrag ist teilweise begründet.
77
Es lagen zwei erledigende Ereignisse vor (1.). Es liegt ein wirksamer Widerspruch zur Erledigterklärung des Verfügungsklägers vor (2.). Bezüglich der Anträge Ziffer 1 und 4 betreffend die Wohnung ist Erledigung eingetreten (3.). Bezüglich der restlichen Anträge Ziffer 2 und 3 betreffend die übrigen beweglichen Sachen ist keine Erledigung eingetreten (4.).
78
1. Es sind mehrere erledigende Ereignisse eingetreten. Diese fanden alle nach Rechtshängigkeit statt, weil die Sache bereits mit Eingang des Antrags bei Gericht rechtshängig geworden ist (MüKoZPO, ZPO vor § 916 Rn. 16, beck-online).
79
Das erste (teil) erledigende Ereignis ist in der Erklärung des Klägers vom 29.08.2023 im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2023 zu sehen, wonach dieser nicht mehr in die damalige gemeinsame Wohnung einziehen wollte. Durch diese Erklärung ist der Verfügungsgrund im Sinne einer Dringlichkeit letztlich weggefallen, weil der Kläger insoweit kein Interesse mehr an einem Mitbesitz der Wohnung hatte.
80
Dabei geht das Gericht davon aus, dass ein Erledigungsereignis auch von Seiten des Klägers herbeigeführt werden kann. Das Gesetz trifft insoweit keine Einschränkungen, weshalb eine Erledigung von beiden Seiten herbeigeführt werden können muss.
81
Weiter ist der vorliegende Fall auch anders gelagert, als der vom BGH entschiedene Fall zum Wegfall des wirtschaftlichen Interesses (BGH, Versäumnisurteil vom 13. 9. 2005 – X ZR 62/03 in NJW-RR 2006, 544, beck-online). In dem hier zu entscheidenden Fall fällt durch die Erklärung des Verfügungsklägers nicht nur das wirtschaftlich-rechtliche Interesse, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes weg. Wenn eine wesentliche Voraussetzung wegfällt, dann stellt das dazu führende Ereignis auch ein erledigendes Ereignis im Rechtssinne dar.
82
Das zweite erledigende Ereignis stellt der Vergleichsschluss vom 27.11.2023 in der Sache 002 F 549/23 dar, wonach nach Ziffer 4 sämtliche gegenwärtigen Ansprüche der Beteiligten – mit Ausnahme der Bordeuxdogge A. – abgegolten sind.
83
2. Die Verfügungsbeklagte hat der Erledigterklärung wirksam widersprochen. Zwar hat sie sich damit in Widerspruch zu Ziffer 6 des Vergleiches gesetzt, wonach die Beteiligten sich über die Erledigung des ursprünglich als 10 C 336/23 geführten und beim Landgericht als 94 O 1847/23 fortgeführten Verfahrens einig waren.
84
Trotz dieses vertraglichen Verstoßes ist ein Widerspruch wirksam und möglich.
85
Die Zustimmung kann auch nicht fingiert werden, weil § 894 ZPO nur auf Urteile Anwendung findet.
86
3. Es ist Erledigung eingetreten, soweit der Verfügungskläger in den ursprünglichen Klageanträgen zu Ziffer 1 und 4 Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung sowie die Unterlassung künftiger Besitzstörungen bezüglich der Wohnung begehrt hat.
87
Der ursprünglich zulässige und begründete Antrag wurde durch das teilerledigende Ereignis vom 29.08.2023 unbegründet.
88
a) Der Antrag war zum damaligen Zeitpunkt zulässig.
89
Das Amtsgericht war jedenfalls gemäß § 942 Abs. 1 ZPO sachlich und örtlich zuständig.
90
Das Rechtsschutzbedürfnis hat bestanden, insbesondere waren die Fristen des §§ 929 Abs. 2, 3 ZPO zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen.
91
b) Der Antrag war begründet.
92
Ein Verfügungsanspruch hat wegen Besitzentzuges durch verbotene Eigenmacht gemäß §§ 861, 862, 858, 1004 BGB bestanden, weil die Verfügungsbeklagte die Schlösser ausgetauscht hat. Das erstmalige Schlösseraustauschen indiziert auch eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 1004 BGB.
93
Ein Verfügungsgrund hat bestanden, da die Dringlichkeit insoweit vermutet wird.
94
Zum damaligen Zeitpunkt war auch noch keine Selbstwiderlegung eingetreten, weil die Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2, 3 ZPO noch hätte eingehalten werden können. Derartige Fristen dürfen voll ausgenutzt werden.
95
c) Der Antrag ist durch die Erklärung vom 29.08.2023 unbegründet geworden, weil der Verfügungsgrund weggefallen ist. Die Dringlichkeit hat sich dadurch erledigt, dass der Antragsteller kein Interesse mehr an einem Mitbesitz der Wohnung hatte. Wenn ein derartiges Interesse nicht besteht, muss die Dringlichkeit im Rahmen des Verfügungsgrundes verneint werden.
96
4. Im Übrigen ist keine Erledigung eingetreten.
97
Der ursprüngliche Antrag war zum Zeitpunkt des erledigenden Vergleichs vom 23.11.2023 bereits unbegründet.
98
Zwar hat der Vergleich vom 23.11.2023 sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche mit Ausnahme der Bordeuxdogge A. abgegolten und erledigt.
99
Der Antrag auf Wiedereinräumung des Besitzes an sämtlichen Sachen war jedoch aufgrund des Verstreichenlassens der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO bereits unbegründet, weil der Verfügungskläger hierdurch die Dringlichkeit selbst widerlegt hat.
100
Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf Ziffer A.II.1.a Bezug genommen. Die dortigen Ausführungen gelten entsprechend auch für alle übrigen ursprünglich begehrten Gegenstände.
101
Schließlich bestand für einen Anspruch aus § 985 BGB noch nie ein Verfügungsgrund. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf Ziffer A.II.2. Bezug genommen. Die dortigen Ausführungen gelten entsprechend auch für alle übrigen ursprünglich begehrten Gegenstände. Insbesondere hat der Verfügungskläger keine besondere Dringlichkeit oder einen Verlust der Sachen geltend gemacht oder behauptet.
102
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Verfügungskläger hätte bezüglich der Anträge Ziffer 1 und 4 obsiegt und bezüglich der Klageanträge Ziffer 2 und 3 unterlegen. Bezüglich der Bordeuxdogge A. (Ziffer 2) unterliegt der Verfügungskläger ebenfalls.
103
Das Gericht geht deshalb von einem Obsiegen/Unterliegen in Höhe von jeweils 50% aus.