Inhalt

LG München II, Endurteil v. 14.02.2023 – 1 O 4506/22 Ver
Titel:

Sicherstellung der Geheimhaltung der dem Treuhänder überlassenen Unterlagen einer Prämienneufestsetzung 

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 3 S. 2, Abs. 5
GVG § 174 Abs. 3
Leitsätze:
1. Für die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für eine Neufestsetzung der Prämien genügt es, wenn eine allgemeine Erläuterung konkret auf ein Begleitschreiben verweist, dass den jeweiligen Änderungsgrund tarifbezogen bezeichnet. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Versicherer hat ein legitimes Geheimhaltungsinteresse an den dem Treuhänder überlassenen Unterlagen, die eine Prämienanpassung rechtfertigen sollen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verpflichtung zur Geheimhaltung ist nur in Bezug auf in der mündlichen Verhandlung anwesende Personen zulässig. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn ein Versicherungsnehmer in der mündlichen Verhandlung nicht durch einen Hauptbevollmächtigten vertreten ist, dem in Bezug auf die dem Treuhänder überlassenen Unterlagen eine Geheimhaltungspflicht auferlegt werden kann. (Rn. 25 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Prämienanpassung, Neufestsetzung, Mitteilung, Rechnungsgrundlagen, Schwellenwert, Treuhänder, Geheimhaltungspflicht, Hauptbevollmächtigter, Handlungsbevollmächtigter, Beweisvereitelung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9984

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen seiner privaten Krankenversicherung.
2
Die Klägerseite unterhält bei der beklagten Partei eine private Krankenversicherung.
3
Die Beklagte passte die Tarife der Klägerseite regelmäßig an.
4
Die Klagepartei stellt sich auf den Standpunkt, die antragsgegenständlichen Prämienerhöhungen wären formell unwirksam. Darüber hinaus fehle es an der materiellen Wirksamkeit, denn die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen werde gleichermaßen bestritten wie Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen. Sie hält es für zumutbar, dass die beklagte Partei sämtliche Unterlagen, die dem Treuhänder im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Beitragserhöhung nach Behauptung der beklagten Partei vorgelegt worden sein sollen, der bevollmächtigten Prozessvertretung der Klagepartei übergeben werden. Ein persönliches Erscheinen des Hauptbevollmächtigten in der Verhandlung sei nicht erforderlich, um den Geheimhaltungsinteressen der beklagten Partei Genüge zu tun. Der für den Kläger erschienene Rechtsanwalt sei Handlungsbevollmächtigter des Hauptbevollmächtigten und nicht bloßer Unterbevollmächtigter. Als solcher stehe er nach dem System der Berufsausübungsgesellschaften einem Hauptbevollmächtigten gleich. Eine Handfungsvollmacht ersetze ein Anstellungsverhältnis als Rechtsanwalt in der hauptbevollmächtigten Kanzlei.
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Die Klagepartei beantragt nach Rücknahme eines überschießenden Teils der ursprünglichen Klageforderung:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
a) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2014 in Höhe von 6,07 €
b) im Tarif gesetzt. Beitragszuschlag … die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 5,91 €
c) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 5,08 €
d) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 8,52 €
e) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 58,00 €
f) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 5,19 €
g) im Tarif gesetzl. Beitragszuschlag … die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 0,52 €
h) im Tarif … die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 10,88 €
i) im Tarif gesetzl. Beitragszuschlag … die Beitragsanpassung zum 01.01.2021 in Höhe von 5,80 €
und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen um insgesamt 148,30 € zu reduzieren ist.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3.050,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat.
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Die beklagte Partei beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die beklagte Partei behauptet, die gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für die streitgegenständliche Beitragserhöhung hätten vorgelegen. Ein Treuhänder, welchem alle relevanten Unterlagen vollständig vorgelegt worden seien, habe der Prämienerhöhung zugestimmt.
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Die beklagte Partei ist bereit, dem Gericht die Unterlagen zu überlassen, welche sie dem Treuhänder im Zusammenhang mit der Beitragserhöhung übergeben hat. Sie ist einverstanden, dass diese Unterlagen an einen vom Gericht zu bestellenden Gutachter weitergegeben und im Prozess verwendet werden, wenn der Hauptbevollmächtigte bereit sei, zur Verhandlung und dortigen Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu erscheinen. Es sei der beklagten Partei indes nicht zumutbar, dass diese Unterlagen einem Unterbevollmächtigten übergeben werden, wenn nachfolgende weitere Dokumente wie Gutachten sowie gerichtliche Hinweise und Urteile, soweit sie aus diesen Unterlagen zitieren, dem nicht zur Verschwiegenheit verpflichteten Hauptbevollmächtigten zugehen können. Auch werde den Geheimhaltungsinteressen der Beklagten nicht ausreichend Rechnung getragen, dass ein Handlungsbevollmächtigter im Termin zur Entgegennahme der Unterlagen erscheine. Das Gericht sende Unterlagen geheimhaltungsbedürftigen Inhalts – wie Schriftsätze, Anlagen, Gutachten und Urteile – an den Hauptbevollmächtigten, nicht an irgendwelche handlungsbevollmächtigten Personen.
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Was die Höhe der klageseits geltend gemachten Forderung betrifft, mache die Klagepartei zu Unrecht auch Rückzahlung des Zuschlags geltend und müsse zudem die erhaltene Beitragsrückerstattung mit berücksichtigen.
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Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die – auch im Hinblick auf die Feststeilungsanträge (vgl.: BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17) – zulässigen Klageanträge sind unbegründet. Die antragsgegenständlichen Prämienerhöhungen sind rechtmäßig.
13
I. Die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen sind formell rechtmäßig.
14
Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 V VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 II 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben. Das ergibt die Auslegung des § 203 V VVG aus dem Wortlaut der Norm, der Gesetzessystematik, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift (BGH NJW 2021, 378 (380)). In diesem Sinne entscheidend ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 III und IV VAG oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht (BGH NJW 2021, 378 (380)).
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Diesen Anforderungen ist vorliegend Genüge getan.
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Die Beklagte hat auf S. 7-10 der Klageerwiderung – auf welche Bezug genommen wird – ausführlich belegt, dass hinreichend deutlich aus den Mitteilungsschreiben betreffend die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen hervorgeht, dass diese infolge veränderter Leistungsausgaben erfolgten.
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Das gilt auch für die Mitteilungsschreiben betreffend die Beitragsanpassung zum 01.01.2014 (… 3-2).
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Nicht ausreichend ist zwar die nachfolgende, allgemeine Mitteilung: „zum 1. Januar 2014 müssen in einigen Krankenversicherungstarifen die Beiträge angepasst werden. In Zusatztarifen werden die Beiträge aufgrund veränderter Leistungsausgaben überwiegend gesenkt oder auch nur teilweise erhöht. […] Die Auswirkungen, speziell auf Ihren Vertrag, ersehen Sie bitte aus der beiliegenden Änderungsmitteilung.“
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Über diese allgemeine Mitteilung befindet sich aber – auch in der Beitragsanpassung zum 01.01.2014 – eine Gegenüberstellung, in welcher als „Änderungsgrund“ unter Verweis auf das Begleitschreiben der Buchstabe „A“ angegeben wird, in welchem wiederum veränderte Versicherungsleistungen genannt werden. Diese Gestaltung ist nicht zu komplex, sondern erläutert dem Versicherungsnehmer die Änderungsgründe hinreichend.
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Soweit die Klagepartei moniert, es werde nicht angegeben, ob es sich bei den berichteten Entwicklungen um solche Veränderungen handele, die als nicht nur vorübergehend anzusehen seien, berührt dies die formelle Wirksamkeit des Erhöhungsschreibens nicht. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (BGH NJW 2021, 378), es bedarf aber nicht der expliziten Information des Versicherungsnehmers, dass diese Veränderung der Rechnungsgrundlage nicht nur vorübergehender Natur sei (OLG Dresden NJW-RR 2022, 408 (410)).
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In den Mitteilungen ab dem Jahr 2017 wird zudem die Systematik von Schwellenwerten erläutert. Ob man dies aktuell erwarten kann, kann dahinstehen (mit guten Gründen verneint von KG Berlin Beschluss vom 25.11.2022 – 6 U 102/21). Es ist jedoch jedenfalls nicht angemessen, die Transparenzanforderungen bereits für das Jahr 2014 in dieser Weise hoch anzusetzen (vgl. auch OLG München. Az. 25 U 1218/22 Beschluss vom 04.08.2022).
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II. Auch erweisen sich die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen als materiell rechtmäßig. Ohne Erfolg bestritt die Klagepartei die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen und die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen bei den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen.
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Zwar trifft die beklagte Partei die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast. Indes kann sich die Klagepartei nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung nicht darauf berufen, die beklagte Partei habe den Nachweis nicht geführt. Die materiellen gesetzlichen und/oder vereinbarten Voraussetzungen einer Beitragserhöhung vermag die beklagte Partei nur mittels Gutachten nachzuweisen nach Vorlage derjenigen Unterlagen, welche sie im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen dem Treuhänder vorgelegt hatte (BGH VersR 2004, 991) und ggf. vermittels schriftsätzlichen Vortrags zu den materiellen Voraussetzungen der Beitragsanpassungen.
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Die Unterlagen, die dem Treuhänder anlässlich der jeweiligen Prämienanpassung vorgelegen haben, enthalten mit der Korrespondenz zu den auslösenden Faktoren eine Kommentierung und Prognose der unternehmensinternen Schadensentwickiung im Sinne einer Herleitung der Kopfschadenprofile sowie Grundkopfschäden. In den technischen Berechnungsgrundlagen werden unter anderem mit detaillierten Informationen hinsichtlich der rechnungsmäßigen Ansätze der Abschluss-, Verwaltungs- und Schadenregulierungskosten, des Stornoverhaltens in den einzelnen Tarifsegmenten und Zahlen und Grafiken zu Rechnungsgrundlagen, Beitrag/Limitierung, Alterungsrückstellung, Anwartschaft unternemensindividuelle interne Geschäfts- und Betriebsinformationen offenbart. Das Gleiche gilt für die gesamte Korrespondenz zwischen dem Treuhänder und dem Versicherer. Somit sind grundsätzlich alle Unterlagen aus dem Anlagenkonvolut, das in seiner Gesamtheit die Berechnungsgrundlagen für die streitigen Prämienanpassungen beinhaltet, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse und daher geheimhaltungsbedürftig. Der Versicherer hat an diesen Unterlagen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse und sie unterliegen der Verpflichtung zur Verschwiegenheit (vgl. BGH VersR 2016, 177; KG VersR 2021, 1318). Dies ist den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei natürlich bekannt, was sich nicht zuletzt auch aus der – insbesondere im Termin intensiv geführten und protokollierten – Diskussion ergibt, ob eine Verschwiegenheitsverpflichtung allein des Unterbevollmächtigten in Betracht kommt. Der Einzelrichter hatte das persönlichen Erscheinen der Klagepartei im Übrigen in der Terminsladung explizit zur Verpflichtung zur Verschwiegenheit angeordnet; dass der Termin der Verpflichtung zur Verschwiegenheit diente, war also klar.
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Vor diesem Hintergrund hat sich die beklagte Partei berechtigtermaßen auf ihr Interesse berufen, die an den Treuhänder übergebenen Unterlagen nur solchen Personen zugänglich zu machen, welche einer strafbewehrten Geheimhaltungspflicht unterliegen. Dabei ist eine Verpflichtung der Geheimhaltung nur in Bezug auf Personen möglich, welche in der Verhandlung selbst zugegen sind (MüKoZPO/Pabst, 6. Aufl. 2022, GVG § 174 Rn. 14). So ist schon nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 3 GVG eine Verpflichtung zur Geheimhaltung nur von „anwesenden Personen“ statthaft. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm, denn § 174 Abs. 3 GVG knüpft an den Ausschluss der Öffentlichkeit in § 174 Abs. 1 GVG an; soweit für die patentrechtliche Praxis eine andere Auffassung vertreten wird, spielt diese für die vorliegende Konstellation schon deshalb keine Rolle, weil insoweit in § 145 a PatG eine speziellere – und von § 174 Abs. 3 GVG abweichende – Regelung vorgesehen ist. Insoweit kommt auch keine erweiternde Auslegung in Betracht, denn der Geheimhaltungsbeschluss gem. § 174 Abs. 3 GVG ist Grundlage einer Strafnorm (§ 353 d StGB) und als solche einer erweiternden Auslegung kraft des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG entzogen (vgl. auch BeckOK GVG/Allgayer, 16. Ed. 15.8.2022, GVG § 174 Rn. 16 sowie BGH NJW-RR 2016, 606 ff. und VersR 2021, 1120 ff.).
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Dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der beklagten Partei kann auch nicht dadurch Genüge getan werden, dass der Unterbevollmächtigte die Unterlagen entgegen nimmt und bei sich verwahrt, ohne sie an den Hauptbevollmächtigten weiterzureichen. Denn geheimhaltungsbedürftige Informationen befinden sich nicht nur in den beklagtenseits zu übergebenden Unterlagen selbst, sondern auch in dem einzuholenden Gutachten sowie dem nachfolgend zu erlassenden gerichtlichen Urteil, welche auf diese Unterlagen Bezug zu nehmen und sie – zu ihrer Begründung – auszugsweise zitieren.
27
Der Bekiagtenvertreter hat daher zutreffend darauf hingewiesen, dass der Hauptbevollmächtigte zu einem entsprechenden Termin persönlich zu erscheinen hat. Ohne eine Verschwiegenheitsverpflichtung des Hauptbevollmächtigten kommt weder die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Vollständigkeit der Unterlagen in Betracht (BGH NJW-RR 2016, 606 (608; Rn. 18)), noch eine Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Beitragsanpassungen in einem gerichtlichen Urteil, welches sich ebenfalls mit den Unterlagen auseinanderzusetzen hätte und daher geheimhaltungsbedürftige Informationen zum Gegenstand hätte. Zuletzt kommt nicht einmal ein konkreterer Schrittsatz der Beklagten zu diesen Themen in Betracht, denn auch ein solcher wäre dem Hauptbevollmächtigten zu übersenden.
28
Dabei vermag das Erscheinen eines „Handlungsbevollmächtigten“ auch nicht das Erscheinen des Hauptbevollmächtigten ersetzen. Der erschienene „Handlungsbevollmächtigte“ argumentierte mit dem System der Berufsausübungsgesellschaften. Auf die Feinheiten des Systems der Berufsausübungsgesellschaften kommt es aber gleichermaßen nicht an wie auf Umfang und Reichweite von erteilten („Handlungs-“)Bevollmächtigungen seitens des Hauptbevollmächtigten. Der Klagepartei ist zuzugeben, dass der Hauptbevollmächtigte Rechtsanwalt unabhängig von seinen Absprachen mit der Mandantschaft nach außen hin wirksam nicht nur klassische Untervollmachten, sondern auch weitergehende Vollmachten an andere, nicht in der hauptbevollmächtigten Kanzlei tätigen Rechtsanwälte erteilen kann (BeckOK ZPO/Piekenbrock, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 81 Rn. 10-12 m.w.N., insbes, mit Verweis auf BGH NJW 1981, 1727 ff.). Jedoch: Selbst, wenn man unterstellt, dass im vorliegenden Fall der erschienene „Handlungsbevollmächtigte“ von der hauptbevollmächtigten Kanzlei eine so weitreichende Vollmacht erhalten hat, dass jener für die gesamte erste Instanz nach außen hin dieselben Vertretungsbefugnisse wie die hauptbevollmächtigte Kanzlei hätte, so wäre mitnichten die Prozessvollmacht und die Korrespondenzbefugnis auf den „Handlungsbevollmächtigten“ übergegangen; vielmehr wäre dieser wie ein – neben der hauptbevollmächtigten Kanzlei – tätig gewordener, zweiter Prozessbevollmächtigter zu behandeln, evtl. (bzw. Äußerstenfalls) sogar im Rubrum neben der hauptbevollmächtigten Kanzlei – keinesfalls jedoch anstelle dieser – aufzuführen (ähnlich wie unter gebührenrechtlichen Gesichtspunkten in BGH NJW 1981, 1727 diskutiert) und sämtliche Schriftstücke wären jedenfalls weiterhin der hauptbevollmächtigten Kanzlei (und dem „Handlungsbevollmächtigten“ allenfalls zusätzlich) zu übersenden. Dem Geheirnhaltungsinteresse der Beklagten wäre nur dann Genüge getan, wenn der Hauptbevollmächtigte selbst seine Vertretungstätigkeit in dem vorliegenden Fall beendet hätte. Hiervon ist jedoch in der Handlungsvollmacht vom 13.02.2023 (Bl. 82 d.A.) keine Rede. Dort wird nicht einmal mitgeteilt, dass die Korrespondenz zukünftig auch an den „Handlungsbevollmächtigten“ gerichtet werden solle, geschweige denn, dass sie allein an diesen übersandt werden solle. Auch vermag der Handlungsbevollmächtigte nicht die Niederlegung des Mandats durch den Hauptbevollmächtigten mit der Folge zu erklären, dass er selbst zum alleinigen Prozessbevollmächtigten wird. Abgesehen davon, dass er eine derartige Erklärung nicht abgegeben hat, würde eine Niederlegung des Mandats durch den Hauptbevollmächtigten zu denselben Wirkungen auch in der Person des Handlungsbevollmächtigten führen, denn ein Bevollmächtigter kann nicht weitergehende Befugnisse haben als der Vollmachtgeber. Denkbar wäre es, dass der Kläger dem Hauptbevollmächtigten das Mandat entzieht und eine neue Prozessvollmacht erteilt. was er jedoch nicht getan hat.
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Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.