Titel:
Erfolgreicher Eilantrag gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen (Versammlungsort, Zelte)
Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Von einer Versammlung ausgehende Störungen des Vorlesungsbetriebs einer Universität müssen grundsätzlich hingenommen werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine Versammlung als Dauerversammlung geplant, so fällt auch die für das Übernachten und Schlafen vor Ort erforderliche Infrastruktur in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG (Anschluss an VGH München BeckRS 2022, 3624). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Beschränkende Auflage, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gefahrenprognose, Versammlung, Versammlungsort, Dauerversammlung, Universität, Zelte, Übernachtung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.05.2024 – 10 CS 24.798
Fundstelle:
BeckRS 2024, 10471
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Mai 2024 wird hinsichtlich der Ziffer 3. (Versammlungsörtlichkeit) des und hinsichtlich der Ziffer 4.2.4 (Zelte) des Bescheids vom 13. Mai 2024 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen zwei beschränkende Auflagen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Mai 2024.
2
Unter dem 12. Mai 2024 zeigte die Antragstellerin eine Versammlung mit dem Thema „Die Invasion auf R., die Verantwortung der Universitäten in der Militärforschung & das bevorstehende Verbot der Zivilklausel an den bayerischen Universitäten (Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern“ für den 13. Mai 2024 ab 17:45 Uhr bis 16. Mai 2024 18:00 Uhr auf dem P. …-H. …-Platz in M. … mit 100 erwarteten Teilnehmern an.
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Mit Bescheid vom 13. Mai 2024 verlegte die Antragsgegnerin diese Versammlung unter Ziffer 3. Auf die westliche Fläche nördlich der Propyläen zwischen L. …straße und B. … Straße. Unter der Ziffer 4.2.4 wurden die angezeigten Zelte auf fünf beschränk und das Nächtigen bzw. Schlafen untersagt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Die Antragstellerin hat am 13. Mai 2024 Klage gegen diesen Bescheid erhoben. Gleichzeitig wird beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Antragsschrift Bezug genommen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Zur Begründung wird auf den Bescheid sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts-sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG hat Erfolg.
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Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Sofern die Klage jedoch nach summarischer Prüfung erfolgreich sein wird, tritt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zurück.
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Im vorliegenden Fall überwiegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das private Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das öffentliche Interesse am gesetzlich grundsätzlich vorgesehenen Sofortvollzug. Die Klage gegen den Bescheid vom 13. Mai 2024 hat voraussichtlich Erfolg. Bei kursorischer Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom 13. Mai 2024 hinsichtlich der Ziffer 3 und Ziffer 4.2.4 rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen gemäß Art. 8 Abs. 2 GG zu ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst dabei den Schutz zentraler Rechtsgüter wie das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Daneben umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung jedenfalls dann, wenn deren strafbare Verletzung droht.
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Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2004 – 1 BvQ 19/04 – juris Rn. 21, 23).
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Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff., Rn. 63; B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16 f.).
18
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben begegnet die Ziffer 3. des Bescheids vom 13. Mai 2024 bei summarischer Prüfung rechtlichen Bedenken. Hinsichtlich der Verlegung der Versammlung vom P. …-H. …-Platz in unmittelbarer Nähe zur … auf die westliche Fläche nördlich der Propyläen zwischen L. …straße und B. … Straße ist die Gefahrenprognose nach vorläufiger Einschätzung nicht ausreichend. Die Gefahr der Besetzung von Hörsälen ist nicht hinreichend konkret nachgewiesen. Die im Bescheid genannten Besetzungen von Hörsälen am 2. Mai 2023 können schon zeitlich nicht von einer pro palästinensischen Gruppe gewesen sein, da diese lange vor dem 7. Oktober 2023 stattfanden. Die Besetzung am 31. Januar 2024 wurde innerhalb von 15 Minuten friedlich beendet. Auch Störungen des Vorlesungsbetriebs müssen im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit hingenommen werden. Im Übrigen besteht durch die breite L. …straße eine ausreichende Trennung des Versammlungsorts vom Haupteingang der Universität.
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Hinsichtlich der Ziffer 4.2.4 des Bescheids vom 13. Mai 2024 wurde lediglich ausgeführt, dass ein Nächtigen und Schlafen in den Zelten als nicht notwendig erachtet werde. Im Hinblick auf den Versammlungszweck, welcher auch die Dauer der Versammlung umfasst, ist insoweit die Gefahrenprognose nicht ausreichend. Die Nutzung zum Schlafen weist zwar nur mittelbar keinen Bezug zu dem von der Klägerin angezeigten Thema auf, denn es soll auch die Situation der Menschen in G. und deren Leben in Zelten dargestellt werden. Allerdings ist die Versammlung als Dauerversammlung bis zum 16. Mai 2024 geplant, so dass das Kampieren auch das Übernachten und Schlafen vor Ort einschließt (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2022 – 10 B 21.1694 – juris).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.