Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 04.01.2024 – RN 13 S 23.31428
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen den Widerruf des subsidiären Schutzes wegen schwerer Straftat

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2, § 73, § 73b, § 4 Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Von einer Gefahr für die Allgemeinheit iSd § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AsylG ist bei einer gegenwärtigen Rechtsgutsgefährdung auszugehen, die nicht nur eine Einzelperson betrifft und für das gesellschaftliche Zusammenleben in Sicherheit und Freiheit eine Gefährdung darstellt; eine nur für die Vergangenheit nachgewiesene Gefahrenlage reicht nicht aus. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist eine ähnliche Gefahrenprognose anzustellen wie etwa im Rahmen einer Ausweisung, die sich deshalb auch nicht automatisch nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder dem Ende des Strafvollzugs erübrigt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Rückkehr in den Irak besteht grundsätzlich für Zivilpersonen ohne das Hinzutreten besonderer Umstände keine Gefahr mehr, die die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG rechtfertigen würde. (Rn. 35 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Begriff der Folter ist unter Rückgriff auf die inhaltlich übereinstimmende Rechtsprechung des EGMR und die UN-Anti-Folter-Konvention auszulegen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz bei Widerruf des subsidiären Schutzes wegen schwerer Straftat, Gefahr für die Allgemeinheit bzw. wegen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland, Irak, subsidiärer Schutz, Widerruf, schwere Straftat, Gefährdung für die Allgemeinheit, Folter
Fundstelle:
BeckRS 2024, 108

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem der ihm zuerkannte subsidiäre Schutzstatus widerrufen wird und gleichzeitig die Zuerkennung des subsidiären bzw. nationalen Schutzes abgelehnt wird.
2
Der am …1995 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er reiste bereits am 09.12.2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 25.02.2016 einen förmlichen Asylantrag.
3
Bei der Anhörung am 23.06.2016 gab der Antragsteller an, dass er Mossul bereits am 09.06.2014 verlassen habe und sich bis zur Ausreise im November/Dezember 2015 in K. aufgehalten habe. Seine Mutter lebe noch immer in K. Auch habe er noch vier Brüder und zwei Schwestern im Irak. Er habe nach neun Jahren die Mittelschule abgeschlossen und auf dem Bau gearbeitet. Er habe ca. 20.000 Dinar am Tag verdient. Seine wirtschaftliche Situation sei unterdurchschnittlich gewesen. Für die Kosten der Ausreise (1.200 US Dollar) hätten sie den Schmuck seiner Mutter verkauft. Er habe den Irak wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Er habe in Mossul nach dem Einmarsch des IS Angst vor Anschlägen gehabt und wegen der bestehenden Lebensgefahr den Irak verlassen. Persönlich sei ihm nichts passiert, aber wenn er in den Irak zurückkehre, drohe ihm der Tod.
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Mit Bescheid vom 24.11.2016 (Az. …-438) wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) zuerkannt und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt. Die Entscheidung beruht im Wesentlichen auf der Feststellung, dass im Herkunftsgebiet des Klägers (Mossul) ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mit entsprechender Gefahrverdichtung für Zivilpersonen bestehe, welche die Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtfertige. Es fehle sowohl an der Schutzfähigkeit des Staates als auch an einer inländischen Fluchtalternative. Anhaltspunkte dafür, dass eine Ausnahme von diesem Grundsatz gegeben sein könnte oder Ausschlussgründe vorliegen würden, seien nicht ersichtlich gewesen.
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Am 08.09.2022 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein. Der Antragsteller wurde mit Schreiben des Bundesamtes vom 09.09.2022 über die Einleitung eines Rücknahmeverfahrens in Kenntnis gesetzt und ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 73b Abs. 3 AsylG zurückzunehmen ist, wenn der Ausländer nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist oder eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen oder die Verwendung gefälschter Dokumente für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend war. Er sei mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts (AG) A. vom 15.04.2021 (Az.: …) wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten verurteilt worden. Nach Aktenlage sei aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass er eine schwere Straftat i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG begangen habe und somit eine Gefahr für die Allgemeinheit i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 4 AsylG darstelle. Es sei beabsichtigt, diesen subsidiären Schutz zurückzunehmen und im Übrigen festzustellen, dass kein sonstiger subsidiärer Schutz zuerkannt wird und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen.
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Mit Schriftsatz vom 07.11.2022 nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers Stellung und verwies auf eine Entscheidung des VGH BW vom 21.01.2022 (A 4S 108/22), nach welchen bei § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 typischerweise an Kapitalverbrechen zu denken sei oder sonstige Straftaten, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert und entsprechend strafrechtlich verfolgt werden würden. Diese Voraussetzungen würden beim Antragsteller nicht vorliegen. Der Verurteilung des Antragstellers habe eine besondere Situation zugrunde gelegen, die einmalig gewesen sei und deswegen sei jede Wiederholungsgefahr ausgeschlossen. Zudem sei eine Verurteilung am untersten Rand des gesetzlichen Strafrahmens erfolgt. Es liege höchstens ein Fall der mittelschweren Kriminalität vor, sowie eine lediglich einmalige Verfehlung. Die Voraussetzungen für den Widerruf des subsidiären Schutzes seien nicht gegeben, da weder eine schwere Straftat vorliege, noch stelle der Antragsteller eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
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Mit Bescheid vom 30.10.2023 (Az. … – 438) wurde der mit Bescheid vom 24.11.2016 (Az. …-438) zuerkannte subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zurückgenommen (Ziffer 1). Der subsidiäre Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG wurde nicht zuerkannt (Ziffer 2). Außerdem wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 3). Zur Begründung stützte die Beklagte sich auf das Urteil des Amtsgerichts (AG) A. vom 15.04.2021 (Az.: …). Aufgrund der Verurteilung wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe gem. §§ 249 Abs. 1, 223 Abs. 1, 230 Abs. 1, 52, 53, 56 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten – auf Bewährung – stehe rechtskräftig fest, dass der Kläger eine schwere Straftat begangen habe. Die Umstände der Tatausführung würden die Einordnung als schwere Straftat tragen. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und Raub seien jeweils schwere Straftaten.
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Der Bescheid wurde an den Bevollmächtigten des Antragstellers adressiert und am 15.11.2023 als Einschreiben zur Post gegeben.
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Am 23.11.2023 wurde für den Antragsteller Klage gegen den vorgenannten Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und ein Antrag im einstweiligen Rechtschutz gestellt. Zugleich wurde für das Klageverfahren, als auch für das Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigen beantragt. Im Rahmen der Begründung wird angeführt, dass der gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zulässig und begründet sei, da zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Insoweit werde auf das bisherige vorgerichtliche Vorbringen Bezug genommen und verwiesen.
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Mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11.12.2023 wurden sowohl die Klage, wie auch das Eilverfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Verwaltungsgericht Regensburg verwiesen. Das Klageverfahren wird unter dem Aktenzeichen RN 13 K 23.31429 geführt.
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Der Antragsteller begehrt sinngemäß:
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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Ziffer 1 anzuordnen.
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2. Im Hinblick auf die Ziffern 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller einstweilen nicht in den Irak abgeschoben werden darf.
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3. Dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Klägerbevollmächtigten zu gewähren.
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Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten (Az. …-438 und …-438) Bezug genommen.
II.
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Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
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Neben dem gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung beinhaltet der gemäß §§ 88, 122 VwGO zugunsten des Antragstellers auszulegende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach Würdigung des in der Antragsschrift zum Ausdruck kommenden Begehrens letztlich zwei Verfahrensgegenstände folgenden Inhalts: Im Hinblick auf die getroffene Widerrufsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides ist die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Für den Fall, dass dieser Antrag abgelehnt wird, soll hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin erreicht werden, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass einstweilen aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Hinblick auf eine Abschiebung in den Irak gegenüber dem Antragsteller nicht ergriffen werden dürfen – unter Verweis darauf, dass voraussichtlich hinsichtlich des Iraks der subsidiäre Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen sind.
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1.) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Widerruf des subsidiären Schutzstatus ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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a) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft, da in der Hauptsache eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft ist, da mit Beseitigung des Widerrufs des subsidiären Schutzes in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids, die mit Bescheid vom 24.11.2016 erfolgte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus wieder auflebt. Diese Anfechtungsklage hat gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung, da der Widerruf nach § 73 Abs. 5 AsylG erfolgt ist, weil der Antragsteller nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen sei. Zudem wurde der Antrag fristgerecht innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe gestellt, § 74 Abs. 1 AsylG.
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b) Der Antrag hat aber im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) in der Sache keinen Erfolg.
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Bei seiner Entscheidung hat das Gericht eine Interessenabwägung durchzuführen, im Rahmen derer das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68). Bei dieser Abwägung spielen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine wesentliche Rolle. Bleibt die Klage nach summarischer Prüfung ohne Erfolg, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers. Dies ergibt sich auch aus der gesetzlichen Wertung des § 75 Abs. 1 AsylG, wonach Klagen gegen Entscheidungen nach dem AsylG nur in den dort genannten – hier nicht einschlägigen – Fällen aufschiebende Wirkung zukommt. Lassen sich diese Erfolgsaussichten nach der im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend sicher abschätzen, führt dies zu einer von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängigen Interessenabwägung (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 146 ff., insb. Rn. 152).
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Die Anfechtungsklage gegen die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids wird im Hauptsacheverfahren unter Zugrundelegung der zum Zeitpunkt der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes maßgeblichen Sach- und Rechtslage (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weshalb auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keinen Erfolg hat.
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Der in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Widerruf wird sich im Klageverfahren als rechtmäßig erweisen. Offenbleiben kann insoweit, ob nach der Auffassung der Beklagten die Voraussetzungen für einen Widerruf des dem Antragsteller zuerkannten subsidiären Schutzstatus gemäß § 73 Abs. 5 AsylG vorliegen, da sich jedenfalls die Umstände, die beim Antragsteller zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist, sodass die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäß § 73 Abs. 2 AsylG gegeben sind.
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aa) Gemäß § 73 Abs. 5 AsylG ist die Zuerkennung internationalen Schutzes zurückzunehmen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 2 bis 4 oder nach § 4 Abs. 2 oder 3 AsylG hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. Insbesondere wäre der Antragsteller nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn er entweder eine schwere Straftat i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG begangen hat oder eine Gefahr für die Allgemeinheit i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG darstellt.
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(1) § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegt die Zweckbestimmung zugrunde, Personen von der Zuerkennung subsidiären Schutzes auszuschließen, die als des sich aus ihm ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und die Glaubwürdigkeit des gemeinsamen europäischen Asylsystems zu erhalten, das sowohl die Annäherung der Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft als auch die Maßnahmen über die Formen des subsidiären Schutzes umfasst, die einer Person, die eines solchen Schutzes bedarf, einen angemessenen Status verleihen (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 – C-369/17 –, juris, Rn. 51). Der Ausschlussgrund ist restriktiv auszulegen (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 – C-369/17 –, juris, Rn. 52). Bei der Beurteilung der Schwere der Straftat i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist dem Kriterium des der betroffenen Strafvorschrift zugrundeliegenden Strafmaßes eine besondere Bedeutung beizumessen. Der Straftat muss ein erhebliches Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Sie muss als Kapitalverbrechen oder eine Straftat zu qualifizieren sein, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 – 10 C 24/08 –, juris, Rn. 41; BVerwG, Urteil vom 04.09. 2012 – 10 C 13/11 –, juris, Rn. 20). Die Annahme einer schweren Straftat setzt in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände voraus, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erfüllt, unter diesen Ausschlusstatbestand fallen (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 – C-369/17 –, juris, Rn. 55, 58). Als Beispiele werden Mord, Vergewaltigung, Folter, Menschen- oder Drogenhandel oder Wirtschaftsdelikte mit bedeutenden Verlusten genannt (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 14. Aufl. 2022, AsylG § 3 Rn. 9).
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Insoweit ist das Gericht aber gleichwohl nicht gehindert, nationale Wertungen wie die Einstufung einer Tat als Verbrechen und die angedrohte Höchst- und Mindeststrafe für die Schwere der in Rede stehenden Straftat als Indizien heranzuziehen (vgl. der Sache nach auch BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16/14 – juris Rn. 28, wonach bei einem vorgesehenen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wohl ohne Weiteres von einer „besonders schwerwiegenden Straftat“ ausgegangen werden soll), soweit internationale Wertungen dem nicht entgegenstehen und auch die konkrete Tatausführung nach Art und Schwere eine solche Einstufung rechtfertigt. Als schwere Straftaten in diesem Sinne sind danach neben vorsätzlichen Tötungsdelikten auch Raub, gefährliche bzw. schwere Körperverletzung, Kindesmissbrauch, Entführung (OVG Hamburg, U.v. 10.5.2011 – 1 A 306/10, 1 A 307/10 -juris Rn. 112; VG Cottbus, U.v. 8.2.2017 – 1 K 273/11.A – juris) sowie gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern (vgl. BVerwG, U.v. 25.03.2015 – 1 C 16/14 -juris Rn. 28) angesehen worden; demgegenüber wird beispielsweise ein einfacher Diebstahl keine schwere Straftat darstellen (vgl. auch Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 26 unter Verweis auf UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln, 3. September 2003, S. 5).
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Offenbleiben kann insoweit, ob der vom Antragsteller begangene Raub in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe, weswegen er mit Urteil des AG A. vom 15.04.2021 (Az.: …) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 7 Monaten verurteilt wurde, auch unter Würdigung der besonderen Umstände des konkreten Falls die für § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG erforderliche Schwere aufweist. Dafür spricht insoweit, dass es sich bei einem Raub gem. § 249 Abs. 1 StGB um ein Verbrechen handelt, da es im Mindestmaß mit einer Freiheitstrafe von einem Jahr bestraft wird, § 12 Abs. 1 StGB. Zudem stellt es eine Katalogtat i.S.d. § 100a StPO dar. Ferner ist dem Urteil des AG A. vom 15.04.2021 zu entnehmen, dass nicht vom Vorliegen eines minderschweren Falls gem. § 249 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, was sich schon aus der hohen Brutalität ergebe, mit welcher der Angeklagte vorgegangen ist und daraus, dass er gleichzeitig den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllt habe. Zwar seien die Verletzungen des Geschädigten nicht äußerst schwerwiegend und es habe sich um einen Spontanentschluss gehandelt, allerdings spreche gegen den Angeklagten, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und mit hoher krimineller Energie gehandelt habe, indem er die Gastfreundschaft des mehr als doppelt so alten Geschädigten, der ihm Kost und Logis gewährt und auch noch Geld für den Bus gegeben habe, ausgenutzt habe. Andererseits wurde die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
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(2) Von einer Gefahr für die Allgemeinheit i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG ist bei einer Rechtsgutsgefährdung auszugehen, die nicht nur eine Einzelperson betrifft und für das gesellschaftliche Zusammenleben in Sicherheit und Freiheit eine Gefährdung darstellt. Die Gefahrenlage muss zum Zeitpunkt der Entscheidung fortbestehen. Eine nur für die Vergangenheit nachgewiesene Gefahrenlage reicht nicht aus (BeckOK AuslR/Kluth AsylG § 4 Rn. 38, 39). Es ist eine ähnliche Gefahrenprognose anzustellen wie etwa im Rahmen einer Ausweisung. Diese erübrigt sich deshalb auch nicht automatisch nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder dem Ende des Strafvollzugs (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 4 AsylG Rn. 17 f.).
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Fraglich ist, ob nach den Ausführungen der Antragsgegnerin bereits die Verurteilung wegen Urkundenfälschung mit Urteil des AG B. vom 14.11.2019, die der Verurteilung des AG A. vom 15.04.2021 wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe vorausgegangen ist, bereits die Gefahr begründen kann, dass der Antragsteller auch zukünftig strafrechtlich in Erscheinung treten wird. Zumal die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten zur Bewährung ausgesetzt wurde, da der Antragsteller ausweislich des Urteils vom 15.04.2021 ab der nächsten Woche wieder berufstätig sein sollte und es sich um seine erste Freiheitsstrafe handelt. Allerdings ist der Antragsteller nach der vorgelegten Ausländerakte bereits erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insoweit wurde gegen den Antragsteller mit Strafbefehl vom 23.01.2023, rechtskräftig seit 15.02.2023, wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG eine Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen à 40,00 Euro festgesetzt. Zudem wurde gegen den Antragsteller Anklage wegen Betruges erhoben (Anklageschrift der Staatsanwaltschaft C. vom 23.01.2023, Az. …). Infolgedessen wurde mit Beschluss vom 17.04.2023 die mit Urteil des AG A. vom 15.04.2021 festgesetzte Bewährung widerrufen und der Antragsteller befindet sich seit 25.04.2023 in der Justizvollzugsanstalt D. Es ist vor diesem Hintergrund wohl nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller auch unter dem Eindruck der Strafhaft und nach persönlicher Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens nunmehr ein im Wesentlichen rechtstreues Leben führen wird, sodass der Antragsteller nach summarischer Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung eine Gefahr für die Allgemeinheit i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG darstellt.
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bb) Aber selbst wenn man eine Gefahr für die Allgemeinheit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AsylG verneinen wollte, liegen jedenfalls die Voraussetzungen für einen Widerruf des dem Antragsteller zuerkannten subsidiären Schutzstatus gemäß § 73 Abs. 2 AsylG vor.
32
Gemäß § 73 Abs. 2 AsylG ist die Zuerkennung subsidiären Schutzes zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maß verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Die Veränderung der Umstände muss dabei wesentlich und nicht nur vorübergehend sein, sodass der Ausländer tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
33
Es kann offenbleiben, ob die Zuerkennung des subsidiären Schutzes mit Bescheid vom 24.11.2016 rechtswidrig oder rechtmäßig erfolgt ist. Denn obwohl § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylG entsprechend der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Terminologie (vgl. §§ 48, 49 VwVfG) in erster Linie die Aufhebung rechtmäßiger Verwaltungsakte betrifft, ermächtigt und verpflichtet die Vorschrift zum Widerruf auch einer ursprünglich rechtswidrigen Schutzzuerkennung unter denselben Voraussetzungen wie beim Widerruf einer zu Recht erfolgten Anerkennung, das heißt bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.9.2000, 9 C 12/00, juris Rn. 13). Der Anwendung des § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Schutzzuerkennung im Nachhinein scheinbar nicht entfallen können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick auf den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. So besteht der vermeintliche Widerspruch beispielsweise nicht, wenn bei einer allgemein vorhandenen Verfolgungsgefahr eine Anerkennung ausgesprochen wurde, obwohl einzelne Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl oder die Zuerkennung internationalen Schutzes nicht vorlagen, im Nachhinein die allgemeine Verfolgungsgefahr aber insgesamt entfallen ist. Wurde etwa eine Anerkennung rechtswidrig gewährt, weil eine tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative nicht beachtet oder eine Gruppenverfolgung rechtlich unzutreffend angenommen wurde, lässt aber ein späterer politischer Systemwechsel die zugrunde gelegte Verfolgungsgefahr nunmehr eindeutig landesweit entfallen, so ist kein Grund erkennbar, weshalb § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylG auf solche Fälle nachträglicher Sachlagenänderungen nicht anzuwenden sein sollte. Insbesondere eröffnet dies die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigen Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Urt. v. 19.9.2000, 9 C 12/00, juris Rn. 14).
34
Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylG liegen vor, da diejenigen Umstände, die – ob rechtmäßiger- oder unrechtmäßigerweise – zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG geführt haben, in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland des Antragstellers weggefallen sind (vgl. unter (1)). Es liegen auch keine anderweitigen Gründe für eine Schutzzuerkennung vor (hierzu unter (2)).
35
(1) Die Umstände im Herkunftsland des Klägers haben sich seit Erlass des Bescheids vom 24.11.2016 erheblich und nicht nur vorübergehend geändert.
36
Dies ist im Hinblick auf die Situation des Antragstellers, bei welchem die Entscheidung über die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG im Wesentlichen auf der Feststellung beruhte, dass im Herkunftsgebiet des Antragstellers (Mossul) ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mit entsprechender Gefahrverdichtung für Zivilpersonen bestehe, welche die Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtfertige, der Fall. Denn die Sicherheitslage im gesamten Irak und auch in Mossul als Herkunftsgebiet des Antragstellers hat sich seit der Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers mit Bescheid vom 24.11.2016 bereits über einen längeren Zeitraum kontinuierlich und damit nicht nur vorübergehend so verbessert, dass die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG nicht mehr vorliegen. Nach Auffassung des Gerichts besteht für den Antragsteller gegenwärtig keine Gefahr mehr, bei einer Rückkehr in den Irak insoweit einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
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Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Antragstellers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG liegt nicht vor.
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(a) Mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist Art. 15 Buchst. c) EU-QRL (und damit der diesem entsprechende, wortlautgleiche § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) dahingehend auszulegen, dass für die Anwendung dieser Bestimmung vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen ist, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 – C-285/12 –, juris, Rn. 27 ff.). Die Gewährung subsidiären Schutzes kommt nur in Betracht, wenn der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr in den Irak oder in die von dem bewaffneten Konflikt betroffene Region allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit ausgesetzt zu sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.5.2020 – 1 C 11.19 –, juris, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 17.02.2009 – C-465/07 –, juris, Rn. 35). Die Feststellung des Vorliegens eines bewaffneten Konflikts darf nicht von einem bestimmten Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder von einer bestimmten Dauer des Konflikts abhängig gemacht werden, wenn diese dafür genügen, dass durch die Auseinandersetzungen, an denen die Streitkräfte beteiligt sind, ein derartiger Grad an willkürlicher Gewalt entsteht (EuGH, Urteil vom 30.01.2014 – C-285/12 –, juris, Rn. 34).
39
Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG können auch erfüllt sein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt auf einen Teil des Staatsgebiets beschränkt und dem Ausländer die gesetzlich definierte Gefahr in diesem Landesteil droht. In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird, soweit sich der Ausländer nicht bereits vor seiner Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst hat und sich in einem anderen Landesteil auf unabsehbare Zeit niedergelassen hat. Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Antragstellers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Antragsteller stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12 –, juris, Rn. 13 f.; BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08 –, juris, Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07 –, juris, Rn. 25). Ergibt sich, dass in der für ihn maßgeblichen Region eine individuelle Bedrohung des Antragstellers wegen eines außergewöhnlich hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts anzunehmen ist, ist weiter zu prüfen, ob der Antragsteller in anderen Teilen des Herkunftslandes, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz gemäß §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e AsylG finden kann (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08 –, juris, Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 – 10 C 43/07 –, juris, Rn. 30 ff.).
40
Mit Blick auf die erforderliche individuelle Gefährdung genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr muss sich für die Gewährung subsidiären Schutzes in der Person des schutzsuchenden Ausländers so verdichten, dass sie für diese Person eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 – 1 C 11/19 –, juris Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 13.02.2014 – 10 C 6/13 –, juris, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 17.02.2009 – C-465/07 –, juris, Rn. 35 ff.). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa, weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Zu berücksichtigen sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 – 1 C 11/19 –, juris, Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09 –, juris, Rn. 33). Die erforderliche individuelle Gefahr muss sich aber nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückführen lassen. Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann ausnahmsweise auch in Fällen, in denen individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 – 1 C 11/19 –, juris, Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 – 10 C 9/08 –, juris, Rn. 15; EuGH, Urteil vom 17.02.2009 – C-465/07 –, juris, Rn. 43).
41
(b) Letztlich kann aber dahinstehen, ob in Mossul ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht. Das Tatbestandsmerkmal der „ernsthaften individuellen Bedrohung“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt in der Person des Antragstellers nicht vor. Dieses erfordert nämlich nach oben dargelegten Maßstäben entweder eine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit im jeweiligen Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden oder persönliche Umstände, die das derartige Risiko erheblich erhöhen. Dies ist im Fall des Antragstellers beides nicht ersichtlich.
42
Eine Gefahrendichte im Sinne der erstgenannten Alternative ist im Irak im nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht gegeben. Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert, bleibt aber gleichwohl in vielen Teilen des Iraks instabil (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 22.08.2022, S. 19 f.). Der IS ist – wenn auch im „Verborgenen“ – weiterhin aktiv und hat einen Strategiewechsel hin zu einer asymmetrischen Kriegsführung aus dem Untergrund mit kleineren Anschlägen vorgenommen; er zählt daher weiterhin zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak (AA, Lagebericht, Stand: Oktober 2022, S. 14; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 22.08.2022, S. 19, S. 22 ff.). Dennoch hat sich bei einer Gesamtbetrachtung die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle mit zivilen Opfern deutlich reduziert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 22.08.2022, S. 25 f.). Unter Zugrundelegung der Zahl der bekannten sicherheitsrelevanten Vorfälle bzw. ziviler Opfer, insbesondere in Relation zur Einwohnerzahl (vgl. zur aktuellen Lage etwa UK Home Office, Country Policy and Information Note – Iraq: Security Situatin, November 2022, S. 16 ff.; EUAA, Iraq Security Situation, January 2022, S. 52 ff.), muss in keinem Teil des Landes damit gerechnet werden, allein aufgrund bloßer Anwesenheit im jeweiligen Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer willkürlicher Gewalt zu werden (so auch EUAA, Country Guidance Iraq, Juni 2022, S. 177). Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle mit zivilen Opfern ist seit 2016 gesunken. Während es 2016 noch 16.393 zivile Opfer gegeben hat, waren es im Jahr 2021 insgesamt 1.187 Opfer und von Januar bis Juni 2022 waren es 712 derartige Vorfälle (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Irak, 22.08.2022, S. 28.). Die ACLED-Datenbank registrierte von Juli 2022 bis Dezember 2022 291 Zwischenfälle, bei denen Zivilisten gezielt angegriffen wurden. Zwischen Jänner 2023 und August 2023 waren es 292 Fälle von Gewalt gegen Zivilisten (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Irak, 09.10.2023, S. 33.)
43
Dies gilt auch für die Herkunftsregion des Antragstellers. Weder im gesamten Gouvernement Ninewa, noch in dem Distrikt Mossul liegen die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle und die Zahl der zivilen Opfer auf einem Niveau, bei dem damit gerechnet werden müsste, allein aufgrund bloßer Anwesenheit in dem Gebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer willkürlicher Gewalt zu werden (vgl. u.a. OVG NRW, U. v. 05.09.2023 – 9 A 1249/10.A). Im Distrikt Mossul wurden im Zeitraum von Juli bis Dezember 2022 46 Vorfälle registriert, darunter acht Fälle von Gewalt gegen Zivilisten. In sieben dieser Fälle gab es zivile Todesopfer. Sieben Angriffe, bewaffnete Auseinandersetzungen und IED-Angriffe werden dem IS zugeschrieben, während 14 weitere Vorfälle gegen den IS gerichtet waren. Des Weiteren wurde eine friedliche Demonstration registriert. Zwischen Jänner und August 2023 wurden 46 Vorfälle verzeichnet, darunter acht Fälle von Gewalt gegen Zivilisten, wobei es in sieben Fällen zivile Tote gab. Vier Angriffe gehen auf das Konto des IS, während 15 weitere Vorfälle gegen den IS gerichtet waren. Die übrigen Vorfälle verteilen sich auf nicht identifizierte bewaffnete Gruppen, Milizen und Sicherheitskräfte ((BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 09.10.2023, S. 68). Das Verletzungs- und Tötungsrisiko erreicht damit nicht die erforderliche Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung. Insgesamt ist nicht von einem besonders hohen Niveau der willkürlichen Gewalt gegen Zivilpersonen in Ninewa auszugehen. Berichte, dass sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten akut verschlechtert hat, bestehen nicht.
44
(2) Dem Antragsteller droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus anderen Gründen ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG neben einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere ist deshalb zu beachten, dass die vorgenannten Gefahren gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen müssen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren.
45
Wie bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt auch im Rahmen des subsidiären Schutzes für die Beurteilung der Frage, ob ein ernsthafter Schaden droht, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „… tatsächlich Gefahr liefe …“ des Art. 2 Buchst. f) EU-QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“), was dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13/10 –, juris, Rn. 20). Auch im Rahmen des § 4 AsylG ist der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab außerdem zwar unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 erlitten hat, dies stellt aber einen ernsthaften Hinweis dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, erneut ernsthaften Schaden zu erleiden. Denn auch diesbezüglich gilt die Vermutung gemäß Art. 4 Abs. 4 EU-QRL, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird, wobei sich die Vermutungswirkung jedoch nicht auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstreckt (BayVGH, Urteil vom 28.03.2017 – 20 B 15.30204 –, juris, Rn. 30; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 4/09 –, juris, Rn. 31).
46
(a) Anhaltspunkte, dass dem Antragsteller die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe und damit ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG drohen würde, sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgetragen worden.
47
(b) Dem Antragsteller droht weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
48
Der Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist im Gesetz nicht näher definiert, aber – da die Vorschrift der Umsetzung der RL 2011/95/EU dient – in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Begriff in Art. 15b RL 2011/95/EU auszulegen. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen, zu verstehen. Es muss zumindest eine erniedrigende Behandlung in Form einer einen bestimmten Schweregrad erreichenden Demütigung oder Herabsetzung vorliegen. Diese ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15/12 –, juris, Rn. 22 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.12.2017 – A 11 S 1144/17 –, juris, Rn. 174 ff. m.w.N.; VG Würzburg, Urteil vom 23.01.2018 – W 1 K 16.32602 –, juris, Rn. 20 m.w.N.). Der Begriff der Folter ist unter Rückgriff auf die inhaltlich übereinstimmende Rechtsprechung des EGMR und die UN-Anti-Folter-Konvention auszulegen (Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 36. Edition 01.01.2023, § 4 AsylG Rn. 13). Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Konvention ist unter Folter jede Handlung zu verstehen, durch die einer Person vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, sofern dies zum Beispiel in der Absicht erfolgt, von ihm oder einem Dritten eine Auskunft oder ein Geständnis zu erzwingen, ihn für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihm oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, ihn oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder in irgendeiner anderen, auf irgendeiner Art der Diskriminierung beruhenden Absicht geschieht, und sofern solche Schmerzen oder Leiden von einem öffentlichen Bediensteten oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person bzw. auf deren Veranlassung mit der Zustimmung oder mit deren stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.
49
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen droht dem Antragsteller bei einer Rückkehr kein ernsthafter Schaden durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
50
(aa) Hinsichtlich einer möglichen individuellen Gefahr hat der Antragsteller vorgetragen, dass ihm persönlich vor seiner Ausreise nichts zugestoßen sei, aber er sei wegen der allgemeinen Sicherheitslage ausgereist. Anhaltspunkte für ein dem Antragsteller individuell drohende Gefahr eines ernsthaften Schadens durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wurden daher weder vorgetragen, noch sind solche anderweitig ersichtlich.
51
(bb) Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Versorgungs- und Sicherheitslage oder der schlechten humanitären Situation der Zivilbevölkerung im Irak in Betracht. Schlechte humanitäre Bedingungen, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, können nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, sondern allenfalls zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.5.2020 – 1 C 11.19 –, juris, Rn. 11 ff.). Denn es reicht nicht aus, dass die Voraussetzungen eines Tatbestandes nach § 4 Abs. 1 AsylG erfüllt sind. Vielmehr sind – neben § 4 Abs. 2 AsylG – gemäß § 4 Abs. 3 AsylG auch die Anforderungen der § 3c bis 3e AsylG zu beachten, die für den subsidiären Schutz entsprechend gelten. Erforderlich ist daher, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadens von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.
52
An einem Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG fehlt es hier, denn die humanitäre Lage und die prekären Lebensumstände sind keinem der genannten Akteure nach § 3c AsylG zuzurechnen. Die schlechte Versorgungslage (betreffend Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung) wird durch die sich nach der Corona-Pandemie und dem vorübergehenden Sinken des Ölpreises erst langsam wieder erholende wirtschaftliche Entwicklung des Iraks, die dort herrschenden Umweltbedingungen (vor allem Wasserknappheit infolge von Dürren und allgemein schwieriger klimatischer Bedingungen) sowie durch die teils noch volatile Sicherheitslage negativ beeinflusst und bestimmt. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Den Erkenntnismitteln ist nicht zu entnehmen, dass der irakische Staat ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigt und dies auf seine Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2021 – 9 LB 129/19 –, juris, Rn. 104).
53
cc) Wie soeben ausgeführt, liegen im Ergebnis die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr vor. Unschädlich ist im vorliegenden Fall auch, dass die Antragsgegnerin den Widerruf des subsidiären Schutzes ausschließlich auf § 73 Abs. 5 AsylG gestützt hat, gleichwohl nach den vorstehenden Ausführungen auch die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 2 AsylG vorliegen. Denn der im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Widerruf kann jedenfalls als Widerruf unter Austausch der Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden (vgl. hierzu auch BeckOK MigR/Camerer, AsylG § 73b Rn. 14). Die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid angeführter Normen oder Tatsachen wäre dem Gericht nur dann verwehrt, wenn dies zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheids führen würde oder der Betroffene in seiner Rechtsverfolgung unzumutbar beeinträchtigt würde (OVG NRW, Beschluss vom 04.04.2013 – 13 A 806/13.A –, juris, Rn. 16 m.w.N; VG München, Urteil vom 07.03.2019 – M 22 K 17.48782 –, juris, Rn. 47). Da die Rechtsfolgen des Widerrufs nach § 73 Abs. 2 AsylG bzw. nach § 73 Abs. 5 AsylG nicht differieren, ist auch nicht ersichtlich, dass eine entsprechende Umdeutung zu einer Wesensänderung der Entscheidung des Bundesamts führt.
54
c) Im Ergebnis wird sich daher die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen, sodass die Klage in Hauptsache aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Erfolg haben wird. Ein Grund, unter Beachtung der oben genannten Maßstäbe die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, findet sich damit nicht, sodass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen ist.
55
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO im Hinblick auf die Ziffern 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist zulässig, hat aber in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.
56
a) Ein Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Hinblick auf die in der Hauptsache hilfsweise begehrte Verpflichtung der Beklagten, dem Antragsteller den subsidiären Schutz zuzuerkennen, bzw. weiter hilfsweise nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG festzustellen, ist insoweit jeweils eine Verpflichtungsklage statthaft, sodass einstweiliger Rechtschutz nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangt werden kann. Diesen hilfsweise gestellten Verpflichtungsklagen kommt ebenfalls nach § 75 VwGO keine aufschiebende Wirkung zu, da im vorliegenden Fall in Ermangelung einer gesetzten Ausreisefrist kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG gegeben ist und auch kein Fall des § 73b Abs. 7 AsylG. Denn insoweit beinhaltet ausschließlich die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids eine Widerrufsentscheidung, nicht aber die Ziffern 2 und 3, mit welchem die Zuerkennung des subsidiären bzw. nationalen Schutzes abgelehnt wird.
57
b) Der Antrag ist aber unbegründet.
58
Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf die Streitsache treffen, wenn die Gefahr besteht, dass ohne die beantragte Maßnahme die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahren zu verhindern. In entsprechender Anwendung des § 920 ZPO (§ 123 Abs. 3 VwGO) sind sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
59
Vorliegend ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung aber weder ein Anordnungsgrund gegeben, noch hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
60
aa) Ein Anordnungsgrund ist im Zeitpunkt der Entscheidung nicht gegeben, da gegenüber dem Antragsteller keine Abschiebungsandrohung erlassen wurde. Vielmehr ist dieser ausweislich der vorlegten Akte der Ausländerbehörde seit 02.10.2023 in Besitz einer Fiktionsbescheinung gem. § 81 Abs. 5 AufenthG, sodass keine Ausreisepflicht besteht. Die Gefahr einer drohenden Abschiebung ist damit aktuell nicht gegeben.
61
bb) Zudem wurde seitens des Antragstellers kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Wie vorstehend unter 1b ausgeführt, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 AsylG im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr vor. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Derartige Gründe sind weder vorgetragen, noch ersichtlich, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung von § 77 Abs. 3 AsylG von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gefolgt wird.
62
c) In Ermangelung eines Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs ist auch der Antrag nach § 123 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
63
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. den §§ 114, 121 ZPO abzulehnen, da die Anträge im einstweiligen Rechtschutz keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten.
64
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation Bemittelter und Unbemittelter bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, S. 124 ff., S. 128 ff.; BVerfGE 10, S. 264 ff., S. 270; BVerfGE 22, S. 83 ff., S. 87; BVerfGE 51, S. 295 ff., S. 302; BVerfGE 63, S. 380 ff., S. 394 f.; BVerfGE 67, S. 245 ff., S. 248; für das Asylverfahren vgl. BVerfG vom 27.9.2006 Az. 2 BvR 1292/06 und 2 BvR 1294/06). Verfassungsrechtlich ist es unbedenklich, die Gewährung der Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, S. 347 ff., S. 357). Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsrechtlich gebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben.
65
Dies zugrunde gelegt ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen, da weder der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (wie vorstehend unter 1. dargestellt, noch der Antrag nach § 123 VwGO, wie vorstehend unter 2. dargestellt, Erfolg hat.
66
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
67
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.