Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz, Sofortvollzug, Neuartige Lebensmittel, Cannabidiol, Verbot des Inverkehrbringens
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
VO (EU) 2017/625 Art. 138, Art. 2 Abs. 2 b) iii), Art. 3 Abs. 2 a) iv)
VO (EU) 2015/2283 Art. 6 Abs. 2
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Sofortvollzug, Neuartige Lebensmittel, Cannabidiol, Verbot des Inverkehrbringens
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9982
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Bescheid der Stadt, mit dem ihr einerseits unter Zwangsgeldandrohung das Inverkehrbringen eines konkret benannten Öls und eines Kaugummis mit Cannabidiol (CBD) und andererseits wiederum unter Zwangsgeldandrohung generell das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die Cannabidiol als Zutat ausweisen, untersagt wird.
2
Die Antragstellerin betreibt ein neu eröffnetes Ladengeschäft, in dem sie zahlreiche Produkte zum Verkauf anbietet, die Auszüge aus der Hanfpflanze enthalten. Dort erfolgte am 22. Juni 2022 ein Kontrollbesuch der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin nahm zunächst nur eine erste Inaugenscheinnahme der dort zum Verkauf angebotenen Produkte vor. Die Antragstellerin erklärte im Rahmen dieses Besuchs, dass die THC-Konzentration in den Hanfprodukten regelmäßig durch Laboruntersuchungen kontrolliert werde. Außerdem gab die Antragstellerin an, dass sie größten Wert darauf lege, die Öle als Aroma einzustufen, dass jedoch die CBD-Extrakte vom Kunden geschluckt bzw. aufgenommen werden sollen, um möglichst viele der Cannabinoide und Terpene aus der Hanfpflanze für den Körper zu nutzen.
3
Am 29. Juni 2022 entnahm die Lebensmittelüberwachung der Antragsgegnerin im oben aufgeführten Ladengeschäft Verdachtsproben der Produkte „Aromaöl CBD 30%“ und „Cannabis Chewing Gums“. Diese wurden zur Untersuchung und Begutachtung dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vorgelegt. Während der Probenentnahme wurde der Antragstellerin erklärt, es bestünde der Verdacht, dass die Antragstellerin zahlreiche zulassungsbedürftige, neuartige Lebensmittel vertreiben würde und diese nicht verkehrsfähig seien. Die Antragstellerin erwiderte daraufhin, dass sie ausschließlich legale Waren verkaufe und dies durch regelmäßige Laboranalysen nachgewiesen sei. Sie bekräftigte erneut, dass es sich bei den Ölen lediglich um Aroma-Öle handele. Die Antragsgegnerin stellte sodann eine Entscheidung zur Sache nach Abschluss der Begutachtung durch das LGL in Aussicht und erklärte der Antragstellerin, dass, sofern die Gutachten den geäußerten Verdacht der Antragsgegnerin bestätigen würden, lediglich ein Verkehrsverbot in Betracht käme.
4
Die durchgeführte Untersuchung des LGL ergab bei dem Produkt „Aromaöl CBD 30%“ einen CBD Gehalt von 30,7% und bei dem Produkt „Cannabis Chewing Gums“ einen Gehalt von 0,44%. Bei Cannabidiol bzw. CBD handele es sich um ein Cannabinoid, das natürlicherweise in der Hanfpflanze vorkomme, aber auch synthetisch hergestellt werden könne. In seinen Gutachten vom 22. August 2022 und 8. September 2022 stellte das LGL deshalb fest, dass es sich bei den beiden Produkten um sogenannte neuartige Lebensmittel (Novel Foods) handeln würde. Im Novel-Food Katalog der Europäischen Kommission sei der Eintrag zu „Cannabinoids“ mit dem Status X versehen. Dieser bedeute, dass dieses Lebensmittel in den Mitgliedstaaten der EU vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei.
5
Auf den weiteren Inhalt der Gutachten des LGL vom 22. August 2022 und 8. September 2022 wird ergänzend verwiesen.
6
Mit Bescheid der Stadt ... vom 17. November 2022, wurde der Antragstellerin das Inverkehrbringen der Produkte „Aromaöl CBD 30%“ und Cannabis Chewing Gums bis zu deren Zulassung durch die EU und Aufnahme in die Unionsliste gemäß Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 (NFV) untersagt (Ziffer I. a) des Bescheids)). In Ziffer I. b) wurde der Antragstellerin das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die Cannabidiol (CBD) oder Hanfextrakt (egal ob natürlich oder synthetisch gewonnen) als Zutat ausweisen, bis zu deren Zulassung durch die EU und Aufnahme in die Unionsliste nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 untersagt. In Ziffer II. des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Ziffern I. a) und I. b) angeordnet. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung der in den Ziffern I. a) und I. b) des Bescheides getroffenen Anordnungen wurde der Antragstellerin in Ziffer III. des Bescheides je Produktart ein Zwangsgeld von 500,00 EUR angedroht. In Ziffer IV. des Bescheids wurde eine Gebühr von 150,00 EUR festgesetzt, welche innerhalb von 14 Tagen ab Bekanntgabe des Bescheids zu überweisen ist. Im Rahmen der persönlichen Übergabe des Bescheids forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, alle betreffenden Produkte aus den Regalen zu nehmen.
7
Zur Begründung ist ausgeführt, dass es sich bei den unter Ziffer I. a) des Bescheids genannten Produkten um Lebensmittel nach § 2 Abs. 2 LFBG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 handele. Weite Teile der Rechtsprechung würden von einer „gefestigten Verkehrserwartung“ hinsichtlich CBD-Ölen als „Lifestyle“-Produkte zur oralen Einnahme ausgehen. Außerdem werde das Produkt im Online-Shop des Produktverantwortlichen unter anderem als „leckeres CBD-Öl“ bezeichnet. Die Bezeichnung als „Aroma“-Öl diene lediglich dazu, den eigentlichen Verwendungszweck, nämlich den Verzehr bzw. die Aufnahme des Stoffes als Lebensmittel, zu verschleiern. Bei den streitgegenständlichen Produkten handele es sich auch um neuartige Lebensmittel im Sinne der NFV. Im Online Novel Food Katalog der Europäischen Kommission werde CBD als „neuartig“ beurteilt. Diese Neuartigkeit gelte auch für CBDhaltige Extrakte und CBDhaltige Folgeprodukte. Da es für die genannten Substanzen bisher keine Zulassung nach der NFV gäbe, handele es sich bei allen Produkten, die in ihrer Zutatenliste CBD-Zusatz/CBD-Extrakt/Hanfextrakt ausweisen, um nicht zugelassene neuartige Lebensmittel, weshalb das Inverkehrbringen dieser Produkte durch die Antragstellerin gesetzeswidrig sei und gegen Art. 6 Abs. 2 NFV verstoße. Hierdurch sei die Antragsgegnerin gem. Art. 138 Abs. 1 b) VO (EU) 2017/625 ermächtigt, geeignete Maßnahmen zur Beendigung der festgestellten und Verhinderung neuer Verstöße zu ergreifen. Dabei sei die getroffene Maßnahme, das Inverkehrbringungsverbot, geeignet, erforderlich und angemessen. Es sei kein milderes gleich effektives Mittel erkennbar. Die Anordnung schaffe außerdem ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem beabsichtigten Erfolg und dem zu erwartenden Schaden für die Antragstellerin. Der Sofortvollzug sei im überwiegenden öffentlichen Interesse angeordnet worden. Es seien zwischenzeitlich auch unerwünschte Effekte bei der Anwendung von CBD, wie Benommenheitsgefühl, Schläfrigkeit, damit einhergehende Konzentrationsschwierigkeiten, oder auch Schlaflosigkeit und Schlafstörungen, sowie innere Unruhe bekannt geworden. Solange eine mögliche Gesundheitsgefährdung der Verbraucher durch den Konsum von CBD nicht mithilfe der wissenschaftlichen Untersuchungen im Zulassungsverfahren ausgeschlossen werden könne, sei das Risiko einer Schädigung von Leib und Leben der Verbraucher zu hoch, um ein Inverkehrbringen der Lebensmittel bis zur Bestandskraft der Anordnung ohne die sofortige Vollziehung zu dulden. Die Zwangsgeldandrohung stütze sich auf Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31 VwZVG. Die Kostenfestsetzung stütze sich auf Art. 1, 2, 6 und 8 KG in Verbindung mit Nummer 7.IX.11/Tarifstelle 5.7 des Kostenverzeichnisses.
8
Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 19. November 2022 persönlich übergeben.
9
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. November 2022 aufzuheben (Az. Au 9 22.2401).
10
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Augsburg am 19. Dezember 2022, hat die Antragstellerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
11
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19. Dezember 2022 gegen den Bescheid vom 17. November 2022 wiederherzustellen.
12
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Anordnung der Antragsgegnerin rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Es sei noch nicht einmal eine Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erfolgt. Die bloße Mitteilung der Rechtsauffassung der Lebensmittelüberwachung durch den Lebensmittelkontrolleur entspräche nicht den gesetzlichen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Anhörung. Außerdem sei der Bescheid zu unbestimmt gefasst. Es sei für die Antragstellerin nicht ersichtlich, was von der Antragsgegnerin gewollt sei, da sie in Ziffer I. b) des Bescheides darauf abstelle, ob in den betreffenden Produkten CBD als Zutat „ausgewiesen“ sei. Es komme jedoch nur darauf an, ob bestimmte Produkte diese Zutat enthalten. Sollte die Antragsgegnerin dies mit der Formulierung in Ziffer I. b) so gemeint haben, so sei nicht ersichtlich, weshalb die unter Ziffer I. a) aufgeführten Präparate nicht auch unter Ziffer I. b) fallen. In diesem Fall wäre Ziffer I. a) schlicht überflüssig. Die Antragstellerin meint des Weiteren, dass es sich bei den streitgegenständlichen Produkten nicht um neuartige Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung 2015/2283/EG handele. Extrakte aus Cannabis sativa L. seien bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Dies ergebe sich aus der Aufnahme in Positivlisten des europäischen Mitgliedsstaates Italien. Unabhängig davon sei es nach dem Grundsatz der freien Warenverkehrsfreiheit in der EU ausreichend, wenn in einem anderen Mitgliedsstaat entsprechende Präparate als verkehrsfähig angesehen würden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 a) iv) der Verordnung seien nicht gegeben. Ferner falle das „Aromaöl CBD 30%“ bereits nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 b) iii) NFV nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung, da es sich hier um einen Hanf-Aroma-Extrakt handele. Eine ausreichende Begründung des Sofortvollzugs sei ebenfalls nicht gegeben. Im Rahmen der Anordnung eines Sofortvollzugs sei ein konkreter Einzelfallbezug nötig, den der Bescheid nicht aufweise. Bei dem Verweis der Antragsgegnerin auf unerwünschte Effekte bei der Anwendung von CBD sei keine Bezugnahme auf die konkreten streitgegenständlichen Produkte ersichtlich. Außerdem könne die Begründung, dass ohne die sofortige Vollziehung ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung entfalten würde, als bloße Wiederholung der Rechtsfolge der Sofortvollzugsanordnung nicht die Begründung der Notwendigkeit dieser Maßnahme im Einzelfall ersetzen.
13
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 entgegengetreten und beantragt,
14
den Antrag abzulehnen.
15
Die Antragsgegnerin meint, eine Anhörung sei bereits mündlich am 29. Juni 2022 erfolgt. Eine bestimmte Form schreibe Art. 28 BayVwVfG nicht vor. Außerdem habe die Behörde der Antragstellerin ihre Rechtsauffassung offengelegt. Es sei klar kommuniziert worden, dass von einer Bestätigung der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin durch das LGL und als logische Rechtsfolge von einem Verkehrsverbot auszugehen sei. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei der Bescheid auch nicht unbestimmt. Die Differenzierung zwischen den Ziffern I. a) und I. b) sei vor allem darauf zurückzuführen, dass zu den Produkten in Ziffer I. a) Proben zur Produktqualifizierung und zum CBD-Gehalt genommen wurden. Des Weiteren ist sie der Meinung, eine Einstufung des „Aromaöls CBD 30%“ als Lebensmittelaroma sei aufgrund des bestimmungsgemäßen Gebrauchs und des Verwendungszwecks ausgeschlossen. Es handele sich um Novel-Food im Sinne der NFV, da CBDhaltige Lebensmittel keine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hätten und vor 1997 als solche nicht in nennenswertem Umfang verkauft worden wären. Nach Ansicht der Antragsgegnerin habe auch eine über die reine Zweckerfüllung des Sofortvollzugs hinausgehende Abwägung der betroffenen Rechte der Antragstellerin stattgefunden. Es bedürfe zur Begründung eines besonderen Vollzugsinteresses keines konkreten Verdachts, dass von dem betreffenden Produkt tatsächlich Gefahren ausgingen. Es könne im Interesse des Schutzes der Gesundheit der Verbraucher nicht hingenommen werden, dass ein neuartiges Lebensmittel ohne Prüfung auf seine Unbedenklichkeit auf den Markt gelange.
16
Auf den weiteren Inhalt des Antragserwiderungsschriftsatzes der Stadt ... vom 05. Januar 2023 wird ergänzend verwiesen.
17
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023 ergänzte und vertiefte der Bevollmächtigte der Antragstellerin sein bisheriges Vorbringen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Antragsgegner vorgelegten Verfahrensakten verwiesen
19
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg.
20
1. Der Antrag ist zulässig.
21
Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 19. Dezember 2022 erhobenen Klage (Az.: Au 9 K 22.2401) hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Ziffern I. a) und I. b) des Bescheids vom 17. November 2022 sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung in Ziffer III. des Bescheids. Als Adressatin des streitgegenständlichen Bescheids ist die Antragstellerin auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
22
2. Der Antrag ist in der Sache jedoch unbegründet.
23
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in den Fällen, in denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs kraft Gesetzes entfällt, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Das Gericht prüft bei ersterem, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind, und trifft im Übrigen jeweils eine eigene Abwägungsentscheidung. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Bleibt das Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, so wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen. Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache hingegen voraussichtlich Erfolg, so ist dessen aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Wenn sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dagegen weder die offensichtliche Rechtswidrigkeit noch die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens vom Ergebnis einer vom Gericht vorzunehmenden weiteren Interessenabwägung ab (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 10 CS 14.2244 – juris).
24
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer III. des Bescheids ist formell rechtmäßig.
25
aa) Soweit die Behörde die sofortige Vollziehung ausdrücklich angeordnet hat, (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob sich die behördliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung als im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend erweist; ist das nicht der Fall, hat das Gericht die Vollziehungsanordnung ohne weitere Sachprüfung aufzuheben, nicht jedoch die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wiederherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 10 CS 13.1782 – juris).
26
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55). Es müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt aus § 80 Abs. 1 VwGO auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2000 – 10 CS 99.3290 – juris Rn. 16). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind.
27
bb) Diesen Vorgaben wird die streitgegenständliche Begründung des Sofortvollzugs gerecht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist mit einer hinreichenden Begründung versehen, also formell rechtmäßig. Die Begründung des Bescheids führt aus, dass zwischenzeitlich auch unerwünschte Effekte bei der Anwendung von CBD bekannt geworden seien, wie Benommenheitsgefühle, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlaflosigkeit, Schlafstörungen und innere Unruhe. Durch das Zulassungsverfahren der Europäischen Kommission sollen vor allem Fragen zur Dosierung, Wechselwirkungen mit anderen Produkten und der Sicherheit im Allgemeinen geklärt werden. Das Inverkehrbringen der Lebensmittel bis zur Bestandskraft der Anordnung ohne sofortige Vollziehung könne nicht geduldet werden, solange eine mögliche Gesundheitsgefährdung der Verbraucher durch den Konsum von CBD nicht mithilfe der wissenschaftlichen Untersuchungen im Zulassungsverfahren ausgeschlossen werden könne. Es bestünde ein zu hohes Risiko einer Schädigung von Leib und Leben der Verbraucher. Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit stelle sich als besonders hochwertig dar und damit sei das öffentliche Interesse am Verkaufsverbot schwerer zu gewichten als das Interesse der Betroffenen an der Gewinnerzielung mit dem Verkauf der Produkte.
28
cc) Diese auf den Einzelfall bezogene Begründung ist aus formellen Gründen nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat deutlich gemacht, dass sie sich der Ausnahmesituation ihres Handelns bewusst war. Eine von den streitgegenständlichen Produkten ausgehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit der Verbraucher ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 22 CS 22.307 – juris). Der Funktion des Begründungserfordernisses aus § 80 Abs. 3 VwGO wurde somit ausreichend Rechnung getragen.
29
Der Verweis der Antragstellerin auf das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2006 (OVG NW, U.v. 17.3.2006 – 13 A 1977/02 – juris) ist im vorliegenden Fall nicht geeignet, eine konkret von den streitgegenständlichen Produkten ausgehende Gefahr als Voraussetzung für die Begründung des Sofortvollzugs zu rechtfertigen. In der im Schriftsatz zitierten Textstelle der Entscheidung geht es um die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel. Die dort für erforderlich gehaltenen Anforderungen sind nicht auf die der Begründung gem. § 80 Abs. 3 VwGO zu übertragen.
30
b) Das streitgegenständliche Verbot des Inverkehrbringens der in Ziffer I. a) und b) aufgeführten Produkte ist nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung von Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Interesse und das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihrer Anordnung überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
31
aa) Der Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere wurde die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung vor Bescheiderlass ordnungsgemäß durchgeführt.
32
Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG bestimmt, dass die Behörde einen Beteiligten anhören muss, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Eine Anhörung hat die Ankündigung zu enthalten, dass in einem konkreten Einzelfall der Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes beabsichtigt ist. Hierzu ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Wie die Anhörung zu erfolgen hat, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Sie kann somit schriftlich, mündlich oder auch fernmündlich erfolgen (vgl. Herrmann in BeckOK Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 57. Ed., Stand: 1.10.2022, § 28 Rn. 15, 17).
33
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin erfüllen die von der Antragsgegnerin am 29. Juni 2022 getätigten Äußerungen die Anforderungen einer Anhörung. Es erfolgte nicht nur eine Belehrung durch den Lebensmittelkontrolleur. Die Antragsgegnerin wies den Geschäftsführer der Antragstellerin auch ausdrücklich darauf hin, dass der Verdacht des Vertriebs zahlreicher zulassungsbedürftiger, neuartiger Lebensmittel bestünde. Sie stellte eine Entscheidung in der Sache nach Abschluss der Begutachtung durch das LGL in Aussicht und machte deutlich, dass bei Bestätigung des Verdachts lediglich ein Verkehrsverbot in Betracht käme. Dem Geschäftsführer der Antragstellerin wurde noch vor Ort Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die dieser auch wahrnahm. Dabei stand der Antragstellerin auch jederzeit die Möglichkeit der Beiziehung eines Rechtsbeistands offen.
34
Im Übrigen wäre ein etwaiger Verfahrensmangel aber jedenfalls nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG durch die Nachholung der Anhörung der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren geheilt.
35
Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG kann die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
36
Hierbei setzt Art. 45 BayVwVfG insoweit vornehmlich einen zeitlichen Rahmen, verhält sich allerdings nicht zu der Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist der Regelung gerade nicht zu entnehmen. Der Mangel kann ausnahmsweise auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten oder Äußerungen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren geheilt werden. Entscheidend ist nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Von der Behörde zu verlangen, dem Betroffenen parallel zum Gerichtsverfahren zusätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wäre reiner Formalismus. Der Sinn und Zweck der Anhörung muss indes gewahrt sein, so dass erforderlich ist, dass die Behörde das bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser Prüfung ausdrücklich oder sinngemäß mitteilt (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2014 – 22 ZB 14.1062 – juris Rn. 9 f.; B.v. 17.12.2015 – 20 CS 15.2677 – juris Rn. 3; vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 29.3.2019 – W 9 K 18.476 – juris Rn. 31 f.).
37
Diesen Anforderungen wurde vorliegend genüge getan, sodass selbst bei Annahme einer unterlassenen bzw. unzureichenden Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG eingetreten wäre. Die Antragsgegnerin hat das Vorbringen der Antragstellerin im Rahmen der Antragserwiderung zur Kenntnis genommen und ausreichend gewürdigt. Indem die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 beantragt hat, den Eilrechtsschutz der Antragstellerin abzulehnen, hat sie der Antragstellerin auch zumindest sinngemäß mitgeteilt, dass sie an ihrem Bescheid trotz des Vorbringens in der Antragsbegründung festhält. Damit wären jedenfalls die materiellen Anforderungen an die Nachholung einer zunächst vermeintlich unterbliebenen Anhörung gewahrt.
38
bb) Der Bescheid ist aller Voraussicht nach auch materiell rechtmäßig, da alle Tatbestandvoraussetzungen der Rechtsgrundlage vorliegen und die getroffene Maßnahme verhältnismäßig ist.
39
(1) Rechtsgrundlage des Inverkehrbringungsverbots ist Art. 138 Abs. 1 b) (EU) Nr. 2017/625 (Kontroll-VO) i.V.m. Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel Food-VO – NFV). Wird ein Verstoß gegen Vorschriften des Lebens- und Futtermittelrechts festgestellt, ergreifen die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der Betroffene den Verstoß beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert werden. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen sie die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des Betroffenen in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften. Der Antragsgegnerin steht somit grundsätzlich kein Entschließungsermessen hinsichtlich des „Ob“ des Einschreitens zu. Lediglich in Bezug auf das „Wie“ der Maßnahme steht ihr ein Ermessen zu. Nach Art. 138 Abs. 2 d) Kontroll-VO zählt auch das Verbot des Inverkehrbringens zu den möglichen zu treffenden Maßnahmen.
40
Vorliegend verstößt die Antragstellerin gegen Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283 (NFV). Nach dieser Vorschrift dürfen nur zugelassene und in der gemäß den Artikeln 7, 8 und 9 NFV erstellten Unionsliste nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Da es sich bei den beanstandeten Produkten um neuartige Lebensmittel im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 handelt, die in der Unionsliste nicht aufgeführt sind und die somit nach Art. 6 Abs. 2 der VO (EU) 2015/2283 nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, liegen die Voraussetzungen für die streitgegenständlichen Maßnahmen vor.
41
(a) Der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung – NFV) ist eröffnet.
42
i) Gemäß Art. 2 Abs. 1 NFV gilt die Verordnung für das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel in der Union. Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 (Basis-VO), auf den Art. 3 Abs. 1 NFV Bezug nimmt, sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Der Begriff des Stoffs ist in der BasisVO nicht näher definiert. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um alle chemischen Elemente und Moleküle in der jeweiligen Zusammensetzung handeln soll, unabhängig davon, ob sie flüssig, gasförmig oder fest sind. Voraussetzung für die Einstufung als Lebensmittel ist, dass die Stoffe vom Menschen oral aufgenommen werden können. Ob die betreffenden Stoffe tatsächlich zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt sind, richtet sich vorrangig nach der subjektiven Zweckbestimmung durch den Lebensmittelunternehmer, der diese in den Verkehr bringt. Korrigiert werden kann dies durch die nach objektivierter Auffassung zu bestimmende Frage, ob die Aufnahme vernünftigerweise erwartet werden kann (vgl. Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 4 Rn. 4f.)
43
Der streitgegenständliche Kaugummi stellt nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 178/2002 ein Lebensmittel dar. Auch das Aromaöl ist nach dem oben Gesagten als Lebensmittel im Sinne des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 zu qualifizieren. Das Öl ist nach der subjektiven Zweckbestimmung der Antragstellerin zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hatte am 29. Juni 2022 gegenüber der Antragsgegnerin geäußert, dass die in den Ölen enthaltenen CBD-Extrakte vom Kunden geschluckt bzw. aufgenommen werden sollen, um möglichst viele der Cannabinoide und Terpene aus der Hanfpflanze für den Körper nutzen zu können. Auch das LGL hat in seinem Gutachten vom 22. August 2022 überzeugend dargelegt, dass das „Aromaöl CBD 30%“ nach seiner Aufmachung und auch nach seinem allgemeinkundigen Verwendungszweck zum menschlichen Verzehr bestimmt ist.
44
ii) Der Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung ist für das Aromaöl auch nicht wegen Art. 2 Abs. 2 b) iii) NFV ausgeschlossen. Nach dieser Norm gilt die Verordnung nicht für Lebensmittel, die als Lebensmittelaromen gemäß der Verordnung (EG) 1334/2008 verwendet werden. Ein „Aroma“ ist nach der Begriffsbestimmung des Art. 3 Abs. 2 a) VO (EG) 1334/2008 ein Erzeugnis, das als solches nicht zum Verzehr bestimmt ist und Lebensmitteln zugesetzt wird, um ihnen einen besonderen Geruch und/oder Geschmack zu verleihen oder diese zu verändern (Art. 3 Abs. 2 a) i) VO (EG) 1334/2008) und das aus den Kategorien Aromastoffe, Aromaextrakte, thermisch gewonnene Reaktionsaromen, Raucharomen, Aromavorstufen, sonstige Aromen oder deren Mischungen hergestellt wurde oder besteht (Art. 3 Abs. 2 a) ii) VO (EG) 1334/2008). Die Definition umfasst somit zwei Teile, die Abgrenzung nach der Zweckbestimmung (i)) und eine Abgrenzung nach Kategorien von Stoffen (ii)), die kumulativ vorliegen müssen (Meisterernst in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 183. EL, Stand: März 2022, Art. 3 VO (EG) 1334/2008, Rn. 4).
45
Nach Art. 3 Abs. 2 d) VO (EG) 1334/2008 handelt es sich bei einem Aromaextrakt um ein Erzeugnis, das kein Aromastoff ist und gewonnen wird aus (i)) Lebensmitteln durch geeignete physikalische, enzymatische oder mikrobiologische Verfahren, bei denen sie als solche verwendet oder mittels eines oder mehrerer herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren für den menschlichen Verzehr aufbereitet werden, und/oder (ii)) Stoffen pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ursprungs, die keine Lebensmittel sind, und zwar durch geeignete physikalische, enzymatische oder mikrobiologische Verfahren, wobei die Stoffe als solche verwendet oder mittels eines oder mehrerer herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren aufbereitet werden.
46
Vorliegend fehlt es bezüglich des Produkts „Aromaöl CBD 30%“ schon an der besonderen Zweckbestimmung von CBD zur Geruchs- und/oder Geschmacksverleihung oder -veränderung (so für ein vergleichbares Produkt: BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 20 CS 22.307 – juris Rn. 8). Es stehen vielmehr die im Öl enthaltenen Wirkstoffe im Vordergrund, von deren Wirkung der Kunde profitieren soll. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hatte dies in seiner Aussage vom 29. Juni 2022 ausdrücklich betont. Diesem zufolge sollten durch das Schlucken des Öls möglichst viele Cannabinoide und Terpene für den Körper genutzt werden können. Dass lediglich nur der Geruch oder der Geschmack von Hanf im Vordergrund steht, ist nicht ersichtlich. Das vom Antragsteller auf den Seiten 13 bis 15 des Schriftsatzes vom 19. Dezember 2022 zitierte Gutachten eines Sachverständigen kann nicht dazu herangezogen werden, um den Zweck der Aromatisierung durch das „Aromaöl CBD 30%“ zu begründen. Aus der zitierten Textpassage ist nicht ersichtlich, um welches Produkt es sich bei dem vom Verfasser untersuchten Produkt handelt. Die dort getroffene Einschätzung kann deshalb nicht ohne weiteres auf die hier streitgegenständlichen Produkte übertragen werden.
47
iii) Die Untersagungsverfügungen beziehen sich auf neuartige Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 a) iv) NFV.
48
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei Lebensmitteln, denen CBD, das durch Extraktion aus der Hanfpflanze oder auch synthetisch gewonnen worden ist, zugegeben wurde, um neuartige Lebensmittel nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 (BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 20 CS 22.307 – juris Rn. 6 m.w.N.). Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 sind neuartige Lebensmittel solche, die vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von den Zeitpunkten der Beitritte der Mitgliedstaaten zur Union nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind und in mindestens eine der in der Vorschrift genannten Kategorien fallen. Unter die Kategorie iv) fallen solche Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden. Ausgenommen sind Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe herkömmlicher Vermehrungsverfahren, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union zur Lebensmittelerzeugung eingesetzt wurden, oder nicht herkömmlicher Vermehrungsverfahren, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht zur Lebensmittelerzeugung eingesetzt wurden, sofern diese Verfahren nicht bedeutende Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels bewirken, die seinen Nährwert, seine Verstoffwechselung oder seinen Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflussen.
49
Nach summarischer Prüfung waren Lebensmittel, denen aus der Hanfpflanze oder synthetisch gewonnenes CBD zugesetzt worden ist, vor dem 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in den jetzigen Mitgliedstaaten der Union im Verkehr. Die Antragstellerin konnte keinen ausreichenden Nachweis eines nennenswerten Verzehrs der streitgegenständlichen Produkte vor dem genannten Zeitraum erbringen. Dieser fehlende Nachweis geht im Zweifelsfall zu Lasten der Antragstellerin als Lebensmittelunternehmerin (vgl. BayVGH, U. v. 12.5.2009 – 9 B 09.199 – juris Rn. 19).
50
Für die Beurteilung der Frage, ob ein neuartiges Lebensmittel vorliegt, ist nicht auf den Ausgangsstoff, sondern auf das erzeugte, zu beurteilende Produkt abzustellen (vgl. VGH BW, B. v. 16.10.2019 – 9 S 535/19 – juris Rn. 23). Für die Prüfung ist somit nicht Cannabis sativa L. als Hanfpflanze maßgeblich, sondern das aus der Pflanze isolierte bzw. synthetisch hergestellte Cannabidiol als Zutat. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist es deshalb irrelevant, ob die Pflanze Cannabis sativa L. möglicherweise in Positivlisten anderer europäischer Mitgliedsstaaten aufgenommen wurde.
51
Nach dem Novel-Food Katalog der Europäischen Kommission (abrufbar unter: https://webgate.ec.europa.eu/fip/novel_food_catalogue/zuletzt abgerufen am 5.1.2023) werden die aus der Pflanze Cannabis sativa L. gewonnenen Extrakte und erlangten Produkte einschließlich Cannabinoide als Novel Foods angesehen, da eine nennenswerte Verwendungsgeschichte nicht nachgewiesen sei. Dies betreffe sowohl die Extrakte an sich, als auch alle Produkte, denen sie als Zutat beigefügt werden. Grundsätzlich ist der Katalog der Europäischen Kommission für die Einordnung eines Lebensmittels als neuartig nicht bindend (vgl. BGH, Urteil vom 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 33). Ihm ist jedoch eine Indizwirkung zuzuschreiben, da in die Einträge des Katalogs die Erkenntnisse der Europäischen Kommission sowie der für neuartige Lebensmittel zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einfließen (vgl. VG Hannover, B.v. 18.11.2019 – 15 B 3035/19 – juris).
52
Auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das in Deutschland die zuständige Behörde für Konsultationen nach Art. 4 Abs. 2 NFV ist (vgl. § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über neuartige Lebensmittel), hält CBDhaltige Hanfextrakte und jedes mit solchen Extrakten versetzte Lebensmittel ausweislich der auf seiner Homepage frei zugänglichen Ausführungen für neuartig (abrufbar unter: https://www. bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/04_AntragstellerUnternehmen/13_FAQ/FAQ_Hanf_THC_CBD/FAQ_Cannabidiol_node.html, zuletzt abgerufen am: 13.1.2023).
53
Soweit sich die Antragstellerin auf die Auffassung der britischen Food Standarts Agency (FSA) vom 13. Dezember 2017 beruft, ist diese überholt. Das FSA führt auf ihrer Internetseite Folgendes aus:
54
„Hemp and related products, such as cold-pressed oils, are not novel because there is evidence to show a history of consumption before May 1997. This is not the case for CBD extracts.“ (abrufbar unter: https://www.food.gov.uk/business-guidance/cannabidiol-cbd, zuletzt abgerufen am 05.1.2023).
55
Es wird somit mittlerweile ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass zwar Hanf und ähnliche Produkte kein Novel Food seien, dies jedoch nicht für CBD gelte.
56
Die mit Schriftsatz vom 12. Januar 2023 vorgelegte Stellungnahme des Clinical Investigation Support belegt ebenfalls keinen Verzehr in nennenswertem Umfang vor dem maßgeblichen Stichtag. Die von der Antragstellerin zitierte Passage auf der 4. Seite der Stellungnahme, wonach in Europa jährlich etwa 7,5 t Hanfblüten für die Produktion von essentiellen Ölen (möglicherweise gemeint: ätherischen Ölen) für die Nahrungs- und Getränkeindustrie sowie für medizinische Zwecke verarbeitet werden, betrifft Lebensmittelaromen (Art. 2 Abs. 2 b) iii) Novel-Food-VO) sowie Arzneimittel, für die die Novel-Food-VO nicht gilt (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 27.9.2019 – 16 L 2333/19 – juris Rn. 43).
57
Es liegen auch nicht die Voraussetzungen der Ausnahme zu Art. 3 Abs. 2 a) iv) NFV vor. Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass die Pflanze Cannabis sativa L. eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hätte. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann jedoch dahinstehen, da auch der Ausnahmetatbestand nur gegeben ist, wenn das aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehende oder daraus isolierte Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat. Es kommt auch hier wieder auf die streitgegenständlichen Produkte und nicht auf das Ausgangsprodukt bzw. die verarbeitete Pflanze an (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 27.9.2019 – 16 L 2333/19 – juris Rn. 48)
58
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergibt sich aus dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit nichts Anderes. Die Antragstellerin führt aus, dass es ausreiche, wenn in einem europäischen Mitgliedsstaat entsprechende Präparate als verkehrsfähig angesehen würden. Das streitgegenständliche Verkehrsverbot stelle eine Maßnahme gleicher Wirkung dar.
59
Gemäß Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Dies hat zur Folge, dass der freie Warenverkehr nicht durch nationale Vorschriften, die ausschließlich auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten Anwendung finden, beeinträchtigt werden darf. Streitgegenständlich ist hier jedoch eine lebensmittelrechtliche Untersagungsverfügung, die ihre Grundlage in Art. 138 VO (EU) 2017/625 und Art. 6 Abs. 2 NFV hat. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um Unionsrecht, das in allen Mitgliedsstaaten Geltung beansprucht. Es steht somit keine nationale, den freien Warenverkehr beeinträchtigende Regelung im Raum (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.03.2021 – 9 B 1574/20).
60
(b) Da Lebensmittel mit Cannabidiol bislang noch nicht in die nach Art. 6 Abs. 1 NFV zu erstellende Unionsliste eingetragen sind, verstößt das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Produkte gegen Art. 6 Abs. 2 NFV. Nach summarischer Prüfung liegen somit die Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 vor.
61
(2) Da aller Voraussicht nach ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 NFV vorliegt, war die Antragstellerin verpflichtet, gegen das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Produkte einzuschreiten. Das Untersagen des Inverkehrbringens von nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln gehört zu den Maßnahmen, die die zuständige Behörde nach Art. 138 Abs. 2 d) VO (EU) 2017/625 anordnen kann. Die im vorliegenden Fall angeordneten Inverkehrbringungsverbote sind verhältnismäßig. Sie sind geeignet, den bereits erfolgten Verstoß zu beenden und mögliche weitere Verstöße zu verhindern. Das Verbot ist auch erforderlich, da keine milderen, gleich effektiven Maßnahmen ersichtlich sind. Im Verhältnis zu einem Rückruf mit einer damit möglicherweise einhergehenden Rufschädigung stellen die Verbote bis zur Zulassung der Produkte durch die EU und die Aufnahme in die Unionsliste einen geringeren Eingriff dar. Zweifel an der Angemessenheit sind ebenfalls nicht gegeben.
62
(3) Die Anordnungen der Antragsgegnerin in den Ziffern I. a) und I. b) sind auch hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Die gegenüber der Antragstellerin getroffenen Anordnungen genügen dem an einen Verwaltungsakt zu stellenden Bestimmtheitserfordernis. In Ziffer I. a) des Bescheids wird der Antragstellerin das Inverkehrbringen der genau bezeichneten Produkte „Aromaöl CBD 30%“ und „Cannabis Chewing Gums“ untersagt. Dies erfolgte aufgrund der durch das LGL durchgeführten Untersuchung der Verdachtsproben der beiden Produkte. Ziffer I. a) wird nicht deshalb überflüssig, weil die Antragsgegnerin in Ziffer I. b) des Bescheids eine Untersagung des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, die Cannabidiol oder Hanfextrakt als Zutat ausweisen, anordnet. Zwar fallen hierunter auch die in Ziffer I. a) aufgeführten Produkte. Jedoch lässt sich diese Anordnung nach §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung ihres objektiven Erklärungswertes aus Sicht des Empfängerhorizonts ohne weiteres auslegen und in ihrem Anwendungsbereich eindeutig erfassen. Die Antragsgegnerin bezweckt damit die Untersagung des Inverkehrbringens aller weiteren Produkte die Cannabidiol oder Hanfextrakt enthalten und die die Antragstellerin zum Verkauf anbietet. Auch die Formulierung „als Zutat ausgewiesen“ führt nicht zur Unbestimmtheit der Ziffer I b). In Zusammenhang mit den Begründungen des Bescheids war für die Antragstellerin ersichtlich, dass Ziffer I. b) des Bescheids nur solche Produkte einbezieht, die tatsächlich Cannabidiol oder Hanfextrakt als Zutat enthalten.
63
c) Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung in Ziffer III. des Bescheids bestehen keine rechtlichen Bedenken. Diese stützt sich auf Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 30 Abs. 1 i.V.m. 20 Nr. 1, 31, 36 VwZVG. Die Höhe der Zwangsgelder hält sich mit 500,00 EUR je Produktart im gesetzlichen Rahmen von Art. 31 Abs. 2 Satz.1 VwZVG, wonach das Zwangsgeld mindestens 15 und höchstens 50.000,00 EUR beträgt. Die Bestimmtheit der Androhung ist ebenfalls gewahrt, da für jeden Verstoß je Produktart ein Zwangsgeld von 500,00 EUR angedroht wurde.
64
3. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
65
4. Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da die Antragstellerin keine Anhaltspunkte für die wirtschaftliche Bedeutung des streitgegenständlichen Verbots des Inverkehrbringens gegeben hat, war in der Hauptsache vom Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG auszugehen, der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu halbieren ist (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).