Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 12.03.2024 – Au 8 K 21.1766
Titel:

Erfolglose Klage gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Normenketten:
StPO § 81b
BayPAG Art. 15
Leitsätze:
1. Für das Annehmen einer möglichen Wiederholungsgefahr iSd § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Hierbei erfordert eine Maßnahme iSv § 81b StPO keinen zweifelsfreien Beleg des konkreten Delikts. Je höher das gefährdete Rechtsgut zu werten ist, umso geringer sind die Anforderungen an eine mögliche Wiederholungsgefahr. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einschätzungen der Strafverfolgungsbehörden stehen einer Bewertung des zugrundeliegenden Anfangsverdachts und des Ermittlungsergebnisses nicht entgegen, wenn nach kriminalistischer Erfahrung trotz Einstellung ein sogenannter Restverdacht verblieben ist. Dasselbe gilt im Falle eines Freispruchs, sofern dieser die bisherigen Verdachtsgründe nicht vollständig ausräumen konnte. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Tatsache, dass von der Verfolgung der Anlasstat – hier: verbotenes Kraftfahrzeugrennen – aufgrund weiterer anhängiger Strafverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO Abstand genommen worden ist, da die zu erwartenden Sanktionen angesichts der übrigen verfolgten Taten nicht erheblich ins Gewicht fallen, schließt die Notwendigkeit der auf die Anlasstat bezogene Wiederholungsgefahr nicht aus. Eine Einstellung hiernach geht nicht mit einer erwiesenen Unschuld einher. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erkennungsdienstliche Behandlung, Anlasstat, Notwendigkeit der angeordneten Maßnahmen, Wiederholungsgefahr, Verhältnismäßigkeit, illegales Kraffahrzeugrennen, Restverdacht, Freispruch, Einstellung, Unschuldsvermutung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 10996

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der im Jahr 2001 geborene Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 11. August 2017 wurden verschiedene Verfahren gegen den Kläger unter anderem wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisation aufgrund von Vorfällen in den Jahren 2015 bis 2016 nach § 47 JGG endgültig eingestellt, da der Kläger die festgesetzten Auflagen und Weisungen erfüllt hatte (Az.: ...). Aufgrund eines Verfahren wegen „Driftens“ auf einem Kiesparkplatz wurde ein Verfahren gegen den Kläger wegen Sachbeschädigung nach Durchführung des auferlegten Gesprächs zum Thema „verantwortungsvoller Umgang mit Kraftfahrzeugen“ nach § 45 Abs. 2 JGG i.V.m. § 109 Abs. 2 JGG eingestellt. Nach einem weiteren Vorfall im Rahmen einer Tuning-Kontrolle im Jahre 2020 wurde ein Verfahren gegen den Kläger wegen Beleidigung eines Polizeibeamten eingestellt, nachdem der Kläger ein Gespräch zum Thema „Umgang mit Autoritätspersonen“ geführt hatte (Az. ...). Ein weiteres Verfahren wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug wurde nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt.
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Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. Juli 2021 war gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen verbotenem Kraftfahrzeugrennen (Tatzeit am 18. Juli 2021) bei der Staatsanwaltschaft ... (Az.: ...) anhängig. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft ... vom 12. November 2021 wurden mehrere gegen den Kläger anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren zusammengelegt, sodass mit Verfügung vom 7. Januar 2022 nach §§ 154 Ab. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG von der Verfolgung der Tat vom 18. Juli 2021 abgesehen wurde. Gegen den Kläger wurde am 7. Januar 2022 sodann Anklage wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs sowie Beleidigung aufgrund von Vorfällen am 4. März 2020, 28. Juli 2021 sowie 12. September 2021 erhoben. Mit Urteil vom 4. Mai 2022 wurde der Kläger schlussendlich wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt und diesem die Ableistung von 24 Stunden gemeinnütziger Hilfsdienste auferlegt. Im Übrigen wurde der Kläger freigesprochen.
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Mit Bescheid vom 26. Juli 2021 ordnete der Beklagte die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers an. Die Anordnung erstreckt sich auf die Aufnahme von Lichtbildern (Gesicht, Profil, Halbprofil, ganzer Körper), die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, die Messung der Körpergröße und des Gewichts, sowie die Aufnahme einer Personenbeschreibung (Ziffer 1 lit. a). Hierfür wurde der Kläger aufgefordert, sich nach telefonischer Anmeldung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheids bei der zuständigen Polizeiinspektion zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung einzufinden (Ziffer 1 lit b). Dem Kläger wurde darüber hinaus ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht, falls er der Aufforderung gemäß Ziffer 1 ohne hinreichenden Grund nicht fristgerecht Folge leistet (Ziffer 2 lit. a); gleichzeitig wurde das Zwangsgeld für den Fall festgesetzt, dass der Kläger der Vorladung ohne hinreichenden Grund nicht binnen zwei Wochen nach Bestandskraft nachkommt verbunden mit einer erneuten Frist von zwei Wochen um sich zur erkennungsdienstlichen Behandlung einzufinden (Ziffer 2 lit. b).
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Der Bescheid über die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung stütze sich auf § 81b Alt. 2 StPO. Der Kläger sei zum Anordnungszeitpunkt Beschuldigter in einem Strafverfahren. Er würden Ermittlungen wegen des Verdachts eines Vergehens wegen eines illegalen Kraftfahrzeugrennens geführt werden. Der Kläger sei bereits mehrfach in der Vergangenheit strafrechtlich in Form von Straßenverkehrs-, Vermögens- und Gewaltdelikte, sowie durch politisch motivierte Kriminalität in Erscheinung getreten. Eine Gesamtschau des Verhaltens zeige, dass der Kläger früh einen Widerwillen zeige, sich an Normen zu halten, und seinen eigenen Vorteil im Sinn habe, weshalb Wiederholungsgefahr anzunehmen sei. Einer rechtskräftigen Verurteilung bedürfe es aufgrund des präventiven Charakters der Maßnahme nicht. Die Anordnung sei erforderlich. Der Kläger könne aufgrund des erhöhten Entdeckungsrisikos gegebenenfalls von neuen Taten abgehalten werden. Weiterhin könne er, sofern er dennoch erneut Straftaten begehe, als Täter überführt oder auch entlastet werden. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei geeignet, erforderlich und angemessen. Andere Mittel, die gleich geeignet wären, eine Abwehr von zukünftigen Gefahren für die Allgemeinheit zu erzielen, würden nicht in Betracht kommen. Die gewonnenen Daten würden lediglich in einer polizeilichen Datei, die den Speicherfristen und den engen Nutzungsvorschriften des PAG unterliege, gespeichert werden. Überdies würden die hierdurch erstellen Unterlagen lediglich verwendet werden, sofern der Kläger erneut strafrechtlich in Erscheinung und die Daten zur Aufklärung benötigt werden würden. Die mit der Erlangung der Daten verbundene Freiheitsbeschränkung sei kurz. Dem Eingriff gegenüber stehe die Schwere der durch den Kläger verursachten Straftaten sowie die diesbezügliche Gefahr einer Wiederholung. Die Zweck-Mittel-Relation falle eindeutig zu Gunsten der erkennungsdienstlichen Behandlung aus und sei ermessensgerecht. Die Maßnahme werde vorgenommen, da der Kläger bereits mehrfach auffällig geworden sei. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Vorladung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahme sei Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG. Die Befugnis zur zwangsweisen Durchsetzung der Vorladung ergebe sich aus Art. 15 Abs. 3 Nr. 2 PAG. Die Androhung des Zwangsgeldes folge aus Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73, 76 PAG. Diese könne mit der Festsetzung des Zwangsgelds verbunden werden.
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Am 27. August 2021 ließ der Kläger Klage erheben.
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In der Klagebegründung vom 2. November 2021 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass durch die bisherigen Vorfälle keine Anhaltspunkte für eine etwaige kriminelle Energie vorhanden seien. Dasselbe gelte für das Umfeld des Klägers. Ein Großteil der Verfahren liege bereits mehrere Jahre zurück. Tatbeiträge aus dem Jahr 2020 seien nicht einschlägig bzw. würden eine minimale kriminelle Energie aufweisen, weshalb der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers nicht gerechtfertigt werden könne. Die Miteinbeziehung der Taten, bei welchen der Kläger noch Jugendlicher war, würde der Wertung des Jugendstrafrechts widersprechen. Der Vorwurf der Beleidigung sei zudem nicht erfüllt und rechtfertige die streitgegenständliche Anordnung nicht. Es bestünden erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, insbesondere im Hinblick auf ihre Angemessenheit. Es sei zu berücksichtigen, dass es weniger schwerwiegendere Straftaten gewesen seien. Der Kläger zeige kein hohes Potenzial an Aggression. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass es zu gravierenderen Folgen kommen könnte.
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Der Kläger lässt beantragen,
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den Bescheid vom 26. Juli 2021 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den ergangenen Bescheid Bezug genommen.
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Ergänzend führt der Beklagte aus, dass der Bescheid rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Der Kläger sei Beschuldigter im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO. Die Wiederholungsgefahr stütze sich auf die vielen zurückliegenden Fälle, in denen der Kläger bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die Gerichtsverfahren zu einem rechtstreuen Verhalten seitens des Klägers geführt hätten. Auch nach Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sei der Kläger zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten, sowohl am 28. Juli 2021 als auch am 12. September 2021. Im Hinblick auf den Vorfall im Jahr 2020 sei der Kontakt des Klägers mit dem Geschädigten erst nach Ansprache durch die Polizei erfolgt. Die Anordnung sei geeignet, erforderlich, angemessen und verhältnismäßig. Bei den vorgeworfenen Straftaten handle es sich um keine Bagatelldelikte. Eine Schaden-Nutzen-Bilanz falle eindeutig zu Gunsten der Anordnung der Maßnahme aus. Der Schutz von Individualrechtsgütern und der Rechtsordnung würden den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Klägers überwiegen.
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Mit Schreiben vom 11. März 2024 teilte der Beklagte mit, dass sich der Kläger bei einer Polizeikontrolle am 18. April 2022 als Beifahrer aus Sicht der anwesenden Polizeibeamten unhöflich sowie aggressiv verhalten habe (...). Darüber hinaus sei der Kläger bei einem Vorfall am 3. März 2023 als Beifahrer am Rande eines straßenverkehrsrechtlichen Vorgangs in Erscheinung getreten. Der Kläger habe dabei den Fahrer des anderen PKW leicht verletzt (...).
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In der Sache wurde am 12. März 2024 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte. Zum Verfahren beigezogen wurden die Strafakten der Staatsanwaltschaft ... mit den Az.,, ... sowie ....

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2021 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Nach diesem dürfen, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Die Voraussetzungen des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO liegen vorliegend vor.
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a) Der Kläger war zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids vom 26. Juli 2021 Beschuldigter im Sinne des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Beschuldigter im Sinne des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO ist jeder Tatverdächtige, gegen den aufgrund einer möglichen Straftat die Strafverfolgungsbehörden ein Verfahren betreiben (Trück in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2023, 81b Rn. 9). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Eigenschaft als Beschuldigter ist der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids (Trück in Münchener Kommentar zur StPO, § 81b Rn. 9). Hierbei entfällt die Beschuldigteneigenschaft auch nicht im Falle eines späteren Freispruches oder einer Einstellung des Verfahrens (BayVGH, B.v. 2.4.2015 – 10 C 15.304 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 27.12.2010 – 10 ZB 10.2847 – juris Rn. 8).
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Anlasstat für den Erlass des Bescheids waren Ermittlungen wegen des Verdachts auf ein illegales Kraftfahrzeugrennen am 18. Juli 2021 (Az. ...; späteres staatsanwaltschaftliches Az. ...). An diesem Tag beschlagnahmten Polizeibeamten bereits das Mobiltelefon des Klägers. Ausweislich der staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 21. Juli 2021 (Bl. 7 der Strafakte) ging die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt von einem sogenannten „werthaltigen Verfahren“ aus.
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b) Das Gericht geht im vorliegenden Einzelfall davon aus, dass die noch nicht vollzogene Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung notwendig im Sinne des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO ist.
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Für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung bedarf es einer auf der sogenannten Anlasstat beruhenden Wiederholungsgefahr. Im Hinblick auf eine tatsächliche Notwendigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung wird als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt (VG Potsdam, U.v. 30.7.2021 – 3 K 3110/19 – juris Rn. 22; VG Augsburg, U.v. 1.2.2022 – Au 8 K 20.536 – juris Rn. 26). Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Trück in Münchener Kommentar zur StPO, § 81b Rn. 11). Die Notwendigkeit von erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Sinne des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO beurteilt sich danach, ob der ermittelte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung im Hinblick auf alle Umstände des Einzelfalls – Art, Schwere, Begehungsweise der zu Last gelegten möglichen Straftaten, der Persönlichkeit des Betreffenden sowie der Zeitraum, in welcher der Betroffene strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte vorhanden sind, dass der Betreffende künftig oder „anderwärts gegenwärtig“ als Verdächtiger in den Kreis möglicher Beteiligter einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und die erkennungsdienstlichen Unterlagen die nachfolgenden Ermittlungen – des Betreffenden schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (BayVGH, B.v. 18.1.2023 – 10 ZB 22.309 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 27.6.2018 – 6 C 39.16 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 16.3.2022 – 10 ZB 21.779 – juris Rn. 7). Für das Annehmen einer möglichen Wiederholungsgefahr ist eine Prognoseentscheidung zu treffen (Trück in Münchener Kommentar zur StPO, § 81b Rn. 12). Hierbei erfordert eine Maßnahme im Sinne von § 81b StPO keinen zweifelsfreien Beleg des konkreten Delikts (vgl. hierzu auch VG Würzburg, U.v. 3.12.2021 – W 9 K 21.383 – juris Rn. 27). Je höher das gefährdete Rechtsgut zu werten ist, umso geringer sind die Anforderungen an eine mögliche Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2008 – 10 C 08.2872 – juris Rn. 12). Hierbei soll eine Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven Verhinderung bzw. Aufklärung von Straftaten sowie dem Interesse des Betroffenen erfolgen (BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 10 CS 15.1564 – juris Rn. 17). Aufgrund des präventiven Charakters der Maßnahme kann im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht auch dann Berücksichtigung finden, wenn dieses strafrechtlich eingestellt worden ist. Die Einschätzungen der Strafverfolgungsbehörden stehen einer Bewertung des zugrundeliegenden Anfangsverdachts und des Ermittlungsergebnisses nicht entgegen, wenn nach kriminalistischer Erfahrung trotz Einstellung ein sogenannter Restverdacht verblieben ist. Dasselbe gilt im Falle eines Freispruchs, sofern dieser die bisherigen Verdachtsgründe nicht vollständig ausräumen konnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2020 – 10 CS 20.1850 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei darauf, ob die nach kriminalistischer Erfahrung anzustellende Prognose auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruht sowie ob sie nach dem vorliegenden Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissen sachgerecht und vertretbar ist (VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 – W 9 K 18.476 – juris Rn. 39).
22
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus den beigezogenen Strafakten auch nach der mündlichen Verhandlung die erkennungsdienstliche Behandlung aus Sicht des Gerichts notwendig im Sinne von § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Im Rahmen einer Bewertung der vorliegenden Umstände des Einzelfalls ist der Kläger bereits seit 2015 über viele Jahre hinweg, vor allem im Zusammenhang mit Straßenverkehrsdelikten, polizeilich und auch strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Verfahren im Jahre 2015 sowie 2016 erfolgten zwar noch im jugendlichen Alter des Klägers. Seit Volljährigkeit des Klägers häufen sich die polizeilichen Anzeigen von Delikten mit Bezug zum Straßenverkehr. Im Jahre 2020 wurde ein Verfahren wegen „Driftens“ auf einem Kiesparkplatz strafbar als Sachbeschädigung nach § 45 Abs. 2 JGG nach einem auferlegten Gespräch zum Thema „verantwortungsvoller Umgang mit Kraftfahrzeugen“ eingestellt. Im Rahmen einer Kontrolle im Zusammenhang mit der Tuningszene wurde der Kläger im Jahr 2020 wegen Beleidigung eines Polizeibeamten angezeigt. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem der Kläger ein Gespräch zum Thema „Umgang mit Autoritätspersonen“ geführt hatte. Mit Urteil im Mai 2022 wurde der Kläger wegen Beleidigung im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung aufgrund des Verdachts einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs zu 24 Stunden gemeinnütziger Hilfsdienste verurteilt. Indes erfolgte ein Freispruch im Übrigen. Von der Verfolgung der Anlasstat wurde aufgrund der Zusammenlegung mit weiteren gegen den Kläger anhängigen Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen. Die Tatsache, dass von der Verfolgung der Anlasstat – verbotenes Kraftfahrzeugrennen – aufgrund weiterer anhängiger Strafverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO Abstand genommen worden ist, da die zu erwartenden Sanktionen angesichts der übrigen verfolgten Taten nicht erheblich ins Gewicht fallen (staatsanwaltschaftliche Verfügung vom 7. Januar 2022), schließt die Notwendigkeit der auf die Anlasstat bezogene Wiederholungsgefahr nicht aus. Eine Einstellung hiernach geht nicht mit einer erwiesenen Unschuld einher (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2013 – 10 C 11.1967 – juris Rn. 14).
23
Vielmehr ist aus der Art und Weise der Anlasstat im Zusammenhang mit dem bisherigen strafrechtlichen Werdegang des Klägers von einer Notwendigkeit der angeordneten Maßnahmen auszugehen, da Anhaltspunkte vorliegen, dass der Kläger auch künftig oder anderwärts gegenwärtig als Verdächtiger in den Kreis möglicher Beteiligter einer noch aufzuklärenden Straftat einbezogen werden könnte.
Das über durch die polizeilichen Vorgänge erfasste, über Jahre hinweg gezeigte Verhalten des Klägers im ruhenden wie auch fließenden Straßenverkehr, zeigt auch Jahre nach Bescheiderlass – im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung –, dass es sich nicht lediglich um jugendtypisches vorübergehendes Fehlverhalten gehandelt haben kann. Die Tatsache, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Klägers Straßenverkehrsdelikte betreffend nicht erfolgt ist, sondern die angezeigten Verfahren eingestellt worden sind bzw. der Kläger freigesprochen worden ist, räumt nach Ansicht des Gerichts die bisherigen Verdachtsmomente nicht aus. Vielmehr sprechen die vielen Verdachtsmomente aufgrund der Schnelligkeit der straßenverkehrsrechtlichen Vorgänge für die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
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Im Hinblick auf den präventiven Charakter einer erkennungsdienstlichen Behandlung erweist sich die Annahme des Beklagten, dass nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden sind, dass der Kläger in ähnlicher oder anderer Weise erneut straffällig werden könnte, als nicht zu beanstanden. Die Unschuldsvermutung gilt nicht im Rahmen von präventiv-polizeilichen Maßnahmen (BVerwG, B.v. 25.3.2019 – 6 B 163/18, 6 PKH 10/18 – juris Rn. 8, BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 11 f.). Auch nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ist der Kläger mindestens polizeilich weiter in Erscheinung getreten, als er sich nach Aussage des Beklagten im April 2022 im Rahmen einer polizeilichen Straßenverkehrskontrolle aus Sicht der Polizeibeamten unhöflich sowie auf Ansprache aggressiv verhielt (Az. ...). In einem weiteren polizeilichen Vorgang wurde festgehalten, dass der Kläger voraussichtlich im Rahmen einer Auseinandersetzung am Rande des Straßenverkehrs im März 2023 den Fahrer des anderen PKW leicht verletzte (Az. ...). Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls, der bisherigen Vorverurteilungen, die regelmäßig erfassten polizeilichen Vorgänge sowie dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist die seitens des Beklagten ausreichend und nachvollziehbar dargelegte Prognose nicht zu beanstanden. Zweifel, dass der Beklagte aufgrund der getroffenen Feststellung zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die durch die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung zu erlangenden Unterlagen zur Förderung der strafrechtlichen Ermittlungen dienen können, sind nicht ersichtlich.
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c) Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung wahrt darüber hinaus auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die durch die Anordnung zu gewinnenden Unterlagen, insbesondere Lichtbildaufnahmen des Gesichts, des Profils, sowie des Halbprofils, wie auch die Aufnahme einer Personenbeschreibung, sind insbesondere im Hinblick auf die bisherigen strafrechtlichen Vorwürfe wie ein mögliches verbotenes Kraftfahrzeugrennen oder die fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, geeignet, etwaige Ermittlungen zu fördern, sei es durch Be- oder Entlastung des Klägers. Der Beklagte weist zudem zutreffend darauf hin, dass es sich trotz einer Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zum einen um kein öffentliches Register, sondern vielmehr eine polizeiliche Datenbank handelt, welche den gesetzlichen Speicherfristen unterliegt. Zum anderen werden die hierdurch gesammelten Daten lediglich im Falle eines erneuten strafrechtlichen in Erscheinung treten des Klägers verwendet. Demgegenüber stehen hochrangige Rechtsgüter wie auch das der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, in Zusammenhang mit den Gefahren des Straßenverkehrs. Dies dürfte insbesondere auch für die Rechtsgüter, welche mit der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs einhergehen, gelten, bei welchen bedrohten Rechtsgütern es sich insbesondere um keine Bagatellen handelt. Selbst bei Annahme von bislang abgeurteilten minderschweren Delikten, dürften die wiederholte Begehung von Delikten im Allgemeinen sowie unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls ein öffentliches Interesse an der Aufklärung künftiger Straftaten begründen (so auch SächsOVG, U.v. 13.3.2023 – 6 A 284/20 – juris Rn. 24; SächsOVG, B.v. 5.2.2024 – 6 A 267/21 – juris Rn. 5).
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d) Der Beklagte hat erkannt, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Ermessensentscheidung handelt, dieses Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt sowie den Eingriff, der für die Betroffenen hieraus resultiert, zum öffentlichen Interesse ins Verhältnis gesetzt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
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2. Die Möglichkeit der Vorladung zur Vornahme von erkennungsdienstlichen Zwecken ergibt sich als Annex aus § 81b StPO sowie Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG (vgl. VG München, U.v. 27.3.2019 – M 7 K 17.4047 – juris Rn. 19). Die Vorladung ist mithin notwendige Folge einer rechtmäßigen Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann insoweit auf die zutreffende Begründung im Bescheid verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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3. Rechtsgrundlage für die Zwangsgeldandrohung sowie -festsetzung ist Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PAG i.V.m. Art. 70 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 2, 73, 76 PAG und begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.11.2017 – Au 8 K 17.1422 – juris Rn. 26 m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.