Titel:
Vertretung des Kindes in einem Unterhaltsprozess beim Wechselmodell
Normenketten:
BGB § 1628, § 1629 Abs. 2 S. 2, § 1809 Abs. 1 S. 1
GG Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft bedarf es nicht, selbst wenn das Kind in einem paritätischen Wechselmodell betreut wird. In diesen Konstellationen ist dann der den Unterhalt geltend machende Elternteil alleinvertretungsberechtigt. (Rn. 15) (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch pragmatische Erwägungen sprechen für diese Auffassung. Mit der Einführung der § 1629 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als Ausnahme vom Grundsatz der elterlichen Gesamtvertretung wollte der Gesetzgeber die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen erleichtern, da es in vielen Fällen der zügigen Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen bedarf, um einen angemessenen Lebensunterhalt des Kindes zu ermöglichen. Die Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers verzögert und verkompliziert das Unterhaltsverfahren. (Rn. 30) (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hierfür spricht bereits, dass es an für diese Fälle an einer ausdrücklichen gesetzlichen Eingriffsgrundlage in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG fehlt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ergänzungspflegschaft, Unterhaltsansprüche, Gemeinsame Sorge, paritätisches Wechselmodell, Betreuungszeit, Alleinvertretungsbefunis, Ausschluss, elterliche Sorge
Vorinstanz:
AG Tirschenreuth, Beschluss vom 24.11.2023 – 51 F 294/23
Fundstellen:
MDR 2024, 987
LSK 2024, 10997
BeckRS 2024, 10997
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Tirschenreuth vom 24.11.2023, Az. 51 F 294/23, aufgehoben.
Der Antrag des Vaters auf Anordnung einer Ergänzungspflegschaft vom 28.07.2023 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert für die erste und zweite Instanz wird jeweils auf 4.000,- Euro festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Die Eltern des Kindes ..., geb. ..., streiten darüber, ob für die Geltendmachung von Auskünften im Rahmen von Unterhaltsansprüchen gegenüber der Mutter des Kindes die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft erforderlich ist.
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1. Die Eltern des betroffenen Kindes waren und sind nicht miteinander verheiratet. Kraft der gegenüber dem Kreisjugendamt T. am 19.05.2017 abgegebenen Sorgerechtserklärung üben die Eltern die Sorge für das Kind gemeinsam aus. Der Vater verpflichtete sich durch entsprechende Erklärung gegenüber dem Kreisjugendamt T. vom 20.07.2018 zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 105% des gesetzlichen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes für die Zeit ab dem 01.02.2018 (Urkundennummer 0172/18).
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2. In dem bei dem Amtsgericht Tirschenreuth geführten familiengerichtlichen Verfahren wegen Umgangsrechts (Az. 03 F 30/23) hatten sich die Eltern am 08.03.2023 auf eine detailreiche Umgangsregelung verständigt, auf die Bezug genommen wird. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung wird der Umgang mit dem Kind praktiziert.
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Der Vater ist der Auffassung, durch diese Vereinbarung sei ein paritätisches Wechselmodell vereinbart worden. Beide Elternteile seien gleichmäßig an der Betreuung des gemeinsamen Kindes beteiligt. Es ergebe sich unter Zugrundelegung des bei der Mutter geltenden Schichtrhythmus von zehn Tagen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Wochenend- und Feiertagsregelungen über ein Jahr betrachtet ein gleichmäßiger Verteilungsrhythmus der Betreuungszeiten zwischen den beiden Elternteilen. Die Auswertung der Betreuungszeiten im Einzelnen habe ergeben, dass die Betreuungszeit bei der Mutter nur bei 1,23 Prozent über 50 Prozent liege. Eine derart minimalistische Abweichung habe zur Folge, dass die Betreuungszeiten als gleichmäßig im Sinne eines paritätischen Wechselmodells angesehen werden müssten.
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Dies habe gemäß einer überschlägigen Berechnung zur Folge, dass dem Kind kein Anspruch mehr auf Zahlung von Kindesunterhalt gegenüber dem Vater zustünde, wenn die Mutter aufgrund ihrer Schichtarbeitszeiten ein gleich hohes unterhaltsrechtliches Einkommen wie der Vater haben sollte. Seiner Erinnerung nach habe die Mutter ein vergleichbar hohes Einkommen wie er. Zudem habe der Vater mittlerweile ein weiteres – ebenfalls unterhaltsberechtigtes – Kind.
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Die Mutter sei zur Erteilung von Auskunft über ihr Einkommen nicht bereit. Das Kind, welches einen Auskunftsanspruch gegen die Mutter habe, könne allerdings einer Reduzierung des gegenüber dem Vater bestehenden Unterhaltsanspruchs entgegentreten, wenn es über die Einkommenssituation seiner Mutter Auskunft vorliegen hätte und erteilen könne. Das Kind könne den Auskunftsanspruch gegenüber der Mutter nicht selbst geltend machen. Die Mutter könne das Kind in dieser Angelegenheit nicht selbst vertreten. Daher sei zu diesem Zweck die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich.
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Der Vater hat erstinstanzlich beantragt,
dem Kind für die Geltendmachung der Auskünfte im Rahmen von Unterhaltsansprüchen gegenüber der Mutter des Kindes einen Ergänzungspfleger zu bestellen.
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Die Mutter hat die Abweisung des Antrags gefordert.
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Sie meint, ein Wechselmodell läge nicht vor. Das Kind werde auch vor dem Hintergrund der geschlossenen Umgangsvereinbarung vorwiegend von der Mutter betreut. Der Vater übe lediglich erweiterten Umgang aus. Ein Wechselmodell sei nur dann gegeben, wenn jeder Elternteil exakt 50 Prozent der Betreuungszeiten übernehme. Die Mutter betreue den gemeinsamen Sohn allerdings mindestens zwei Prozent mehr.
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Der Vater sei daher weiterhin barunterhaltspflichtig, die Mutter leiste den Betreuungsunterhalt. Sie trage zudem im Alltag sämtliche Kosten für das Kind wie etwa zusätzliche Kindergartenbeiträge sowie die Kosten für Ausflüge mit dem Kindergarten, Kleidung und für Friseurtermine, wie es bei einem klassischen Residenzmodell der Fall sei. Auch dies weise darauf hin, dass die Betreuung des Kindes nicht einem Wechselmodell folge.
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3. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 24.11.2023 für das betroffene Kind Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgaben-/Wirkungskreis „Vertretung bei der Geltendmachung von Auskunfts- und Unterhaltsansprüchen gegenüber der Mutter“ angeordnet. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass es in der Konstellation des Wechselmodells an dem für ein Obhutsverhältnis notwendigen Schwerpunkt der Betreuung fehle. Eine auf § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB gestützte Vertretung des Kindes sei daher ausgeschlossen.
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4. Gegen diesen der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter am 27.11.2023 zugestellten Beschluss wendet sich diese mit ihrer Beschwerde vom 05.12.2023, eingegangen am 21.12.2023. Sie hält an ihrer Auffassung fest, es läge kein Wechselmodell vor, so dass eine Ergänzungspflegschaft nicht erforderlich sei. Dieses fordere eine Betreuung zu hälftigem Anteil, was bei ihnen nicht der Fall sei. In dem Verfahren wegen Umgangs sei auch nicht festgehalten worden, dass es sich bei der vereinbarten Regelung um ein Wechselmodell handeln solle.
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Der Vater betont, es bestehe eine hälftige Aufteilung der Betreuung zwischen den Elternteilen und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Die Umgangsregelung habe sich bei ihrer Vollziehung über ein ganzes Kalenderjahr als Wechselmodell herausgestellt. Auf die marginale, eher durch Zufälligkeiten entstehende, Abweichung der rechnerischen Betreuungszeiten könne es nicht ankommen.
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Die Beschwerde der Mutter ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt, §§ 11 Abs. 1 RPflG, 58 ff FamFG.
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Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und zur Zurückweisung des Antrags des Vaters, denn der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft bedarf es nach Auffassung des Senats auch dann nicht, wenn das Kind tatsächlich in einem paritätischen Wechselmodell betreut werden sollte.
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1. Die gemäß dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Tirschenreuth angeordnete Ergänzungspflegschaft hat die Vertretung des Kindes lediglich im Zusammenhang mit Auskunfts- und Unterhaltsansprüchen gegenüber der Mutter zum Gegenstand. Beschwerdegegenstand ist allein die von dem Amtsgericht angeordnete Ergänzungspflegschaft mit dem dort erfassten Aufgaben-/Wirkungskreis. Hingegen ist die Regelung der Vertretung in einem vom Vater angedeuteten, möglichen Abänderungsverfahren bezogen auf den gegen ihn bestehenden Unterhaltstitel nicht Gegenstand der Beschwerde.
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2. Gemäß § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB erhält ein unter elterlicher Sorge stehender Beteiligter einen Pfleger nur für solche Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind. Die Anordnung einer Pflegschaft setzt demnach voraus, dass gegenwärtig ein Fürsorgebedürfnis besteht. Das folgt aus der Tatsache, dass die Pflegschaftsanordnung einen Eingriff in das Sorgerecht der Eltern darstellt und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt (Schöpflin in: beckOGK/BGB, Stand 01.01.2023, § 1809 Rn. 62). An einem Bedürfnis für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft fehlt es, wenn anstelle des verhinderten Elternteils der andere Elternteil die Vertretung des Kindes übernimmt (Schöpflin in: BeckOGK/BGB, Stand 01.01.2023, § 1809 Rn. 63).
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a. Die Eltern des Kindes ... sind gemeinsam sorgeberechtigt, so dass sie nach § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB zunächst gemeinsam als gesetzliche Vertreter des Kindes berufen wären. Bei mitsorgeberechtigten Elternteilen regelt § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB für den Fall der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen einen Ausnahmefall vom Grundsatz der Gesamtvertretung. Die Berechtigung zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen liegt dann bei demjenigen Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Der Begriff der Obhut wird im Gesetz nicht definiert. Nach den von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien übt derjenige Elternteil die Obhut aus, der sich tatsächlich dem Wohl des Kindes annimmt und schwerpunktmäßig und vorrangig dessen elementare Bedürfnisse nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs sowie ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung sicherstellt (BGH NJW 2014, 1958; OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 343; OLG Nürnberg FamRZ 2019, 295; BeckOK BGB/Veit, 70. Ed. 1.1.2023, § 1629 Rn. 81).
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b. Vorliegend streiten die Eltern über die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse und deren Bewertung als paritätisches Wechselmodell. Auf diese Frage kommt es aber für das Alleinvertretungsrecht des Kindes im Unterhaltsverfahren gegen die Mutter nicht an.
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Bislang wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass bei einem paritätischen Wechselmodell mangels Betreuungsschwerpunkt keinem Elternteil die Vertretungsmacht zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen zustehe (BGH NJW 2014, 1958; NJW 2007, 1882 = FamRZ 2007, 707; NJW 2006, 2258 = FamRZ 2006, 1015; MüKoBGB/Huber, 9. Auflage, § 1629 Rn. 78 f.). § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB sei in diesem Fall nicht anwendbar. Folglich müsse der die Barunterhaltsinteressen des Kindes vertretende Elternteil beim Familiengericht entweder den Antrag stellen, ihm gemäß § 1628 S. 1 BGB die Befugnis zur Entscheidung über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zu übertragen, oder auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1809 Abs. 1 S. 1 BGB hinwirken. Insoweit wurde dem Elternteil ein Wahlrecht zugesprochen (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 10 Rn. 45). Das OLG Stuttgart hat sich in seiner Entscheidung vom 01.03.2023, Az.: 11 UF 214/22, NJW-RR 2023, 854, gegen die Übertragung der alleinigen Entscheidungsmöglichkeit nach § 1628 BGB und für die Bestellung eines Ergänzungspflegers ausgesprochen. Das OLG Schleswig geht in seiner Entscheidung vom 21.11.2023, Az. 8 UF 161/23, NJW-RR 2024, 204, auch von einem Wahlrecht aus, hat aber letztendlich die Übertragung der Entscheidung über die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen auf Kindesunterhalt auf den die Barunterhaltsinteressen des Kindes wahrnehmenden Elternteil nach § 1628 BGB in dem zu entscheidenden Fall befürwortet.
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c. Der Vater ließ erstinstanzlich vortragen, er beabsichtige, für das Kind Auskunfts- und Zahlungsansprüche gegenüber der Mutter als Antragsgegnerin gerichtlich geltend zu machen. Da dieser Antrag gegen die Mutter gerichtet wäre, ist sie unabhängig vom Vorliegen eines Wechselmodells bereits gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 Abs. 1 und Abs. 2, 181 BGB für das Kindesunterhaltsverfahren auf Antragstellerseite von der gesetzlichen Vertretung des Kindes ausgeschlossen. Gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB können Eltern das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1824 BGB ein Betreuer von der Vertretung des Betreuten ausgeschlossen wäre. § 1824 Abs. 2 BGB verweist auf das Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB. Zwar ist § 181 BGB auf Prozesshandlungen nicht unmittelbar anwendbar. Der Grundgedanke der Norm gilt allerdings auch im gerichtlichen Verfahren (Finkenauer in: Erman/BGB, 17. Auflage, § 181 Rn. 5) mit der Folge, dass niemand in einem Verfahren auf beiden Seiten Beteiligter sein kann.
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d. Für die Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes gegen die Mutter ist sodann der Vater alleinvertretungsberechtigt:
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Zwar war nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Meinung bei gemeinsamer elterlicher Sorge nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB auch der andere Elternteil von der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn ein Elternteil an der gesetzlichen Vertretung des Kindes wegen § 1824 BGB (§ 1795 BGB a.F.) gehindert war (vgl. BGH, Urteil vom 14.06.1972, Az.: IV ZR 53/71, FamRZ 1972, 498; BeckOGK BGB/Amend-Traut/Bongartz, Stand: 1.3.2024, § 1629 Rn. 47).
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In seiner Entscheidung vom 24.03.2021, Az. XII ZB 364/19 (BGH NJW 2021, 1875 = NZFam 2021, 547) hat der BGH seine bisherige – von Literatur und Rechtsprechung geteilte Auffassung – aber ausdrücklich aufgegeben. Nunmehr soll – jedenfalls im Vaterschaftsanfechtungsverfahren – bei nicht (mehr) verheirateten Eltern nur derjenige Elternteil von der Vertretung ausgeschlossen sein, in dessen Person die Voraussetzungen der §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1824 BGB vorliegen. Der Ausschluss des einen Elternteils habe nicht mehr ohne Weiteres zur Folge, dass auch der andere Elternteil von der gerichtlichen Vertretung des Kindes ausgeschlossen wäre (vgl. BGH NJW 2021, 1875, Rn. 18). Der andere Elternteil bleibe zur Vertretung des Kindes befugt. Sein grundsätzlich bestehendes (Mit-)Vertretungsrecht erstarke zur Alleinvertretung, wenn nicht auch ihm aufgrund besonderer gerichtlicher Entscheidung infolge eines Interessenkonflikts nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1789 Abs. 2 S. 3 BGB (§ 1796 BGB a.F.) die Vertretungsmacht im Einzelfall zu entziehen sei. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers sei nicht mehr erforderlich.
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Der BGH begründet dies mit der Entstehungsgeschichte der Rechtsvorschrift, der Systematik des Gesetzes und mit verfassungsrechtlichen Erwägungen.
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Bei dem gesetzlichen Ausschluss wie bei der gerichtlichen Entziehung der Vertretungsbefugnis handele es sich um Eingriffe in das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG, die einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedürften und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssten. § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebe für sich genommen aber keine taugliche Eingriffsnorm für einen Ausschluss der elterlichen Vertretungsbefugnis der Mutter. Das Gesetz gehe dabei von dem Grundsatz aus, dass die Mutter im Vaterschaftsanfechtungsverfahren trotz bestehender Eigeninteressen in der Lage sei, das Kind seinen Interessen entsprechend zu vertreten. Die Stellung der Mutter entspreche damit insoweit dem Fall, dass sie (aufgrund Übertragung nach § 1628 BGB oder § 1671 BGB) allein sorgeberechtigt sei. Für diesen Fall sei aber ein gesetzlicher Ausschluss von der Vertretung nicht gegeben. Es komme dann allenfalls eine gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis im Einzelfall aufgrund §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1824 BGB in Betracht. Somit stehe auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem generellen Ausschluss der Mutter von der gesetzlichen Vertretung im Vaterschaftsanfechtungsverfahren entgegen, weil insoweit das auf den Einzelfall bezogene Verfahren gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1824 BGB jedenfalls als milderes Mittel anzusehen wäre (BGH NJW 2021, 1875).
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Zwar ist die Entscheidung des BGH im Zusammenhang mit einem Vaterschaftsanfechtungsantrag ergangen. Es besteht aber kein sachlicher Grund, die für das Abstammungsverfahren angestellten Erwägungen des BGH nicht etwa auch im Unterhaltsverfahren anzuwenden, denn die verfassungsrechtliche Problematik unterscheidet nicht zwischen familiengerichtlichen Verfahren im Einzelnen, sondern wirkt sich in sämtlichen derartigen Verfahren einschließlich der Familienstreitsachen aus (vgl. Dr. A2. S4., FamRZ 2024, 85; Maaß, FamRB 2023, 424, 426).
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So hat das OLG Köln in einem Beschluss vom 16.09.2022, Az.: 2 Wx 171/22, NJW 2022, 3514, für den Fall der Übertragung eines Miteigentumsanteils keine Notwendigkeit für die Bestellung eines Ergänzungspflegers bei Vertretungsausschluss nur eines Elternteils gesehen. Das OLG Hamburg ist in Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH in einem Unterhaltsabänderungsverfahren des Vaters gegen das minderjährige Kind in seinem Beschluss vom 12.10.2023, Az.: 12 UF 81/23, dessen Auffassung gefolgt und hat die Ansicht vertreten, dass die Mutter in diesem Verfahren berechtigt ist, das Kind allein zu vertreten (OLG Hamburg NJW-RR 2024, 68). Mittlerweile hat sich auch das OLG Karlsruhe dieser Rechtsauffassung im Beschluss vom 09.04.2024 (Az. 5 WF 157/23) angeschlossen und die Bestellung eines Ergänzungspflegers für nicht erforderlich gehalten.
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Auch der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des BGH an.
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Neben der dogmatischen Begründung sprechen auch pragmatische Erwägungen für die hier vertretene Auffassung. Mit der Einführung der § 1629 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als Ausnahme vom Grundsatz der elterlichen Gesamtvertretung wollte der Gesetzgeber die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen erleichtern, da es in vielen Fällen der zügigen Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen bedarf, um einen angemessenen Lebensunterhalt des Kindes zu ermöglichen (BeckOGK/Amend-Traut/Bongartz, 01.03.2024, BGB § 1629 Rn. 76).
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Dennoch ergaben sich in der Praxis insbesondere im Falle eines Wechselmodells oft Schwierigkeiten mit der Vertretungsbefugnis des Kindes. Das Vorschalten eines sorgerechtlichen Verfahrens nach § 1628 BGB zur Übertragung der Befugnis zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes vor einem Kindesunterhaltsverfahren führte zu Anhörungspflichten, zusätzlichen Kosten, Verzögerungen durch Rechtsmittel und damit zu einem erheblichen Zeitverzug. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers bewirkt zudem die Einschaltung einer weiteren Person in das Unterhaltsverfahren, der die Entscheidung über das Ob und Wie eines Unterhaltsverfahrens obliegt. Dies gestaltet sich schwierig, wenn – wie vorliegend – bereits ein Unterhaltstitel eines Elternteils zugunsten des Kindes vorliegt, dieser den anderen Elternteil aber ebenfalls als barunterhaltspflichtig ansieht.
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Mit der entsprechenden Auslegung des § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB wird die Geltendmachung von Kindesunterhalt im paritätischen Wechselmodell unabhängig von § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB und ohne vorangehendes Kindschaftsverfahren deutlich vereinfacht. Zudem erscheint es geboten, Kinder im Wechselmodell hinsichtlich der Vertretungsmöglichkeit durch ihre Eltern nicht schlechter zu stellen als Kinder im Residenzmodell.
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3. Anhaltspunkte dafür, dass der Vater bei der Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes gegenüber der Mutter wegen eines eigenen Vertretungshindernisses von dessen Vertretung ausgeschlossen sein könnte, bestehen nicht.
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Eigene Interessen des Vaters, die in Konflikt mit den Interessen des Kindes geraten könnten, kommen im Falle eines paritätischen Wechselmodells im Zusammenhang mit der anteiligen Haftung beider Elternteile nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB zwar grundsätzlich in Betracht, reichen alleine für einen Vertretungsausschluss aber nicht aus (Maaß, FamRB 2023, 424, 427). Zudem dürften die Interessen des vertretenden Elternteils, hier des Vaters, weniger mit den Interessen des Kindes als vielmehr mit den gegenläufigen Interessen des anderen Elternteils in Konflikt stehen.
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Jedenfalls bedürfte es insoweit einer gerichtlichen Entziehung der Vertretung im Einzelfall gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1789 BGB, die hier nicht vorliegt.
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Auch sind die Eltern des Kindes ... nicht miteinander verheiratet, so dass eine Anwendung von §§ 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB, 1824 Abs. 1 Ziff. 1, 3 BGB ausscheidet.
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4. Da nach alledem der Vater auch im Falle eines paritätischen Wechselmodells das Kind bei der Geltendmachung von Auskunfts- und Unterhaltsansprüchen des Kindes gegenüber der Mutter allein vertreten kann, ist die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nicht erforderlich.
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Die Kostenentscheidung beruht jeweils auf § 81 Abs. 1 FamFG.
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Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt jeweils § 45 Abs. 1 Ziff. 1 FamGKG.
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Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Nachdem die Entscheidung des BGH zum Alleinvertretungsrecht eines Elternteils in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren ergangen ist, soll höchstrichterlich geklärt werden können, ob seine Auffassung zur Vertretung in Abstammungsverfahren auf Streitigkeiten zum Kindesunterhalt übertragen werden kann.