Titel:
Graffiti mit satirischem Charakter
Normenketten:
StGB § 86 Abs. 4, § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 90a Abs. 1 Nr. 1, § 185, § 193
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3
Leitsätze:
1. Zur Frage, ob ein Graffiti, das eine Person mit einer als Schädel ausgeformten Gesichtshälfte und mit an eine SS-Uniform erinnernden Uniformteilen zeigt, in der erforderlichen Gesamtschau ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation darstellt. (Rn. 7 – 51)
2. Ein Graffiti stellt bereits bei ausschließlich formaler Betrachtungsweise grundsätzlich Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG dar, da es die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps, nämlich der Malerei, erfüllt. (Rn. 56)
3. Es unterfällt auch dem inhaltsbezogenen Kunstbegriff, wenn es in der Art seiner bildhaften Umsetzung einer Geschichte schöpferische Elemente enthält, wodurch der Künstler seine persönlichen Erfahrungen – wie hier mit der Staatsgewalt – ausdrückt und zu unmittelbarer Anschauung bringt. (Rn. 57 – 58)
4. Auch wenn der Künstler durch die Abbildungen eines Polizeieinsatzes Vorgänge des realen Lebens schildert, unterfällt ein Graffiti dem sog. offenen Kunstbegriff, wenn die Wirklichkeit im Kunstwerk „verdichtet“ wird, indem die Realität aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht wird, für die nicht die „Realitätsthematik“, sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht, es somit eine Reihe von Interpretationen zulässt und damit in seiner Aussage vieldeutig bleibt. (Rn. 61)
5. Die Kunsteigenschaft eines Graffiti wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Künstler damit über die künstlerische Ausdrucksform hinaus eine politische Meinung äußern wollte und hierbei eine satirische Ausdrucksform gewählt hat, die durch Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen gekennzeichnet ist. (Rn. 62)
6. Dies gilt auch, wenn das Graffiti ein verfassungswidriges Kennzeichen und eine Beleidigung beinhalten würde. (Rn. 66)
7. Gegenüber der Kunstfreiheit hat das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person zurückzutreten, wenn sich deren karikaturhaft verzerrtes Abbild nicht unerheblich von deren Urbild entfernt, sich nicht ausschließen lässt, dass diese lediglich als Symbol der Staatsmacht dargestellt wurde, wobei nicht grundlos deren oberster Repräsentant, sondern das Handeln der Exekutive kritisiert werden sollte, und eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bei der gebotenen kunstfreiheitsfreundlichen Betrachtung unter dem Aspekt der satirischen Machtkritik auch sonst nicht vorliegt. (Rn. 84 – 109)
8. Zum Verhältnis von Kunstfreiheit und verfassungsrechtlich gewährleisteter Ordnung. (Rn. 112 – 116)
Schlagworte:
Graffiti, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, zum Verwechseln ähnlich, Beleidigung, Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrecht, Satire, Machtkritik, verfassungsrechtlich gewährleistete Ordnung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 13.06.2023 – 11 NBs 404 Js 62126/22
Fundstelle:
GRUR-RS 2024, 10454
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten B. werden die Urteile des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. Juni 2023 und des Amtsgerichts Nürnberg vom 28. März 2023 aufgehoben.
II. Der Angeklagte wird freigesprochen.
III. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
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Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 28.03.2023 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt.
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Die hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Urteil vom 13.06.2023 als unbegründet verworfen.
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Gegen dieses am 05.07.2023 zugestellte Urteil hat der Angeklagte am 15.06.2023 Revision eingelegt und diese mit Schreiben seines Verteidigers vom 01.08.2023, eingegangen am 02.08.2023, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Schreiben vom 25.09.2023, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
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Mit seiner Gegenerklärung vom 19.10.2023 macht der Verteidiger des Angeklagten inhaltliche Ausführungen zur Begründung seiner bisher nur allgemein erhobenen Sachrüge.
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Die form- und fristgerecht eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg und führt, da die vom Berufungsgericht festgestellten und vom Anklagevorwurf erfassten Handlungen des Angeklagten keinen Straftatbestand erfüllen, zum Freispruch des Angeklagten.
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1. Das Berufungsgericht hat zum Tatsachverhalt folgendes festgestellt:
„Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem 08.06.2022 und dem 20.07.2022 sprühte der Angeklagte ein mehrere Meter hohes und mehrere Meter breites Graffiti an die Wand einer Feldscheune am Anwesen (…). Es kann, wie von dem Angeklagten beabsichtigt, von einer nicht überschaubaren Anzahl an Personen zur Kenntnis genommen werden.
Das Graffiti ähnelt einer gemalten Postkarte, die unter anderem eine Person mit schwarzer Uniform nebst Schirmmütze zeigt, welche wie vom Angeklagten beabsichtigt, einer SS-Uniform zum Verwechseln ähnlich sieht. So ist auf dem linken Kragen der Uniform das Abzeichen des Dienstgrades eines SS-Sturmbannführers abgebildet, welches aus vier kleinen hellen Quadraten auf einem dunklen, hell umrandeten rechteckigen Untergrund besteht. Auf der schwarzen Schirmmütze ist über dem Schirm – so wie es auch bei den Dienst-Schirmmützen insbesondere für Offiziere der SS der Fall war – eine zweizügige helle Kordel abgebildet, sowie darüber mittig das bayerische Wappen mit zwei Flügeln, welches dem auf den Dienst-Schirmmützen der SS angebrachten Hoheitszeichen ähnelt.
Das Gesicht der dargestellten Person besteht aus einem halbseitig skelettierten Kopf, welcher, wie von dem Angeklagten ebenfalls beabsichtigt, dem von der SS verwendeten Totenkopfabzeichen jedenfalls zum Verwechseln ähnlich sieht. Die andere Gesichtshälfte zeigt das Konterfei des bayerischen Ministerpräsidenten .... Unter diesem Bild sind zwei kleinere Bilder angeordnet, welche zeigen, wie drei Personen, deren Kleidung sehr stark bayerischen Polizeiuniformen ähnelt, eine wehrlose Person misshandeln. Der Gesichtsausdruck des bayerischen Ministerpräsidenten ... scheint dies zu billigen. Ferner ist auf dem Graffiti der Schriftzug „Liebesgrüße aus Bayern“ aufgebracht. Der Angeklagte beabsichtigt damit, gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten ... seine Missachtung kundzutun.
Der Angeklagte wusste, dass es sich bei den genannten Zeichen um Kennzeichen der ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei handelte.“
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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe der Angeklagte angegeben, dieses Graffiti an die Feldscheune gesprüht, hierfür sechs Stunden benötigt und einen Tag vorher bereits die Grundierung vorgenommen zu haben. Er habe hiermit einen einige Zeit vorher selbst erlebten Fall von Polizeigewalt darstellen und ihn „in visueller Form“ verarbeiten wollen. Bei der dargestellten Person handele es sich nicht um den bayerischen Ministerpräsidenten, sondern um „irgendeine Autoritätsperson“. Auch handle es sich nicht um eine SS-Uniform; schwarz sei diese, weil diese Farbe negative Emotionen ausdrücke. Das Graffiti sei immer noch vorhanden.
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Demgegenüber hat das Berufungsgericht zum Tatsachverhalt festgestellt, dass die auf dem Graffiti zu sehende schwarze Uniform nebst Schirmmütze einer SS-Uniform jedenfalls zum Verwechseln ähnlich sieht (BU 3), und ist beweiswürdigend davon ausgegangen, dass es sich bei der Uniform, die die dargestellte Person trägt, eindeutig um eine SS-Uniform handele (BU 6).
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2. Entgegen der Annahme der Strafkammer erfüllt die festgestellte Handlungsweise des Angeklagten bereits deshalb nicht den Tatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB, da das vom Angeklagten hergestellte Graffiti kein Kennzeichen im Sinne dieser Vorschrift darstellt oder beinhaltet.
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Gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer im Inland Kennzeichen (namentlich u.a. Fahnen, Abzeichen oder Uniformstücke, § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB, oder diesen zum Verwechseln ähnliche Zeichen, § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB) einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Abs. 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen (u.a. ehemalige nationalsozialistische Organisationen) verbreitet oder öffentlich verwendet.
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a) Diese Vorschrift dient der Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung eines Kennzeichens ausgedrückten Wiederbelebung bestimmter verfassungsfeindlicher Organisationen sowie der symbolhaft gekennzeichneten Wiederbelebung der von solchen Organisationen verfolgten Bestrebungen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt wehrt sie Gefahren ab, die allein mit dem äußeren Erscheinungsbild solcher Kennzeichen verbunden sind, und verbannt deshalb die von diesen Organisationen verwendeten Symbole aus dem Bild des politischen Lebens (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 –, BVerfGK 7, 452, juris Rn. 18; vom 18.05.2009 – 2 BvR 2202/08 –, NJW 2009, 2805, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 13.08.2009 – 3 StR 228/09 –, BGHSt 54, 61, juris Rn. 10; Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08 –, BGHSt 52, 364, juris Rn. 24; BayObLG, Beschluss vom 29.11.2023 – 202 StRR 88/23 –, juris Rn. 10; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 13; Beschluss vom 08.02.2022 – 1 §§ 74/21 –, BeckRS 2022, 2565, Rn. 14).
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b) Kennzeichen sind alle sicht- oder hörbaren Symbole, deren sich die genannten Organisationen bedienen und bedient haben, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen (BGH, Beschluss vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08 –, BGHSt 52, 364, juris Rn. 19; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 14; LK-StGB/Steinsiek, 13. Aufl. 2021, § 86a Rn. 5; SK-StGB/Rudolphi, 8. Aufl., § 86a Rn. 3; Fahrner, in: Fahrner, Staatsschutzstrafrecht, 1. Aufl. 2020, § 19 Rn. 38).
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aa) Trotz dieses von der Rechtsprechung mit Blick auf den Schutzzweck der Norm entwickelten weiten Kennzeichenbegriffs (so ausdrücklich BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.05.2009 – 2 BvR 2202/08 –, NJW 2009, 2805, juris Rn. 16) setzt der Wortlaut des § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB mit Blick auf das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot der Auslegung des Kennzeichen-Begriffs eine äußerste, nicht zu überschreitende Grenze. Hierbei darf deshalb nicht außer Acht gelassen werden, dass § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB – zwar nicht abschließend, aber prägend – besondere Kennzeichen beispielhaft aufzählt, namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen, die dem Tatbestand unterfallen sollen. Erfasst werden deshalb nur solche körperlichen und nichtkörperlichen Erkennungszeichen, die einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweisen und einen gedanklich an das äußere Erscheinungsbild gekoppelten, jedoch über dessen unmittelbaren Informationsgehalt hinausgehenden Sinn vermitteln (so BGH, Urteil vom 13.08.2009 – 3 StR 228/09 –, BGHSt 54, 61, juris Rn. 21; OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 6; Beschluss vom 02.08.2007 – 2 Ss 97/06 –, juris Rn. 8; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 17).
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bb) Hinzukommen muss jeweils ein Organisationsbezug. Von § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werden folglich nur Symbole von verfassungswidrigen Organisationen, also sämtliche von der betreffenden Organisation selbst verwendete und ihr zuzurechnende Identifizierungszeichen. Erforderlich ist, dass das Vorbild tatsächlich als Originalkennzeichen einer verbotenen Organisation existiert (BGH, Beschluss vom 31.07.2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354, juris Rn. 16). Von der Organisation nicht verwendete oder ungebräuchliche Darstellungen scheiden somit aus (OLG Bamberg, Beschluss vom 02.08.2007 – 2 Ss 97/06 –, juris Rn. 8; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 9; Güntge, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 86a Rn. 2). Ebenso werden reine Fantasiekennzeichen, die nur den Anschein der Zuordnung zu einer Organisation erwecken, vom Tatbestand nicht erfasst (BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 15; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 15; Güntge, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 6).
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Maßgeblich für die Begründung der Kennzeicheneigenschaft ist allein, dass sich die Organisation ein bestimmtes Kennzeichen durch einen formalen Autorisierungsakt, sei es durch formale Widmung oder durch schlichte Übung (vgl. OLG Celle, Urteil vom 03.07.1990 – 3 Ss 88/90 –, NJW 1991, 1497; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.04.2012 – 11 ME 113/12 –, NdsRpfl 2012, 253, juris Rn. 7), zu Eigen gemacht hat, so dass dieses Symbol zumindest auch als Zeichen der verbotenen Organisation erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 01.10.2008 – 3 StR 164/08 –, BGHSt 52, 364, juris Rn. 19; vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98 –, NJW 1999, 435, juris Rn. 4; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 14; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 86a Rn. 5a; Fahrner, in: Fahrner, Staatsschutzstrafrecht, a.a.O., § 19 Rn. 31). Das Symbol muss somit als Sinnbild propagandistisch verwendet werden (vgl. LK-StGB/ Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 2 und 5) und Träger der von der Organisation verfolgten (verfassungsfeindlichen) politischen Intention sein (Güntge, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 2).
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cc) Ohne Belang ist es, ob das Kennzeichen der Allgemeinheit bekannt ist. Ein solches Erfordernis würde unter anderem dem weiteren Schutzzweck des § 86 a StGB, die von der Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation ausgehende gruppeninterne Wirkung zu unterbinden, zuwiderlaufen. Neben der Werbung nach außen erfüllen Kennzeichen eine wichtige gruppeninterne Funktion als sichtbares Symbol geteilter Überzeugungen. Ihre Verwendung erlaubt es Gleichgesinnten, einander zu erkennen und sich als eine von „den anderen“ abgrenzbare Gruppe zu definieren. Dabei kommt es auf einen gewissen Bekanntheitsgrad des Kennzeichens in der allgemeinen Bevölkerung als Symbol einer verfassungswidrigen Organisation (auch für die Beurteilung der Verwechselungsgefahr gemäß § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB) nicht an, weil die Verfestigung gegenseitiger Bindungen Gleichgesinnter, denen der Symbolgehalt des Kennzeichens bekannt ist, die naheliegende Gefahr einer Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisation begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 31.07.2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354, juris Rn. 14, 16 und 21; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.04.2012 – 11 ME 113/12 –, NdsRpfl 2012, 253, juris Rn. 7; zustimmend OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 6; Beschluss vom 02.08.2007 – 2 Ss 97/06 –, juris Rn. 8; Güntge, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 2; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 9; anders noch BayObLG, Beschluss vom 07.12.1998 – 5St RR 151/98 –, BayObLGSt 1998, 202, juris Rn. 10).
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Der maßgebliche Symbolwert des Kennzeichens kann danach sowohl nach innen als auch nach außen allein durch die Häufigkeit und die Art des Anlasses seines Gebrauchs geschaffen werden. Daraus folgt weiterhin, dass es für eine verbotene Organisation auch jeweils mehrere Kennzeichen geben kann, wenn sie nur nebeneinander oder jeweils zu bestimmten Anlässen den entsprechenden Symbolcharakter entwickelt haben (OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.04.2012 – 11 ME 113/12 –, NdsRpfl 2012, 253, juris Rn. 7).
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c) Dies zugrunde gelegt stellt eine SS-Uniform oder eine Uniform, die einer solchen zum Verwechseln ähnlich sieht, grundsätzlich ein verfassungswidriges Kennzeichen dar.
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aa) Bei der Waffen-SS handelt es sich um eine Untergliederung der SS und damit um eine ehemalige nationalsozialistische und damit verfassungswidrige Organisation im Sinne von § 86a Abs. 1 Nr. 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (vgl. EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 –, juris Rn. 33, 49; BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 8; OLG Brandenburg, Urteil vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 11; OLG Dresden, Urteil vom 12.02.2008 – 3 Ss 375/06 –, juris Rn. 17; OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 15 f.), die durch Art. I Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. Nr. 55 der Liste im Anhang des Kontrollratsgesetzes Nr. 2 vom 10.10.1945 aufgelöst und verboten worden ist (vgl. OLG München, Urteil vom 07.05.2015 – 5 OLG 13 Ss 137/15 –, juris Rn. 18; Fischer, a.a.O., § 86 Rdn. 9).
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bb) Demgemäß sind Symbole der Waffen-SS verbotene Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Hierunter fällt das stilisierte Totenkopfsymbol der SS als Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 16; OLG Jena, Beschluss vom 01.06.2006 – 1 Ss 79/06, juris Rn. 13; AG Detmold, Beschluss vom 19.01.2010 – 3 Gs 99/10 –, juris Rn. 2) ebenso wie die auf dem Kragenspiegel getragene SS-Rune (vgl. AG Detmold, Beschluss vom 19.01.2010 – 3 Gs 99/10 –, juris Rn. 2), also die Sig-Rune in ihrer doppelten Verwendung durch die „Sturmstaffel (SS)“ und die Waffen-SS. Diese gilt ebenso wie das Hakenkreuz, also das Hauptkennzeichen der NSDAP (vgl. BGH, Urteil vom 25.04.1979 – 3 StR 89/79 –, BGHSt 28, 394, = NJW 1979, 1555, juris Rn. 9; BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 – 202 StRR 90/22 –, NStZ-RR 2023, 10, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.11.2023 – 202 StRR 88/23 –, juris Rn. 7; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 86a Rn. 3), als Symbol der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft schlechthin. Beide Symbole stellen somit ohne weiteres Kennzeichen einer verfassungswidrigen (nationalsozialistischen) Organisation dar (OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 9; OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 11, jeweils m.w.N.; OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 15 f.; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 6).
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d) Derartige Symbole weist das vom Angeklagten erstellte Graffiti nicht auf.
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Das Berufungsgericht hat unter Verweis auf die in der Strafakte befindlichen Kopien der im Buch „Uniformen der Waffen-SS“ von A. M. (erschienen 1993 im P.-P.-Verlag) enthaltenen Lichtbilder festgestellt, dass auf dem linken Kragen der (Original-)Uniform eines SS-Sturmbannführers vier kleine helle Quadrate auf einem dunklen, hell umrandeten, rechteckigen Untergrund angebracht seien, sich auf der schwarzen Schirmmütze der SS-Uniform über dem Schirm eine zweizügige helle Kordel befinde sowie darüber mittig das Hoheitszeichen der SS. Es hat desweiteren das auf diesen Darstellungen abgebildete Totenkopfabzeichen, welches von der SS verwendet wurde, in Augenschein genommen.
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Unter Bezugnahme hierauf stützt es seine Ansicht, dass die auf dem Graffiti zu sehende schwarze Uniform nebst Schirmmütze eindeutig eine SS-Uniform darstellt bzw. einer solchen jedenfalls zum Verwechseln ähnlich sieht, im Wesentlichen darauf, dass es sich bei dem Rangabzeichen, welches sich am linken Kragen dieser Person befindet, um das Rangabzeichen eines SS-Sturmbannführers handelt. Die schwarze Farbe der Uniform, der hohe weiße Kragen des Hemdes, die dunkle Krawatte, die dunkle Schirmmütze mit silberner zweizügiger Kordel sowie das geflügelte Hoheitsabzeichen darüber und letztlich die als Totenkopf dargestellte Gesichtshälfte lassen nach Auffassung des Berufungsgerichts in ihrer Gesamtschau bei lebensnaher Betrachtung nur den Schluss ziehen, dass vom Angeklagten eine SS-Uniform dargestellt werden sollte und auch dargestellt wurde. Auch der Ort der Anbringung des Rangabzeichens am linken Kragen sei gerade typisch für Uniformen der Waffen-SS, während bei der überwiegenden Anzahl der heutzutage verwendeten Uniformen die Rangabzeichen – allgemein bekannt – gerade auf den Schultern bzw. am Ärmel angebracht seien.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich, was der Senat aufgrund einer detaillierten Beschreibung des Graffiti sowie der gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wirksamen Bezugnahme auf die in den Akten befindlichen Lichtbilder desselben selbst überprüfen kann, bei der abgebildeten Uniform weder eindeutig um eine SS-Uniform (s. unten unter aa), noch sieht diese einer solchen zum Verwechseln ähnlich (s. unten unter bb).
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aa) Die vom Angeklagten gefertigte Abbildung einer Uniform weist keines der in der Rechtsprechung genannten Symbole, also Hakenkreuz, Doppel-Sigrune oder stilisiertes Totenkopfsymbol auf, die eine eindeutige Beurteilung als verfassungswidriges Kennzeichen rechtfertigen würden. Das Berufungsgericht geht zwar davon aus, dass einige Merkmale der abgebildeten Uniform auf eine SS-Uniform hindeuten. Dies reicht jedoch nicht für die Qualifizierung als verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB aus.
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(1) Allerdings ist die öffentliche Verwendung von Uniformstücken, die mit NS-Kennzeichen versehen sind, objektiv tatbestandsmäßig im Sinne des § 86a StGB (BGH, Urteil vom 25.05.1983 – 3 StR 67/83 (S) –, BGHSt 31, 383, juris Rn. 1 und 5; s.a. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2023 – OVG 81 S 1/22 –, juris Rn. 9, zum Tragen einer mit verschiedenen eindeutig der NS-Symbolik zuzuordnenden Kennzeichen versehenen Uniform). Während somit Uniformen etwa der ehemaligen Wehrmacht oder sonstige staatliche Uniformen nur in Verbindung mit sonstigen verfassungswidrigen Kennzeichen von § 86a StGB erfasst werden, sollen nach einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung die Uniformen der SS ohne weiteres Kennzeichen von NS-Organisationen sein (vgl. Fischer, a.a.O., § 86a Rn. 6; Fahrner, in: Fahrner, Staatsschutzstrafrecht, a.a.O., § 19 Rn. 38). Dies wird damit begründet, dass Uniformstücke Kennzeichen im Sinne von § 86a Abs. 2 StGB seien, soweit sie eine Identifikation mit der verbotenen Organisation zulassen (so Fischer, a.a.O., § 86a Rn. 6). Bejaht wurde diese im Bereich der NS-Ideologie für das sog. Braunhemd, was keiner näheren Erörterung bedürfe (so BayObLG, Urteil vom 14.05.1981 – RReg. 3 St 32/81 –, NStZ 1983, 120 f.; zustimmend NK-StGB/Paeffgen/ Klesczewski, 6. Aufl. 2023, § 86a Rn. 10; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 6; BeckOK StGB/ Ellbogen, 59. Ed. 01.11.2023, § 86a Rn. 5; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, a.a.O., § 86a Rn. 3; Becker, in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 86a Rn. 4).
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(2) Hiermit übereinstimmend ging das Oberlandesgericht München davon aus, dass ein Brustbild H. Hi.s in SS-Uniform ein Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB darstellt, auch wenn die nationalsozialistischen Symbole aufgrund der schlechten Druckqualität nicht zu erkennen waren und lediglich bei entsprechenden Vorkenntnissen aufgrund der Platzierung verschieden grauer Flecke auf der Uniform gesagt werden konnte, dass sich dort dieses oder jenes Symbol befinden müsse. Hi. symbolisierte jedenfalls in dieser Darstellung in der Uniform des Reichführers SS die SS, die er seit 1934 allein geführt und zum alles beherrschenden Macht- und Terrorinstrument ausgebaut hatte. Demgemäß stellt die öffentliche Zurschaustellung eines Bildes von Hi. in SS-Uniform in Anbetracht der Funktion als alleinige Spitze der SS für sich genommen eine Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dar (Urteil vom 07.05.2015 – 5 OLG 13 Ss 137/15 –, juris Rn. 6; zustimmend EGMR, Entscheidung vom 13.03.2018 – 35285/16 –, juris Rn. 33 und 49). Offen bleibt hiernach aber, ob auch die Darstellung einer SS-Uniform ohne verfassungswidrige Symbole und ohne die Abbildung Hi.s bereits die Kennzeichenfunktion des § 86a Abs. 2 StGB erfüllt.
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(3) Soweit sich weitere Gerichtsentscheidungen mit SS-Uniformen befasst haben, ist nicht erkennbar, ob und mit welchen verfassungswidrigen Symbolen diese versehen waren (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28.08.2023 – 35 K 3126/22 –, juris Rn. 147 f. zu einem in eine SS-Uniform gekleideten Skelett vom Rang eines SS-Obersturmführers; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2023 – OVG 81 S 1/22 –, juris Rn. 13 zu Uniformen, die aufgrund der schwarzen Kragenspiegel als SS-Uniform gekennzeichnet waren).
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(4) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts macht das Dienstgradabzeichen eines SS-Sturmbannführers auf dem linken Kragen der auf dem Graffiti zu sehenden Uniform die Abbildung nicht zum verbotenen Kennzeichen gemäß § 86a Abs. 2 StGB. Denn nicht jedes von einer verfassungswidrigen Organisation benutzte Zeichen ist ein Kennzeichen im Sinn des § 86a StGB. Nicht alle von NS-Organisationen benutzten Zeichen lassen in gleicher Eindeutigkeit wie etwa das Hakenkreuz den nazistischen Symbolcharakter erkennen. Manche der damals benutzten Zeichen wurden schon vor und auch noch nach der NS-Herrschaft mit gleichem oder ähnlichem Symbolgehalt verwendet, ohne irgendeinen Bezug zu einer verbotenen Organisation zu haben (BayObLG, Beschluss vom 27.10.1998 – 5St RR 185/98 –, BayObLGSt 1998, 181, juris Rn. 6 und 7). Voraussetzung der Strafbarkeit ist somit, dass das Zeichen nicht nur einem unbefangenen Betrachter den Eindruck des verbotenen Kennzeichens, sondern zugleich auch dessen Symbolgehalt als Kennzeichen der verbotenen Organisation vermittelt [vgl. KG, Beschluss vom 18.05.2016 – (4) 161 Ss 54/16 (75/16) –, juris Rn. 8].
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(4.1) Wird ein Symbol ausschließlich isoliert verwendet, muss es in seinem auf die verbotene Vereinigung hinweisenden Symbolgehalt im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein [BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98 –, NStZ 1999, 87, juris Rn. 3; KG, Beschluss vom 18.05.2016 – (4) 161 Ss 54/16 (75/16) –, juris Rn. 13]. Dies ist davon abhängig, ob das Symbol spezifisch nationalsozialistisch war, ausschließlich von einer nationalsozialistischen Organisation verwandt wurde oder auch sonst verbreitet war oder ist (BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 11; OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 8).
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Diskutiert wurde dies vor allem bei Runen-Zeichen, welche bereits während der europäischen Eisenzeit von nordischen Völkern genutzt wurden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 11; OLG Dresden, Urteile vom 12.02.2008 – 3 Ss 375/06 –, juris Rn. 14; vom 12.02.2008 – 3 Ss 89/06 –, juris Rn. 13; s.a. wikipedia: Runenstein). Voraussetzung einer Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, dass diese Zeichen sich, vergleichbar dem Hakenkreuz, den Sig-Runen der SS, dem stilisierten Totenkopfsymbol, dem sog. H.-Gruß oder der Parole „Sieg Heil“ durch ihre Verwendung in der NS-Zeit derart von ihrer ursprünglichen Bedeutung emanzipiert haben, dass ihre Zuordnung zur NSDAP oder deren Unterorganisationen nach wie vor eindeutig ist (Organisationsbezug; OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 11; OLG Dresden, Urteil vom 12.02. 2008 – 3 Ss 375/06 –, juris Rn. 14; MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl. 2021, § 86a Rn. 10). Soweit solche Runen als Truppenkennzeichen der Waffen-SS verwendet wurden, wie etwa die Tyr-Rune und die Gibor-Rune oder „Wolfsangel“, ist die Rechtsprechung uneinheitlich (vgl. NK-StGB/ Paeffgen/Klesczewski, a.a.O., § 86a Rn. 10 m.w.N.). Teilweise wird die Kennzeicheneigenschaft grundsätzlich (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 12.02.2008 – 3 Ss 375/06 –, juris Rn. 14 ff.), teilweise nur dann bejaht, wenn diese etwa im Rahmen von Abzeichen oder Uniformstücken (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 12) oder im Rahmen der Abbildung eines Truppenkennzeichens oder eines einem solchen zum Verwechseln ähnlichen Kennzeichens (OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 18) verwendet werden. Nicht als ein markantes Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation angesehen werden demgegenüber die sog. Odalrune, die zwar als Truppenkennzeichen einer SS-Division verwendet wurde, aber weder ein spezifisch nationalsozialistisches Zeichen darstelle, noch ausschließlich von nationalsozialistischen oder neonazistischen Organisationen genutzt wurde oder wird und kein Symbol der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft schlechthin ist, welches ohne weiteres, auch ohne die Einbettung in die Form eines originalgetreuen Abzeichens, das Kennzeichen einer verfassungswidrigen (nationalsozialistischen) Organisation darstellt [KG, Beschluss vom 18.05.2016 – (4) 161 Ss 54/16 (75/16) –, juris Rn. 9; s.a. BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98 –, NJW 1999, 435, juris Rn. 3, zu einem von der Odalrune abweichenden, mit dem sog. Kopfwinkel der Bundeswehr identischen Kennzeichen, das deshalb kein solches der verbotenen Wiking-Jugend i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG darstellt]. Entsprechendes gilt für die sog. Lebensrune (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 7 f. und 10 ff.; so auch BayObLG, Beschluss vom 27.10.1998 – 5St RR 185/98 –, BayObLGSt 1998, 181, juris Rn. 7; Güntge, in: Satzger/ Schluckebier/Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 6; differenzierend LG Landshut, Beschluss vom 20.12.2005 – 4 Qs 326/05 –, bei StegB. NStZ 2008, 73, 76; s. zur Todes- oder Hagalrune – umgekehrte Lebensrune – auch BGH, Beschluss vom 02.08.2012 – 3 StR 111/12 –, juris Rn. 3).
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(4.2) Anders als bestimmte Runen oder diesen ähnliche Abbildungen hat das verfahrensgegenständliche Rangabzeichen, das aus vier weißgrauen Quadraten besteht, die ihrerseits quadratförmig angeordnet sind, auch wenn es eindeutig der Waffen-SS zuzuordnen ist, keinen im wesentlichen aus sich heraus verständlichen, auf die verbotene Vereinigung hinweisenden Symbolgehalt. So werden etwa quadratförmige Dienstgradabzeichen, allerdings in anderer Anordnung, Ausrichtung (auf der Spitze stehend) und „Füllung“ (Strahlenkranz) bei der Bundeswehr (vgl. https://www.bundeswehr.de/resource/blob/5102312/a8acaadfc3cd1b8bc1ca093c5260ae54/ dienstgrade-in-der-bundeswehr-data.pdf; https://www.bundeswehr.de/resource/blob/58152/a567e2ec2a914b1eabb 5f5010233da0a/20190613-uniformen-der-bundeswehr-data.pdf) und wurden – als Sterne bezeichnet – bei der kaiserlichen Reichswehr (vgl. https://commons.m.wikimedia.org/wiki/Category:Generalfeldoberst_im_Rang_des_Generalfeldmarschalls) verwendet.
34
Das verfahrensgegenständliche Rangabzeichen wird auch – soweit ersichtlich – in keinem der in der Rechtsprechung zitierten Werke (vgl. etwa Bundesamt für Verfassungsschutz, Broschüre Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Stand September 2022; https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/rechtsextremismus/2022-02 -rechtsextremismus-symbole-zeichen-organisationen.pdf? blob=publicationFile& v=10) als verfassungswidriges Kennzeichen beschrieben.
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bb) Die auf dem Graffiti abgebildete Uniform ist in der Gesamtbetrachtung keinem der unter § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB fallenden Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich, auch wenn das genannte Rangabzeichen im Zusammenhang mit einigen anderen Merkmalen, die typische, aber nicht ausschließliche Merkmale einer SS-Uniform darstellen, verwendet wird, sondern allenfalls geeignet, die Erinnerung an eine solche wecken.
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(1) § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB stellt die Verwendung von Kennzeichen, die denen verfassungswidriger Organisationen zum Verwechseln ähnlich sind, unter Strafe. Damit ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm erforderlich, dass eine Ähnlichkeit zu einem tatsächlich existenten Kennzeichen besteht, dessen Verwendung nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verboten ist. Auch die Gesetzesbegründung zu § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB führt lediglich den Fall auf, dass „von Anhängern nationalsozialistischen Gedankengutes leicht abgewandelte Symbole nationalsozialistischer Organisationen verwendet werden“ (BT-Drucks. 12/6853, S. 23), und geht somit davon aus, dass die Nachahmung ein tatsächlich existentes Vorbild haben muss (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.06.2006 – 1 BvR 150/03 –, BVerfGK 8, 159, juris Rn. 12).
37
(2) Nach der sich am Schutzzweck der Norm (s.o. unter II.2.a)) orientierenden Auslegung ist nur ein solches Kennzeichen „zum Verwechseln ähnlich“, dem ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit mit dem Original zukommt. Erforderlich ist hierfür eine objektiv vorhandene Übereinstimmung in wesentlichen Vergleichspunkten. Es muss nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen, nicht besonders sachkundigen und nicht genau prüfenden Betrachters eine Verwechslung mit dem Original möglich sein. Dafür genügt nicht, dass sich lediglich einzelne Merkmale des Vorbildes in der Abwandlung wiederfinden, ohne dass dadurch einem unbefangenen Betrachter, der das Original kennt, der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 18.05.2009 – 2 BvR 2202/08 –, NJW 2009, 2805, juris Rn. 13 f.; vom 01.06.2006 – 1 BvR 150/03 –, BVerfGK 8, 159, juris Rn. 22; BGH, Beschluss vom 31.07.2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354, juris Rn. 25 ff.; Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 6; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 10). Es muss also die typischen Merkmale aufweisen, welche das äußere Erscheinungsbild des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in seiner Gesamtheit prägen und dadurch dessen Symbolgehalt vermitteln (BGH, Beschluss vom 31.07.2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354, juris Rn. 14; Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 6). Ein Betrachter muss das Kennzeichen wegen seiner Ähnlichkeit mit von einer solchen Organisation tatsächlich genutzten Zeichen und Symbolen somit als „Originalkennzeichen“ werten (so Güntge, in: Satzger/ Schluckebier/Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 6). Dagegen ist nach dem sprachlichen Aussagegehalt des Tatbestandsmerkmals „zum Verwechseln ähnlich“ ein spezifisches Wissen des Betrachters, das ihm über den reinen Wahrnehmungsvorgang hinaus eine politische, historische oder juristische Einordnung des Wahrgenommenen ermöglicht, nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 31.07.2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354, juris Rn. 27).
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Ergibt der anzustellende Gesamtvergleich, dass das Vorbild infolge der vorgenommenen Veränderungen oder Ergänzungen eine so starke Verfremdung erfahren hat, dass sein ursprüngliches Erscheinungsbild in den Hintergrund tritt oder es dadurch sogar seinen Bedeutungsgehalt verliert, besteht die Gefahr einer Verwechslung nicht (BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 11). Damit sind (erhebliche) Verfremdungen des Kennzeichens nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 86a Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. Güntge, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 2; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 9). Solchen fehlt ein eindeutiger Organisationsbezug. Dieser Bezug wird nur bei leichten Abweichungen vom „Originalkennzeichen“ gewahrt (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 16; Güntge, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, a.a.O., § 86a Rn. 2). Andererseits muss aber auch keine Übereinstimmung bis in die letzte Einzelheit bestehen (BGH, Beschluss vom 23.09.1985 – 3 StR 260/85 –, bei Schmidt, MDR 1986 177 Nr. 2: leicht abgeänderte Sigrune des „Deutschen Jungvolks“; LK-StGB/Steinsiek, a.a.O., § 86a Rn. 9).
39
Wird etwa die Parole einer nationalsozialistischen Organisation – unverändert oder nur geringfügig verändert – um einen Zusatz erweitert, hängt die Frage, ob die neue Parole der ursprünglichen zum Verwechseln ähnlich ist, von einem Gesamtvergleich ab. Dabei ist nach Form und Inhalt zu beurteilen, ob in der neu entstandenen Parole ungeachtet der vorgenommenen Ergänzungen und – gegebenenfalls – Änderungen letztlich die Originalparole hervorsticht und Aussage sowie Erscheinungsbild prägt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.05.2009 – 2 BvR 2202/08 –, NJW 2009, 2805, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 11; OLG Rostock, Urteil vom 09.09.2011 – 1 Ss 31/11 I 47/11 –, NStZ 2012, 572, juris Rn. 16; s. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.06.2006 – 1 BvR 150/03 –, BVerfGK 8, 159, juris Rn. 23 f.). Ob dies der Fall ist oder ob umgekehrt die Originalparole als Folge der Änderungen und Ergänzungen in der neuen Parole ihre Bedeutung als eigenständige Aussage verliert und in den Hintergrund tritt, lässt sich nur für den Einzelfall entscheiden. Kriterium kann etwa sein, wie markant das Originalkennzeichen einerseits und der Zusatz andererseits ist, wie sehr das Originalkennzeichen durch den Zusatz in seinem äußeren Erscheinungsbild und in seiner inhaltlichen Aussage verändert wird und ob das Kennzeichen spezifisch nationalsozialistisch war, ausschließlich von einer nationalsozialistischen Organisation verwandt wurde oder auch sonst verbreitet war oder ist (BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 11). Auch das bloße Verwenden markanter Textteile kann ein Verwenden von Kennzeichen im Sinne von § 86a Abs. 1 StGB sein, da auf charakteristische, für die Verkehrsauffassung im Bedeutungsgehalt erkennbare Symbole abgestellt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18.05.2009 – 2 BvR 2202/08 –, NJW 2009, 2805, juris Rn. 17).
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(3) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, nach denen bei der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ ein ausreichendes Maß an Ähnlichkeit mit den Parolen der Waffen-SS („Meine/unsere Ehre heißt Treue“) oder der H.jugend („Blut und Ehre“) verneint wurde (BGH, Urteil vom 28.07.2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, 3223, juris Rn. 7), ist auch bei der vorliegenden Abbildung kein ausreichendes Maß an Ähnlichkeit mit einer SS-Uniform zu bejahen:
41
(3.1) Von den vom Berufungsgericht genannten Merkmalen, die seines Erachtens die abgebildete Uniform einer SS-Uniform zum Verwechseln ähneln lassen, ist nur das genannte Rangabzeichen eindeutig der SS zuordenbar. Dieses weist aber – wie dargelegt – keinen Symbolgehalt auf, der einer verbotenen Organisation im Sinne des § 86a StGB zuzuordnen wäre. Auch das Berufungsgericht hat dem Rangabzeichen an sich keinen solchen Symbolgehalt ausdrücklich zugesprochen. Es geht lediglich davon aus, dass das Rangabzeichen am linken Kragen (also der Ort der Anbringung) gerade typisch für Uniformen der Waffen-SS sei, während bei der überwiegenden Anzahl der heutzutage verwendeten Uniformen die Rangabzeichen gerade auf den Schultern bzw. am Ärmel angebracht seien. Dies trifft aber in dieser Allgemeinheit nicht zu.
42
Auch wenn bei nationalsozialistischen Organisationen etwa die Tyr-Rune als Rangabzeichen der Sturmführer im Stab der SA ebenfalls an den Kragenspiegeln angebracht war (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 12.02.2008 – 3 Ss 375/06 –, juris Rn. 15; OLG Brandenburg, Urteil vom 12.09.2005 – 1 Ss 58/05 –, OLG-NL 2006, 69, juris Rn. 13), weisen auch Uniformjacken der Bundeswehr einen Kragenspiegel auf, der auf den Ecken des Kragens des Dienstanzugs der Heeres- und Luftwaffenuniformträger angebracht ist und Rückschlüsse auf die Truppengattung, Teilstreitkraft oder auf eine besondere Dienststellung oder Dienstgradgruppe des Trägers zulässt und der – je nach Waffengattung und Dienstgrad – verschiedene Formen aufweisen kann, wobei etwa die Form zweier silberfarbener oder mittelgrauer paralleler Balken verbreitet ist [vgl. Ziffer 411 „Kragenspiegel“ der ab 01.10.2019 geltenden Anzugordnung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (A1-2630/0-9804) ]. Solche Kragenspiegel fanden sich bereits bei früheren deutschen Streitkräften und sind bis heute bei vielen Armeen aus aller Welt im Gebrauch [s. wikipedia: Kragenspiegel (Bundeswehr) ]. SStypisch ist daher „nur“ die Verwendung von Quadraten (anstelle von Balken) und deren Anordnung auf dem Kragenspiegel.
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(3.2) Im Übrigen hat die abgebildete Uniform keine vom Symbolgehalt her gesehen spezifischen Merkmale, die sie einer SS-Uniform zum Verwechseln ähnlich machen.
44
(3.2.1) Die schwarze Farbe der Uniform ist ebenso wie die dunkle Schirmmütze mit silberner zweizügiger Kordel insoweit kein besonderes Kriterium, das nur für Uniformen der SS zutrifft. Dasselbe gilt für den weißen Hemdkragen, der keine besondere Höhe aufweist, sowie die schwarze Krawatte. Auch die Anzugordnung der Bundeswehr sieht (etwa unter Ziffer 140) das Tragen schwarzer oder anthrazitfarbener Langbinder auf weißem Oberhemd vor. Bezeichnend ist auch, dass auf der schwarzen Krawatte des Graffiti eine runde Plakette mit einem Fragezeichen angebracht ist, das keinerlei Bezug zu den in der Akte befindlichen Abbildungen der Original-Uniformen der SS hat.
45
(3.2.2) Soweit das Berufungsgericht die auf der Schirmmütze mittig angebrachte Abbildung des bayerischen Wappens mit zwei Flügeln als ähnlich dem auf den Dienst-Schirmmützen der SS angebrachten Hoheitszeichen ansieht, folgt der Senat dem nicht, da gerade eine Nachahmung des Hakenkreuzes fehlt, mit dem das weiß-blaue bayerische Rautenwappen weder in Form, Farbe noch gar im Symbolgehalt irgendeine Ähnlichkeit hat. Zudem werden senatsbekannt Flügel, wie sie auf der Schirmmütze abgebildet sind, nicht exklusiv oder überwiegend mit Nazisymbolen gleichgesetzt oder in Verbindung gebracht, sondern etwa auch beim sog. Flügelrad als dem weltweit verwendeten Symbol der Eisenbahn und des Schienenverkehrs verwendet (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki Suchbegriff Flügelrad). Demgemäß wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung eine Verwechselungsgefahr sogar bei der Verwendung eines Reichsadlers verneint, in dessen Fängen sich kein Hakenkreuz, sondern ein Eisernes Kreuz befindet [vgl. LG Halle (Saale), Beschluss vom 09.06.2021 – 10a Qs 24/21 –, juris Rn. 25].
46
(3.2.3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sieht auch die als (halbes) Schädelskelett dargestellte rechte Gesichtshälfte des abgebildeten Uniformträgers nicht dem stilisierten Totenkopfabzeichen an den SS-Uniformen zum Verwechseln ähnlich.
47
Uniformabzeichen der SS-Verbände war nicht der Totenkopf als solcher, sondern ein in besonderer Weise stilisierter Totenkopf, der angedeutete Schädelnähte, einen stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständigen großen Zahnreihen, Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase sowie hinter dem Kiefer eng aneinanderliegende gekreuzte Knochen zeigte (OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 16; OLG Jena, Beschluss vom 01.06.2006 – 1 Ss 79/06 –, juris Rn. 12 m.w.N.; s. hierzu: Bundesamt für Verfassungsschutz: Broschüre Rechtsextremismus, a.a.O., S. 57 und 82 unter Hinweis auf ein unveröffentlichtes Urteil des Landgerichts Lübeck vom 16.01.2002 -702 Js 51897/00 V1 –).
48
Bei dem vom Angeklagten gestalteten hälftigen Totenkopf fehlen nicht nur angedeutete Schädelnähte, wie sie auch auf der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Abbildung auf S. 147 des zitierten Buches (= Bl. 30 d.A.) zu sehen sind, sondern auch die beim stilisierten Totenkopfsymbol üblichen gekreuzten Knochen. Zudem ist die linke Schädelhälfte, bei der sich der lächelnde bzw. grinsende Gesichtsausdruck der rechten Gesichtshälfte fortsetzt, entsprechend verzerrt, zeigt dementsprechend eine andere Augenhöhlenform sowie eine andere Zahnstellung und unterscheidet sich auch insoweit vom Aussehen des Originals. Unabhängig hiervon wird der halbe Totenkopf nicht wie bei einer SS-Uniform als Applikation auf der Schirmmütze verwendet, sondern als karikierendes Gestaltungsmittel des Kopfes des Uniformträgers und entfernt sich damit nicht unwesentlich von seinem Vorbild.
49
Der Schädel sieht auch in der Gesamtschau mit der übrigen Gestaltung des Uniformträgers dem verbotenen Originalkennzeichen nicht zum Verwechseln ähnlich. Die Abbildung ist zwar vom Gesamteindruck her geeignet, Assoziationen an einen Angehörigen der SS-Verbände zu wecken und damit auch an die von den SS-Angehörigen aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus begangenen unsäglichen, grausamen und todbringenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit (vgl. bereits BGH, Urteil vom 05.02.1970 – 4 StR 272/68 –, BGHSt 23, 224, juris Rn. 39 ff.), was letztlich auch durch die Totenkopfabzeichen an den SS-Uniformen zum Ausdruck kommt, deren Ursprung darin lag, dass die Wachmannschaften aller von der SS betriebenen Konzentrationslager mit dem namensgebenden Symbol am rechten Kragenspiegel zu den Totenkopfverbänden zusammengefasst wurden (s. wikipedia SS-Division Totenkopf).
50
Dies genügt aber im Unterschied zu dem vom Oberlandesgericht Hamm (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 15 f.) entschiedenen Fall wegen der deutlichen Abweichungen zur Original-Uniform und zum stilisierten Totenkopfsymbol nicht, um eine zum Verwechseln ähnliche Abbildung zu bejahen. Die Merkmale erinnern zwar von ihrem Gesamteindruck an einen SS-Angehörigen in Uniform. Insoweit ist das Gesamtbild aber eher einer Konstellation vergleichbar, bei der ein Ausnahmefall von § 86a StGB angenommen wurde. Dieser bezog sich auf einen in schwarzer Farbe gezeichneten Januskopf, „dessen linkes Antlitz die Gesichtszüge A. H.s und dessen rechtes Antlitz die Gesichtszüge des Bundestagsabgeordneten ... tragen“ und der auf den Körper eines Adlers aufgesetzt ist. Dies könne nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht als Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angesehen werden. Die Verwendung der Gesichtszüge H.s in einer völlig verschiedenartige Elemente zusammenfassenden Abbildung mache weder den die Gesichtszüge H.s darstellenden Teil der Abbildung noch diese insgesamt zu einem solchen Kennzeichen. Zwar erinnere die Wiedergabe der Gesichtszüge H.s an den Nationalsozialismus, seine Organisationen, Ideen und Ziele. § 86a StGB wolle aber, soweit er sich auf Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation bezieht, diese Kennzeichen und ihre Wiedergabe, nicht aber die bezeichneten Erinnerungen von bestimmten Arten der Verwendung sowie von einer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland ausschließen (Urteil vom 14.02.1973 – 3 StR 3/72 I –, BGHSt 25, 133, juris Rn. 17). Eine Auslegung des § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach hierunter auch solche Kennzeichen fallen würden, denen zwar kein authentisches Kennzeichen zugeordnet werden kann, die aber den Anschein eines solchen Kennzeichens erwecken, findet im Gesetzestext keine Stütze (BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.06.2006 – 1 BvR 150/03 –, BVerfGK 8, 159, juris Rn. 11 – 12) und würde zu einer dem Analogieverbot widersprechenden tatbestandserweiternden Strafbarkeitsbegründung führen (OLG Bamberg, Urteil vom 18.09.2007 – 2 Ss 43/07 –, juris Rn. 12; s.a. BGH, Beschluss vom 07.10.1998 – 3 StR 370/98 –, juris Rn. 3).
51
Nach Auffassung des Senates stellt daher das verfahrensgegenständliche Graffiti bereits kein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB dar.
52
3. Unabhängig hiervon steht dem Schuldspruch des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB ebenso wie der Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB das für den Angeklagten streitende Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) entgegen, da das verfahrensgegenständliche Graffiti in dessen Schutzbereich fällt (s. unten unter 4.) und dessen Grenzen nicht überschritten werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Vorwurfs der Beleidigung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten (s. unten unter 5.) als auch hinsichtlich des Vorwurfs des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen gegenüber sonstigen durch die Verfassungsordnung des Grundgesetzes geschützten wesentlichen Rechtsgütern (s. unten unter 6.).
53
4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unterfällt das verfahrensgegenständliche Graffiti dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
54
Das Berufungsgericht meint, das Graffiti stelle im Ergebnis kein Werk dar, das der Kunst gedient habe. Dies gelte auch unter dem Gesichtspunkt ihres satirischen Charakters, weil die Verwendung verbotener, verfassungswidriger Kennzeichen zur Übertreibung im Rahmen einer politischen oder kritischen Äußerung den Schutzbereich der Kunstfreiheit bei normativer Betrachtung gerade nicht eröffne. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
55
a) Da der Lebensbereich „Kunst“ durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen ist (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 29 – Anachronistischer Zug), es aber wegen der sehr verschiedenen Äußerungsformen künstlerischer Betätigung unmöglich ist, einen Begriff der Kunst in einer für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen Weise zu definieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 50 – Mephisto; vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 31; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 59 – Esra), hat das Bundesverfassungsgericht, um alle Erscheinungsformen der Kunst zu umfassen, verschiedene Kunstbegriffe definiert, die nebeneinander Geltung erlangen, also nicht kumulativ vorliegen müssen.
56
aa) Bereits bei ausschließlich formaler, typologischer Betrachtungsweise stellt das verfahrensgegenständliche Graffiti Kunst im Sinne dieses Grundrechts dar, da es die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps, hier der Malerei, erfüllt, der nur an die Tätigkeit und die Ergebnisse etwa des Malens, Bildhauens, Dichtens anknüpft (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, Rn. 36; vom 07.03. 1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 20 – Deutschlandlied, Nationalhymne; Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 18; BGH, Urteil vom 21.06.1990 – 1 StR 477/89 –, BGHSt 37, 55, juris Rn. 12). Die durch Spraytechnik hergestellte Graffiti-Malerei ist in diesem Sinne eine moderne Form bildender Kunst (OVG Koblenz, Urteil vom 24.07.1997 – 8 A 12820/96 –, NJW 1998, 1422). Demgemäß fallen Graffiti-Bilder regelmäßig unter den verfassungsrechtlich weit definierten Kunstbegriff (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.1995 – I ZR 68/93 –, BGHZ 129, 66, juris Rn. 17 zu den sog. Mauer-Bildern als den der Stilrichtung der Graffiti-Kunst zuzurechnenden persönlichen Schöpfungen von individueller Ausdruckskraft; Höffler in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 5, 1. Aufl. 2020, § 38 Rn. 67 zur besonderen Schutzbedürftigkeit von Graffiti als künstlerische Selbstentfaltung und öffentliche Kommunikation i.R.v. „Street-Art“) und damit in den Schutzbereich der Kunstfreiheit (AG Bielefeld, Urteil vom 23.09.2019 – 800 Cs – 216 Js 90/18 – 61/19 –, juris Rn. 20; anders – zum hier nicht vorliegenden Sonderfall einer Eigentumsverletzung – BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 19.03.1984 – 2 BvR 1/84 –, NJW 1984, 1293 – Sprayer von Zürich). Dieser ist nicht auf einen bestimmten Kanon an Werktypen begrenzt, sondern offen gefasst und lässt materiell jede freie, schöpferische Gestaltung genügen (Höffler, a.a.O., § 38 Rn. 9 m.w.N.). Ob dies auch für einfache „Tags“ und andere wenig anspruchsvolle Graffiti gilt, ist nach einer Gesamtschau zu entscheiden (Höffler, a.a.O., § 38 Rn. 9). Allerdings kommt es, da eine wertende Einengung des Kunstbegriffs mit der umfassenden Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist, bei der verfassungsrechtlichen Einordnung und Beurteilung auf die „Höhe“ der Malkunst nicht an (vgl. zur Dichtkunst BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 20; Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 18).
57
bb) Das Graffiti erfüllt auch einen eher inhaltsbezogen definierten Kunstbegriff. Danach ist das Wesentliche der künstlerischen Betätigung die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse und Phantasien des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache, etwa der schriftstellerischen Tätigkeit, der Musik oder – wie hier – der Malerei (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 –, NJW 2019, 1277 –, juris Rn. 15) zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (BVerfG, Beschlüsse vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 48; vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 34; vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 20; vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 –, BVerfGE 83, 130, juris Rn. 29 – Josefine Mutzenbacher; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 59; Urteil vom 31.05.2016 – 1 BvR 1585/13 –, BVerfGE 142, 74, juris Rn. 89 – Sampling; BGH, Urteil vom 21.06.1990 – 1 StR 477/89 –, BGHSt 37, 55, juris Rn. 13). Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 48).
58
(1) Das Graffiti stellt als Gemälde ein solches Kunstwerk dar. Es enthält in der Art seiner bildhaften Umsetzung einer Geschichte schöpferische Elemente. Zum einen wird dem auf den beiden unteren kleinen Bildern dargestellten Polizeieinsatz gegenüber einem wehrlosen Mann auf dem oberen großen Bild ein „grinsender“ Uniformträger gegenübergestellt und diese Szene – wie auf einer Ansichtskarte – mit dem Slogan „Liebesgrüße aus Bayern“ verknüpft. Zum anderen enthält die abgebildete Person eine Verknüpfung verschiedener Elemente, nämlich eines halben Totenschädels mit dem halben Gesicht einer Person, die in eine Uniform eingekleidet ist, die zwar vom ersten Anschein her an eine solche der SS erinnert, aber wiederum mit dem Slogan und den bayerischen Rauten Elemente aufweist, die eine Beziehung zum Freistaat Bayern herstellen, und mit einem Fragezeichen versehen ist. Das Graffiti weist somit eigene Strukturmerkmale auf und stellt das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung dar, in welcher der Angeklagte seine persönlichen Erfahrungen mit der Staatsgewalt ausdrückt und zu unmittelbarer Anschauung bringt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 35, und vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 19 – Strauß-Karikatur).
59
(2) Dies lässt gleichzeitig die Deutung als Satire zu, einer Ausdrucksform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände in den Feldern Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur bis ins Lächerliche oder Absurde kritisiert, verspottet oder angeprangert werden (OLG Rostock, Beschluss vom 08.02.2022 – 1 §§ 74/21 –, BeckRS 2022, 2565, Rn. 32), wodurch etwa der Betrachter oder Leser auf Kosten des Prominenten zum Lachen gereizt werden soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 –, NJW 2002, 3767, juris Rn. 16). Dieser Kunstgattung ist eigentümlich, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 20; vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 32; OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2018 – 7 U 34/17 –, AfP 2018, 335, juris Rn. 149), wobei der Aussagekern mit symbolhaft überfrachteten Bildern verbrämt und in karikaturhaft überzeichneten Ausdrücken umschrieben wird, wobei auch Anspielungen auf zeitgeschichtliche Vorgänge typisch sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 21).
60
Satire kann eine eigenständige künstlerische Form darstellen, aber nicht jede Satire ist zugleich Kunst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 32 – Satiremagazin Titanic; Kammerbeschlüsse vom 25.02.1993 – 1 BvR 151/93 –, NJW 1993, 1462, juris Rn. 26; vom 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96 –, NJW 1998, 1386, juris Rn. 12). Kunst gemäß Art. 5 Abs. 3 GG ist sie nur dann, wenn sie – wie hier – die weiteren Voraussetzungen des verfassungsrechtlich maßgeblichen Kunstbegriffs erfüllt, wobei Gegenstand von Kunst auch das Ausdrücken politischer Kritik (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2018 – 7 U 34/17 –, AfP 2018, 335, juris Rn. 148) und satirischer Kritik (OLG Stuttgart, Urteil vom 24.04.2006 – 1 Ss 449/05 –, MMR 2006, 387, juris Rn. 32) sein kann. Die kritische Absicht des gegenständlichen Graffiti ist unverkennbar. Bei diesem handelt es sich erkennbar um eine drastische, wenn auch undifferenzierte und plakative Kritik des Künstlers mit satirischem Einschlag an von ihm empfundenen Missständen im Bereich der polizeilichen Gewalt und deren Billigung durch die Politik in Bayern.
61
cc) Auch wenn man das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin sieht, dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt (sog. „offener Kunstbegriff“, vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 37), ist dieses Merkmal beim verfahrensgegenständlichen Graffiti erfüllt. Dessen Inhalt ruft Distanz zum Betrachter hervor, der sich klar darüber ist, dass ihm durch das Uniformbild kein reales Geschehen gezeigt, sondern ihm die Phantasie des Künstlers dargeboten wird. Es lässt außerdem eine Reihe von Interpretationen zu, die auf eine künstlerische Absicht schließen lassen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 –, BVerfGE 83, 130, juris Rn. 29). So kann es als Kritik am Handeln der Polizei in Bayern ebenso wie an der Tolerierung dieses Handelns durch die politische Führung des Freistaats aufgefasst werden. Der Text „Liebesgrüße aus Bayern“ erinnert sowohl an eine auf Ansichtskarten gebräuchliche Grußformel wie auch an den Titel eines Kinofilms (Liebesgrüße aus Moskau) über einen britischen Geheimdienstagenten und seinen Gegenspieler in Form der Staatsmacht der ehemaligen Sowjetunion. Das damit schon vielfältig interpretationsfähige Graffiti wird durch seine undeutliche Anspielung auf eine zeitgenössische Person und Ereignisse in seiner Zielrichtung zwar eindeutiger, bleibt in seiner Aussage, zumal diese aus den oben genannten verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist, aber vieldeutig (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 37). Auch wenn der Künstler durch die Abbildungen eines Polizeieinsatzes Vorgänge des realen Lebens schildert, wird diese Wirklichkeit im Kunstwerk „verdichtet“. Die Realität wird aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht, für die nicht die „Realitätsthematik“, sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht. Die Wahrheit des einzelnen Vorganges kann und muss unter Umständen der künstlerischen Einheit geopfert werden (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 51).
62
b) Die somit vorhandene Kunsteigenschaft des Graffiti wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Künstler damit über die künstlerische Ausdrucksform hinaus eine politische Meinung äußern wollte und hierbei eine satirische Ausdrucksform gewählt hat.
63
aa) Fällt ein Bild in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, kann daran auch die vordergründige und eindeutige politische Absicht des Erstellers, der damit gleichzeitig eine bestimmte Meinung zum Ausdruck gebracht hat, nichts ändern. Kunst und Meinungsäußerung schließen sich nicht aus; eine Meinung kann – wie es bei der sogenannten engagierten Kunst üblich ist – durchaus in der Form künstlerischer Betätigung kundgegeben werden. Maßgebliches Grundrecht bleibt in diesem Fall Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, weil es sich um die spezielle Norm handelt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 55 und 70; vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 19; vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 45 – Bundesflagge). Verbindliche Regeln und Wertungen für die künstlerische Tätigkeit lassen sich somit auch dort nicht aufstellen, wo sich der Künstler mit aktuellem Geschehen auseinandersetzt; der Bereich der „engagierten Kunst“ ist von der Freiheitsgarantie nicht ausgenommen (BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 38; vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 45).
64
bb) Der Maßgeblichkeit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung ausdrücklich offen gelassen hat, wo bei satirisch gemeinten Äußerungen die Grenze zwischen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verläuft und ob eine satirische Äußerung im Einzelfall im Schutzbereich beider Grundrechte liegen kann. Denn da die zugrundeliegenden Äußerungen bereits vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt waren, bedurfte es dort keiner Klärung, ob sie auch unter dem Gesichtspunkt der Kunstfreiheit geschützt sein könnten (vgl. Beschluss vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 33; so im Ergebnis auch Beschluss vom 31.10.1984 – 1 BvR 753/83 –, BVerfGE 68, 226, juris Rn. 17 – schwarzer Sheriff; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.04.2006 – 1 Ss 449/05 –, MMR 2006, 387, juris Rn. 32). In diesem Sinne dürfte auch die in der Kommentarliteratur vertretene Ansicht zu verstehen sein, im Bereich von Karikatur und Satire trete neben den Schutz der Kunstfreiheit auch derjenige der Meinungsfreiheit. Demgemäß fehle es am Merkmal der Beleidigung, wenn die Überzeichnung menschlicher oder sachlicher Schwächen eine ernstliche Herabwürdigung der Person nicht enthalte; auf die Abwägung mit dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG komme es in diesem Fall nicht an (Fischer, a.a.O., § 185 Rn. 8b, § 193 Rn. 38).
65
cc) Der Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG tritt zwar zurück, wenn der „Kunstbezug“ künstlerisch (satirisch) verfremdeter Meinungsäußerungen nur gering ist, die Kunst dabei also nur Beiwerk ist, die Meinungsäußerung demnach an erster Stelle steht und als Hauptanliegen des Künstlers angesehen werden muss (BayObLG, Urteil vom 18.02.1998 – 5St RR 117/97 –, BayObLGSt 1998, 15, juris Rn. 30 m.w.N.; Fischer, a.a.O., § 193 Rn. 38; MüKoStGB/Regge/Pegel, a.a.O., § 193 Rn. 65). So verhält es sich beim verfahrensgegenständlichen Graffiti, das ein „Gesamtkunstwerk“ und nicht ein bloßes Beiwerk der Meinungsäußerung (vgl. hierzu den von BayObLG und Fischer a.a.O. zitierten Beschluss des BVerfG vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 21 f.) darstellt, aber nicht.
66
c) Das Graffiti würde auch dann in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG fallen, wenn es ein verfassungswidriges Kennzeichen und eine Beleidigung beinhalten würde.
67
aa) Kunst und strafbarer Inhalt schließen sich nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.1990 – 1 StR 477/89 –, BGHSt 37, 55, juris Rn. 9 ff.). Anderenfalls würden der Schutzzweck der Strafnorm zur unüberwindlichen Schranke der Kunstfreiheit und von vornherein der Weg zu einem fallbezogenen Ausgleich der widerstreitenden Schutzgüter versperrt werden (vgl. – zu § 86a StGB – BVerfG, Beschluss vom 03.11.1987 – 1 BvR 1257/84 –, BVerfGE 77, 240, juris Rn. 41 – Herrnburger Bericht, Plakataktion; so auch – zu § 90a StGB – BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 65). Auch wenn die an eine Uniform der Waffen-SS erinnernde Abbildung als Gegenstand der Darstellung vor allem gewählt wurde, um Aufsehen zu erregen und die Beachtung des Bildes durch Passanten zu fördern, schließt dies eine Beurteilung als „Kunst“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht aus. Der Schutzbereich dieses Grundrechts wäre nur dann nicht betroffen, wenn eine Kunstform offenkundig nicht in Betracht käme (so etwa im Fall des BayObLG, Urteil vom 07.10.2022 – 202 StRR 90/22, NStZ-RR 2023, 10, juris Rn. 12 zur Karikatur eines Soldaten mit Hakenkreuzbinde). Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass aus Sicht des Berufungsgerichts verbotene Kennzeichen der Waffen-SS verwendet wurden. Damit hat es Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheitsgarantie zu Lasten des Angeklagten verkannt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.04.1990 – 1 BvR 680/86, 1 BvR 681/86 –, BVerfGE 82, 1, juris Rn. 18 – H.-T-Shirt).
68
bb) Die Kunstfreiheitsgarantie darf weder durch wertende Einengung des Kunstbegriffs noch durch erweiternde Auslegung oder Analogie aufgrund der Schrankenregelung anderer Verfassungsbestimmungen eingeschränkt werden (BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 28; vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 54). Die Kunstfreiheit wird – angesichts der klaren Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG – vorbehaltlos gewährleistet. Weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die „Schrankentrias“ des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG gelten unmittelbar oder analog (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 39).
69
(1) Art. 5 Abs. 3 GG ist lex specialis gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG und stellt keinen Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit dar, so dass die hierfür geltenden Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG nicht anwendbar sind (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 55). Da für die Interpretation künstlerischer Äußerungen die Gesamtschau des Werks ein unverzichtbares Element ist, wäre es auch unzulässig, aus dem Zusammenhang eines Werkes einzelne Teile herauszulösen und sie als Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen, auf die dann die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG Anwendung fänden (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 55), bzw. gesondert darauf zu untersuchen, ob sie als Straftat zu würdigen sind (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 41; so auch BayObLG, Urteil vom 15.07.1993 – 3St RR 154/92 –, BayObLGSt 1993, 111, juris Rn. 60).
70
(2) Die Kunstfreiheit ist wegen der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber den Einzelfreiheitsrechten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.01.1968 – 1 BvR 709/66 –, BVerfGE 23, 50, juris Rn. 28 m.w.N.; vom 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02 –, BVerfGE 113, 29, juris Rn. 80) auch nicht gemäß Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz beschränkt. Aus den gleichen Erwägungen kann Art. 2 Abs. 1 GG nicht als Auslegungsregel zur Interpretation des Sinngehalts von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG herangezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 57 m.w.N.; Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 16).
71
5. Dies zugrunde gelegt, hält der Schuldspruch der Beleidigung gemäß § 185 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
72
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, in der Darstellung des Bayerischen Ministerpräsidenten ... als Angehöriger einer verfassungsfeindlichen und menschenverachtenden Organisation wie der SS liege eine ehrverletzende Beleidigung, da diese Darstellung eine Identifikation der abgebildeten Person mit den Werten, Idealen und Ansichten der Organisation suggeriere. Durch die wie auf einer Postkarte vereinte und angeordnete Darstellung der Person mit den beiden darunter liegenden Darstellungen von Polizeigewalt im Graffiti bestehe auch ein inhaltlicher Bezug der drei Abbildungen zueinander. Indem die Person lächelnd dargestellt werde und die Postkarte mit dem Schriftzug „Liebesgrüße aus Bayern“ versehen sei, werde dem Betrachter eindeutig suggeriert, sie sei über die Geschehnisse in den unteren beiden Bildern erfreut oder billige diese zumindest. Der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB greife nicht ein, da zum einen die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht sei und zum anderen die Interessenwahrung nicht gegen das Gesetz verstoßen dürfe.
73
Damit wendet das Berufungsgericht einen unzutreffenden Maßstab an. Alleiniger Prüfungsmaßstab bei der Abwägung der widerstreitenden Rechte ist das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG selbst (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a.a.O., § 193 Rn. 1). Werke der bildenden Kunst können auch dann, wenn sie einen satirischen Inhalt haben, nicht in einen künstlerischen und einen der Meinungsfreiheit unterliegenden Teil getrennt werden. Die Grenzen der Kunstfreiheit hat der Angeklagte nicht überschritten.
74
b) Die Kunstfreiheit ist in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 58). Sie findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 39; vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 60; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 68; Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 16), also insbesondere in den Grundrechten anderer Rechtsträger und sonstigen Rechtsgütern mit Verfassungsrang (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 –, BVerfGE 83, 130, juris Rn. 31; Urteil vom 31.05.2016 – 1 BvR 1585/13 –, BVerfGE 142, 74, juris Rn. 84). Dies gilt auch bei der Kunstform der Satire (so zutreffend OLG Köln, Urteil vom 10.12.2019 – III-1 RVs 180/19 –, NStZ-RR 2020, 76, juris Rn. 39).
75
Gerade wenn man den Kunstbegriff im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Begriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz auszuschließen, und wenn man nicht nur den Werk-, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, einen wirksamen Schutz erfahren (BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 69; Kammerbeschluss vom 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 –, NJW 2019, 1277, juris Rn. 19). Demgemäß kommt namentlich das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht als Schranke für künstlerische Darstellungen in Betracht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 58; vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 39; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 70).
76
c) Zunächst liegt kein die Kunstfreiheit überschreitender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Geltungs- und Achtungsanspruchs der abgebildeten Person vor.
77
aa) Das Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen. Zu dessen anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1980 – 1 BvR 185/77 –, BVerfGE 54, 148, juris Rn. 13 f.; vom 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 –, BVerfGE 99, 185, juris Rn. 48; vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 –, BVerfGE 114, 339, juris Rn. 25; vom 13.06. 2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, Rn. 71; Kammerbeschluss vom 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 –, NJW 2019, 1277, juris Rn. 20). Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts genießt zwar keinen generellen Vorrang gegenüber dem Recht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern muss auch im Lichte dieses Grundrechts verstanden werden. Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch unmittelbarer Ausfluss der einer Abwägung nicht zugänglichen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.04.2001 – 1 BvR 932/94 –, NJW 2001, 2957, juris Rn. 18 f.) Menschenwürde ist, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht (BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 –, BVerfGE 6, 32, juris Rn. 33 – Elfes; Beschluss vom 16.07.1969 – 1 BvL 19/63 –, BVerfGE 27, 1, juris Rn. 19 – Mikrozensus), wirkt diese Schranke absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs. Bei Eingriffen in diesen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre liegt immer eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vor, die durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht mehr gedeckt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 25). Ebenso ist wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde ein Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut unantastbar geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 70 und 88 m.w.N.).
78
bb) Um einen solchen Eingriff in den Kernbereich handelt es sich vorliegend nicht.
79
(1) Es bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt. Wenn zu untersuchen ist, ob ein dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG unterstehendes Kunstwerk die Menschenwürde beeinträchtigt, kommt es auf eine Interpretation des Aussagegehalts dieses Kunstwerks an. Bei dieser Interpretation sind die Besonderheiten der künstlerischen Ausdrucksform zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 1533/07 –, BVerfGK 13, 115, juris Rn. 10). Demgemäß sind bei der Deutung einer – wie hier – satirischen oder karikaturhaft übersteigerten Kunstschöpfung darauf bezogene „werkgerechte Maßstäbe“ anzulegen (so bereits BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, Rn. 22; vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 24; Kammerbeschluss vom 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 –, NJW 2002, 3767, juris Rn. 12). Da – wie bereits ausgeführt – dieser Kunstgattung eigentümlich ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten, darf eine Satire oder ähnliche Übersteigerung als Stilmittel der Kommunikation grundsätzlich nicht schon selbst als Kundgabe der Missachtung gewürdigt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 –, juris Rn. 12 unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 20; vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 43). Um ihren Aussagegehalt festzustellen, ist zunächst die Entkleidung des in „Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes“ erforderlich (so bereits RG, Urteil vom 05.06.1928 – I 288/28 –, RGSt 62, 183 ff.; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 22; vom 07.03.1990 – 1 BvR 1215/87 –, BVerfGE 81, 298, juris Rn. 25; vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 43; Kammerbeschluss vom 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96 –, NJW 1998, 1386, juris Rn. 13). Schon hierbei muss der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden; den Äußerungen darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber oder Verbreiter erkennbar nicht beilegen wollte (BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 32; Kammerbeschluss vom 12.11.1997 – 1 BvR 2000/96 –, NJW 1998, 1386, juris Rn. 12). Der Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie den Unrechtsvorwurf tragen, also eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der karikierten Person enthalten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 20; vom 25.03.1992 – 1 BvR 514/90 –, BVerfGE 86, 1, juris Rn. 43; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 –, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 07.12.1999 – VI ZR 51/99 –, BGHZ 143, 199, juris Rn. 40). Dabei muss beachtet werden, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und weniger streng sind als die für die Bewertung des Aussagekerns, weil der Einkleidung die Verfremdung wesenseigen ist (BVerfG, Beschlüsse vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 20; vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 56; Kammerbeschluss vom 12.11. 1997 – 1 BvR 2000/96 –, NJW 1998, 1386, juris Rn. 13; OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2018 – 7 U 34/17 –, juris Rn. 150). Hierbei kommt dem Mittel der satirischen Verfremdung ein größerer Freiraum zu als ihrem eigentlichen Inhalt (BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 59).
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Handelt es sich bei der Satire – wie hier – gleichzeitig um Kunst, ist zu untersuchen, ob sich die Abbildungen in „dem der Satire gestatteten Freiraum“ halten und ihnen der Rang des in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Rechts und seine den Straftatbestand der Beleidigung und damit den Ehrschutz begrenzenden Wirkungen eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 22).
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(2) Bei der Entkleidung des satirischen Gewandes des Graffiti ergibt sich als Aussagekern eine nach Auffassung des Angeklagten übergriffige Handlungsweise der bayerischen Polizei gegenüber einer wehrlosen Person, welche durch die Bayerische Staatsregierung in Person deren obersten Repräsentanten toleriert bzw. sogar gutgeheißen wird. Die Kritik des Angeklagten an einem solchen Handeln wird im Sinne des Wortes eingekleidet in eine Verkleidung des obersten Repräsentanten, die an eine SS-Uniform erinnert, und mit der Darstellung dessen einer Gesichtshälfte als Totenschädel.
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(3) Dies zugrunde gelegt, schlägt der Gebrauch der Kunstfreiheit durch den Angeklagten nicht auf die Menschenwürde der abgebildeten Person durch.
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Hierfür gibt der Aussagekern, mit dem die bayerische Polizei und deren oberster Repräsentant kritisiert werden, keinen Anhalt. Aber auch die Interpretation der Einkleidung, der als Mittel der satirischen Verfremdung ein größerer Freiraum zukommt als ihrem eigentlichen Inhalt, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem derzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten der seiner menschlichen Würde ausmachende Kern der Persönlichkeit abgesprochen werden sollte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2022 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 22). Eine äußerst schwerwiegende Beeinträchtigung der personalen Würde demokratischer Politiker wird zwar dann angenommen, wenn diese deutlich, direkt und konkret mit Naziverbrechen wie etwa in der Pogromnacht oder gar der Errichtung und Betreibung von Konzentrationslagern in Verbindung gebracht und mit den dafür Verantwortlichen wie Hi. und H. gleichgestellt werden (BayObLG, Urteil vom 15.07.1993 – 3St RR 154/92 –, BayObLGSt 1993, 111, juris Rn. 63). Das Gleiche gilt, wenn dem Betroffenen durch die Bezeichnung als „Gashahnaufdreher“ die Eigenschaft eigenständigen Denkens und eigenverantwortlichen Handelns abgesprochen wird, er persönlich in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt und ihm gleichsam unterstellt wird, dass er auch im NS-Unrechtsregime „Mitläufer“ gewesen wäre (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.12.2019 – III-1 RVs 180/19 –, NStZ-RR 2020, 76, juris Rn. 40). So verhält es sich aber trotz der Einkleidung der abgebildeten Person in eine an die SS erinnernde Uniform und dessen Augenzwinkern hinsichtlich des möglicherweise überzogenen Polizeieinsatzes nicht (so zu einer vergleichbaren Fotomontage auch OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, juris Rn. 31).
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cc) Die mangels eines Eingriffs in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten erforderliche Abwägung zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, die der Senat, da sie eine reine Rechtsfrage ist und eine ausreichende Tatsachengrundlage vorliegt, selbst vornehmen kann (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 – 1 Ss 599/13 –, Justiz 2015, 230, juris Rn. 21), führt zu einem Überwiegen des Grundrechts der Kunstfreiheit.
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(1) Außerhalb des absolut geschützten Kernbereichs zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen (BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 39; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 79; Kammerbeschluss vom 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 –, NJW 2019, 1277, juris Rn. 22). Das gilt auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private Rechte geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 79 unter Hinweis auf das Sondervotum Stein zu BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 71 ff.).
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Um diese Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen, genügt es nicht, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts – wie im Berufungsurteil in der Form einer Beleidigung – festzustellen. Die Kunstfreiheit hat erst dann zurückzutreten, wenn eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festgestellt werden kann. Eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus (BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 39; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 80; Kammerbeschluss vom 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 –, NJW 2019, 1277, juris Rn. 22). Dies gilt auch bei der Kunstform der Satire (Burkhardt/Peifer, in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, 1. Teil, 3. Kap. Rn. 31).
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(2) Eine solche schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der abgebildeten Person liegt nicht vor.
88
(2.1) Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Betrachter nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität dieser Beeinträchtigung, wenn der Betrachter diesen Bezug herstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 81).
89
Die Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und dem Recht auf Kunstfreiheit kann nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben, sondern muss auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen. Der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ist ebensowenig der Kunstfreiheit übergeordnet wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf. Die Entscheidung darüber, ob durch die Anlehnung der künstlerischen Darstellung an Persönlichkeitsdaten der realen Wirklichkeit ein der Veröffentlichung des Kunstwerks entgegenstehender schwerer Eingriff in den schutzwürdigen Persönlichkeitsbereich des Dargestellten zu befürchten ist, kann nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur“ objektiviert ist. Wenn eine solche, das Kunstspezifische berücksichtigende Betrachtung jedoch ergibt, dass der Künstler ein „Porträt“ des „Urbildes“ gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, kommt es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der „Verfälschung“ für den Ruf des Betroffenen an (BVerfG, Beschlüsse vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 –, BVerfGE 30, 173, juris Rn. 62 f.; vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 83). Je stärker der Künstler eine Figur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbständigt bzw. verfremdet, umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen, wobei es bei einer solchen Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit geht, sondern darum, dass dem Betrachter deutlich gemacht wird, dass er nicht von der Faktizität des Erzählten ausgehen soll. Eine Lösung kann nur in einer Abwägung gefunden werden, die beiden Grundrechten – also dem Persönlichkeitsrecht und der Kunstfreiheit – gerecht wird (vgl. – zur Romanfigur – BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 –, BVerfGE 119, 1, juris Rn. 85).
90
(2.2) Dies zugrunde gelegt ist schon nicht eindeutig, jedenfalls nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich bei der abgebildeten Person um den derzeitigen Bayerischen Ministerpräsidenten handelt. Beweiswürdigend hat das Berufungsgericht zwar ausgeführt, zu seiner Überzeugung stehe fest, dass die eine Gesichtshälfte dessen Konterfei zeige. Gerade die markante Augenbrauenpartie sowie der Mundbereich ließen insoweit eine eindeutige Aussage zu. Dieser Eindruck werde untermauert von dem ebenfalls auf dem Graffiti angebrachten Schriftzug „Liebesgrüße aus Bayern“ und dem auf der Uniformmütze angebrachten Bayernwappen. Aus der Gesamtschau ergebe sich, dass der Angeklagte nicht „irgendeine Autoritätsperson“ darstellen wollte, sondern den bayerischen Ministerpräsidenten als Symbol der höchsten bayerischen Staatsgewalt.
91
Dies zeigt aber, dass es für die „Identifizierung“ der abgebildeten Person weiterer Indizien bedurfte. Auf den ersten Blick, zumal wenn dieser flüchtig ist, ist nach den vom Senat anhand der bezeichneten Abbildung getroffenen Feststellungen aufgrund der Gesamtgestaltung des Kopfes, der nur die rechte Gesichtshälfte zeigt, auf der das rechte Auge weitgehend geschlossen, das rechte Ohr kaum sichtbar und aufgrund der getragenen Schirmmütze vom Kopfhaar nur ein Haaransatz über dem rechten Ohr zu erkennen ist, die Person nicht ohne weiteres, keinesfalls eindeutig erkennbar und das Abbild demgemäß nur mit einer gewissen Phantasie und der im Berufungsurteil genannten zusätzlichen Umstände dem derzeitigen Bayerischen Ministerpräsidenten zuzuordnen. Auch wegen der skelettierten Kopfhälfte entfernt sich aber das Abbild nicht unerheblich vom Urbild, wobei dessen Fiktionalisierung nicht die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit erfordert.
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(2.3) Unabhängig von der Entfernung des nach Auffassung des Senats karikaturhaft verzerrten Abbildes zum Urbild kommt hinzu, dass sich dem Graffiti bereits nicht eindeutig entnehmen lässt, dass ... als Person und nicht lediglich in seiner Funktion als Bayerischer Ministerpräsident oder symbolhaft für den Freistaat Bayern in seiner vollziehenden Gewalt Ziel der Kritik sein sollte.
93
(2.3.1) Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der Angeklagte den Bayerischen Ministerpräsidenten als Symbol der höchsten bayerischen Staatsgewalt darstellen wollte. Abgesehen davon, dass es ohne Berücksichtigung der Gewaltenteilung nicht zwischen den Trägern der Staatsgewalt differenziert und der Exekutive gegenüber der Legislative und Judikative ein höheres Gewicht beimisst, tritt der Senat dem insoweit bei, als davon auszugehen ist, dass der Angeklagte die abgebildete Person als Symbol für die Staatsmacht im Allgemeinen benutzt hat.
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(2.3.2) Künstlerische Äußerungen sind interpretationsfähig und -bedürftig (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 – 1 BvR 816/82 –, BVerfGE 67, 213, juris Rn. 41). Zu Art. 5 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der meinungsfreiheitsfreundlichen Auslegung entwickelt. Danach liegt eine Grundrechtsverletzung vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrundelegt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476 –, BVerfGE 93, 266, juris, Rn. 126). Dieser Grundsatz ist jedenfalls dann auf die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit zu übertragen, wenn mit der Kunst eine Meinung vermittelt werden soll (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 24.04.2023 – 7 L 1055/23.F –, NVwZ 2023, 777, juris Rn. 64; in diese Richtung auch Möllers, Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung, Rechtsgutachten vom 10.10.2022, S. 17 f., https: …www.kulturstaatsministerin.de/SharedDocs/Downloads/DE/ 2023/2023-01-24-bkm-gutachtenmoellers.pdf?_blob=publicationFile& v=2).
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Hiervon ausgehend wird nach der gebotenen kunstfreiheitsfreundlichen Betrachtung das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten durch das Graffiti nicht erheblich eingeschränkt. Die Deutung, dass aufgrund eines möglicherweise erlebten, übermäßig harten Polizeieinsatzes lediglich die nach seinem Empfinden durch die Bayerische Staatsregierung nicht ausreichend reglementierte bzw. sogar gebilligte polizeiliche Gewalt in Bayern als solche kritisiert werden sollte, lässt sich jedenfalls anhand der getroffenen Feststellungen nicht ausschließen.
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(2.4) Selbst wenn aber mit dem Graffiti gezielt die Person des derzeitigen Ministerpräsidenten angegriffen werden sollte, ist dessen Persönlichkeitsrecht nicht schwerwiegend beeinträchtigt.
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(2.4.1) Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wäre dann zu bejahen, wenn der Betroffene durch das Kunstwerk einer Schmähkritik oder Formalbeleidigung ausgesetzt würde (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29.11.2023 – 4 U 58/23 –, MDR 2024, 169, juris Rn. 103 mit Rn. 118; Klass in: Erman BGB, 17. Aufl. 2023, Anhang zu § 12 Rn. 263; MüKoStGB/Regge/Pegel, a.a.O., § 193 Rn. 62), so dass – ebenso wie die Meinungsfreiheit (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 19.04.1990 – 1 BvR 40/86 –, BVerfGE 82, 43, juris Rn. 29; vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 122; vom 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 –, BVerfGE 99, 185, juris Rn. 50; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 18; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 15 und 17 m.w.N.) – auch die Kunstfreiheit grundsätzlich zurücktreten würde [so KG, Urteil vom 07.05.1992 – (3) 1 Ss 215/91 (52/91) –, NStZ 1992, 385, 386; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a.a.O., § 193 Rn. 19; BeckOK StGB/Valerius, 60. Ed. 01.02.2024, § 193 Rn. 45]. Unter Zugrundelegung der im Berufungsurteil getroffenen vollständigen Feststellungen zum Tatsachverhalt liegt ein solcher Fall, den selbst das Berufungsgericht nicht angenommen, sondern den seines Erachtens ehrverletzenden Charakter des Graffiti durch eine Abwägung der betroffenen Grundrechte begründet hat, nicht vor.
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(2.4.1.1) Eine Schmähkritik setzt voraus, dass eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht, also deren Diffamierung im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 122 und 191; Kammerbeschlüsse vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10 –, NJW 2012, 3712, juris Rn. 30; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 19; vom 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19 –, NJW 2021, 148, juris Rn. 16). Demgegenüber kommt bei einer Äußerung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich aber als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient, eine Schmähkritik nur ausnahmsweise in Betracht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.07.2013 – 1 BvR 444/13 –, DVBl 2013, 1382, juris Rn. 21; OLG Stuttgart, Urteil vom 29.11.2023 – 4 U 58/23 –, MDR 2024, 169, juris Rn. 79). Da vorliegend mit dem Graffiti das Handeln der Exekutive kritisiert werden soll, liegt bereits kein gänzlich grundloses Verächtlichmachen dessen obersten Repräsentanten vor (so auch in einem vergleichbaren Fall OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 29). Anders könnte es sich verhalten, wenn das für die satirische Einkleidung gewählte Bild außerhalb jeden Zusammenhanges mit dem Verhalten steht, das den Gegenstand der Kritik bildet, und dieses Bild zum einen eine Beleidigung schwerster Art enthält und zum anderen auch noch einem Bereich entnommen ist, mit dem der Betroffene auch sonst unstreitig nichts zu tun hat (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2018 – 7 U 34/17 –, AfP 2018, 335, juris Rn. 178). Das ist hier jedoch nicht der Fall; denn es bestand durchaus Anlass, dass der Betroffene mit einem harten Eingreifen der bayerischen Polizei in Zusammenhang gebracht wird (vgl. unten unter 2.4.2.2).
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(2.4.1.2) Eine Formalbeleidigung läge vor, wenn die Beschimpfung das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt und nach allgemeiner Auffassung besonders krasse, aus sich heraus herabwürdigende Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – verwendet werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 18 ff., 33; BayObLG, Beschluss vom 09.02.2023 – 203 StRR 497/22 –, StV 2023, 588, juris Rn. 9; s. hierzu auch BeckOK StGB/Valerius, 57. Ed. 01.05.2023, StGB § 193 Rn. 36). Das ist beim gegenständlichen Graffiti nicht der Fall (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 30).
100
(2.4.2) Die somit erforderliche Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der abgebildeten Person nicht nur wegen des nicht unerheblichen Maßes der Verfremdung des Abbildes gegenüber dem Urbild zu verneinen ist, sondern auch deshalb, weil die Intensität der Beeinträchtigung das unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit Zumutbare nicht überschreitet.
101
(2.4.2.1) Hierbei ist davon auszugehen, dass der Angeklagte dem derzeitigen Bayerischen Ministerpräsidenten weder ein persönliches Fehlverhalten vorwerfen noch diesem persönlich die Billigung eines konkreten unrechtmäßigen Handelns der Polizei zur Last legen wollte. Solches lässt sich weder der Abbildung entnehmen noch der Einlassung des Angeklagten. Diesem ging es um Kritik an der Polizei, deren Vorgehen unter Einsatz unmittelbaren Zwangs von der durch den Ministerpräsidenten repräsentierten Bayerischen Staatsregierung auch dann gebilligt werde, wenn dieses durch besondere Härte gekennzeichnet sei.
102
(2.4.2.2) Das Graffiti lässt zwar die Interpretation zu, dass eine Gleichsetzung der bayerischen Staatsgewalt bzw. der einen Unbekannten prügelnden und tretenden Polizeibeamten mit Polizeimethoden in einem totalitären Staat beabsichtigt sein sollte, die von dem obersten Repräsentanten der Exekutive augenzwinkernd gebilligt werde. Eine solche Interpretation würde aber nicht dazu führen, eine zur Zurückdrängung der Kunstfreiheit führende schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des derzeitigen Bayerischen Ministerpräsidenten zu bejahen. In einem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes liegt zwar ein schweres Gewicht einer Ehrverletzung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14 –, NJW 2017, 1460, juris Rn. 18). Dementsprechend wurde bei einer Bildmontage, welche halbseitig ein Foto eines SS-Obersturmbannführers mit eindeutigen nationalsozialistischen Symbolen und auf der anderen Seite den Betroffenen, einen uniformierten Polizeibeamten zeigte, also die SS mit der heutigen Polizei gleichgesetzt wurde, dem Persönlichkeitsrecht des abgebildeten Polizisten der Vorrang gegenüber der Meinungsfreiheit des dortigen Angeklagten eingeräumt (OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 37).
103
So liegt es hier aber nicht. Denn im Gegensatz zum dortigen Sachverhalt erfüllt das verfahrensgegenständliche Graffiti gerade nicht die Eigenschaft eines Kennzeichens verfassungswidriger Organisationen oder eines solchen zum Verwechseln ähnlichen Kennzeichens. Zudem kann bei der gebotenen kunstfreiheitsfreundlichen Auslegung nicht angenommen werden, der Angeklagte habe dem Ministerpräsidenten den Vorwurf unterbreiten wollen, einen Staat zu führen, der hinsichtlich der Tätigkeit der Polizei letztlich einem SS-Staat vergleichbar ist. Vielmehr lässt gerade das auf dem Langbinder abgebildete Fragezeichen die Interpretation zu, angesichts des erlebten Polizeieinsatzes wolle der Angeklagte die Frage stellen, ob der Ministerpräsident ein Handeln der Polizei augenzwinkernd billige, das einerseits mögliche Rechtsbrecher davor abschreckt, Straftaten in Bayern zu begehen („Liebesgrüße aus Bayern“), andererseits aber den Freistaat dadurch in die Nähe eines „Polizeistaats“ rückt, für den er bildhaft die Einkleidung des obersten Repräsentanten in eine an die SS erinnernde, aber erheblich verfremdete Uniform wählte. Damit könnte das Fragezeichen gleichzeitig als Warnung vor der Gefahr verstanden werden, dass die Polizei im Freistaat Bayern die Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit überschreitet, ohne diese etwa mit der SS gleichzusetzen. Für letzteres gibt es auf den auf den zwei kleineren Bildern dargestellten Szenarien auch keinen Anhalt. Das erste Bild zeigt eine auf dem Boden liegende Person, wobei ein Polizeibeamter sein rechtes Knie auf dessen Kopf platziert hat und der andere Beamte offenbar seinen linken Arm zu einem Faustschlag ausholt, während auf dem zweiten Bild ein Polizeibeamter eine am Boden sitzende Person festhält, während ein anderer Beamter sein linkes Bein nach hinten ausholt, um offenbar auf diese Person einzutreten.
104
Es bewegt sich jedenfalls im Rahmen der naheliegenden Interpretationsmöglichkeiten des Graffiti, dass der Angeklagte befürchtet, dass solche in der jüngeren Vergangenheit auch in anderen – auch demokratischen – Staaten medial zu beobachtende Szenarien im Freistaat Bayern Einzug finden könnten, zumal die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten nicht unerheblich erweitert wurden.
105
Gesetzliche Grundlage des präventiv-polizeilichen Handelns bildete zum Tatzeitpunkt das Polizeiaufgabengesetz mit den bereits am 25.05.2018 in Kraft getretenen weitreichenden Änderungen, die – wie allgemein bekannt – in der Öffentlichkeit teilweise kritisiert worden waren. So berichtete die „W.“ am 11.05.2018, für Ministerpräsident ... (CSU) sei das Polizeiaufgabengesetz ein wichtiger Baustein für noch mehr Sicherheit (https://www.w..de/politik/ deutschland/ article176271890/Bayerns-Polizeiaufgabengesetz-Handgranaten-fuer-die-innere-Sicherheit.html). Vor allem im Hinblick auf die Erhöhung der Präventivhaft von bisher 14 Tagen auf unbefristete Zeit war kritisiert worden (Tagesspiegel vom 15.05.2018), dass Bayerns Innenminister ... (CSU) das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) habe ausarbeiten lassen, um sich mit „Law and Order“ zu profilieren (https://www.tagesspiegel.de/politik/unfreistaat-bayern-4969060.html). Die Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag teilte am 01.09.2020 mit, dass die Polizei im Frühjahr 2020 191 Personen bayernweit wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen in Präventivhaft genommen habe. In Landshut, Bamberg und München habe es einige Beschwerden aufgrund überharten Vorgehens der Polizei gegeben. Ihrer Meinung nach seien „die Polizist*innen durch die S.-Regierung zunächst zu scharf losgeschickt“ worden und das habe „sich dann in einigen Fällen in sehr hartem Einsteigen“ geäußert (https://k.-sch..de/corona-massnahmen-und-polizeilicher-praeventivgewahrsam-2/). Die Fraktion erklärte daraufhin am 23.06.2021 bei der Einbringung eines Änderungspakets in den Innenausschuss: „Die S.-Regierung hat hier im Lockdown total übersteuert, Menschen – auch Minderjährige – wurden zum Teil mehrere Wochen nach Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in Haft genommen“ (https://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/innenpolitik-recht-und-justiz/2021/als-tiger-gesprungen-als-bettvorleger-gelandet -reform-des - polizeiaufgabengesetz-ist-unzulaenglich/).
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(2.5) Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass das anzusetzende Gewicht der Kunstfreiheit in ihrer besonderen Ausprägung als satirische politische Meinungsäußerung umso höher ist, je mehr das satirisch-künstlerische Werk darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten (vgl. zur Meinungsfreiheit BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, NJW 2022, 680, juris Rn. 31). Auch bei künstlerisch eingekleideten politischen Meinungsäußerungen kann im Rahmen der Gewichtung der hiervon berührten grundrechtlichen Interessen nicht außer Betracht bleiben, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen – unter Umständen weitreichenden – gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. zur Meinungsfreiheit BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 –, NJW 2002, 3767, juris Rn. 21; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 30; OLG Hamm, Urteil vom 27.06.2023 – III-4 ORs 46/23 –, NStZ 2023, 749, juris Rn. 36). Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, NJW 2022, 680, juris Rn. 34).
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Demgemäß sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen als bei Privatpersonen (vgl. – zu Art. 10 Abs. 2 EMRK – EGMR, Urteile vom 08.07.1986 – 9815/82 –, BeckRS 1986, 112863, Rn. 42; vom 23.05.1991 – 11662/85 –, BeckRS 1991, 120096, Rn. 59; vom 01.07.1997 – 20834/92 –, BeckRS 1997, 129087, Rn. 29; vom 14.03.2013 – 26118/10 BeckRS 2013, 201340, Rn. 59). Auch im Bereich der Machtkritik unterscheidet sich die Situation von bewusst in die Öffentlichkeit tretenden Politikern von derjenigen staatlicher Amtswalter, wie etwa eines Polizeibeamten, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (so – zur Meinungsfreiheit – BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, juris Rn. 31).
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Unabhängig hiervon bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Politikerinnen und Politikern. Von den von der Verfassung gegenüber einer auf die Person abzielenden Verächtlichmachung oder Hetze gesetzten Grenzen werden Personen des öffentlichen Lebens nicht ausgenommen. Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 –, NJW 2022, 680, juris Rn. 34). Diese Grenze gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte Meinungsfreiheit im allgemeinen und die Freiheit der Äußerung satirischer Beiträge im besonderen nicht nur Äußerungen schützt, die in sachlich-differenzierter Art vorgebracht werden, sondern auch die Äußerung gerade von Kritik in einer pointierten, polemischen und überspitzten Weise (BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.02.2007 – 1 BvR 2973/14 –, NJW 2017, 1460, juris Rn. 14; OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2018 – 7 U 34/17 –, AfP 2018, 335, juris Rn. 162). Grundsätzlich nichts anderes kann aber in Bezug auf vom Grundrecht der Kunstfreiheit gedeckte Meinungsäußerungen gelten.
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(2.6) Diese Grenze ist nicht überschritten, da zwischen dem Gegenstand der Kritik (hartes Einschreiten der Polizei) und dem Gehalt der Äußerung (Tolerierung durch den Repräsentanten der Staatsregierung) ein enger Zusammenhang besteht. Unter Rücksicht darauf, dass für Karikaturen Übertreibungen „strukturtypisch“ sind und Personen, die im öffentlichen Leben stehen, in verstärktem Maße Zielscheibe öffentlicher, auch satirischer Kritik sind (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369, juris Rn. 24), überschreitet die Darstellung des Bayerischen Ministerpräsidenten die Grenze des Zumutbaren nicht. Einerseits ist dieser durch das Graffiti in seiner Privatsphäre nicht betroffen, andererseits wird er in seinen Äußerungen zu gesellschaftlichen Themen in der Öffentlichkeit selbst als polarisierend wahrgenommen (vgl. https://www.zeit.de/politik/2023-10/markus-soeder-bayern-was-jetzt-livesendung; https://www. m....de/bayern/nuernberg/s...-polarisiert-mit-fotos-wird-man-dann-vom-oeffentlichen-leben -ausgeschlossen-92898295.html; https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/landtagswahl - auch-nach-fuenf-jahren-im-amt-so-stark-polarisiert-m.-s.-id67921836.html), so dass er sich auch mit einer solchen Darstellung seiner Person, die auf den ersten Blick erkennen lässt, dass sie karikaturhaft übertrieben und verzerrt ist und mit der Realität nichts zu tun hat, zumal er als Person erst auf den zweiten Blick erkennbar ist, konfrontieren lassen muss.
110
d) Das Grundrecht der Kunstfreiheit steht somit der Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 185 StGB entgegen [vgl. etwa KG, Urteil vom 07.05.1992 – (3) 1 Ss 215/91 (52/91) –, NStZ 1992, 385, 386 m.w.N.; a.A. – Rechtfertigungsgrund – etwa Heger, in Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 193 Rn. 14; offen gelassen von MüKoStGB/Regge/Pegel, a.a.O., § 193 Rn. 58].
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6. Das Grundrecht der Kunstfreiheit stünde auch dann einer Verurteilung gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB entgegen, wenn man das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bejahen würde.
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a) Die Kunstfreiheit kann über die genannten Grenzen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hinaus mit Verfassungsbestimmungen aller Art kollidieren. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Ordnung wird beeinträchtigt, wenn durch die Wirkung des Kunstwerks der Bestand des Staates oder der Verfassung unmittelbar gefährdet wird (BVerfG, Beschluss vom 25.04.1972 – 1 BvL 13/67 –, BVerfGE 33, 52, juris Rn. 68). Unabhängig hiervon muss in allen Fällen, in denen andere Verfassungsgüter mit der Ausübung der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung gefunden werden. Der Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ist im Wege fallbezogener Abwägung zu lösen, die auch bei Anwendung des Straftatbestands des § 86a StGB unabdingbar ist. Hierbei lassen sich Einschränkungen dieses Grundrechts nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen wie etwa dem „Schutz der Verfassung“ rechtfertigen; vielmehr müssen anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen diejenigen verfassungsrechtlich geschützten Güter konkret herausgearbeitet werden, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände mit der Wahrnehmung des Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kollidieren (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschlüsse vom 03.11.1987 – 1 BvR 1257/84 –, BVerfGE 77, 240, Leitsatz 2 und juris Rn. 36, 39 f.; vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86 –, BVerfGE 81, 278, juris Rn. 49; Kammerbeschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 –, NJW 2008, 2568, juris, Rn. 15 m.w.N. – Amtsenthebung, Neonazi-Band). Diese Grenzen hat der Angeklagte mit seinem Graffiti nicht überschritten.
113
§ 86a StGB zielt in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 StGB auf die Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung des Kennzeichens ausgedrückten Wiederbelebung oder des Anscheins einer solchen Wiederbelebung ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen sowie einer nach Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen Organisation oder nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärten Partei, aber auch auf die Abwehr der symbolhaft gekennzeichneten Wiederbelebung der von solchen Organisationen verfolgten Bestrebungen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 –, BVerfGK 7, 452, juris Rn. 18). Im Zusammenhang mit der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen können somit diese Regelungen sowie die hiermit verfolgte Zielsetzung, aber auch die Grundrechte Dritter, die durch die ungehinderte Zulassung der jeweils in Frage stehenden Handlungen und ihre Folgen gefährdet werden könnten, abwägungsrelevant sein (BVerfG, Beschluss vom 03.11.1987 – 1 BvR 1257/84 –, BVerfGE 77, 240, juris Rn. 40).
114
Die Abwägung führt zu einem Überwiegen des Grundrechts der Kunstfreiheit, da der Gefahr einer Wiederbelebung im o.g. Sinne oder des Anscheins einer solchen ungeachtet der erheblichen Verfremdung des Kennzeichens angesichts des satirischen Charakters des Graffiti und der hiervon ausgehenden Warnung vor vergleichbaren Zuständen kein die Zurückdrängung der Kunstfreiheit rechtfertigendes, überragendes Gewicht zuzumessen ist. Im Einklang hiermit nahm das Verwaltungsgericht Frankfurt an, dass die Zugangsbeschränkung für einen Musiker zu einer Festhalle zur Durchführung einer Veranstaltung („Roger Waters 2023 Konzert“) diesen in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletze und dieses gegenüber kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern überwiege. Auch wenn der Musiker sich offenkundig einer an die Herrschaft der Nationalsozialisten angelehnten Symbolik bediente, wie beispielsweise das Tragen eines an eine SS-Uniform erinnernden schwarzen Ledermantels mit einer rot-weißen Armbinde, die Nutzung einer Banner-Beflaggung in entsprechenden Farben und der Auftritt von Soldaten in schwarzen Uniformen und Stahlhelmen, sei allein entscheidend, dass dessen Bühnenshow und Auftritt in der Gesamtschau nicht den Schluss zuließen, dass dieser die nationalsozialistischen Gräueltaten verherrlichen oder relativieren oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifizieren würde. Bei der gebotenen kunstfreiheitsfreundlichen Betrachtung lasse sich die Bühnenshow jedenfalls auch als – wenn auch besonders provokative – Mahnung und Warnung vor gleichgelagerten Entwicklungen in verschiedenen Teilen der Welt interpretieren (Beschluss vom 24.04.2023 – 7 L 1055/23.F –, NVwZ 2023, 777, juris Rn. 66 f.). Dies gilt gleichermaßen für den vorliegenden Fall.
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b) Ein Eingriff in die Kunstfreiheit ist auch nicht zum Schutz der öffentlichen Ordnung (§ 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gerechtfertigt.
116
Auch bei einer plakativen, drastischen Kritik mit satirischem Einschlag an gesellschaftlichen und politischen Zuständen in Deutschland darf im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG der Schutz des Staates nicht zu dessen Immunisierung gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 03.11.2000 – 1 BvR 581/00 –, NJW 2001, 596, juris Rn. 16 und 21). Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat (auch jenseits der Kunstfreiheit) grundsätzlich scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System (Machtkritik) ist Teil des Grundrechtestaats (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 119 – Soldaten sind Mörder; Kammerbeschlüsse vom 15.09.2008 – 1 BvR 1565/05 –, NJW 2009, 908, juris Rn. 13; vom 28.11.2011 – 1 BvR 917/09 –, NJW 2012, 1273, juris Rn. 24; vom 11.04.2024 – 1 BvR 2290/23 –, juris Rn. 28). Die Schwelle zur Rechtsgutverletzung ist im Falle des § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder, die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit im Staatsgebiet zu gefährden. Dies wäre bei entsprechender Form der Meinungsäußerung etwa denkbar, wenn der Bundesrepublik Deutschland oder einem ihrer Länder jegliche Legitimation abgesprochen würde und dazu aufgerufen würde, sie zu ersetzen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.11. 2011 – 1 BvR 917/09 –, NJW 2012, 1273, juris Rn. 24; BGH, Beschluss vom 15.10.2002 – 3 StR 270/02 –, NStZ 2003, 145, juris Rn. 3 und 11). Diese Schwelle ist durch die Warnung vor einer Entwicklung des Freistaats Bayern zu einem Polizeistaat noch nicht erreicht.
117
c) Somit greift hinsichtlich des Straftatbestandes des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB die Regelung des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB (der Kunst dienende Handlung) ein, welche, was der Gesetzgeber der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen hat (vgl. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/2860, S. 9), keinen Rechtfertigungsgrund darstellt, sondern schon den Tatbestand des § 86a Abs. 1 StGB ausschließt (so etwa BGH, Urteil vom 10.04.2002 – 5 StR 485/01 –, BGHSt 47, 278, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2013 – 3 Ws 259/13 –, ZUM-RD 2014, 358, juris Rn. 34; MüKoStGB/Anstötz, a.a.O., § 86 Rn. 36; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, a.a.O., § 86a Rn. 10).
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7. Da die Sache spruchreif ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, konnte der Senat selbst den Angeklagten freisprechen (§ 354 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.