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VG München, Urteil v. 09.04.2024 – M 5 K 22.31961
Titel:

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei unglaubhaftem und gesteigertem Vorbringen

Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 74
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Für die Glaubhaftigkeit eines Vortrags sind Stringenz sowohl hinsichtlich der Tatsachen wie auch des zeitlichen Ablaufs unerlässlich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylklage, Uganda, Politische Unterstützung der NUP, unglaubhaft, Asylantrag, DP, NRM, erhebliche Erkrankung, unglaubhafter Vortrag, gesteigertes Vorbringen, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2024, 10491

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der 1978 geborene Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger. Er reiste am … November 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am ... Dezember 2019 einen Asylantrag.
2
Bei seinen beiden Anhörungen trug der Kläger vor, dass er Uganda aufgrund einer politischen Verfolgung verlassen habe. Er sei seit 1996 Mitglied der NRM und im Jahr 2009/10 deren Vorsitzender in einem Dorf gewesen. Im Jahr 2017 sei er offiziell zur Partei DP übergetreten, für die er bereits seit 2013/14 tätig gewesen sei. Außerdem habe er mit der Bewegung „People Power“ kooperiert. Bei der Wahl für den Stadtrat von Kampala im Januar/Februar 2016 habe der Kläger für die DP geworben, deren Kandidaten auch den Bürgermeister und die Mehrheit der Stadträte gestellt habe. Da er der Hauptanführer gewesen sei, habe die Regierung begonnen, ihn zu suchen. Er sei im März 2017 für 9 Tage in einem „Safehouse“ inhaftiert gewesen. Er solle zur NRM zurückkehren, ansonsten würde er getötet. Im August 2018 habe es an einem anderen Ort eine Wahl gegeben. Er sei dann für einen Tag festgehalten und inhaftiert worden. Ende 2018 habe der Kläger geholfen, Leute für die Präsidentschaftswahl 2021 zu mobilisieren. Im November 2018 sei er vorgeladen und mit dem Tod bedroht worden, da ihm vorgeworfen worden sei, Leute gegen die Regierung zu mobilisieren. Er habe im Februar 2019 ein Haus für seine zweite Frau gemietet und sich dort versteckt. Im August 2019 sei der Kläger ein drittes Mal verhaftet und in einem „Safehouse“ für 45 Tage inhaftiert worden. Familienangehörige seien von anderen Sicherheitsdiensten geschlagen und gefoltert worden, um den Aufenthaltsort des Klägers zu erfahren. Der Kläger selbst sei geschlagen und gefoltert worden. Er hätte von einer Person, die er aus seiner Zeit bei der NRM gekannt habe, umgebracht werden sollen. Dieser habe gesagt, er werde den Kläger nicht töten, er dürfe sich aber in Uganda nicht mehr sehen lassen. Darauf habe ihn dieser Mann in einem Auto versteckt weggebracht. Von September bis November 2019 habe sich der Kläger versteckt, ein Visum für Deutschland erhalten und ausgereist.
3
Das Bundesamt hat eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. August 2022 zu dem vom Kläger als im Jahr 2017 erfolgten Austritt aus der NRM und Eintritt in die DP – wozu er zwei Referenzschreiben vorgelegt hat – eingeholt.
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Mit Bescheid vom ... September 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Der Bescheid wurde am … Mai 2023 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.
5
Die Klagepartei hat am 5. Oktober 2022 Klage erhoben und beantragt,
I.
6
Der Bescheid der Beklagten vom … September 2022 wird mit Ausnahme der Ziffer 2 aufgehoben.
II.
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Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
8
III. (Hilfsweise:) Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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IV. (Hilfsweise:) Die Beklagte wird verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) festzustellen.
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Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Am 8. April 2024 fand mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Protokoll vom 8. April 2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der Kläger hat kein Verfolgungs- oder Lebensschicksal geschildert, das die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 des Asylgesetzes/AsylG) rechtfertigen würde
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a) Der Vortrag des Klägers ist unglaubhaft. Das gilt insbesondere für seinen Vortrag, er sei ins Visier des Regimes geraten, weil aus der NRM ausgetreten sei und als Mitglied der DP (und auch der NUP) diese Partei bei Wahlen unterstützt habe.
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Auch wenn der Kläger Ortsvorsitzender der NRM gewesen sein will, wobei die von ihm geleitete Organisationseinheit etwa 600 Mitglieder gehabt haben soll, so folgt weder aus der Größe noch der Funktion, dass der Kläger durch seinen Bruch mit der NRM und das Werben für Oppositionskandidaten eine maßgebliche Rolle gegen das herrschende Parteiregime eingenommen hätte. Entsprechend gilt das auch für seine Anzeigen über Vorkommnisse bei Wahlen im Jahr 2018.
18
Der Kläger schildert seinen Bruch mit der NRM und seine Tätigkeiten für die DP bereits äußerst vage und oberflächlich. So hat er bei der Anhörung beim Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung hierzu lediglich angegeben, dass er in seinem Dorf „Mobilisator“ gewesen sei. Die vom Kläger geschilderte Absicht, sich bei späteren Wahlen als Kandidat aufstellen zu lassen, da bereits alle Kandidaten von den Parteien benannt gewesen seien, unterstreichen den Eindruck über die vagen und unbestimmten politischen Aktivitäten des Klägers. Etwas Anderes folgt auch nicht aus den vom Kläger vorgelegten Schreiben vom … November 2019 und … Januar 2020. Dort sind angebliche konkrete politische Aktionen benannt. Auf diese hat sich der Kläger aber weder bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung bezogen oder diese als konkrete Beispiele erwähnt. Zudem ist der Beweiswert dieser Schreiben zurückhaltend zu bewerten. Auch wenn der Verfasser des Schreibens vom … Januar 2020 sich nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom ... August 2022 daran habe erinnern können, diesen Brief unterschrieben zu haben mit dem Inhalt, dass der Kläger von der NRM in die DP eingetreten sei, so folgt daraus nicht die Authentizität der vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsmaßnahmen. Denn die Formulierungen hinsichtlich der angeblichen Inhaftierung und Misshandlung des Klägers in einem „safehouse“ sind wörtlich nahezu übereinstimmend mit dem Schreiben vom … November 2019, was bei authentischen Texten von unterschiedlichen Autoren praktisch ausgeschlossen ist. Zudem sind sie auch sehr vage und ohne Angabe von konkreten Angaben (etwa Inhaftierungsdauer) formuliert.
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Zentraler Punkt für die Bewertung der Unglaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers ist der Umstand, dass er inhaftiert worden sein will und eigentlich umgebracht werden sollte, aber einer der Bewacher ihn aus dem Gefängnis gebracht haben will. Dieser Vortrag ist völlig unlogisch und unplausibel. Wenn der Kläger eine gewisse Zeit inhaftiert worden sein will und nach seiner Schilderung getötet werden sollte, dann ist nicht nachvollziehbar, dass ihm ein Bewacher plötzlich die Flucht ermöglicht. Denn dieser Bewacher setzt sich damit dem Vorwurf einer erheblichen Pflichtverletzung aus. Ein plausibler Grund für dieses – für den Bewacher sehr risikobehaftete – Verhalten ist nicht ersichtlich. Soweit der Kläger hierzu angegeben hat, dass er mit diesem Bewacher früher eng zusammengearbeitet habe und dieser ihm aus Freundschaft zur Flucht verholfen habe, ist unglaubhaft. Denn der Kläger hat bei der Anhörung vor dem Bundesamt eine enge Zusammenarbeit nicht angegeben. Vielmehr hat er diesen Bewachter („Sobbi“) als Folterer und Auftragsmörder für die Regierung geschildert. Soweit der Kläger hierzu angibt, er habe alles beim Bundesamt gesagt, ist das nicht zutreffend.
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Der Eindruck der Unglaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers wird auch dadurch unterstrichen, dass er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, etwa 2017 oder 2018 verhaftet, schwer geprügelt und „zum Sterben auf der Straße zurückgelassen“ worden sei. Beim Bundesamt hat er das aber mit August 2018 relativ genau angeben als zweite Verhaftung, das erste Mal sei er im März 2017 verhaftet worden. Seine Erklärung hierfür, dass nicht alles beim Bundesamt korrekt aufgenommen worden sei, wirkt vorgeschoben. Denn das Anhörungsprotokoll wurde dem Kläger jeweils rückübersetzt und er hat ausdrücklich bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Auch die Erklärung, er habe Angst gehabt, dass die Dolmetscherin mit der ugandischen Regierung zusammenarbeiten könnte, überzeugt nicht. Der Kläger wurde mehrmals ausdrücklich belehrt, alle für sein Verfolgungsschicksal wesentlichen Umstände umfassend und wahrheitsgemäß anzugeben. Er hätte auch nach der Anhörung weitere Umstände schriftlich nachreichen können. Das ist aber nicht erfolgt. Andererseits waren diese Ereignisse für den Kläger wesentlich, da sie ihn zum Verlassen seines Landes veranlasst haben sollen. Daher ist eine entsprechende Stringenz bei diesen Angaben zu fordern. Auch die Umstände seiner Flucht aus dem Gefängnis hat der Kläger nicht stringent geschildert. Dass er zusammen mit anderen Leichen in einem Sack aus dem Gefängnis herausgebracht worden sei, hat er beim Bundesamt nicht angegeben, aber in der mündlichen Verhandlung. Der Vortrag, dass er zusammen mit Leichen aus dem Gefängnis gebracht worden sei, erfolgte erstmals in einer E-Mail seines Bevollmächtigten vom … Oktober 2021, über eineinhalb Jahre nach der Anhörung vom … Januar 2020 und ein Jahr nach der Anhörung vom … September 2020. Es ist aber für einen glaubhaften Vortrag unerlässlich, dass ein stringenter Vortrag auch in zeitlicher Hinsicht erfolgt. Ansonsten sind die Angaben als wesentlich gesteigert und unglaubhaft anzusehen.
21
Insgesamt wirkt der Vortrag des Klägers als vage, widersprüchlich und unplausibel.
22
b) Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Insbesondere für das Vorliegen von krankheitsbedingten Abschiebungshindernissen ist konkret weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
23
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
24
Nach dem Attest des „hno-zentrums“ vom … Februar 2020 besteht beim Kläger eine Nasenatmungsbehinderung wie auch eine Taubheit auf dem rechten Ohr. Eine operative Behandlung dieser Leiden sei zwar möglich, aber nicht zwingend erforderlich. Für eine erhebliche Erkrankung, die sich unbehandelt wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern könnte, ist weder etwas konkret vorgetragen noch ansonsten ersichtlich.
25
c) Es sind daher auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnten. Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 Asylgesetz/AsylG).
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2. Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
27
Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes vom ... September 2022 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
30
Nach § 83 b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.