Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 20.03.2024 – 21 U 3623/23 e
Titel:

Kein Schadensersatz - auch kein Differenzschaden - in Diesel-Fall

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist nur dann indiziert, wenn eine im Fahrzeug des Käufers verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Reststreckenreichweitenerkennung führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern tritt nur dann in Funktion, wenn der AdBlue-Stand niedrig ist und der Fahrer hochdynamisch fährt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durch das Software-Update wurde die Gefahr von Betriebsbeschränkungen wegen der ursprünglich implementierten Reststreckenreichweitenfunktion auf Null reduziert, was einen Anspruch auf Differenzschaden insoweit in Wegfall geraten lässt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Teilt der Käufer trotz ausdrücklicher Aufforderung den aktuellen Kilometerstand nicht mit, kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein ursprünglich entstandener Schaden inzwischen vollständig kompensiert ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, CRT Motor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Restreichweitenregelung, Software-Update, Differenzschaden, Nutzungsvorteil, aktueller Kilometerstand
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 17.08.2023 – 21 O 1187/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 06.05.2024 – 21 U 3623/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 10138

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.08.2023, Az. 21 O 1187/21 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
2
Der Kläger erwarb am 05.04.2019 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten privaten Verkäufer einen gebrauchten …, der mit einem von der Beklagten hergestellten … Dieselmotor ausgestattet ist. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Leistung des Motors beträgt 200 kW.
3
Das Fahrzeug wurde am 10.03.2016 erstmalig zugelassen und hatte bei Erwerb durch den Kläger einen Kilometerstand von 21.290 km. Der Motorkennbuchstabe des Fahrzeugs lautet CRT, vgl. Zulassungsbescheinigung Teil II, Anlage K 1 f. Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung, die temperaturabhängig gesteuert wird. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Daneben kommt eine Abgasnachbehandlung in Form der Selective Catalytic Reduction (SCR) in dem Fahrzeug zum Einsatz, wozu das Additive AdBlue benötigt wird.
4
Das Fahrzeug ist betroffen von einem verbindlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), mit dem die sog. Restreichweitenfunktion beanstandet wird, vgl. Anlage K 6, erster Bescheid. Wegen dieser Beanstandung entwickelte die Beklagte ein Software-Update, welches vom KBA genehmigt und am 12.11.2018 freigegeben worden ist. Das Update wurde am 10.04.2019 auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt.
5
Neben der sog. Restreichweitenfunktion behauptete der Kläger erstinstanzlich weitere unzulässige Abschalteinrichtungen, nämlich eine sog. Aufheizstrategie sowie ein unzulässiges Thermofenster.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.
7
Das Landgericht Ingolstadt hat mit Urteil vom 17.08.2023 das Versäumnisurteil gegen den Kläger vom 14.06.2022 aufrechterhalten und die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Regelungen der EG-FGV sowie aus § 826 BGB nicht vorlägen.
8
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der vorträgt, dass das Landgericht aufgrund unrichtiger Feststellungen zu Unrecht die Klage abgewiesen habe. Über die bereits erstinstanzlich vorgetragenen unzulässigen Abschalteinrichtungen behauptet der Kläger weiter, dass das Fahrzeug auch über eine Lenkradeinschlagsmessungs-Abschalteinrichtung, eine Radio-Multimedia-Einheitbetriebsmessungs-Abschalteinrichtung, eine Achsrotationsmessungs-Abschalteinrichtung, eine Drehzahlmessungs-Abschalteinrichtung und eine Online-Speicher-Modus-Umschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware verfüge. Das Vorhandensein der Abschalteinrichtungen ergebe sich auch aus den sog. Bosch-Unterlagen. Ein Sachverständiger könne ermitteln, ob die vorgetragenen Abschalteinrichtungen in die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware implementiert worden seien. … als Vorstandsvorsitzender der Beklagten habe die Implementierung der aufgezählten unzulässigen Abschalteinrichtungen gewollt und entschieden, hilfsweise genehmigt. Er habe bei der Entwicklung und der Verwendung die positive Kenntnis gehabt, dass die Abschalteinrichtungen nicht notwendig seien, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und auch nicht notwendig, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Einen Restwert müsse sich der Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs nicht schadensmindernd anrechnen lassen. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen der Klagepartei wird auf die Berufungsbegründung, Schriftsatz vom 23.10.2023, Bl. 6 ff. d.A. OLG, sowie den weiteren Schriftsatz vom 14.03.2024, Bl. 182 ff. d.A. OLG, Bezug genommen.
9
Die Klagepartei kündigt an, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen,
das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.08.2023 – 21 O 1187/21 Die – abzuändern und das Versäumnisurteil aufzuheben sowie
1.a) die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klagepartei 32.798,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den Betrag in Höhe von 32.798,94 EUR seit Rechtshängigkeit und auf weitere 3.386,93 EUR zwischen Rechtshängigkeit und dem 12.06.2023 zu zahlen Zug-um-Zug gegen [hilfsweise: nach] Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst Fahrzeugschlüssel;
b) hilfsweise bezogen auf den Antrag zu 1. a) für den Fall der Unbegründetheit des Antrags auf den sogenannten großen Schadensersatz gemäß Antrag zu 1. a) : die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 28.198,94 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
c) hilfsweise bezogen auf die Anträge zu 1. a) und 1. b) für den Fall der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Antrags zu 1. b): die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klagepartei 6.900,00 EUR [15% bezogen auf den gezahlten Kaufpreis] nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
d) hilfsweise bezogen auf die Anträge zu 1. a) und 1. c) für den Fall, dass das Gericht entscheidet, dass ein ersatzfähiger Schaden dergestalt, dass die Klagepartei den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat, nicht gegeben ist: die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klagepartei 32.798,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den Betrag in Höhe von 32.798,94 EUR seit Rechtshängigkeit und auf weitere 3.386,93 EUR zwischen Rechtshängigkeit und dem 12.06.2023 zu zahlen Zug-um-Zug gegen [hilfsweise: nach] Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst Fahrzeugschlüssel;
2. festzustellen, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des unter 1. a) und d) genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagtenpartei zu verurteilen, die Klagepartei von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.877,11 EUR freizustellen;
4.a) festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der der Klagepartei wegen der in den Rechner zur Motorsteuerung des von ihr erworbenen Fahrzeugs … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … integrierten oder auf ihn einwirkenden Softwarefunktionen, die die Temperatur und weitere Parameter ermitteln, um die Öffnung des Abgasrückführungsventils zu verringern, wodurch die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird,
noch entstehen wird;
b) hilfsweise bezogen auf den Antrag zu 4.a) für den Fall der Unbegründetheit dieses Antrags: festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der der Klagepartei
wegen der in den Rechner zur Motorsteuerung des von ihr erworbenen Fahrzeugs … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … integrierten oder auf ihn einwirkenden Softwarefunktionen, die die Temperatur und weitere Parameter ermitteln, um die Öffnung des Abgasrückführungsventils zu verringern, wodurch die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, nämlich Umgebungstemperaturen zwischen -15 °C und +40 °C, verringert wird,
noch entstehen wird.
10
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
11
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und führt aus, dass das Landgericht weder Verfahrensrecht noch materielles Recht verletzt habe. Das Fahrzeug unterliege zwar einer verbindlichen Anordnung des KBA zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware, daraus folge aber keine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz. Die Beklagte habe insbesondere nicht sittenwidrig gehandelt, so dass ein Anspruch nach § 826 BGB ausscheide. Der Klagepartei stünde aber auch kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil ein etwaiger Schaden aufgezehrt sei. Ein unterstellter Schaden sei schon deshalb ausgeglichen, weil die Klagepartei die aktuelle Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeug nicht angegeben habe. Insoweit sei nicht auszuschließen, dass ein ursprünglich entstandener Schaden inzwischen vollständig kompensiert sei. Selbst bei Hochrechnung des Kilometerstandes überstiegen die vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs den ursprünglichen Kaufpreis. Im Übrigen sei ein etwaiger Schaden auch durch das auf das Fahrzeug aufgespielte Software-Update entfallen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf die Berufungserwiderung, Schriftsatz vom 21.12.2023, Bl. 78 ff. d.A. OLG.
II.
12
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.08.2023 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist.
13
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Im Ergebnis teilt der Senat die vollumfängliche Klageabweisung durch das Landgericht.
14
1. Der auf §§ 826, 31 BGB gestützte Antrag der Klagepartei auf Rückabwicklung des Vertrages ist unbegründet. Ausreichende Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung oder ein ansonsten sittenwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen und einen Schädigungsvorsatz – bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug – sind weder ausreichend dargelegt noch ersichtlich.
15
Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist nur dann indiziert, wenn eine im Fahrzeug des Käufers verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert (vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2023 – VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN; Urteil vom 11.12.2023 – VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der besonderen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann, vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2024 – VIa ZR 578/21, Rn. 9.
16
a) Zwar ist das streitgegenständliche Fahrzeug vorliegend auch nach dem Beklagtenvortrag von einem verbindlichen Rückruf wegen der sog. Restreichweitenfunktion betroffen, dies rechtfertigt aber keine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB.
17
Der Rückruf bezog sich nach dem Vortrag der Beklagten, dem der Kläger nicht konkret entgegengetreten ist, auf die Arbeitsweise des SCR-Katalysators und die sog.
18
Restreichweitenerkennung, vgl. Anlage K 6, erster Bescheid. Die Verringerung der Einspritzung der Harnstofflösung AdBlue beim Erreichen eines geringen Füllstandes mag eine unzulässige Abschalteinrichtung sein, weil die Wirksamkeit des Emissionssystems ab diesem Zeitpunkt durch eine verminderte Katalysatorfunktion verändert wird. Darauf gestützt kann der Kläger jedoch von der Beklagten nicht die geltend gemachte Rückabwicklung des Vertrages verlangen. Denn diese Programmierung funktioniert auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Auch ist der Einsatz einer Reduzierung der AdBlue-Einspritzung bei geringem AdBlue-Füllstand und bei hochdynamischer Fahrwiese nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Diese Abschalteinrichtung führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern tritt nur dann in Funktion, wenn der AdBlue-Stand niedrig ist und der Fahrer hochdynamisch fährt. Zudem führt die Beklagte, vom Kläger nicht bestritten, einen sachlichen Grund für die Funktion an, der darin liegt, zu verhindern, dass der Motor in Ausnahmefällen bereits vor Ablauf von 2.400 km nicht mehr funktioniert. Ein sittenwidriges Handeln der Beklagten ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
19
b) Das unstreitig im Fahrzeug zum Einsatz kommende Thermofenster ist für sich besehen ebenfalls nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Anders als im Fall einer Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik, wie sie beim Motortyp EA 189 verwendet wurde, unterscheidet die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung auch nach dem Klagevortrag nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen grundsätzlich in gleicher Weise, und ist damit per se nicht auf eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ausgerichtet. Besondere Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, zeigt die Klagepartei nicht auf. Ein möglicher Gesetzesverstoß begründet nicht automatisch die Qualifizierung eines Verhaltens als besonders verwerflich. Erforderlich wäre das Hinzutreten weiterer Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt, vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 15.02.2024 – VII ZR 905/21. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klagepartei hätte zu dem entsprechenden Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung, spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses vortragen müssen, vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2023 – VI ZR 433/19, Rn. 19, BGH, Beschluss vom 21.03.2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 19, was jedoch nicht erfolgt ist.
20
Der BGH hat daher zuletzt wiederholt entschieden, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB im Hinblick auf das Thermofenster ohne revisionsrechtliche Bedenken verneint werden kann, vgl. u.a. BGH, Urteil vom 16.01.2024 – VIa ZR 896/22 oder auch BGH, Urteil vom 13.02.2024 – VIa ZR 219/22.
21
c) Erstinstanzlich hat die Klagepartei weiter unter Vorlage entsprechender Bescheide, Anlagen K 6, K 6 a, K 6 b, K 6 c, K 6 d und K 6 e, behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug auch über die sog. Strategien „A bis C“ verfüge. Die Beklage hat jedoch das Vorhandensein dieser Strategien substantiiert bestritten und die Klagepartei nicht vorgetragen, weshalb die vorgelegten KBA-Bescheide das streitgegenständliche Fahrzeug betreffen sollen. Den hier unstreitig vorliegenden Motorkennbuchstaben CRT betrifft nur der mit Anlage K 6 vorgelegte erste Bescheid des KBA. Die weiteren Bescheide betreffen Bi -Turbo Fahrzeuge oder sog. Euro 6 – Vorerfüller. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterfällt jedoch diesen Kategorien nicht. Auch die mit Anlagen K 6 a bis e vorgelegten KBA-Bescheide beziehen sich auf andere Fahrzeugtypen bzw. -varianten.
22
d) Soweit die Klagepartei in der Berufung und dem weiteren Schriftsatz vom 14.03.2024 weitere unzulässige Abschalteinrichtungen (Lenkradeinschlagsmessungs-Abschalteinrichtung, Radio-Multimedia-Einheitsbetriebsmessungs-Abschalteinrichtung, Achsrotationsmessungs-Abschalteinrichtung, Drehzahlmessungs-Abschalteinrichtung, Online-Speicher-Modus-Umschalteinrichtung) behauptet, ist dieses Vorbringen verspätet, weil nicht erklärt wird, warum der Vortrag erst in der Berufung erfolgt, § 531 Abs. 2, § 530 ZPO. Im Übrigen fehlt aber auch ein Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug. An keiner Stelle des klägerischen Vortrags wird erläutert, wie der Kläger zu der Annahme kommt, dass sich die behaupteten Abschalteinrichtungen in dem von ihm erworbenen Fahrzeug befinden. Vielmehr beantragt die Klagepartei die Beauftragung des Sachverständigenbüros Hantschel, damit dieser ermitteln könne, ob die vorgetragenen Abschalteinrichtungen in der streitgegenständlichen Motorsteruungssoftware implementiert worden sind. Ein solcher Ausforschungsbeweis braucht jedoch nicht erhoben zu werden.
23
2. Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf Ersatz des sog. Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
24
a) Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1119/22, dem folgend auch BGH, Urteile vom 20.07.2023 – III ZR 267720, III ZR 303/20) steht dem Käufer eines Dieselfahrzeugs, welches über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, gegenüber dem Fahrzeughersteller zwar grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch zu, weil der Hersteller eines Fahrzeugs mit der Übereinstimmungsbescheinigung nicht nur bescheinigt, dass das erworbene Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht, sondern auch bestätigt, dass das typgenehmigte Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung im Einklang mit allen maßgeblichen Rechtsakten des europäischen Abgasrechts steht (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21). Hierdurch entsteht zwischen dem Käufer und dem Hersteller eine unmittelbare Verbindung, die das individuelle Interesse eines Käufers schützt, dass der Hersteller die maßgeblichen Vorschriften einhält. Im vorliegenden Fall steht dem Kläger aber kein Schadensersatzanspruch zu, weil ein solcher aufgezehrt bzw. auf Null gemindert wäre.
25
b) Zwar kommt es primär auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, dies schließt aber eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Wege der Vorteilsausgleichung nicht aus, vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 80. Bezüglich der sog. Reststreckenreichweitenfunktion, die vom KBA beanstandet worden ist, ist daher das unstreitig auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielte Software-Update zu berücksichtigen. Hierdurch wurde die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert. In dem Freigabebescheid des KBA vom 12.11.2018, Anlage BE 7, wird ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung mehr festgestellt werden konnte. Anhaltspunkte dafür, dass die Einschätzung des KBA insoweit unrichtig sein könnte, hat die Klagepartei nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Durch das Software-Update wurde daher nach Überzeugung des Senats die Gefahr von Betriebsbeschränkungen wegen der ursprünglich implementierten Reststreckenreichweitenfunktion auf Null reduziert.
26
c) Ein Differenzschadensersatzanspruch könnte allenfalls wegen der von der Beklagten in der Berufungserwiderung offengelegten Bedatung des Thermofensters, das innerhalb eines Temperaturfensters zwischen +5 °C und ca. +35 °C keine aktive Veränderung der AGR-Rate vornimmt, in Betracht kommen, weil damit ein uneingeschränktes Funktionieren der Abgasrückführung unter „normalen Betriebsbedingungen“, die auch Minusgrade umfassen dürften, nicht gewährleistet sein dürfte. Ausgeschlossen wäre der Anspruch aber, wenn die temperaturabhängige Anpassung der Abgasrückführung erforderlich wäre, um plötzliche und außergewöhnliche Schäden des Motors zu vermeiden und den sicheren Fahrzeugbetrieb zu gewährleisten, was zwischen den Parteien streitig ist. Letztlich können diese Frage offenbleiben bzw. zugunsten der Klagepartei unterstellt werden, dass das Fahrzeug in Gestalt des Thermofensters über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt.
27
Ein Schadensersatzanspruch zugunsten der Klagepartei kommt nämlich deshalb nicht in Betracht, weil nicht auszuschließen ist, dass die vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs den ursprünglich gezahlten Kaufpreis übersteigen, vgl. BGH, aaO, Rn. 80. Den Restwert des Fahrzeugs hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte unter Vorlage einer DAT-Abfrage, Anlage BE 4, mit 23.537,00 € angesetzt. Dem ist die Klagepartei nicht entgegengetreten. Soweit die Klagepartei allein einwendet, dass ein Restwert des Fahrzeugs überhaupt nicht anzusetzen sei, steht dies im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BGH, vgl. Urteil vom 27.11.2023 – VIa ZR 159/22, die vom Senat geteilt wird.
28
Die vom Kläger tatsächlich mit dem Fahrzeug gezogenen Nutzungen in Form der gefahrenen Kilometer können nicht berechnet werden, weil der Kläger trotz ausdrücklicher Aufforderung durch den Senat mit Verfügung vom 22.12.2023, Bl. 173 d.A. OLG, den aktuellen Kilometerstand nicht mitgeteilt hat, obwohl ihm diesbezüglich eine sekundäre Darlegungslast obliegt. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein ursprünglich entstandener Schaden inzwischen vollständig kompensiert ist. Eine Hochrechnung des Fahrverhaltens kommt nicht in Betracht, da der Schluss, dass die Fahrzeugnutzung immer gleichbleibend ist/war, nicht zwingend ist.
29
Letztlich ist die Klagepartei aber auch der Berechnung durch die Beklagte nicht entgegengetreten, wonach die gezogenen Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs den ursprünglichen Kaufpreis übersteigen, so dass dieser Vortrag als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO.
30
3. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen sind auch alle weiteren, hier nicht explizit abgehandelten Anträge der Klagepartei offensichtlich unbegründet.
III.
31
Der Senat empfiehlt der Klagepartei daher, die offensichtlich aussichtslose Berufung zurückzunehmen. Auf die in Betracht kommende Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird hingewiesen.