Titel:
zum Eilrechtsschutz im Asylfolgeverfahren ohne erneute Abschiebungsandrohung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
AsylG § 36 Abs. 3 S. 1, § 71 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 2
Leitsatz:
Hat das Bundesamt von dem Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung abgesehen, ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO statthaft; die Grundlage für den Vollzug der Abschiebung ergibt sich allerdings nicht aus dem in der Hauptsache angefochtenen Bescheid, sondern aus einer bereits bestandskräftigen Abschiebungsandrohung, die nicht Gegenstand des Klageverfahrens ist. (Rn. 22 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz bei Unzulässigkeitsentscheidung ohne neue, Abschiebungsandrohung, Folgeantrag, Irak, einstweiliger Rechtsschutz, Statthaftigkeit des Antrags, Komali Islami Kurdistan Partei
Fundstelle:
BeckRS 2024, 10451
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung in den Irak.
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Der erste Asylantrag des Antragstellers wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 14. März 2022 abgelehnt. Die Abschiebung wurde in den Irak angedroht. Die Abweisung der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage ist seit dem 16. Mai 2023 rechtskräftig.
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In diesem Verfahren hatte der Antragsteller im Wesentlichen vorgebracht: Sein Vater sei zwei Monate vor seiner Geburt gestorben. Wegen ihm [dem Antragsteller] habe seine Mutter seinen Onkel heiraten müssen. Dieser habe sie erzogen, aber sehr schlecht behandelt. Er habe keine Freunde haben dürfen. Sein Onkel habe gewollt, dass er so lebe wie er selbst. Der Onkel sei Mitglied der islamischen Partei Komale-Islami, deren Führer … … heiße, auf der Terrorliste stehe und derzeit in Italien im Gefängnis sei. Sein Onkel habe sie nach strengen islamischen Regeln leben lassen. Das habe er aber nicht gewollt.
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Sein jetzt in Großbritannien lebender Bruder habe Kurdistan auch wegen seines Onkels verlassen. Dieser sei gezwungen worden, Parteimitglied zu werden und für diese zu arbeiten. Der Onkel sei Sprecher der Partei und habe viel Macht. Die Partei könne ganz einfach Menschen töten und vernichten.
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Nach der Ausreise seines Bruders vor ca. vier Jahren habe der Onkel ihn zwingen wollen, Parteimitglied zu werden. Er habe das nicht gewollt. Der Onkel habe gewollt, dass er sich einen Bart wachsen lasse. Er habe keine Hosen tragen dürfen und sich nicht an Orten aufhalten dürfen, wo Männer und Frauen seien. Der Onkel habe gewollt, dass er mit Radikalen arbeite.
6
Der Onkel habe seine Ex-Frau ausgewählt, die Parteimitglied sei. Über diese habe der Onkel versucht, Druck auf ihn auszuüben, auch Parteimitglied zu werden. Deshalb habe er sich scheiden lassen. Weil er kein Parteimitglied geworden sei, hätten sie ihn bedroht.
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Der Druck auf ihn sei ca. sechs bis sieben Monate vor seiner Ausreise verstärkt worden. Der Druck habe darin bestanden, dass der Onkel zu ihm nach Hause gekommen sei und versucht habe, ihn zu überzeugen.
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Leute, die etwas gegen die Partei gesagt hätten, seien vernichtet, d.h. getötet worden.
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Bevor er sich habe scheiden lassen, hätten sie ihm mit dem Tod gedroht, wenn er kein Mitglied werden sollte. Die Scheidung sei im Februar 2021 gewesen. Im April und Mai hätten ihn sein Onkel und sein Bruder verprügelt und bedroht. Einmal sei er eine Woche im Bett gewesen und habe sich nicht bewegen können. Danach hätten sie ihn etwas in Ruhe gelassen, aber immer beobachtet. Anlass für seine Ausreise seien die Bedrohungen gewesen.
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Bei einer Rückkehr in den Irak habe er Angst, getötet zu werden, wenn er nicht Mitglied der Partei werde. Die Partei verlange, dass er fünfmal am Tag zum Beten in die Moschee gehe. Er dürfe keine Musik hören und müsse radikal leben. Er aber wolle ein freier Mensch sein und nicht so leben, wie die Partei es verlange.
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Mit Bescheid vom 14. März 2022 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanerkennung (Nr. 2) sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde festgestellt (Nr. 4). Die Abschiebung wurde angedroht [Irak] (Nr. 5) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet sowie auf 30 Monate befristet (Nr. 6). Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil vom 11. April 2023 abgewiesen (RN 13 K 22.30478). Dieses Urteil ist seit dem 16. Mai 2023 rechtskräftig.
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Am 4. September 2023 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag. Zur Begründung trug er am 13. September 2023 u.a. vor, dass sein Schwiegervater ein Mitglied der Komali Islami Kurdistan Partei sei. Er habe ihn erneut bedroht. Er würde ihm seine Tochter für immer wegnehmen, wenn er nicht zurückkehre. Wenn er zurückkehre, würde er von der Partei umgebracht, wenn er die Mitgliedschaft in der Partei ablehne. Er könne und wolle nicht Mitglied dieser Partei sein. Diese Partei stehe auf der Terrorliste und bringe unschuldige Leute um. Seit vier Monaten habe er keinen Kontakt zu seiner Tochter, weil sein Schwiegervater seine Frau bedroht habe. Wenn sie den Kontakt zulasse, werde er auch sie umbringen. Neue Beweismittel habe er nicht.
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Mit Bescheid vom 20. September 2023 wurde der Antrag ohne Erlass einer weiteren Abschiebungsandrohung als unzulässig abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage ist noch anhängig (RN 13 K 23.31124).
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Am 15. März 2024 ließ der Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO beantragen.
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Zur Begründung des Antrags wurde vorgetragen, dass sich der, der früheren Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt geändert habe, weil der Antragsteller nun erneut durch den Schwiegervater im Irak bedroht worden sei, indem dieser ihm gegenüber geäußert habe, ihm nun auch seine Tochter wegzunehmen, wenn er nicht in den Irak zurückkehre.
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Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, von einer Überstellung des Antragstellers in den Irak bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren Az. RN 13 K 23.31124 vor dem Verwaltungsgericht Regensburg abzusehen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Überstellung bis dahin nicht erfolgen darf.
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Die Antragsgegnerin beantragt
unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung, den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakten Bezug genommen.
19
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Zur Frage, ob vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VGO oder nach § 123 VwGO statthaft ist, ist zunächst festzustellen, dass das am 27. Februar 2024 in Kraft getretene Rückführungsverbesserungsgesetz (BGBl I Nr. 54 vom 26. Februar 2024) insoweit Änderungen des § 71 AsylG beinhaltet. Wegen des Fehlens einer Übergangsvorschrift ist gemäß § 77 Abs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen und demnach § 71 AsylG in der seit dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung anzuwenden.
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a) Seit dem 27. März 2024 gilt § 71 Abs. 5 AsylG nun mit deutlich verändertem Wortlaut. Nicht verändert hat sich lediglich die dem Bundesamt gewährte Wahlmöglichkeit nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG, eine neue Abschiebungsandrohung zu erlassen oder eben nicht.
22
Eine Mitteilung über die Zulässigkeit des Vollzugs der Abschiebung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG ist vor Erlass der förmlichen Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Folgeantrags nur noch dann zulässig, wenn der Folgeantrag zur Verzögerung oder Behinderung der Abschiebung gestellt wurde bzw. dann, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung eines Folgeantrags ein erneuter Folgeantrag gestellt wurde. Da die Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde nach wie vor kein Verwaltungsakt ist, bleibt als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes auch nach dem 27. Februar 2024 der Antrag nach § 123 VwGO. Da die Anwendung des § 71 Abs. 4 AsylG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG eine förmliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfordert, die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG aber bereits vor einer derartigen Entscheidung erfolgen darf und auch nur dann sinnvoll ist, greift § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG in diesen Fällen nicht, weshalb ein Antrag nach § 123 VwGO ohne Einhaltung der Wochenfrist zulässig ist.
23
Eventuelle Mitteilungen des Bundesamts in sonstigen Folgeantragsfällen, welche nicht in § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG genannt sind, haben keine Auswirkungen auf die Vollziehbarkeit der früheren Abschiebungsandrohung.
24
In den übrigen Folgeantragsfällen, bei denen das Bundesamt von einer neuen Abschiebungsandrohung absieht, greift die Wochenfrist hingegen schon.
25
In diesen Fällen ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gemäß §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 AsylG (Anfechtungsklage) statthaft. Diese Anfechtungsklage hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO auch keine aufschiebende Wirkung, weil die Ablehnung als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in § 75 AsylG nicht genannt wird.
26
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat gegenüber einem Antrag nach § 123 VwGO Vorrang (§ 123 Abs. 5 VwGO). Der Meinung, dass der Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO weniger effektiv sei als der Rechtsschutz nach § 123 VwGO (vgl. VG Karlsruhe vom 25. März 2024, A 8 K 1026/24, juris, Rz 12 ff.), folgt das Gericht nicht. Ein erfolgreicher Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung als unzulässig hat zur Folge, dass wegen der Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus der Ablehnung als unzulässig keine Folgerungen gezogen werden dürfen (vgl. z.B. VG München vom 23. März 2017, M 2 17.34212 und 34213, juris, Rz 17). Dies genügt, um die Rechtsposition des Betroffenen so zu verbessern, dass im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine drohende Abschiebung unterbunden wird. Zwar ist die Grundlage seiner Abschiebung nicht die Ablehnung als unzulässig (=VA), sondern die unanfechtbare Abschiebungsandrohung aus dem früheren Bescheid (=VA). Gegen die unanfechtbare Abschiebungsandrohung ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht mehr zulässig. Gibt das Gericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Unzulässigkeitsentscheidung statt, indem es die aufschiebende Wirkung der Klage anordnet, dann greift die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung und versetzt das Verfahren damit gleichsam in den Stand vor der ablehnenden Entscheidung zurück. Der Abschiebung steht dann wieder das gesetzliche Abschiebungsverbot nach § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG entgegen. Da nach Kenntnis des Gerichts aus einer Vielzahl von Verfahren, insbesondere sog. Dublin-Verfahren, die Kommunikation zwischen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Ausländerbehörde hinsichtlich einer Aufenthaltsbeendigung als durchaus rege bezeichnet werden kann und die Ausländerbehörde ohne ausdrückliches Placet des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen als Folge von Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge durchführt, darf in Fällen fehlender Vollziehbarkeit davon ausgegangen werden, dass auch ohne spezielle gesetzliche Pflicht und ohne ausdrückliche gerichtliche Anordnung das Bundesamt, wenn es dies nicht unaufgefordert tut, letztlich durch die Ausländerbehörden aufgefordert werden wird, entsprechende Bestätigungen über die rechtliche Möglichkeit des Vollzugs einer Abschiebung zu übersenden.
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b) Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich der Antrag nach § 123 VwGO in der Konstellation des Falles (Ablehnung des ersten Folgeantrags als unzulässig ohne neue Abschiebungsandrohung) als nicht statthaft dar. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG behandelt das Gericht diesen Antrag aber als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO.
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Die Wochenfrist für die Einlegung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde zwar bei weitem nicht eingehalten. Da aber der Bescheid vom 20. September 2023 eine mit der aktuellen Rechtslage nicht vereinbare Rechtsbehelfsbelehrungbeinhaltet, greift § 58 VwGO und es gilt die Jahresfrist. Diese wurde eingehalten.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist folglich zulässig.
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2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
32
Nach der seit dem 27. Februar 2024 geltenden Fassung des § 71 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 AsylG, welche gemäß § 77 Abs. 1 AsylG anzuwenden ist, ist auf einen Folgeantrag hin, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder von Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
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Nach summarischer Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes liegen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 AsylG n.F. nicht vor. Es fehlt bereits am Zutage treten oder Vorbringen neuer Erkenntnisse, denn der Antragsteller brachte nur vor, sein Schwiegervater habe ihn erneut bedroht. Im Erstverfahren war von einer Bedrohung durch den Schwiegervater nicht die Rede. Seinerzeit ging die Bedrohung von einem Onkel aus. Thematisch hat sich der Grund für die vorgetragene Verfolgung nicht geändert. Es wurde somit nur ein neues Element im Sinne des Gesetzes vorgetragen. Das Gericht kann aber nicht erkennen, dass dieser Vortrag mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung beitragen könnte. Die Unzulässigkeitsentscheidung stellt sich demnach nach summarischer Prüfung als rechtmäßig dar.
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Sonstige überwiegende Interessen des Antragstellers an einem weiteren vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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3. Kosten: §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
36
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).