Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 06.03.2024 – 202 ObOWi 168/24
Titel:

Bußgeldbemessung unter Berücksichtigung des durch die Tat gezogenen wirtschaftlichen Vorteils

Normenketten:
OWiG § 17, § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1
StPO § 267 Abs. 1 S. 3, § 337, § 344 Abs. 2 S. 2, § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 4
StVG § 24 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5
StVZO § 31 Abs. 2 Alt. 2, § 69a Abs. 5 Nr. 3
BKatV § 3 Abs. 4a
Leitsätze:
1. Es ist weder mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz noch sonst geboten, dass der Tatrichter von Sachverhaltsvarianten ausgeht, für die es weder nach der Einlassung des Betroffenen noch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konkrete Anhaltspunkte gibt (vgl. BGH BeckRS 2024, 419). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist mit § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG unvereinbar, zunächst eine für angemessen erachtete Geldbuße festzusetzen und sodann in einem zweiten Schritt den ermittelten wirtschaftlichen Vorteil hinzuzuaddieren (vgl. BayObLG BeckRS 1995, 2662). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils, den ein Unternehmer aus einer Ordnungswidrigkeit gezogen hat, ist nicht auf die erzielten Einnahmen, sondern auf den Gewinn abzustellen (vgl. BGH BeckRS 2022, 13180). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bußgeldverfahren, Bußgeld, Geldbuße, Regelgeldbuße, Bußgeldbemessung, Bußgeldrahmen, Bußgeldherabsetzung, Bußgeldermäßigung, Vorteil, Vorteilserzielung, wirtschaftlich, Untergrenze, Höchstmaß, Überschreitung, Einnahmen, Gewinn, Reingewinn, Nettoprinzip, Schätzung, Abschöpfung, Aufwendungen, Erwerbsvorgang, Richtsatzsammlung, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, Lastkraftwagen, Lkw, Anhänger, Fahrzeugkombination, Fahrzeuggespann, Transport, Transportfahrt, Fahrzeugkontrolle, Ladung, Überladung, Schuldform, Vorsatz, bedingte, Tonnage, Übertonnage, Reifen, Bereifung, Reifenschaden, Gewicht, Gesamtgewicht, Achslast, Verkehrssicherheit, Halter, Haltereigenschaft, Betriebsinhaber, Anordnung, Auftrag, Disponent, Inbetriebnahme, Zulassen, Unterlassungsdelikt, Überwachungsaufgaben, Delegation, Rechtsbeschwerde, Sachrüge, Verfahrensrüge, Schuldspruch, Rechtsfolgenausspruch, Urteilsgründe, Gesamtzusammenhang, Bezugnahme, Beweiswürdigung, Indizienlage, Schlussfolgerung, Zweifel, Zweifelsgrundsatz, Vorahndung, Rückfallgeschwindigkeit, Beruhen
Fundstellen:
TranspR 2024, 382
ZfS 2024, 646
BeckRS 2024, 10094
LSK 2024, 10094
NZWiSt 2024, 487

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 05.09.2023 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Geldbuße auf 1.900 Euro herabgesetzt wird.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird um 1/5 ermäßigt. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Auslagen und die dem Betroffenen insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden in Höhe von jeweils 1/5 der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Anordnens der am 25.07.2022 stattgefundenen Inbetriebnahme eines Lastkraftwagens mit Anhänger unter Überschreitung der zulässigen Achslast (an der jeweils zweiten Achse des Lkws und des Anhängers), des Gesamtgewichts der Fahrzeugkombination und, obwohl der Anhänger infolge eines nicht vorschriftsmäßigen Zustands der Bereifung in seiner Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war, zu einer Geldbuße in Höhe von 2.450 Euro verurteilt. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen das amtsgerichtliche Urteil; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil – abgesehen von den Feststellungen zu der Überladung, den Reifenschäden, der Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und der Haltereigenschaft des Betroffenen – wegen lückenhafter Feststellungen und fehlerhafter Beweiswürdigung aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde erzielt den aus dem Entscheidungstenor ersichtlichen Teilerfolg hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet.
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1. Die erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
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2. Das Rechtsmittel hat auch mit der Sachrüge zum Schuldspruch keinen Erfolg.
5
a) Das Ersturteil weist keine Darstellungsmängel zum Schuldspruch auf. Vielmehr wird dieser von den tatsächlichen Feststellungen getragen. Hiernach hat der Betroffene in seiner Eigenschaft als Halter des Lastkraftwagens mit Anhänger, deren Reifen die im Urteil näher beschriebenen gravierenden Mängel aufwiesen, die konkrete Fahrt, bei der es zur Überschreitung der zulässigen Achslasten und des zulässigen Gesamtgewichts kam, angeordnet, wobei er sowohl die Reifenmängel als auch die Überladung zumindest billigend in Kauf genommen hat. Damit ist der Tatbestand des § 31 Abs. 2 Alt. 2 i.V.m. § 69a Abs. 5 Nr. 3 StVZO erfüllt.
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b) Die Beweiswürdigung hält im Ergebnis ebenfalls der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.
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aa) Die Reifenmängel und die Überladung sind im gebotenen Maße beweiswürdigend belegt. Gleiches gilt für die Haltereigenschaft, die der Betroffene durch seinen Verteidiger einräumen ließ.
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bb) Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsschrift vom 05.02.2024 beanstandet, die Beweiswürdigung zur Anordnung der Fahrt durch den Betroffenen und zur subjektiven Tatseite sei lückenhaft, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.
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(1) Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend ergibt, ist das Amtsgericht aufgrund dessen, dass der Betroffene Halter des Fahrzeuggespanns und vor allem auch der Betriebsinhaber war, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass er die Fahrt angeordnet hatte. Diese Schlussfolgerung ist zumindest möglich, zwingend muss sie nicht sein (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 26.10.2023 – 4 StR 73/23; 02.11.2023 – 3 StR 249/23 jew. bei juris; BayObLG, Beschluss vom 30.05.2023 – 202 StRR 29/23 = NZWiSt 2023, 459; Urt. v. 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 = OLGSt StGB § 306 Nr 2). Das Amtsgericht musste auch nicht in seine Überlegungen einstellen, dass ein (unbekannter) Dritter den Auftrag zur Fahrt erteilt hatte. Denn es ist weder mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz noch sonst geboten, dass der Tatrichter von Sachverhaltsvarianten ausgeht, für die es weder nach der Einlassung des Betroffenen noch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konkrete Anhaltspunkte gibt (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 10.01.2024 – 6 StR 361/23; 03.01.2024 – 5 StR 406/23; BayObLG, Urt. v. 24.09.2021 – 202 StRR 100/21, jew. bei juris; Beschluss vom 06.02.2024 – 202 ObOWi 90/24, zur Veröffentlichung vorgesehen). Nachdem der Betroffene selbst die Haltereigenschaft einräumen ließ und sonst keine Angaben zur Sache gemacht hat, kommt in diesem Zusammenhang allein die Aussage des als Zeugen vernommenen Sohnes des Betroffenen in Betracht. Unabhängig davon, ob dessen Mitteilung, er sei beim Betroffenen als Disponent beschäftigt, überhaupt einen Anhaltspunkt dafür liefern könnte, dass der Betroffene nicht die Fahrt angeordnet habe, konnte diese schon deswegen nicht Anlass für das Tatgericht sein, sie in die Überzeugungsbildung einfließen zu lassen, weil das Amtsgericht die Aussage mit rechtsfehlerfreien und nachvollziehbaren, sich sogar nachgerade aufdrängenden Erwägungen als nicht glaubhaft gewertet hat. In jeder Hinsicht plausibel weist das Amtsgericht darauf hin, dass die konkret beschriebenen massiven Schäden an allen 8 Reifen, die bei lebensnaher Betrachtung nicht ganz kurzfristig entstanden sein konnten und deshalb anlässlich einer durchgeführten Kontrolle ohne weiteres ersichtlich gewesen wären, sodass es der Aussage des Zeugen, wonach wenige Tage vor der Transportfahrt eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt worden sei und dabei „keinerlei“ Mängel an den Reifen festgestellt worden seien, keinen Glauben schenken konnte.
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(2) Ungeachtet dessen käme es aber gar nicht entscheidend darauf an, ob der Betroffene die konkrete Fahrt tatsächlich in persona angeordnet hatte. Denn selbst wenn er dies nicht getan hätte, wäre er nach § 31 Abs. 2 StVZO als Halter in objektiver Hinsicht auch deswegen für die verwirklichten Verstöße verantwortlich, weil dann ohne weiteres von einem „Zulassen“ der Inbetriebnahme des Fahrzeuggespanns auszugehen wäre, ohne dass hierfür zusätzliche beweiswürdigende Erwägungen geboten wären. Denn bereits dadurch, dass das Fahrzeug in Betrieb genommen wurde, versteht es sich von selbst, dass der Betroffene als Halter hiergegen nicht eingeschritten sein konnte, sondern dies objektiv „zugelassen“ hat. Insoweit handelt es sich bei dieser Tatbestandsalternative um nichts anderes als ein echtes Unterlassungsdelikt.
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(3) Auch weist die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
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(a) Das Amtsgericht hat im Rahmen der gebotenen Gesamtschau der vorhandenen Indizien den wiederum durchaus möglichen, ja sogar naheliegenden Schluss gezogen, dass der Betroffene die Inbetriebnahme des Lastwagengespanns mit den mangelhaften Reifen und auch die Überladung zumindest billigend in Kauf genommen hat. Es hat dabei hinsichtlich der Mängel an sämtlichen Reifen darauf abgehoben, dass diese in Anbetracht der massiven Schäden nicht innerhalb kürzester Zeit entstanden sein konnten. Des Weiteren hat es in seine Überlegungen eingestellt, dass der Betroffene mehrfach einschlägig vorgeahndet ist. Ferner hat das Tatgericht darauf hingewiesen, dass nicht etwa der Fahrer von dem Transport profitiert habe, und damit zumindest mittelbar zum Ausdruck gebracht, dass der Vorteil aus dem durchgeführten Transport allein beim Betroffenen als Betriebsinhaber lag. Insbesondere hat das Tatgericht eine Verurteilung des Betroffenen wegen vergleichbarer Verstöße, die nur wenige Tage vor der Verwirklichung der verfahrensgegenständlichen Tat rechtskräftig geworden ist, berücksichtigt. Bei einer derartigen Indizienlage ist unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Rechtsbeschwerdegerichts hinsichtlich der tatrichterlichen Beweiswürdigung gegen die Schlussfolgerung auf ein zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten nichts zu erinnern. Dies gilt umso mehr, als es, wie bereits ausgeführt, für eine Delegation der Überwachungsaufgaben schon keine Anhaltspunkte gab und selbst für den Fall, dass eine Aufgabenübertragung stattgefunden hätte, mit Blick auf den vom Amtsgericht aus der letzten Verurteilung gezogenen Schluss eine abweichende Einschätzung der subjektiven Tatseite nicht gerechtfertigt wäre.
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(b) Zu Recht beanstandet die Generalstaatsanwaltschaft zwar, dass das Amtsgericht in unzulässiger Weise Bezugnahmen auf Akteninhalte vorgenommen hat, was gegen den Grundsatz, dass ein Urteil aus sich heraus verständlich sein muss, nachdem die Ausnahmevorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO hier nicht zum Tragen kommt, verstößt (vgl. nur BayObLG, Beschluss vom 22.07.2022 – 202 StRR 71/22 bei juris; 31.01.2022 – 202 ObOWi 106/22 = ZfSch 2022, 349 = NStZ 2023, 320). Allerdings schließt der Senat in Anbetracht der ansonsten rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, die aus den genannten Gründen auch die subjektive Tatseite ausreichend belegt, aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG.
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3. Der Rechtsfolgenausspruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung allerdings nicht stand. Da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, macht der Senat insoweit von der Befugnis zu eigener Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch.
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a) Die Erwägungen des Amtsgerichts zur Höhe der Geldbuße sind schon insoweit rechtsfehlerhaft, als in der angefochtenen Entscheidung zunächst eine Geldbuße in Höhe von 1.925 Euro ausgeworfen wird, die dann nach § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG wegen des erlangten wirtschaftlichen Vorteils in Höhe des vereinnahmten Fuhrlohns um 525 Euro erhöht wurde. Denn das Amtsgericht hat bei dieser Vorgehensweise verkannt, dass nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut der wirtschaftliche Vorteil lediglich die Untergrenze der zu verhängenden Geldbuße markiert (BGH, Beschluss vom 24.04.1991 – KRB 5/90 = wistra 1991, 268 = WuW 1991, 822; BayObLG, Beschluss vom 25.04.1995 – 3 ObOWi 11/95 = BayObLGSt 1995, 76 = GewArch 1995, 244 = MDR 1995, 1058 = NZA-RR 1996, 21 = DBlR 4206a, SonstVerfR § 17 OWiG = wistra 1995, 360 = EzAÜG SchwArbG Nr 5; 02.01.1998 – 3 ObOWi 143/97 = BayObLGSt 1998, 1 = StV 1998, 206 = StraFo 1998, 134 = wistra 1998, 199 = NJW 1998, 2461 = OLGSt OWiG § 17 Nr. 16 = WM 1998, 1963 = WuB I D 6 Sonstiges 1.98; BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 17 Rn. 117; KK-OWiG/Mitsch 5. Aufl. § 17 Rn. 112 m.w.N.), was sich ohne weiteres aus der Regelung des § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG erschließt, wonach die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen soll. Die Vorgehensweise des Amtsgerichts, zunächst eine für angemessen erachtete Geldbuße festzusetzen und dann in einem zweiten Schritt den ermittelten wirtschaftlichen Vorteil hinzuzuaddieren, ist deshalb rechtsfehlerhaft (BayObLG, Beschluss vom 25.04.1995 – 3 ObOWi 11/95 a.a.O.; BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 17 Rn. 117). Darüber hinaus ist auch die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 2.450 Euro, die über dem nach § 24 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 StVG vorgegebenen Höchstmaß für vorsätzliches Verhalten von 2.000 Euro liegt, mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen. Die Vorschrift des § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG sieht eine Überschreitung nur für den Fall vor, dass das Höchstmaß zur Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils nicht ausreicht, der Betrag des wirtschaftlichen Vorteils also das gesetzliche Höchstmaß für die Geldbuße, hier 2.000 Euro, übersteigt. Eine solche Konstellation ist aber selbst bei Zugrundelegung des vom Amtsgericht angenommenen Vorteils in Höhe von 525 Euro von vornherein nicht gegeben.
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b) Überdies ist auch die Bemessung der Höhe des nach § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG zu berücksichtigenden Vorteils nicht frei von Rechtsfehlern.
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aa) Allerdings ist es für sich genommen nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht zunächst den insgesamt durch die Fahrt erzielten Fuhrlohn in Ansatz bringt und nicht etwa nur den auf die sogenannte Übertonnage entfallenden Anteil (für eine Beschränkung des auf die Übertonnage fallenden Anteils vgl. etwa: BayObLG, Beschluss vom 29.08.1985 – 2 ObOWi 186/85 = BayObLGSt 1985, 100; Gassner/Seith OWiG 2. Aufl. Rn. 31; KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 130; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. § 17 Rn. 50). Zwar spricht nach der ratio legis, wonach verhindert werden soll, dass sich ordnungswidriges Verhalten lohne (vgl. Göhler/Thoma OWiG 19. Aufl. § 17 Rn. 37; Mitsch a.a.O. § 17 Rn. 112; Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O. § 17 Rn. 46), einiges dafür, dass bei reinen Fällen einer Überladung nur der kausal auf den Ordnungswidrigkeitenverstoß zurückzuführende Teil der Entlohnung, der rechnerisch auf die Übertonnage fällt, zu berücksichtigen ist, weil nur dieser Anteil einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang aufweist. Der Senat kann diese Rechtsfrage allerdings offen lassen, weil sich das Tatgeschehen nicht in einer bloßen Überladung erschöpft, sondern wegen der mangelhaften Reifen die Fahrt von vornherein nicht hätte durchgeführt werden dürfen, sodass die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach es auf den gesamten Fuhrlohn ankommt, im Ergebnis frei von Rechtsfehlern ist.
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bb) Indes ist es, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist, nicht zutreffend, soweit das Amtsgericht – in Übereinstimmung mit einer allerdings vereinzelt gebliebenen obergerichtlichen Entscheidung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.07.2019 – 2 Ss-OWi 1077/18 = NStZ-RR 2019, 323 = ZfSch 2019, 709 = NZWiSt 2020, 495) – der Auffassung ist, es komme bei der Abschöpfung allein auf den erzielten Erlös an, während Aufwendungen unberücksichtigt bleiben müssten. Dies widerspricht schon dem klaren Gesetzeswortlaut, der auf den „wirtschaftlichen Vorteil“, den der Täter gezogen hat, abstellt. Ein wirtschaftlicher Vorteil realisiert sich aber bei einem kaufmännischen Unternehmen nicht in den Einnahmen, sondern in dem erzielten Gewinn. Allein dies steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei § 17 Abs. 4 OWiG das Nettoprinzip maßgeblich ist. Hiernach bemisst sich der Vorteil nach den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen, von denen die Kosten und sonstigen Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen sind, soweit sie durch den Erwerbsvorgang veranlasst bzw. im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat entstanden sind und ohne diese Tat nicht angefallen wären (BGH, Urt. v. 27.04.2022 – 5 StR 278/21 = StraFo 2022, 296 = wistra 2022, 344 = wistra 2022, 390 = NZWiSt 2022, 410 = NStZ 2023, 359 = CCZ 2023, 199 = BGHR OWiG § 17 Abs. 3 Selbstreinigungsprozesses 1 = BGHR OWiG § 17 Abs. 4 Vorteil 1; Beschluss vom 08.12.2016 – 5 StR 424/15 = ZInsO 2017, 763 = wistra 2017, 242).
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cc) Unter Zugrundelegung der für sich genommen nicht zu beanstandenden Schätzung der durch die Fahrt erzielten Einnahmen durch das Amtsgericht in Höhe von 525 Euro ist nach der amtlichen Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen für das Kalenderjahr 2022 bei einem wirtschaftlichen Umsatz von über 500.000 Euro, von dem mangels näherer Feststellungen zugunsten des Betroffenen ausgegangen werden muss, bei einem Fuhrunternehmen ein Reingewinn von durchschnittlich 13%, mithin ein solcher in Höhe von knapp 70 Euro im Schätzungswege anzusetzen.
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c) Unter Beachtung der in § 17 Abs. 3 OWiG genannten Kriterien ist ein Bußgeld in Höhe von 1.900 Euro schuld- und tatangemessen ist. Bei der für vorsätzliches Verhalten gemäß § 3 Abs. 4a BKatV i.V.m. Nr. 199.1.6 BKat vorgesehenen Regelgeldbuße in Höhe von 850 Euro kann es, worauf das Amtsgericht zu Recht hinweist, nicht verbleiben. Der Betroffene ist mehrfach und auch einschlägig vorgeahndet. Überdies ist die Rückfallgeschwindigkeit insbesondere hinsichtlich der vom Amtsgericht zitierten letzten Verurteilung, die nur wenige Tage vor Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat rechtskräftig geworden ist und der vergleichbare Ordnungswidrigkeiten zugrunde lagen, enorm. Der Betroffene hat sich durch die Verhängung mehrerer Geldbußen nicht ansatzweise beeindruckt gezeigt. Der Ordnungswidrigkeit liegen insgesamt 4 Verstöße gegen Betriebsvorschriften zugrunde. Das hochgradig gefährliche Tatgeschehen, bei dem schon die Überladungsverstöße für sich genommen bedeutsam sind, wird durch das Fahren mit den gänzlich mängelbehafteten Reifen massiv verstärkt. Das Verhalten des offensichtlich unbelehrbaren Betroffenen ist in hohem Maße verantwortungslos. Nachdem das Amtsgericht keine weiteren Feststellungen dazu getroffen hat, kann bei dem Betroffenen, der als selbstständiger Fuhrunternehmer tätig ist, von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden.
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d) Da die Geldbuße in Höhe von 1.900 Euro den geschätzten wirtschaftlichen Vorteil, in Höhe von ca. 70 Euro, den der Betroffene erzielt hat, übersteigt, besteht nach § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG für eine Korrektur der Höhe dieser Geldbuße keine Veranlassung.
III.
22
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
23
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.