Titel:
Wohnraummiete: Kündigung wegen Hinderung an angemessener wirtschaftlicher Verwertung - Interessenabwägung im Einzelfall bei beabsichtigter Veräußerung
Normenkette:
BGB § 546 Abs. 1, § 568 Abs. 1, § 573 Abs. 2 Nr. 3, § 573c Abs. 1
Leitsätze:
2. Bei der Ermittlung eines erheblichen Nachteils des Vermieters (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) ist von den objektiven Gegebenheiten auszugehen und bei einer beabsichtigten Veräußerung zu prüfen, wie hoch prozentual der Mindererlös des Vermieters in vermietetem Zustand ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Mindererlös von 26,77% bei der Veräußerung einer Immobilie infolge ihrer Vermietung kann einen erheblichen Nachteil bilden, der den Vermieter an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung hindert, und ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses begründen (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dies gilt regelmäßig unabhängig von den Vermögensverhältnisse des Vermieters, da der Nachteil – bezogen auf das konkrete Objekt – für den vermögenden Vermieter nicht geringer ist, als für den wirtschaftlich schwächeren Vermieter. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwertungskündigung, Interessenabwägung, objektive Beurteilung, Einzelfall, beabsichtigte Veräußerung, Mindererlös, prozentuale Bemessung, erheblicher Nachteil des Vermieters, Vermögensverhältnisse des Vermieters, konkretes Objekt
Fundstellen:
GE 2024, 697
LSK 2024, 10181
BeckRS 2024, 10181
ZMR 2024, 671
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe eines Einfamilienhauses.
2
Mit schriftlichem Mietvertrag vom 18.12.2007 mieteten die Beklagten von dem Kläger die streitgegenständliche Immobilie mit Mietbeginn am 15.03.2008 an. Die aktuelle Nettomiete beträgt monatlich 2.110,97 Euro. Wegen der weiteren Einzelheiten des Mietvertrages wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.
3
Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.02.2022 erklärte der Kläger die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.11.2022 wegen wirtschaftlicher Verwertung. Wegen der weiteren Einzelheiten und des genauen Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
4
Der Kläger behauptet, dass er durch das bestehende Mietverhältnis an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Immobilie gehindert sei. Im Falle der Veräußerung der streitgegenständlichen Immobilie sei in vermietetem Zustand ein Verkaufspreis von maximal 1,3 Millionen Euro und in unvermietetem Zustand ein Verkaufspreis von 1,75 Millionen Euro erzielbar. Dies bedeute, dass der Kläger im Falle der Veräußerung der streitgegenständlichen Immobilie bei Fortbestehen des Mietverhältnisses mit den Beklagten einen Mindererlös in Höhe von 25,71% im Verhältnis zum zu erwartenden Erlös bei Veräußerung nach beendetem Mietverhältnis hinnehmen müsse. Ferner behauptet der Kläger, dass im Falle einer baurechtlich genehmigten Errichtung eines weiteren Einfamilienhauses auf dem mitvermieteten rückwärtigen Grundstücksbereich ein Gewinn in Höhe von 400.000,00 Euro entstehe und damit die Verlustquote insgesamt 48,57% betrage. Der Kläger habe bereits intensive Verkaufsbemühungen unternommen. Er sei finanziell auch auf die möglichen Erlöse durch den Verkauf des Mietobjekts in unvermietetem Zustand und die gleichzeitige Realisierung des Bauvorhabens für den Ankauf einer Immobilie im Ausland zur Verwirklichung eines Lebenstraumes angewiesen.
5
Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Beklagten werden verurteilt, das Einfamilienhaus L.-straße 9, 8… K2., bestehend aus 5 Zimmern, 1 Küche, 2 WC, 2 Bad/WC, nebst Kellerraum und Speicher, sowie nebst Doppelgarage (2 Garagen) sowie eine freistehende Garage mit angebautem Nebengebäude (Abstellraum) zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.
6
Die Beklagten beantragen
kostenpflichtige Klageabweisung, vorsorglich die Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist.
7
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klage bereits wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzuweisen sei. Es handele sich um eine unzulässige Alternativkündigung, da der Kläger im Rahmen eines früheren Rechtsstreits mit Schriftsatz vom 27.12.2019 eine Eigenbedarfskündigung für seine Tochter ausgesprochen habe, wobei er bisher nicht erklärt habe, dass er aus dieser Kündigung keine weiteren Rechte herleite. Vorsorglich bestreiten die Beklagten, dass der Kläger durch das bestehende Mietverhältnis an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Immobilie gehindert sei. Die Beklagten bemühen sich im Rahmen des ihnen Obliegenden redlich um Ersatzwohnraum.
8
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen H. U1. vom 17.11.2023, das in der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2024 mündlich erläutert wurde.
9
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2022 und vom 20.03.2024.
Entscheidungsgründe
10
Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet.
11
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Gericht gemäß § 23 Nr. 2a GVG, § 29a Abs. 1 ZPO örtlich und sachlich zuständig, da Gegenstand des Verfahrens Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum sind, der im Bezirk des Amtsgerichts Dachau liegt. Insoweit besteht jedenfalls nunmehr auch ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, da die Beklagten das streitgegenständliche Mietobjekt zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2022 nicht geräumt haben.
12
1. Der Kläger hat vorliegend gegen die Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Mietobjekts aus § 546 Abs. 1 BGB, da das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Klägers vom 24.02.2022 unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist gemäß § 573c Abs. 1 BGB zum 30.11.2022 wirksam beendet worden ist.
13
a) Die Kündigung ist formgerecht gemäß § 568 Abs. 1 BGB erklärt worden. Insoweit handelt es sich auch nicht um eine unwirksame Alternativkündigung, da sich aus dem Kündigungsschreiben vom 24.02.2022 eindeutig ergibt, dass diese Kündigung allein auf eine wirtschaftliche Verwertung der Immobilie gestützt werden soll. Damit hat der Kläger auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die streitgegenständliche Kündigung nicht auf einen Eigenbedarf gestützt werden soll (vgl. auch Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 16. Auflage 2024, BGB § 573 Rn. 87).
14
b) Die Voraussetzungen eines Kündigungsgrundes nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind vorliegend ebenfalls erfüllt, da der Kläger zur Überzeugung des Gerichts durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Der Bestand des Mietverhältnisses mit den Beklagten hindert insoweit die klägerseits schlüssig dargelegte Verwertung durch die geplante Veräußerung der streitgegenständlichen Immobilie.
15
Bei einem Verkauf verhindert das Mietverhältnis die Verwertung dann, wenn infolge der Vermietung ein Verkauf zu wirtschaftlich angemessenen Bedingungen nicht möglich ist, oder sich kein Interessent für die vermietete Wohnung findet. Durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses muss der Vermieter selbst erhebliche Nachteile erleiden. Dabei ist allerdings nicht allein die Sicht des Vermieters relevant, sondern es sind die für den konkreten Vermieter entstehenden Nachteile im Lichte der Sozialpflichtigkeit des Eigentums abzuwägen. Es genügt einerseits nicht „irgendein“ Nachteil des Vermieters, während andererseits auch nicht erforderlich ist, dass der Nachteil so gravierend ist, dass der Vermieter in seiner Existenz gefährdet ist. Letztlich dürfen die Einbußen keinen Umfang annehmen, der die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter durch den Verlust der Wohnung entstehen.
16
Zur Ermittlung der Nachteile des Vermieters ist von den objektiven Gegebenheiten auszugehen. In der überwiegenden Rechtsprechung wird dabei geprüft, wie hoch prozentual der Nachteil des Vermieters in vermietetem Zustand ist.
17
Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen H. U2., denen sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt, beträgt der Verkehrswert der streitgegenständlichen Immobilie ohne weitere Bebauung im frei verfügbaren Zustand 1.614.000 Euro und in vermietetem Zustand 1.182.000 Euro. Insoweit ist als Wertermittlungsstichtag der Bewertung der Ablauf der Kündigungsfrist zum 30.11.2022 zugrunde zu legen, da die Verwertungskündigung ein zukunftsbezogener Tatbestand ist, so dass die Kündigungsvoraussetzungen nicht nur zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen müssen, sondern auch bei Ende des Mietverhältnisses noch vorhanden sein müssen (vgl. auch BeckOGK/Geib, Stand: 01.04.2024, BGB § 573 Rn. 111).
18
Dabei hat die Sachverständige H. U1. im Rahmen der mündlichen Erläuterung ihres schriftlichen Sachverständigengutachtens auch überzeugend ausgeführt, dass der Verkehrswert des vermieteten Grundstücks nach dem Ertragswertverfahren zu bestimmen ist, wobei der rückwärtige Grundstücksteil als Gartenland berücksichtigt wird, da dieser im Falle einer Vermietung auch nicht anders nutzbar ist. Im Falle eines frei verfügbaren Grundstücks ist der Verkehrswert dagegen nach dem Sachwertverfahren zu bestimmen, wobei insoweit der rückwärtige Grundstücksteil als Bauland zu bewerten ist, da ein Käufer im frei verfügbaren Zustand das Grundstück auch entsprechend nutzen kann.
19
Der von der Sachverständigen ermittelte Mindererlös von 432.000,00 Euro, mithin ca. 26,77%, ist auch als erheblich anzusehen, da die Erheblichkeitsgrenze, bei der von einem wesentlichen Nachteil im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB gesprochen werden kann, bei einem Mindererlös von 15% bis 20% anzusetzen ist (vgl. auch BeckOGK/Geib, Stand: 01.04.2024, BGB § 573 Rn. 119). Dabei ist regelmäßig auch nicht auf die Vermögensverhältnisse des Vermieters abzustellen, da der Nachteil – bezogen auf das konkrete Objekt – für den vermögenden Vermieter nicht geringer ist, als für den wirtschaftlich schwächeren Vermieter (vgl. auch BeckOGK/Geib, Stand: 01.04.2024, BGB § 573 Rn. 121).
20
Unter diesen Umständen kommt es vorliegend nicht auf die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers an, zumal dieser den Wunsch zur Veräußerung der streitgegenständlichen Immobilie hinreichend substantiiert dargelegt hat. Insoweit kann vorliegend auch dahinstehen, ob im Falle einer Errichtung eines weiteren Einfamilienhauses auf dem streitgegenständlichen Grundstück ein weiterer Mindererlös eintreten würde.
21
c) Die Beklagten haben vorliegend keinen Widerspruch gegen die Kündigung des Mietverhältnisses erklärt und auch nicht näher dargelegt, dass die Kündigung für sie eine Härte im Sinne von § 574 BGB bedeutet, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Klägers nicht zu rechtfertigen ist. Insoweit haben die Beklagten auch nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, dass sie alle ihnen persönlich und wirtschaftlich zumutbaren Schritte unternommen haben, um einen angemessenen Ersatzwohnraum zu beschaffen. Nach alledem ist die Räumungsklage begründet.
22
2. Den Beklagten ist allerdings gemäß § 721 ZPO eine Räumungsfrist bis zum 30.09.2024 zu gewähren. Im Hinblick auf die Räumungsfrist sind die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis bereits längere Zeit besteht und den Beklagten insoweit angemessene Zeit einzuräumen ist, eine vergleichbare angemessene Ersatzwohnung zu suchen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Kündigung mittlerweile bereits längere Zeit zurückliegt. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls hält das Gericht daher eine Räumungsfrist bis zum 30.09.2024 für erforderlich, aber auch ausreichend.
23
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.