Titel:
Recht der Landesbeamten, Staatsanwalt, Jour-Dienst, Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten, Abgrenzung Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft
Normenketten:
BayBesG Art. 55
BayZulV § 11
RL 2003/88/EG Art. 2 der
BayBG Art. 74
Leitsatz:
Zum Anspruch eines Staatsanwalts im sog. „Jour-Dienst“ auf Gewährung einer Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten.
Schlagworte:
Recht der Landesbeamten, Staatsanwalt, Jour-Dienst, Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten, Abgrenzung Bereitschaftsdienst/Rufbereitschaft, Zulage
Fundstellen:
BayVBl 2024, 755
NVwZ 2024, 1605
LSK 2024, 10187
BeckRS 2024, 10187
DRiZ 2024, 410
Tenor
I. Die Widerspruchsbescheide des Landesamts für Finanzen vom 13.5.2022 und vom 2.2.2024 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten in Höhe von 1.377,34 EUR zu bezahlen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten für sogenannte Jour-Dienste.
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Der Kläger stand im streitgegenständlichen Zeitraum als Staatsanwalt (Besoldungsgruppe R 1) bei der Staatsanwaltschaft ... im Dienst des Beklagten. Eine Dokumentation der Arbeitszeit erfolgt für die Staatsanwälte im Dienst des Beklagten nicht.
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Der Jour-Dienst stellt die ständige Erreichbarkeit eines Staatsanwalts für die Ermittlungsbehörden sicher. Hierbei hat der diensthabende Jour-Staatsanwalt unaufschiebbare Entscheidungen und Maßnahmen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu treffen. In bestimmten vorgegebenen Konstellationen (u.a. Suizid in einer JVA; polizeilicher Schusswaffengebrauch mit tödlichem Ausgang oder Verletzungsfolgen, sofern weder der Dezernent ... noch der Kapitaldezernent erreichbar ist; tödlicher Verkehrsunfall bei zwei oder mehr Toten bzw. mit Unfallbeteiligung durch die Polizei) muss der Staatsanwalt persönlich vor Ort erscheinen. Es besteht in diesen Fällen in der Regel eine Verpflichtung zur Aufnahme eigener Ermittlungstätigkeiten. Bis zum 27. März 2022 war der Jour-Dienst bei der Staatsanwaltschaft ... so ausgestaltet, dass eine Erreichbarkeit von Montag, 8.00 Uhr bis zum darauffolgenden Montag, 8.00 Uhr ununterbrochen sichergestellt sein musste, wobei der diensthabende Jour-Staatsanwalt während dieser Woche weiterhin seinen gewöhnlichen Dienst leistet. Seit dem 28. März 2022 ist der Jour-Dienst gemäß der „Dienstanweisung zum turnusmäßigen Bereitschaftsdienst der Staatsanwälte“ so ausgestaltet, dass eine Erreichbarkeit an Wochentagen nur noch außerhalb der gewöhnlichen Dienstzeiten sichergestellt sein muss, an Wochenenden und Feiertagen ganztags. Seit 10. Januar 2023 beginnt der Bereitschaftsdienst jeweils am Montag um 16.15 Uhr und endet am darauffolgenden Montag um 09.00 Uhr.
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen seine Besoldung für das Jahr 2021 ein, weil er vom 25. Januar bis 1.Februar 2021 und vom 31. Oktober bis 8. November 2021 Dienst zu ungünstigen Zeiten geleistet habe und bat um Korrektur. Der Antrag wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesamts für Finanzen vom 13. Mai 2022 zurückgewiesen.
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Dagegen erhob der Kläger am 17. Juni 2022 Klage. Er beantragt zuletzt,
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der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide des Landesamts für Finanzen vom 13.5.2022 und vom 2.2.2024 verpflichtet, dem Kläger für seine abgeleisteten Bereitschaftsdienste vom 25.1. bis 1.2.2021, 31.10. bis 8.11.2021 und 15.8. bis 22.8.2022 Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten in Höhe von 1.377,34 EUR zu bezahlen.
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Beim Jour-Dienst handle es sich nicht um Rufbereitschaft, sondern um Bereitschaftsdienst: Nach der Rechtsprechung des EuGH im Rahmen der Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst komme es maßgeblich auf die Frage an, in welchem Umfang für Beschäftigte Einschränkungen hinsichtlich der Zeiten des Bereitschaftsdienstes bestünden. Sofern eine erhebliche Beeinträchtigung der Möglichkeit zur freien Gestaltung der arbeitsfreien Zeit bestehe, sollten Bereitschaftszeiten auch in Form von Rufbereitschaft dann in vollem Umfang unter den Begriff „Arbeitszeit“ fallen. Das Bundesverwaltungsgericht konkretisiere die ständige Rechtsprechung des EuGH dahingehend, dass es ferner für die Unterscheidung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft maßgeblich auf die im Regelfall zu erwartende Häufigkeit der dienstlichen Inanspruchnahme während der Bereitschaftszeiten ankomme. Ausschlaggebend hierfür sei, ob während dieser Zeiten typischerweise mit Einsätzen in nennenswertem Umfang zu rechnen sei, die der Bereitschaft das Gepräge eines Bereithaltens für einen jederzeit möglichen Einsatz gäben, oder ob sich diese Zeiten bei wertender Betrachtung als Freizeit oder Rufbereitschaft darstellten, die nur sporadisch von Einsätzen unterbrochen werde. In den staatsanwaltschaftlichen Jour-Diensten komme es erfahrungsgemäß an ausnahmslos allen Tagen zu mehreren Einsätzen des diensthabenden Staatsanwalts. Auch die Dienststelle des Klägers gehe offensichtlich vom Vorliegen von Bereitschaftsdienst und nicht bloßer Rufbereitschaft aus, wenn sie die Dienste in ihren Einteilungslisten explizit als „Bereitschaftsdienste“ bezeichne. Die im angegriffenen Bescheid getroffene Annahme des Beklagten, dass Staatsanwälte nicht als Beamte im Sinne des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 BayBesG i.V.m. § 11 der Bayerischen Zulagenverordnung/BayZulV gälten und somit nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehörten, sei rechtsfehlerhaft. Staatsanwälte seien Beamte im Sinne des Bayerischen Beamtengesetzes, des Bayerischen Besoldungsgesetzes sowie der Bayerischen Zulagenverordnung. Dies folge bereits aus § 146 GVG sowie aus der Klarstellung in Art. 2 Abs. 1 BayRiStAG.
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Unter dem 1. August 2022 wandte sich das Landesamt für Finanzen für den Beklagten gegen die Klage mit dem Antrag,
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Der vom Kläger dargestellte Sachverhalt sei weitgehend richtig und werde nicht bestritten. Ergänzend werde ausgeführt, dass ein Jour-Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft ... für die gesamte Jour-Dienstwoche einen Freizeitausgleich von einem Tag erhalte. Darüber hinaus erhalte er für jeden Feiertag, der nicht auf das Wochenende entfalle, jeweils einen weiteren Tag Freizeitausgleich (vgl. Ziffer 4 der Dienstanweisung). Tatsächliche Einsätze vor Ort stellten bei der Staatsanwaltschaft ... die absolute Ausnahme dar. Fälle, in denen eine Verpflichtung zur Anwesenheit des Jour-Staatsanwalts vor Ort bestanden habe, seien in den letzten vier Monaten bei der Staatsanwaltschaft ... nicht aufgetreten. In rechtlicher Hinsicht sei die Klage unbegründet. Der Kläger könne gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 BayZulV keinen Anspruch auf eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten beanspruchen, da der anspruchsberechtigte Personenkreis, der in § 11 Abs. 1 Satz 1 BayZulV definiert sei, sich auf Beamte der Besoldungsgruppe A sowie Anwärter beschränke. Darüber hinaus könne eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BayZulV nur für Zeiten des Bereitschaftsdiensts gewährt werden, nicht aber für Rufbereitschaft (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BayZulV). Bereitschaftsdienst liege vor, wenn sich der Beamte an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs aufhalte, zu jederzeitigem unverzüglichen Einsatz bereit sei und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen sei. Rufbereitschaft hingegen sei die Pflicht, sich außerhalb des Arbeitsplatzes bereitzuhalten und bei Bedarf zu Dienstleistungen abgerufen werden zu können. Rufbereitschaft bedeute daher in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst, dass der Beamte sich zuhause oder an einem anderen frei wählbaren Ort zwecks alsbaldiger Dienstaufnahme erreichbar halten müsse. Der Beamte könne daher seinen privaten Aufenthaltsort frei wählen und jederzeit wechseln. Während der Rufbereitschaft habe der Beamte nicht nur keine dienstlichen Aufgaben wahrzunehmen, er sei auch in der Gestaltung dieser Zeit frei und weniger Einschränkungen unterworfen. Daher sei die Rufbereitschaft im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst der Privatsphäre des Beamten zuzuordnen. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe sich nichts anderes. Danach sei für die Einordnung als Arbeitszeit entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer (dies gelte für Beamte entsprechend) an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müsse, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können. Zwar könne insoweit auch zuhause zu verbringende Bereitschaftszeit als „Arbeitszeit“ angesehen werden, es bleibe aber beim Erfordernis einer konkret wertenden Betrachtung. Der entscheidende Faktor sei die Intensität der Einschränkungen, die sich aus der Unterwerfung des Arbeitnehmers unter die Weisungen des Arbeitgebers ergebe und insbesondere die Reaktionszeit auf den Ruf des Arbeitsgebers. Vorliegend sei die Rufbereitschaft nicht an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu leisten gewesen. Eine ausdrückliche oder schriftliche Anordnung für Jour-Staatsanwälte, sich während der Rufbereitschaft zuhause oder an einem bestimmten Ort, der vom Dienstherrn bestimmt sei, aufzuhalten, gebe es nicht. Eine solche Verpflichtung ergebe sich auch nicht aus anderen dienstrechtlichen Vorgaben. Weder sei ausdrücklich festgelegt, wo sich die Staatsanwälte bereitzuhalten hätten, noch schränkten die Einsatzmodalitäten im Jour-Dienst die Staatsanwälte bei der Staatsanwaltschaft ... derart ein, dass dies einer mittelbaren Bestimmung des Aufenthaltsorts durch den Dienstherrn gleichkäme. Der Kläger habe zwar während der Rufbereitschaft stets telefonisch erreichbar sein müssen, anders als beim Bereitschaftsdienst hätte er sich aber nicht zu einem jederzeit unverzüglichen d.h. sofortigen Einsatz bereitzuhalten. Es gäbe keine konkreten Zeitvorgaben, innerhalb derer sich der in Rufbereitschaft befindliche Beamte nach Aufruf an die Einsatzstelle zu begeben habe. Es sei daher von Rufbereitschaft auszugehen. Der Kläger habe sich grundsätzlich darauf einstellen können, privaten Tätigkeiten nachzugehen und sich ausreichend erholen zu können. Insbesondere spreche nichts dafür, dass er regelmäßig in einem Umfang aus der Rufbereitschaft zu Einsätzen herangezogen worden sei, der eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung nicht möglich habe erscheinen lassen. Der Kläger habe sich in der näheren Umgebung frei bewegen und privaten Interessen und persönlichen Angelegenheiten widmen können.
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Unter dem 12. September 2022 trug der Kläger vor, dass er während der Wahrnehmung eines Jour-Diensts in seiner persönlichen Lebensführung massiv eingeschränkt sei, dies insbesondere durch das Erfordernis einer jederzeitigen und unvorhersehbaren Erreichbarkeit, der Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitsaufnahme im Fall eines Anrufs, wegen einer jederzeitigen und unvorhersehbaren Möglichkeit von Außeneinsätzen sowie durch das Erfordernis zum jederzeitigen Bereithalten von Arbeitsmitteln. Es sei mitnichten so, dass die Zeiten während eines Jour-Diensts außerhalb von tatsächlichen Arbeitseinsätzen weitestgehend frei gestaltet werden könnten. Zudem unterfalle er dem Anwendungsbereich des § 11 BayZulV, weil er Beamter und zugleich Angehöriger der Besoldungsgruppe R 1 sei, die aufsteigende Gehaltssätze aufweise.
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Darauf erwiderte der Beklagte unter dem 10. November 2022. Der Kläger lege nicht dar, dass der Dienstherr ausdrücklich den Ort bestimme, an dem sich der Kläger im Jour-Dienst bereitzuhalten habe. Er beschränke sich darauf, Umstände zu beschreiben, aus denen sich seiner Auffassung nach Einschränkungen von solcher Intensität ergäben, dass sie einer Bestimmung des Aufenthaltsorts gleichkämen. In der nach dem EuGH erforderlichen Gesamtschau würden keine Einschränkungen von solcher Art auferlegt, dass sie seine Möglichkeit, während der (Ruf-)Bereitschaftszeiten, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen würden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv ganz erheblich beeinträchtigten. Beabsichtige der Jour-Staatsanwalt zum Beispiel eine Freizeitaktivität, bei der die Erreichbarkeit nicht sichergestellt sei, so könne er für diesen Zeitraum eine Vertretung organisieren. Welche Hilfsmittel der Jour -Staatsanwalt außerhalb des heimischen Arbeitsplatzes mit sich führe, habe er in eigener Verantwortung zu entscheiden. Er müsse sich nicht zwangsläufig im Landgerichtsbezirk aufhalten.
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Unter dem 12. September 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen seine Besoldung für den Monat August 2022 ein und beantragte, ihm für die Zeit von Montag, 15. August 2022, 16.15 Uhr bis Montag, 22. August 2022, 9.00 Uhr Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten zu gewähren. Der Widerspruch wurde mit Leistungswiderspruchsbescheid des Landesamts für Finanzen vom 2. Februar 2024 zurückgewiesen.
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Unter dem 16. Januar 2024 nahm der Beklagte zur Höhe der geltend gemachten Forderung Stellung.
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Mit Schreiben vom 7. Februar 2024 erweiterte der Kläger seinen Klageantrag dahingehend, ihm unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids auch für die Zeit vom 15. August 2022 bis 22. August 2022 eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten in Höhe 452,42 EUR zu gewähren.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2024 sowie auf die Verfahren Au 2 K 22.1281, Au 2 K 22.1325 und Au 2 K 23.1868 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Die Leistungswiderspruchsbescheide des Landesamts für Finanzen vom 13. Mai 2022 und 2. Februar 2024 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung von Zulagen für Dienst zu ungünstigen Zeiten für die geleisteten Dienste vom 25. Januar bis 1. Februar 2021, 31. Oktober bis 8. November 2021 und 15. August bis 22. August 2022 in Höhe von 1.377,34 EUR (§ 113 Abs. 4 VwGO).
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1. Die Klage ist zulässig.
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a) Die Durchführung eines (nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AGVwGO ohnehin fakultativen) Widerspruchsverfahrens war vorliegend entbehrlich, da der Beklagte die Anträge des Klägers jeweils mit Leistungswiderspruchsbescheid verbeschieden hat. Ein Widerspruchsverfahren ist entbehrlich, wenn sich die Behörde gegenüber dem Kläger vorgerichtlich endgültig auf die Ablehnung des Rechtsschutzbegehrens festgelegt hat (BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 23.12 – juris Rn. 22).
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b) Die Klageerweiterung ist aufgrund des rügelosen Einlassens des Beklagten zulässig (§ 91 Abs. 2 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 11.12.2003 – 6 B 60.03 – juris Rn. 25; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 VwGO Rn. 4).
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2. Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Gewährung der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten zu. Rechtsgrundlage für die Gewährung der begehrten Zulage ist Art. 55 Abs. 1 Satz 2 BayBesG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BayZulV in der bis 30. Juni 2022 bzw. ab 1. Juli 2022 geltenden Fassung. Dieser sieht in beiden Fassungen eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten vor, wenn der betreffende Beamte mit mehr als fünf Stunden im Kalendermonat zum Dienst zu ungünstigen Zeiten herangezogen wird. Die Höhe richtet sich nach § 11 Abs. 3 BayZulV i.V.m der Anlage 4 zur BayZulV.
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a) Der Kläger gehört zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BayZulV. Anspruchsberechtigt sind hiernach Beamte […] mit aufsteigenden Grundgehaltssätzen. Hierunter fallen auch Staatsanwälte. Diese sind nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayRiStAG, § 146 GVG, § 124 Abs. 1 DRiG als Beamte zu qualifizieren. Sie sind zudem Teil einer Besoldungsgruppe (nämlich R-Besoldung) mit aufsteigenden Grundgehaltssätzen. Dass hier sämtliche Beamte mit aufsteigenden Grundgehaltssätzen gemeint sind, wird auch durch einen Vergleich mit dem Wortlaut anderer Vorschriften der Bayerischen Zulagenverordnung deutlich. Bei § 1 Abs. 1 BayZulV ist zum Beispiel die Rede von Beamten des Verwaltungs- und Vollzugsdienstes. Hier wird folglich die Gruppe der betreffenden Beamten durch den Zusatz „des Verwaltungs- und Vollzugsdienstes“ weiter beschränkt und definiert. Bei § 11 BayZulV ist dies jedoch gerade nicht der Fall. Die Personengruppe der Beamten wird lediglich durch den Zusatz „mit aufsteigenden Grundgehaltssätzen“ eingeschränkt.
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Dem steht Ziff. 55.2.1.1 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten/BayVwVBes nicht entgegen. Danach können Richter der Besoldungsgruppen R 1 und R 2 keine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten erhalten, weil sie ihre Arbeitszeit selbst gestalten können. Abgesehen davon, dass Verwaltungsvorschriften das Gericht nicht binden, trifft Ziff. 55.2.1.1 BayVwVBes ausdrücklich gerade keine Regelung für Staatsanwälte, sondern nur für Richter. Zwar werden auch Staatsanwälte, obwohl sie Beamte sind, nach der Besoldungsgruppe R besoldet. Allerdings verwirklicht diese Eingruppierung den Wunsch des Gesetzgebers, dass sie in die richterliche Unabhängigkeit hineinwachsen sollen, denn bei den nach R 1 besoldeten Stellen handelt es sich zumeist um Dienstposten für Berufseinsteiger. So ging der Gesetzgeber bei der Schaffung des neuen Dienstrechts davon aus, dass aufgrund der Eigenart des Richteramtes mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit für Richter weiterhin eine eigene Besoldungsordnung gelten solle. Staatsanwälte sollten ungeachtet ihres Beamtenstatus in diese Regelungen weiterhin einbezogen werden, um den personalwirtschaftlich erwünschten und bewährten Wechsel zwischen richterlicher und staatsanwaltlicher Tätigkeit zu ermöglichen (LT-Drs. 16/3200 vom 26.1.2010, S. 391).
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Auch nach § 122 DRiG steht dem richterlichen Dienst eine staatsanwaltschaftliche Tätigkeit gleich. Daraus erklärt sich die gleiche Besoldung. Diese Gleichstellung kraft Gesetzes bezieht sich aber auf die „Tätigkeit“ in einer staatsanwaltschaftlichen Funktion, nicht hingegen auf den Status (Staats in DRiG, 1. Aufl. 2012, § 122 Rn. 3). Der Umstand, dass sowohl Richter als auch Staatsanwälte ihre Arbeitszeit grundsätzlich frei einteilen können, bedingt nichts Anderes. Richter sind nicht verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit feste Dienstzeiten einzuhalten. Sie können, soweit ihre Anwesenheit in der Dienststelle nicht durch bestimmte Tätigkeiten geboten ist, ihre Arbeitszeit selbst gestalten (BVerwG, B.v. 21.9.1982 – 2 B 12.82 – juris LS). Dies resultiert aus dem grundrechtlich verbürgten Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, Art. 97 GG. Demgegenüber sind Staatsanwälte nicht uneingeschränkt frei in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit. Nach § 146 GVG haben sie den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. Aufgrund der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte können für diese feste Dienstzeiten festgelegt werden, wie sich beispielsweise in der Anordnung des Jour-Diensts durch Ziff. 1 der Dienstanweisung zum turnusmäßigen Bereitschaftsdienst der Staatsanwälte zeigt.
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b) Der Anspruch ist nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BayZulV ausgeschlossen, weil der Kläger für eine Woche geleisteten Jour-Dienst einen Ausgleichstag erhält. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BayZulV entfällt die Zulage nach § 11 Abs. 3 Satz 1 BayZulV oder verringert sich, soweit der Dienst zu ungünstigen Zeiten auf andere Weise als mit abgegolten oder ausgeglichen gilt. Vorliegend wird dem Kläger für eine Woche Jour-Dienst, der zusätzlich zu seinen regulären Dienstaufgaben zu erfüllen ist, ein Tag Dienstbefreiung gewährt. Jedoch kann dieser eine Tag nicht zum Entfallen der Zulage führen. Dies würde zu kurz greifen. Schon rein rechnerisch kann ein Tag Ausgleich den eine Woche lang zusätzlich zur regulären Arbeitszeit geleisteten Bereitschaftsdienst nicht kompensieren. Am Tag der Dienstbefreiung wird der Kläger überdies nur bei unaufschiebbaren Dienstgeschäften vertreten. Somit muss die am Ausgleichstag angefallene Arbeit vom Staatsanwalt in den darauffolgenden Tagen – gegebenenfalls wieder unter Ableistung von Überstunden – erledigt werden, so dass ein echter Ausgleich nicht stattfindet. Zudem wird aus der Systematik der unter § 20 Abs. 1 BayZulV genannten Fallgruppen deutlich, dass Zulagen in erster Linie dann entfallen sollen, wenn der Beamte anderweitige finanzielle Ausgleiche erhält.
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c) Der Kläger hat auch Bereitschaftsdienst geleistet. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BayZulV ist Bereitschaftsdienst, der zu ungünstigen Zeiten geleistet wird, voll zu berücksichtigen. Allerdings gehört die Rufbereitschaft gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 BayZulV nicht zum Dienst zu ungünstigen Zeiten. Bereits die wiederholte Bezeichnung des Jour-Dienstes als „Bereitschaftsdienst“ in den Dienstanweisungen sowie den Dienstplänen dient als Indiz dafür, diesen auch tatsächlich als Bereitschaftsdienst zu qualifizieren.
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aa) Bereitschaftsdienst ist auf Ebene des nationalen Rechts in erster Linie von der Rufbereitschaft, die keine Arbeitszeit darstellt, abzugrenzen (BVerwG, U.v. 30.10.2018 – 2 A 4.17 – NVwZ-RR 2019, 329; U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 23 m.w.N; vgl. a. § 12 AZV). Auf unionsrechtlicher Ebene wird nicht zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst differenziert. Arbeitszeit ist nach Art. 2 Nr. 1 der RL 2003/88/EG jede Zeitspanne, während der Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Die Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie gelten auch für die streitgegenständliche Tätigkeit des Klägers als Staatsanwalt. Sie ist vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst, denn nach Art. 1 Abs. 3 der RL 2003/88/EG gilt die Richtlinie unbeschadet ihrer Art. 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche i.S.d Art. 2 der RL 89/391/EWG.
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Rufbereitschaft (vgl. die Definition in § 11 Abs. 2 Satz 5 BayZulV) ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Beschäftigte auf Anordnung des Dienstherrn außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Dienstherrn anzuzeigenden Stelle aufhalten muss, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (BayVGH, U.v. 6.5.2019 – 3 BV 17.252 – juris Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – BVerwGE 156, 262; Summer in Weiss/Niedermeier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand Januar 2024, Art. 74 BayBG Rn. 23, 24). Gemäß Art. 74 Abs. 3 BayBG kann, wenn besondere dienstliche Verhältnisse es dringend erfordern, der Beamte angewiesen werden, sich während der dienstfreien Zeit erreichbar in der Nähe des Dienstortes aufzuhalten. Die gesetzlich derart umschriebene Rufbereitschaft belässt dem Verpflichteten einen Freiraum, Privatinteressen nachzugehen (Summer in Weiss/Niedermeier/Summer/Zängl, a.a.O., Art. 74 BayBG Rn. 23, 24).
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Bereitschaftsdienst liegt hingegen vor, wenn sich der Beamte außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an seiner Dienststelle oder an einem anderen Ort außerhalb des Privatbereichs bereitzuhalten hat, um bei Bedarf jederzeit und unverzüglich Dienst zu leisten (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 2 B 8.21 – juris Rn. 10; B.v. 20.10.2020 – 2 B 36.20 – juris Rn. 17; U.v. 30.10.2018 – 2 A 4.17 – NVwZ-RR 2019, 329; U.v. 22.1.2009 – 2 C 90.07 – NVwZ-RR 2009, 525; BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 3 ZB 14.2462 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 9.9.2003 – Jaeger, C-151/02 – Slg. 2003, I-8415 Rn. 63, U.v. 21.2.2018 – Matzak, C-518/15 – NJW 2018, 1073 Rn. 59 und U.v. 9.9.2021 – Dopravní podnik hl. m. Prahy, C-107/19 – NJW 2021, 3173 Rn. 31). Dies formuliert auch Ziff. 61.2.1.2 BayVwVBes.
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Der vom Arbeitgeber bestimmte Ort, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung seines Arbeitgebers eine Tätigkeit auszuüben hat, gilt dabei als Arbeitsplatz, auch wenn es sich nicht um den Ort handelt, an dem er seine berufliche Tätigkeit gewöhnlich ausübt (EuGH, U.v. 9.9.2021 – Radiotelevizija Slovenija, C-344/19 – NZA 2021, 485 Rn. 34). Der Arbeitnehmer, der während einer solchen Bereitschaftszeit verpflichtet ist, zur sofortigen Verfügung seines Arbeitgebers an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, muss sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten und kann weniger frei über die Zeit verfügen, in der er nicht in Anspruch genommen wird. Folglich ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer während dessen tatsächlich erbringt, als „Arbeitszeit“ i.S.d. der RL 2003/88/EG einzustufen (EuGH, U.v. 9.9.2021 – Radiotelevizija Slovenija, C-344/19 – NZA 2021, 485 Rn. 35 und U.v. 15.7.2021 – Ministrstvo za obrambo, C-742/19 – Rn. 94; BVerwG, U.v. 29.4.2021 – 2 C 18.20 – NVwZ 2021, 1861 Rn. 30). Kann wegen des Fehlens einer Verpflichtung, am Arbeitsplatz zu bleiben, eine Bereitschaftszeit nicht automatisch als „Arbeitszeit“ i.S.d. RL 2003/88/EG eingestuft werden, haben die nationalen Gerichte noch zu prüfen, ob sich eine solche Einstufung nicht doch aus den Konsequenzen ergibt. Es ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob ein Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeiten so großen Einschränkungen unterworfen ist, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit, in der während der Bereitschaftszeiten seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, über wieviel Zeit der Arbeitnehmer während seines Bereitschaftsdienstes verfügt, um seine beruflichen Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Aufforderung durch seinen Arbeitgeber aufzunehmen, gegebenenfalls in Verbindung mit der durchschnittlichen Häufigkeit der Einsätze, zu denen der Arbeitnehmer während dieses Zeitraums tatsächlich herangezogen wird (EuGH, U.v. 9.9.21 – Radiotelevizija Slovenija, C-344/19 – NZA 2021, 485 Rn. 46 und 56; U.v. 9.9.2021 – Stadt Offenbach am Main, C-580/19 – NZA 2021, 489 Rn. 45 und 55; U.v. 11.11.2021 – Dublin City Council C-214/20 – NZA 2021, 1699 Rn. 40 und 42; U.v. 12.2.2018 – Matzak, C-518/15 – NJW 2018, 1073 Rn. 66: 8 Minuten genügen für die Annahme von Arbeitszeit; BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 2 B 8.21 – juris Rn. 12). Der Begriff der Arbeitszeit setzt nicht die persönliche Anwesenheit und die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz voraus; der Begriff der Arbeitszeit in Art. 2 der RL 2003/88/EG umfasst eine Situation, in der ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, die Zeit des Bereitschaftsdienstes zu Hause zu verbringen, für seinen Arbeitgeber verfügbar zu sein und sich innerhalb von wenigen Minuten an seinem Arbeitsplatz einfinden zu können (BVerwG, B.v. 20.10.2020 – 2 B 47.20 – juris Rn. 18). Des Weiteren sind die Konsequenzen zu berücksichtigen, die sich aus der Kürze der Frist, innerhalb derer der Arbeitnehmer im Einsatzfall die Arbeit aufzunehmen hat, für seine Möglichkeit ergeben, seine Zeit frei zu gestalten (BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 2 B 8.21 – juris Rn.13; EuGH, U.v. 12.2.2018 – Matzak, C-518/15 – a.a.O.). Bei den Einschränkungen im Zusammenhang mit dieser Reaktionsfrist ist u.a. von Bedeutung, dass der Arbeitnehmer in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, weil er wegen der möglichen Inanspruchnahme durch seinen Arbeitgeber zu Hause bleiben muss, oder dass er eine spezielle Ausrüstung mitführen muss, wenn er sich nach einem Anruf an seinem Arbeitsplatz einzufinden hat (EuGH, U.v. 9.9.2021 – Stadt Offenbach am Main, a.a.O.). Ferner ist zu berücksichtigen, dass ein Arbeitnehmer, der während einer Bereitschaftszeit im Durchschnitt zahlreiche Einsätze zu leisten hat, über einen geringeren Spielraum verfügt, um seine Zeit während der Perioden der Inaktivität frei zu gestalten, weil diese häufig unterbrochen werden (EuGH, U.v. 9.9.21 – Radiotelevizija Slovenija, a.a.O.).
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bb) Hieran gemessen ist der Jour-Dienst als Bereitschaftsdienst anzusehen. Auch wenn es seitens des Dienstherrn keine konkrete Verpflichtung gibt, wo der Jour-Staatsanwalt sich aufzuhalten hat, so muss er doch während des Jour-Diensts seine Erreichbarkeit sicherstellen (vgl. Ziffer 3 der Dienstanweisung). Gleichzeitig folgt aus der Ausgestaltung des Jour-Diensts und der Pflicht, unter gewissen Voraussetzungen unverzüglich vor Ort zu erscheinen, dass der Kläger nicht frei in der Wahl seines Aufenthaltsorts ist (für den Kriminaldauerdienst NdsOVG, U.v. 11.3.2020 – 5 LB 48/18 – juris Rn. 62; für den Einsatzleiter einer kommunalen Feuerwehr VGH BW, U.v. 26.6.2013 – 4 S 94/12 – juris Rn. 17). Er muss sich stets für die sich für die sofortige Übernahme eines Einsatzes bereithalten und wird ggf. von der Polizei sogar abgeholt und zum Einsatzort verbracht. In Anbetracht dessen spricht bereits Einiges dafür, dass sich der Jour-Staatsanwalt damit – den vom EuGH formulierten charakteristischen Merkmalen der Arbeitszeit entsprechend --„an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten [hat], um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können“. Denn der Ort der Dienstverrichtung im Fall eines außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit eingehenden Anrufs ist schließlich nicht das Gebäude der Staatsanwaltschaft, sondern der zumeist im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft ... gelegene Einsatzort oder der Ort, an dem der Staatsanwalt den Anruf entgegennimmt. Der Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft ... erstreckt sich im Übrigen nach Art. 4 des Bayerischen Gerichtsorganisationsgesetzes/BayGerOrgG auf die Amtsgerichtsbezirke A., A1., ..., L. und N. und weist somit eine große räumliche Ausdehnung auf. Durch den Faktor Zeit und die Notwendigkeit, auf Anrufe umgehend zu reagieren, wird die dem Beamten grundsätzlich zustehende Bestimmung des Aufenthaltsorts durch den Dienstherrn stark beschränkt. Mittelbar jedenfalls wird der Aufenthaltsort auch deshalb vorgeschrieben, weil für den Staatsanwalt die – zumeist nur abstrakte – Möglichkeit besteht, dass er vor Ort erscheinen muss.
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Während die Rufbereitschaft lediglich eine geringfügige Einschränkung der Bewegungs- und Betätigungsfreiheit während der Freizeit bedeutet, die von dem Beamten aufgrund des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses hinzunehmen ist (BVerwG, U.v. 12.12.1979 – 6 C 96.78 – BVerwGE 59, 176; BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 3 ZB 14.2464 – juris Rn. 13), kann von einer solch geringfügigen Einschränkung vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist während des Jour-Dienstes so großen Einschränkungen unterworfen ist, dass sie seine Freizeitgestaltung ganz erheblich beeinträchtigen. Ein Freiraum, Privatinteressen nachzugehen, besteht faktisch nicht. Denn der Jour-Dienst ist durch die unabdingbare ständige und sofortige Verfügbarkeit gekennzeichnet. Der Kläger muss bei Bedarf jederzeit und unverzüglich Dienst leisten, wodurch es nahezu unmöglich wird, Aktivitäten durchzuführen. Die Perioden der Inaktivität werden, wie vom Kläger dargelegt, häufig durch Anrufe unterbrochen.
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Aber auch unabhängig davon sind in der Gesamtschau mit den übrigen Restriktionen der Freizeitgestaltung während des Jour-Diensts die abgeleisteten Dienste bei Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls vorliegend als Bereitschaftsdienste zu qualifizieren. Vor diesem Hintergrund ist auch die weitere Ausgestaltung des Jour-Diensts in zeitlicher Hinsicht in den Blick zu nehmen und in die gebotene Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Insoweit ist der Dienst maßgeblich dadurch gekennzeichnet und bestimmt, dass der Jour-Staatsanwalt im Fall eines Anrufs den Einsatz sofort – d.h. innerhalb weniger Minuten – zu übernehmen und den Dienst aufzunehmen hat, ohne dass es darauf ankommt, ob der Beklagte hierfür eine exakte Minutenzahl vorgegeben oder gar ausdrücklich (schriftlich) angeordnet hat. Sobald das Dienst-Handy klingelt, beginnt die Dienstverrichtung des Jour-Staatsanwalts. Die Reaktionszeit ist demnach sehr kurz. Legt man den Maßstab des EuGH an, wonach bereits bei einer Reaktionszeit von acht Minuten Arbeitszeit angenommen wird (s.o.), so muss im Fall des Jour-Dienstes erst Recht von Arbeitszeit ausgegangen werden.
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Nicht nur die zeitlichen Vorgaben nehmen dem Kläger – auch wenn er sich zuhause aufhalten kann – die Möglichkeit, sich frei zu bewegen; ihm verbleibt nahezu kein Raum sich während des Jour-Diensts privaten Interessen und Hobbys oder familiären Angelegenheiten zu widmen. So wird er weitestgehend davon abgehalten, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen (so auch EuGH, U.v. 9.9.2021 – Stadt Offenbach am Main, C-580/19 – NZA 2021, 489 Rn. 47). Des Weiteren muss er den Koffer mit Kommentaren, Laptop, Ordner, LTE-Modul etc. bei sich führen und ist somit in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Kläger während des Jour-Diensts allein verantwortlich ist und zum Teil weitreichende Entscheidungen aufgrund seiner strafprozessualen Befugnisse zu treffen hat, die mit massiven Grundrechtseingriffen einhergehen können (Anordnung von Durchsuchungen, von Telekommunikationsüberwachung, Haftsache usw.). Damit kann es sich bei den zu bearbeitenden Fragestellungen mitunter um komplexe Bereiche handeln, die den Jour-Diensthabenden kognitiv stark fordern und sich somit auf die Gestaltung seiner Freizeit auswirken, weil Fragestellungen dieser Art nicht einfach „zwischen Tür und Angel“ zu beantworten sind.
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Hinzu kommt die Häufigkeit der dienstlichen Inanspruchnahme. Denn in der Zeit zwischen 16.15 Uhr und 8.00 bzw. 9.00 Uhr des Folgetags erreichen den Staatsanwalt durchschnittlich acht bis zehn Anrufe. Die hohe Frequenz der Anrufe stellt eine massive Einschränkung der Freizeitgestaltung dar, die dieser das Gepräge eines Bereithaltens für einen jederzeit möglichen Einsatz gibt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 22.01.2009 – 2 C 90.07 – juris; VGH BW, U.v. 26.6.2013 – 4 S 94/12 – juris Rn. 25), sodass sich diese Zeit bei wertender Betrachtung nicht mehr als Rufbereitschaft darstellt, die lediglich sporadisch von Einsätzen unterbrochen wird. Die Vielzahl der Anrufe auch zu Nachtstunden wirkt sich zudem auf die körperliche und geistige Fitness des Jour-Staatsanwalts aus, da er tagsüber seinen regulären Dienst zu leisten hat und ihm Erholungsphasen in der Woche des Jour-Diensts nicht eingeräumt werden. Dies wiederum schlägt auf die verbleibende Freizeit durch. Auch das Risiko, in einem Gebiet ohne Handynetz unterwegs und nicht erreichbar zu sein, reduziert die Möglichkeit zur Gestaltung der freien Zeit erheblich.
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d) Nach alledem ist der Jour-Dienst bei wertender Betrachtung als Bereitschaftsdienst und somit Arbeitszeit zu qualifizieren.
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e) Der Kläger kann die Zulagen für die Vergangenheit beantragen. Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung überhaupt – wie der Beklagte meint – auf vorliegende Konstellation Anwendung findet. Für die hier beantragte Gewährung von Zulagen als Teil der gesetzlich geregelten Besoldung ist schon zweifelhaft, ob dieser aus dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch resultierende Grundsatz überhaupt Anwendung findet. Allerdings hat der Kläger seine Ansprüche jeweils zeitnah geltend gemacht. Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, bedürfen einer vorherigen Geltendmachung. Für den Beamten folgt aus der beamtenrechtlichen Treuepflicht die Obliegenheit, seinen Dienstherrn mit einem auf eine solche Behauptung gestützten Anspruch alsbald zu konfrontieren, um ihm die Möglichkeit zu geben zu reagieren (BVerwG, U.v. 17.2.2022 – 2 C 5.21 – NVwZ 2023, 612; siehe auch VG Augsburg, U.v. 29.2.2024 – Au 2 K 21.1565). An die Geltendmachung eines solchen Anspruchs sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen; dafür genügt es, dass der Beamte zum Ausdruck bringt, sich mit der Höhe seiner Besoldung nicht zufrieden zu geben (BVerwG, U.v. 21.2.2019 – 2 C 50.16 – NVwZ 2019, 1217). Dies hat der Kläger erstmals mit der Einlegung seines Widerspruchs am 20. Januar 2022 für die im Jahr 2021 geleisteten Jour-Dienste getan und im weiteren Verlauf wieder. Im Übrigen betrifft die vom Beklagten ins Feld geführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Freiburg (VG Freiburg, U.v. 10.11.2020 – 3 K 599/19 – juris) die Vergütung geleisteter Mehrarbeit, die vorliegend nicht streitgegenständlich ist.
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f) Der Klage war daher stattzugeben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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4. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).