Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 28.03.2023 – VG 1 K 22.2156
Titel:

rechtmäßige Ausweisung nach Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland

Normenkette:
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 56, § 59 Abs. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK entfalten ihre ausländerrechtlichen Schutzwirkungen nicht schon aufgrund nur formal-rechtlicher familiärer Bindungen; es kommt vielmehr entscheidend auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und dem Ehegatten bzw. seinem Kind an. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise darf nicht in einen Zeitraum fallen, in dem der Ausländer noch nicht zur Ausreise verpflichtet ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Kann eine Abschiebung langfristig nicht durchgeführt werden, weil bezüglich des Heimatstaates auf unabsehbare Zeit ein Abschiebungshindernis besteht, und kommt auch kein anderer Staat in Betracht, in den der Ausländer abgeschoben werden könnte, so läuft die Abschiebungsandrohung ins Leere und kann ihr Ziel nicht erreichen; eine Abschiebungsandrohung „auf Vorrat“ darf nicht ergehen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Staatsangehöriger, Ausweisung unter Anordnung des Sofortvollzugs, Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Meldepflicht, Aufenthaltsbeschränkung, Kontaktverbot, Kommunikationsmittelverbot, Zwangsgeldandrohung, türkischer Staatsangehöriger, Flüchtlingseigenschaft, Ausweisung, mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Ausreisefrist, Abschiebungsandrohung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 05.07.2024 – 10 ZB 23.1712
VGH München, Beschluss vom 09.10.2023 – 10 ZB 23.833
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9975

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2022 wird in den Ziffern 2, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15 und 16 aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der am ... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2022, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde und ihm gegenüber weitere Anordnungen ergingen.
2
Im März 2011 reiste der Kläger ins Bundesgebiet ein und stellte am 12. April 2011 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 31. Januar 2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag zunächst umfassend ab. Gegen den ablehnenden Bescheid ließ der Kläger Klage erheben. Das Verwaltungsgericht Augsburg verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland daraufhin mit Urteil vom 18. Oktober 2012, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (Au 6 K 12.30067). Mit Bescheid vom 7. Februar 2013 stellte das Bundesamt fest, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
3
Seit 25. Februar 2013 war der Kläger im Besitz eines Reiseausweises für Flüchtlinge (gültig bis 18. Februar 2016). Zugleich wurde ihm eine bis zum 24. Februar 2016 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Anschließend erhielt er fortlaufend Fiktionsbescheinigungen, zuletzt befristet bis 28. Oktober 2022. Am 5. Februar 2016 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sowie die Verlängerung seines Reiseausweises für Flüchtlinge.
4
Die Ehefrau des Klägers reiste am 18. Oktober 2013 zusammen mit den drei Kindern im Wege des Familiennachzugs ins Bundesgebiet ein. Am ... 2015 wurde das vierte Kind des Klägers und seiner Ehefrau geboren.
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Im Bundesgebiet ging der Kläger zeitweise einer Beschäftigung nach, bezog aber immer wieder, zum Teil jedoch nur ergänzend, Sozialleistungen.
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Das Amtsgericht Augsburg verurteilte den Kläger unter Einbeziehung der Verurteilung vom 26. April 2018 wegen Zuwiderhandlung gegen Verbote nach dem Vereinsgesetz in sieben tatmehrheitlichen Fällen am 30. Juli 2019 zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 15,00 EUR.
7
Am 14. August 2020 erließ das Oberlandesgericht München einen Haftbefehl gegen den Kläger u.a. wegen des dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Daraufhin wurde der Kläger am 10. September 2020 in M. verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Aufgrund des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 13. April 2021, in dem festgestellt wurde, dass gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen worden war, wurde der Kläger noch am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen.
8
Der Kläger wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts München vom 11. Mai 2022 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr acht Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch liegt zugrunde, dass der Kläger, welcher bereits im Jugendalter für die kurdische Minderheit politisch aktiv gewesen sei, jedenfalls seit Ende des Jahres 2017 bis zu seiner Festnahme am 10. September 2020 eine bedeutende Stellung innerhalb der PKK innegehabt habe, durch welche er die Organisation der PKK in der Region Bayern und den PKK-Gebieten N., U. und M. durch zahlreiche Handlungen von innen heraus maßgeblich gefördert habe. Bereits im Jahr 2013 sei der Kläger an einen nicht näher bekannten Ort im kurdischen Siedlungsgebiet gereist und habe an einem Treffen von PKK-Mitgliedern u.a. aus Deutschland und der Schweiz teilgenommen, bei welchem auch die Lage der PKK und der Kader in Europa erörtert worden sei. Ausweislich der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils sei der Kläger in der Hierarchie der PKK ein sog. „Frontarbeiter“, der dem jeweiligen Gebietsleiter der PKK unterstehe und diesen unterstütze. Gegenüber PKK-Aktivisten sei er weisungsbefugt gewesen. Im festgestellten Tatzeitraum sei er der einzig feste Bestandteil der regionalen Organisationsstruktur gewesen, habe Kadervakanzen ausgefüllt, neue Funktionäre in die örtlichen Strukturen und Gegebenheiten eingeführt, habe diese den Aktivisten in den jeweiligen Gebieten vorgestellt, habe sie unterstützt, indem er sie beherbergt habe, habe sie vom Zug oder der Straßenbahn abgeholt und habe auch sonst für sämtliche Fragen der Funktionäre zur Verfügung gestanden, habe Veranstaltungen organisiert, welche das Bestehen und die Interessen der PKK auch außenwirksam präsentierten, habe die alljährlichen Spendensammlungen unterstützt und sei auch sonst immerwährender Ansprechpartner für die PKK-Aktivisten in dem von ihm betreuten Gebiet gewesen. Der Kläger sei unentgeltlich tätig gewesen und habe hierfür einen Großteil seiner freien Zeit aufgewandt. Trotz einer Verurteilung wegen einschlägiger Taten durch das Amtsgericht Augsburg vom 30. Juli 2019 habe der Kläger seine Tätigkeiten für die PKK bereits am 31. Juli 2019 unbeirrt fortgesetzt, mithin nur einen Tag nach der Hauptverhandlung.
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Das Oberlandesgericht München setzte die verhängte Freiheitsstrafe mangels positiver Sozialprognose nicht zur Bewährung aus, sah jedoch von der Anordnung der Führungsaufsicht ab, da nach Auffassung des Senates zwar die Gefahr weiterer Straftaten bestehe, diese jedoch voraussichtlich im Bereich der mittleren Kriminalität bleiben würden, nämlich im Bereich der vom Kläger bereits begangenen und abgeurteilten Taten.
10
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München legte der Kläger Revision ein, die vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 30. November 2022 als unbegründet verworfen wurde.
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Nach entsprechender Anhörung wies der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 11. Oktober 2022, der dem Bevollmächtigten des Klägers am 14. Oktober 2022 zugestellt wurde, aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und ordnete ein auf 20 Jahre ab dem Verlassen des Bundesgebiets befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 2). Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis wurde abgelehnt (Ziffer 3). Ebenso wurde der Antrag auf Erteilung eines Reiseausweises für Flüchtlinge abgelehnt (Ziffer 4). Der Kläger wurde verpflichtet, die bis 28. Oktober 2022 befristete Fiktionsbescheinigung bei der Stadt ... abzugeben (Ziffer 5). In Ziffer 6 des Bescheids wurde ihm eine Duldung erteilt. Der Beklagte forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung des Bescheids zu verlassen (Ziffer 7). Für den Fall, dass der Kläger nicht fristgerecht ausreist, wurde ihm angedroht, dass er nach bestandskräftigem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und bei Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten in die Türkei abgeschoben werden wird (Ziffer 8). Er wurde verpflichtet, sich ab Zustellung des Bescheids viermal wöchentlich, montags, mittwochs, freitags und sonntags, bei der Polizeiinspektion ... zu melden (Ziffer 9). Sein Aufenthalt wurde ab Zustellung des Bescheids auf das Stadtgebiet ... beschränkt (Ziffer 10). Er wurde verpflichtet, zu den in Ziffer 11 des Bescheids genannten Personen keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen. In Ziffer 12 des Bescheids wurde er verpflichtet, die dort genannten Kommunikationsmittel nicht zu nutzen (EDVgestützte Kommunikationsmittel wie beispielsweise Internet, E-Mails, Newsgroups, soziale Netzwerke, Sprachassistenten; Mobiltelefone aller Art; öffentliche und private Fernsprecher aller Art; Faxgeräte aller Art). Von diesem Verbot ausgenommen wurde die Nutzung eines nicht internetfähigen Mobiltelefons, nachdem dem Beklagten dessen Telefon-, Karten- und Gerätenummer angezeigt worden ist, sowie die Nutzung eines Mobiltelefons, das ihm im Falle einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung von der zuständigen Behörde zur Verfügung gestellt werden wird. Für den Fall, dass der Kläger gegen die ihn Ziffer 9 angeordnete Meldepflicht verstößt, wird ein Zwangsgeld von 100 Euro fällig (Ziffer 13). Falls der Kläger gegen die ihn Ziffer 10 angeordnete Aufenthaltsbeschränkung verstößt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR fällig (Ziffer 14). Für den Fall dass er gegen das in Ziffer 11 angeordnete Kontaktverbot verstößt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR fällig (Ziffer 15). Für den Fall, dass er gegen das in Ziffer 12 angeordnete Kommunikationsmittelverbot verstößt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR fällig (Ziffer 16). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2, 9 und 10 wurde angeordnet (Ziffer 17). Nach Ziffer 18 ergeht der Bescheid kostenfrei, die Kosten einer Abschiebung hätte der Kläger zu tragen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstelle. Seine Mitgliedschaft und seine umfassenden Unterstützungshandlungen zugunsten der terroristischen Vereinigung PKK seien geeignet, die Schutzgüter der Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung sowie die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen zu beeinträchtigen. Er sei nicht nur einfaches Mitglied, sondern sogenannter Frontarbeiter gewesen und habe in dieser Funktion eine erhebliche Schlüsselrolle innerhalb der PKK in Bayern gehabt. Darüber hinaus bestehe aufgrund des großen Mobilisierungspotenzials auch für Deutschland eine anhaltend hohe Gefährdung durch die PKK und die Anwesenheit von deren Unterstützern. Die PKK sei mit ihrem rechtswidrigen Verhalten und ihrer immer schwelenden Gewaltbereitschaft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. So komme es auch in Deutschland immer wieder zum Beispiel zu gewalttätigen Ausschreitungen am Rand von Kundgebungen, zu Übergriffen auf Polizeibeamte und zu Auseinandersetzungen mit national gesinnten Türken. Die Aktivitäten der PKK richteten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und beeinträchtigten auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sei damit gegeben. Mit der PKK habe der Kläger eine Vereinigung unterstützt, die ihrerseits den Terrorismus unterstütze. Des Weiteren sei er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet wiederholt strafrechtlich, insbesondere im Zusammenhang mit der Unterstützung der PKK, in Erscheinung getreten und habe sich auch von erheblichen Geldstrafen nicht davon abbringen lassen, sich weiter intensiv für die Belange der PKK einzusetzen. Da ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei und diese bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Widerrufsverfahrens fortbestehe, dürfe er nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder als eine terroristische Gefahr anzusehen sei oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sei. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Die Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei auf sein persönliches Verhalten zurückzuführen, namentlich die von ihm zugunsten der PKK vorgenommenen, intensiven Unterstützungshandlungen. Seine Ausweisung erfolge ausschließlich aus spezialpräventiven Gründen. Da die von ihm drohende Beeinträchtigung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland Rechtsgüter von hohem Verfassungsrang wie das Leben und die körperliche Unversehrtheit betreffe, berühre die Gefahr ein Grundinteresse der Gesellschaft. Seine Ausweisung sei zur Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland unerlässlich, weil er Handlungen einer dem Terrorismus zurechenbaren Organisation befürworte und diese durch seine persönliche Eingliederung in deren Strukturen aktiv unterstütze. Vorliegend seien Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 sowie Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Er sei Mitglied der terroristischen Vereinigung PKK und habe diese seit mindestens elf Jahren unterstützt. Beim Kläger bestünden jedoch schwerwiegende Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Er übe die Personensorge für seine mit ihm zusammenlebenden vier Töchter aus. Zusammenfassend überwögen die öffentlichen Interessen an einer Beendigung seines Aufenthalts erheblich seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde angeordnet und auf 20 Jahre befristet, weil vom Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Es sei davon auszugehen dass sich im Falle einer Rückkehr ins Bundesgebiet vor dem Ablauf von 20 Jahren seine die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Denkweise und Einstellung weiter radikalisiert haben werde. Auch könne nicht von einer Veränderungsbereitschaft ausgegangen werden. Der vorliegende Zeitraum des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Höhe von 20 Jahren sei unter Abwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände geeignet, erforderlich und angemessen, die präventiven Zwecke der Ausweisung zu erreichen. Der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis stehe die Titelerteilungssperre entgegen. Ebenso stehe die Titelerteilungssperre einer etwaigen Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis entgegen. Die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge sei zu versagen gewesen, weil zwingende Gründe der nationalen Sicherheit der Ausstellung eines Reiseausweises entgegenstünden. Der Kläger sei zur Ausreise verpflichtet. Ihm werde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 30 Tagen eingeräumt. Sollte der Kläger seiner Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig und fristgerecht nachkommen, werde nach Wegfall der Flüchtlingseigenschaft seine Ausreiseverpflichtung durch Abschiebung vollzogen. Zur Eindämmung und Überwachung der vom Kläger ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die freiheitliche demokratische Grundordnung würden weitreichende Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Eine vier Mal wöchentliche Meldepflicht, jeweils montags, mittwochs, freitags und sonntags, werde angeordnet. Aus Gründen der inneren Sicherheit sei die engmaschige, vier Mal wöchentliche Meldepflicht ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu kontrollieren und zu überwachen. Seine intensiven Unterstützungshandlungen zugunsten der PKK, unter anderem in Form von Reisen innerhalb Bayerns und Deutschlands, beispielsweise im Rahmen von Spendensammlungen, sowie ins europäische Ausland zu Veranstaltungen müssten effektiv eingedämmt werden. Ihm werde damit keine Möglichkeit zu einem längeren unbemerkten Aufenthalt außerhalb seines ihm zugewiesenen Bereichs gegeben. Seiner Beschäftigung als Reinigungskraft könne er trotz der Meldepflicht weiterhin nachkommen, weil er sich die Tage sowie die Uhrzeiten frei einteilen könne. Die Polizeiinspektion ... befinde sich in ca. 4 km Entfernung zu seiner Wohnung, sodass das Aufsuchen zumutbar sei, zumal er sich die Uhrzeiten frei einteilen könne. Der Aufenthalt des Klägers werde auf das Stadtgebiet ... beschränkt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Ansonsten sei die Überwachbarkeit des Klägers nicht effektiv gewährleistet. Soziale Kontakte könnten auch durch Besuche in seiner Wohnung gepflegt und aufrechterhalten werden. Ansonsten wäre es ihm möglich, seine Unterstützungshandlungen zugunsten der PKK in seinem gewohnten Umfeld ungehindert fortzuführen bzw. Kontakte zu Anhängern der PKK in Bayern weiter zu pflegen oder auch neu herzustellen. Die Anordnung der Kontaktverbote zu den im Bescheid genannten Personen sei geeignet, erforderlich und angemessen, um die Fortführung seiner Bestrebungen zu erschweren bzw. so weit wie möglich zu unterbinden. Bei den genannten Personen handele sich ebenfalls um Mitglieder und Unterstützer der PKK in Deutschland, teilweise sogar in Führungspositionen, zu denen er in der Vergangenheit im Rahmen seiner Tätigkeit als Frontarbeiter intensiven Kontakt gepflegt habe. Die Verpflichtung, sämtliche EDVgestützten Kommunikationsmittel sowie sämtliche privaten sowie öffentlichen Festnetz-, Mobiltelefone und Faxgeräte mit Ausnahme eines nicht internetfähigen Mobiltelefons nicht mehr zu nutzen, erfolge ebenfalls zur Unterbindung der Fortführung von Bestrebungen, die zu seiner Ausweisung geführt hätten. Diese Verpflichtung sei zudem notwendig und erforderlich, um erhebliche Gefahren für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Dem Kläger verbleibe mit dem nicht internetfähigen Mobiltelefon ein bestimmtes Kommunikationsmittel. In diesem Rahmen habe er auch noch die Möglichkeit, das verfassungsmäßig geschützte Recht auf Kommunikationsfreiheit wahrzunehmen und auszuüben. Sollte der Kläger den in den Ziffern 9 – 12 dieses Bescheids festgelegten Verpflichtungen nicht nachkommen, werde ihm jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR angedroht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1, 2, 9 und 10 dieses Bescheides läge im überwiegenden öffentlichen Interesse. Im Rahmen der Gefahrenabwehr erforderten es das öffentliche Interesse und die Sicherheit der Allgemeinheit, alle rechtlich zulässigen Maßnahmen zu treffen, um das vom Kläger ausgehende Sicherheitsrisiko durch ein möglichst zeitnahes Eintreten der Regelungswirkung der Ausweisung zu unterbinden bzw. auf ein zu kontrollierendes und zu vertretendes Maß zu beschränken. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im Hinblick auf die durch seine Person verursachte akute Gefährdungslage gerechtfertigt und begründet, um die mit dieser Entscheidung angestrebten ordnungs- und sicherheitsrechtlichen Zielsetzungen effektiv zu erreichen. Ohne die Anordnung des Sofortvollzugs müssten während eines ggf. längerfristig andauernden Hauptsacheverfahrens Gefahren für die Allgemeinheit in Kauf genommen werden, die mit der Intention der in seinem Fall maßgebenden Ausweisungstatbestände nicht in Einklang zu bringen wären. Es sei damit zu rechnen, dass er im Falle eines Zuwartens bis zu einer Entscheidung in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren auch weiterhin die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde, denn es sei davon auszugehen, dass er auch weiterhin in der beschriebenen Form die PKK unterstützen werde. Ein Absehen von der sofortigen Vollziehung der Ausweisung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots hätte zur Folge, dass er bis zum Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides weiter wie bisher agieren könne. Auch im Hinblick auf die Meldepflicht und die modifizierte Aufenthaltsbeschränkung sei die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erforderlich, um sicherzustellen, dass die angeordneten Überwachungsmaßnahmen bereits während der Rechtsmittelfrist bzw. eines etwaigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vollzogen werden könnten. Die kraft Gesetzes eintretenden Auflagen seien nicht ausreichend, um die erforderliche Überwachung sicherzustellen. Die Kosten einer Abschiebung oder Zurückschiebung hätte gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG der Kläger zu tragen. Hierüber werde er zu gegebener Zeit einen gesonderten Leistungsbescheid erhalten.
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Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 10. November 2022 Klage erheben und beantragte zugleich Eilrechtsschutz. Für diese Verfahren beantragte er zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung seines Bevollmächtigten. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die verfügte Ausweisung sei rechtswidrig. Jenseits der inkriminierten, rein politischen Tätigkeit habe keinerlei konkrete Gefährdung von Individualrechtsgütern stattgefunden. Eine Beteiligung an Gewalttätigkeiten oder Schädigungshandlungen, auch mittelbar, stünde nicht im Raum. Sämtliche politischen und sonstigen Tätigkeiten des Klägers hätten seit vielen Jahren ausschließlich unter staatlich engmaschiger Beobachtung stattgefunden. Während vieler Jahre sei nichts unternommen worden. Das möge Ermittlungstaktiken geschuldet und daher polizeitaktisch vertretbar sein. Jedenfalls ergebe sich daraus, dass der Kläger sämtlichen bayerischen Sicherheitsbehörden nicht wie eine akute und einzuhegende Gefahr erschienen sei. Der Kläger habe keinerlei konspiratives Verhalten an den Tag gelegt, sondern einen Telefonanschluss unter seinen echten Personalien genutzt, eine gleichbleibende Meldeadresse gehabt, über ein stabiles Umfeld verfügt und sich absolut nichts zuschulden kommen lassen. In der Sachverhaltsdarstellung sei falsch, dass die Strafsache eine Teilnahme des Klägers an einem Ausbildungslager, wobei er eine Ausbildung an der Waffe erhalten haben solle, ergeben habe. Beim Kläger seien vielmehr unverschlüsselte Speichermedien aufgefunden worden, die Videos und Bilder einer Veranstaltung enthielten, die man getrost als Theater bezeichnen könne. Auf einigen Bildern sei ein einziges Gewehr zu sehen. Das habe als Kulisse gedient und dokumentiere keinesfalls Übungen oder eine Ausbildung. Das OLG München habe in einem Beschluss festgestellt, dass der Senat ohne die Beweiserhebung nicht davon ausgehe, dass es sich bei der Zusammenkunft um ein Ausbildungslager der PKK gehandelt habe. Im Rahmen der Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen habe der Kläger angegeben, dass er keine Fortführung der Aktivitäten beabsichtige. Außerdem sei eine reale Gefahr für die Allgemeinheit, beispielsweise die Begehung von Anschlägen im Westen, nicht gegeben, weil dies gerade nicht zu den Bestrebungen der Vereinigung zähle. Beim Kläger bestehe ein Bleibeinteresse nicht nur aufgrund seiner familiären Bindungen. Der Kläger sei wirtschaftlich integriert. Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft habe er direkt wieder bei seinem alten Arbeitgeber weiterarbeiten können. Der Gesundheitszustand des Klägers werde verkannt. Bei ihm sei eine PTBS festgestellt worden, die auf Folter während seiner Inhaftierung in der Türkei zurückgehe. Von einer Behandelbarkeit im Umfeld Türkei auszugehen, das die psychischen Schäden bedingt habe, zeuge von Unkenntnis oder Ignoranz. Das Verbot der Nutzung von internetfähigen Geräten sei schon ungeeignet, weil die dem Kläger vorgeworfene Teilnahme und Organisation von Versammlungen und Veranstaltungen sowie das persönliche Einsammeln von Spenden nicht irgendwie geartet über das Internet erfolgt sei. Die Staatsanwaltschaft habe als Beweismittel fast ausschließlich Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung, schlichte Telefonate des Klägers über seinen Anschluss, verwendet. Die Überwachungsmaßnahmen seien zur allein zulässigen Spezialprävention nicht – schon gar nicht in dem Umfang – erforderlich. Das Strafverfahren gegen den Kläger sei noch nicht abgeschlossen. Beim Auftreten neuer belastender Erkenntnisse bestünde die umgehende Gefahr einer erneuten Inhaftierung, was als konkret auf den Kläger wirkende Tatsache bei der Frage der Wiederholungsgefahr als diese erheblich begrenzend gewichtet werden müsse. Zwar sei es zutreffend, dass der Münchner Staatsschutzsenat keine Aussetzung der Strafe auf Bewährung mehr verfügt habe. Das Gericht habe jedoch auch von der Verhängung von Führungsaufsicht abgesehen. Führungsaufsicht werde bei Vorliegen der Voraussetzungen verhängt, könne aber ausnahmsweise entfallen, wenn festgestellt werde, dass nicht zu erwarten sei, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen werde. Seit seiner Haftentlassung habe der Kläger keinerlei weitere Aktivitäten im inkriminierten Sinn entfaltet. Die Maßnahmen seien auch schlicht unverhältnismäßig. Die mangelnde Rechtskraft des Urteils des OLG mache zwar nicht die Ausweisung rechtswidrig. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung müsse dieser Tatsache aber Gewicht zukommen. Insbesondere der Umfang der Meldepflichten schieße über das Ziel hinaus. Der Gesetzgeber habe eine wöchentliche Meldepflicht normiert. Die Regelung enthalte zwar die Befugnis, eine höhere Frequenz zu bestimmen. Wenn die Frequenz der Meldeauflage aber vervierfacht werde, so müsse dies besonders gerechtfertigt werden. Es sei nicht erkennbar, welche spezifische Gefährdung durch den Kläger bestehen solle, die eine um den Faktor vier erhöhte Reaktion erfordere. Das berufliche und private Leben des Klägers werde über Gebühr beeinträchtigt, zumal die Meldepflichten zusätzlich zu der verhängten Aufenthaltsbeschränkung ergangen seien, ohne dass Anzeichen bestünden, dass der Kläger behördlichen Anordnungen keine Folge leiste. Das Verbot der Nutzung internetfähiger Endgeräte greife zu weitgehend in die Rechte des Klägers ein. In der heutigen Zeit sei die Nutzung eines internetfähigen Smartphones nicht nur zur Pflege persönlicher Kontakte, sondern auch zur Teilnahme am öffentlichen Leben erforderlich. Im Falle des Klägers sei konkret zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Koordination seiner Arbeitstätigkeit Chefs und Kollegen selbstverständlich via Messenger-Diensten kommunizierten. Die Beschränkung des Aufenthalts des Klägers auf das Stadtgebiet ... schränke ihn übermäßig in der Berufsausübung ein. Sein Arbeitsvertrag sehe einen Einsatz nach Weisung des Arbeitgebers in ganz Bayern vor. Im Rahmen des Winterdienstes werde der Kläger regelmäßig bei einem Kunden in ... eingesetzt. Die Aufenthaltsbeschränkung könne somit die Arbeitsstelle des Klägers gefährden.
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Zum Nachweis der Beschäftigung des Klägers legte dessen Bevollmächtigter einen Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der ... GmbH vor, wonach der Kläger seit 2. September 2019 als Reinigungskraft tätig ist.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
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Der Bescheid des Beklagten vom 11.10.2022 wird in den Ziffern 1, 2, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15 und 16 aufgehoben.
16
Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
18
Die Aktivitäten des Klägers bewegten sich gerade nicht im politischen Spektrum. Bei den vorgenommenen und belegbaren Unterstützungshandlungen handele es sich gerade um solche zugunsten einer terroristischen Vereinigung. Dass die Unterstützungshandlungen jahrelang unter staatlicher Beobachtung erfolgt sein sollten, sei für das ausländerrechtliche Verfahren ebenfalls unerheblich. Entscheidend sei lediglich, dass die erforderliche Abwägung der Interessen des Klägers an einem Verbleib gegen das öffentliche Interesse an dessen Ausreise ein überwiegendes öffentliches Interesse ergeben habe. Eine Ausweisung sei erst nach Bekanntgabe des erstinstanzlichen Urteils des OLG München erfolgt, weil ab diesem Zeitpunkt das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers seine Bleibeinteressen überwöge. Der Kläger bewege sich auch nicht am unteren Rand der möglichen Gefährdungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil es sich bei dem Kläger um ein jahrelanges Mitglied einer terroristischen Vereinigung handele, welches umfassende Unterstützungshandlungen zugunsten dieser Vereinigung unternommen und Kontakte zu hochrangigen Führungspersonen der PKK habe. Die Prozesseinlassungen des Klägers vor dem OLG stellten nicht im Ansatz eine Abstandnahme dar. Die wirtschaftliche Integration des Klägers sei in dem streitgegenständlichen Bescheid umfassend gewürdigt worden. Allerdings sei in diesem Zusammenhang deutlich hervorzuheben, dass in der Vergangenheit Sozialleistungen in erheblicher Höhe bezogen worden seien und in gewissem Umfang auch weiterhin bezogen würden. Die angeordneten Überwachungsmaßnahmen seien ihrem Umfang nach geeignet, angemessen und erforderlich sowie demzufolge verhältnismäßig. Einige der Aktivitäten hätten sehr wohl über das Internet stattgefunden. Es sei daher nicht auszuschließen, dass er erneut das Internet und die dortigen sozialen Medien nutzen werde, um Propaganda für die PKK zu betreiben, weshalb auch ein überragendes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug des Kommunikationsmittelverbots bzw. der übrigen angeordneten Überwachungsmaßnahmen bestünde. Das Argument einer ausgebliebenen Anordnung von Führungsaufsicht verkenne bereits den grundlegenden Unterschied zwischen strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen, die einen vollkommen anderen Hintergrund hätten. Die Führungsaufsichtsstelle stelle auf weitere zu erwartende Straftaten ab. Sinn und Zweck der Überwachungsmaßnahmen sei es, die Bestrebungen, welche zur Erfüllung des Ausweisungsinteresses geführt hätten, bestmöglich zu erschweren sowie idealerweise gänzlich zu unterbinden und den betroffenen Ausländer zu kontrollieren. Im Bereich des islamistischen Terrorismus würden regelmäßig tägliche Meldepflichten angeordnet werden. Demgegenüber stelle die vier Mal wöchentliche Meldepflicht des Klägers bereits eine Abstufung dar, welche auf eine Würdigung der vom Kläger ausgehenden Gefahren sowie seines familiären und auch erwerbstätigen Umfelds zurückzuführen sei.
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Mit Beschluss vom 12. Dezember 2022 wurde durch das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15 und 16 des Bescheids des Beklagten vom 11. Oktober 2022 angeordnet bzw. wiederhergestellt. Im Übrigen wurde der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
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Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 31. Januar 2023 unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit die Klage gegen die Ziffern 2, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15 und 16 des Bescheids des Beklagten vom 11. Oktober 2022 gerichtet ist. Im Übrigen wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
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Mit Bescheid vom 9. März 2023 widerrief das Bundesamt die dem Kläger zuerkannte Flüchtlingseigenschaft und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Hiergegen ließ der Kläger am 23. März 2023 Klage erheben und beantragte zugleich einstweiligen Rechtsschutz (Au 7 K 23. 30370 und Au 1 S 23.30371). Hierüber ist bislang noch nicht entschieden worden.
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2023 führte der Beklagte ergänzend aus, dass ein vom Bundesamt zuerkannter Schutzstatus lediglich einer Abschiebung, nicht aber einer freiwilligen Ausreise entgegenstehe, zumal diese grundsätzlich in jeden Staat erfolgen könne und nicht zwingend in die Türkei erfolgen müsse. Hinsichtlich der Meldepflicht habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sogar tägliche oder zwei Mal tägliche Meldepflichten als verhältnismäßig angesehen. Beim Einreise- und Aufenthaltsverbot habe der Gesetzgeber in Fällen mit Terrorismusbezug eine Frist von 20 Jahren vorgesehen. Der Ausländerbehörde sei in der Regel kein Ermessen eingeräumt worden.
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Am 28. März 2023 fand in der Sache mündliche Verhandlung statt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat in dem im Tenor formulierten Umfang Erfolg. Sie ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
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1. Gegenstand der Klage ist im Wesentlichen die begehrte Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 11. Oktober 2022 sowie weiterer im Zusammenhang mit der Ausweisung ergangener Anordnungen.
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2. Die Klage – soweit sie nicht in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde – ist zulässig, aber nur hinsichtlich der Aufhebung der Ziffern 2, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15 und 16 begründet.
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a) Die ergangene Ausweisungsverfügung (Ziffer 1 des Bescheids) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) und des Bleibeinteresses (§ 55 AufenthG) ist die Kammer der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt.
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aa) Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Voraussetzung ist zunächst eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet (ständige Rechtsprechung des BayVGH, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 ZB 16.1778 – juris Rn. 6). Diese liegt beim Kläger vor. Eine konkrete Wiederholungsgefahr ist zu bejahen.
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bb) Ausweisungsanlass ist die – inzwischen rechtskräftige – Verurteilung des Klägers durch das OLG München vom 11. Mai 2022 wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Die in diesem Urteil festgestellte Straftat stellt unter Berücksichtigung einer bestehenden Wiederholungsgefahr unzweifelhaft eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Die vom Gericht anzustellende Gefahrenprognose fällt vorliegend zu Lasten des Klägers aus. Beim Kläger ist nach wie vor eine Wiederholungsgefahr gegeben, was sich auch daran zeigt, dass das OLG München mangels positiver Sozialprognose die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt hat (siehe hierzu die Ausführungen auf Seite 63 f. des Strafurteils).
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cc) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt.
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(1) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse unter anderem besonders schwer, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn der Kläger wurde mit Urteil des OLG München vom 11. Mai 2022 wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Nach Auffassung der Kammer hat der Kläger auch bislang nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen. Selbst in der mündlichen Verhandlung gaben der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter keinerlei Erklärung oder Einlassung hierzu ab.
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(2) Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ein schweres Bleibeinteresse entgegen, weil der Kläger sein Personensorgerecht für sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhaltende ledige Minderjährige ausübt. Darüber hinaus ist dem Kläger die ihm zuerkannte Flüchtlingseigenschaft noch nicht bestandskräftig widerrufen worden, sodass die Ausweisung nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erfolgen durfte.
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(3) Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, dem schwere Bleibeinteressen gegenüberstehen, führt nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Es muss anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich die Bleibeinteressen überwiegt. Bei dieser Abwägung ist bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände im Fall des Klägers aber dem öffentlichen Interesse an der Ausreise der Vorrang gegenüber seinen privaten Bleibeinteressen einzuräumen.
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Für den Verbleib des Klägers spricht zunächst die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland. Der Kläger ist im März 2011 zur Durchführung eines Asylverfahrens nach Deutschland eingereist. Seit Oktober 2013 halten sich auch die Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder des Klägers im Bundesgebiet auf. Außerdem geht der Kläger derzeit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Darüber hinaus macht er das Vorliegen einer psychischen Erkrankung geltend, die er allerdings nicht durch eine aktuelle ärztliche Bescheinigung belegt hat. Auf der anderen Seite besteht im vorliegenden Einzelfall ein noch schwerwiegenderes Ausweisungsinteresse und es ist von einer Gefahr der erneuten Begehung von erheblichen Straftaten auszugehen. Massiv gegen den Kläger spricht, dass er über einen längeren Zeitraum eine terroristische Vereinigung durch seine mitgliedschaftliche Beteiligung in ganz bedeutender Funktion fortlaufend und in erheblichem Umfang unterstützt hat. Insgesamt überwiegt das Ausweisungsinteresse daher die Bleibeinteressen des Klägers und die Ausweisung ist im Hinblick auf den terroristischen Hintergrund aus zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt.
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dd) Die Ausweisung des Klägers ist auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass insbesondere die Beziehung des Klägers zu seiner Ehefrau und den minderjährigen Kindern der Ausweisung nicht entgegensteht.
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(1) Die hier wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK entfalten ihre ausländerrechtlichen Schutzwirkungen nicht schon aufgrund nur formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind an, die von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes getragen sein muss. Ausschlaggebend ist die geistige und emotionale Auseinandersetzung, d.h. die tatsächliche Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes durch Ausüben eines regelmäßigen Umgangs, der dem Üblichen oder Möglichen entspricht. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft, die dem Schutz von Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK unterliegt, aber nicht grundsätzlich entgegen.
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(2) Das Gericht ist im vorliegenden Fall davon überzeugt, dass Art. 6 GG und Art. 8 EMRK im konkreten Fall der Ausweisung nicht entgegenstehen. Zwar besteht zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau bzw. seinen minderjährigen Kindern eine emotionale Beziehung und tatsächliche Verbundenheit, die unter besonderem Schutz steht. So hat der Kläger auch nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft wieder zusammen mit seinen Familienangehörigen in einem Haushalt gelebt. Diese familiären Beziehungen führen aber nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung, weil angesichts der vom Kläger begangenen schweren Straftat und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland sein eigenes Interesse und das Interesse der Familie am Verbleib ihres Ehemanns bzw. Vaters im Gastland überwiegt. Darüber hinaus kann die Familie des Klägers – sofern er im Falle eines negativen Abschlusses seines Verfahrens zum Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft tatsächlich das Bundesgebiet verlassen muss – ihn bei einer Rückkehr in die Türkei begleiten. Denn bereits in der Vergangenheit ist die Familie des Klägers ihm im Wege des Familiennachzugs in das Bundesgebiet gefolgt. Es sind keine gewichtigen Gründe vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, die es als unzumutbar erscheinen lassen, dass die Familie des Klägers ihm in die Türkei folgt. Nach dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung sind alle Familienangehörigen des Klägers türkische Staatsangehörige und derzeit nur im Besitz von Fiktionsbescheinigungen. Ihnen ist es zumutbar, (erneut) in der Türkei zu leben.
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(3) Zuletzt ist auch dem Kläger bei Abwägung der Gesamtumstände und insbesondere im Hinblick auf die von ihm ausgehende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter eine Rückkehr in die Türkei zumutbar, sofern im asylgerichtlichen Verfahren weder der Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft aufgehoben wird noch bei ihm ein Abschiebungsverbot festgestellt wird. Er ist volljährig und wird nach seiner Haftentlassung auch in Deutschland vor der Herausforderung stehen, sich eine neue Existenzgrundlage aufzubauen. Der Aufbau einer neuen Existenz in der Türkei ist dem Kläger daher zumutbar. Das Gericht geht dabei davon aus, dass er sich in der Türkei wird gut sprachlich verständigen können und ihm auch im Übrigen eine Integration in die türkischen Lebensverhältnisse gelingen wird, nachdem er dort bis zum Alter von 21 Jahren gelebt hat.
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b) Die Befristung des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zwanzig Jahre gemäß § 11 Abs. 5a Satz 1 AufenthG (Ziffer 2 des Bescheids) ist hingegen rechtswidrig und war daher aufzuheben. Der Beklagte hat unter Berücksichtigung aller individueller Umstände des Klägers erneut über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden. Zwar soll die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde, was beim Kläger aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung grundsätzlich der Fall ist. Allerdings sind bei dieser regelmäßig festzulegenden Frist auch alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (VG Würzburg, U.v. 26.07.2021 – W 7 K 20.612 – juris Rn. 76; Maor in BeckOK, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 01.10.2022, § 11 Rn. 42). Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte nicht ansatzweise alle Umstände des Einzelfalls (zutreffend) berücksichtigt. Er hat in keiner Weise geprüft, ob aufgrund der individuellen Umstände des Klägers eine Reduzierung der Frist im Wege der Ausübung ordnungsgemäßen Ermessens geboten war. Hierfür könnte insbesondere auch der Umstand sprechen, dass das OLG München in seinen Ausführungen im Strafurteil zur Frage der Anordnung von Führungsaufsicht davon ausging, dass beim Kläger zwar die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten gegeben ist, diese aber voraussichtlich im Bereich der mittleren Kriminalität bleiben werden, nämlich im Bereich der vom Kläger bereits begangenen und rechtskräftig abgeurteilten Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Dementsprechend hat das Strafgericht auch aus Verhältnismäßigkeitsgründen keine Führungsaufsicht angeordnet (Strafurteil, S. 64 f.). Umgekehrt hat der Beklagte in seinem Bescheid, ohne dass er dies hätte näher begründen können, rein spekulativ angenommen, dass davon auszugehen sei, dass sich die die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdende Denkweise und Einstellung des Klägers weiter radikalisieren werde (Bescheid, S. 37).
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c) Auch die dem Kläger in Ziffer 7 des Bescheids gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen ab Zustellung des Bescheids ist rechtswidrig. Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die vorgesehene Fristsetzung verfolgt den Zweck, den Ausländer zur freiwilligen Ausreise zu veranlassen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine beruflichen und persönlichen Lebensverhältnisse abzuwickeln. Die Fristsetzung muss dabei hinreichend klar sein und dem Ausländer erkennbar machen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat. Der Fristablauf darf nicht in einen Zeitraum fallen, in dem der Ausländer noch nicht zur Ausreise verpflichtet ist (Hailbronner, Kommentar Ausländerrecht, 114. Aktualisierung Februar 2020, § 59 Rn. 59 ff.). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist die dem Kläger gesetzte Frist zur Ausreise von 30 Tagen ab Zustellung des Bescheids rechtswidrig. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids nach wie vor im Besitz der Flüchtlingseigenschaft, sodass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei bestand. Aus diesem Grund konnte von ihm als türkischem Staatsangehörigen (jedenfalls noch) nicht verlangt werden, das Bundesgebiet in Richtung Türkei zu verlassen. Darüber hinaus wäre dem Kläger faktisch die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise verwehrt, denn die Ausreisefrist wäre bereits abgelaufen, bevor er ggf. verpflichtet wäre, das Bundesgebiet zu verlassen. Denn nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG dürfte ihm der Termin der Abschiebung und damit die Gelegenheit, vorher freiwillig ausreisen zu können, nicht mehr angekündigt werden.
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d) Die in Ziffer 8 des Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtswidrig. Zwar steht nach der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Androhung einer Abschiebung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nicht entgegen. Eine Abschiebungsandrohung ist aber rechtswidrig, wenn – wie hier – aufgrund der Prüfung des Asylbegehrens zweifelsfrei feststeht, dass eine Androhung auf Vorrat den vom Gesetzgeber verfolgten Ermächtigungszweck ausnahmsweise verfehlt, weil eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheint. Kann demnach eine Abschiebung langfristig nicht durchgeführt werden, weil bezüglich des Heimatstaates auf unabsehbare Zeit ein Abschiebungshindernis besteht, das also nicht nur vorübergehenden Charakter hat, und kommt auch kein anderer Staat in Betracht, in den der Ausländer abgeschoben werden könnte, so läuft die Abschiebungsandrohung ins Leere und kann ihr Ziel nicht erreichen. Unter diesen Umständen darf eine Abschiebungsandrohung „auf Vorrat“ nicht ergehen (BVerwG, U.v. 10.07.2003 – 1 C 21.02 –, juris Rn. 13).
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Vorliegend hat der Beklagte die Abschiebungsandrohung trotz eines bestehenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG erlassen. Wann das vom Bundesamt eingeleitete Widerrufsverfahren bestandskräftig abgeschlossen sein wird, ist derzeit noch völlig ungeklärt. Zwar hat das Bundesamt die dem Kläger mit Bescheid vom 7. Februar 2013 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 9. März 2023 widerrufen. Hiergegen hat der Kläger aber am 23. März 2023 Klage erheben und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragen lassen (Au 7 K 23.30370 und Au 1 S 23.30371). Derzeit ist damit noch nicht absehbar, ob und ggf. wann der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft bestandskräftig werden wird. Darüber hinaus ist auch kein anderer Staat ersichtlich, in den der Kläger in absehbarer Zeit abgeschoben werden könnte. Unter diesen Bedingungen durfte der Beklagte die Abschiebungsandrohung, die eine Abschiebung erst nach bestandskräftigem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft vorsieht, nicht erlassen.
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Darüber hinaus bestehen an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auch deswegen erhebliche Zweifel, weil entgegen § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG die Türkei nicht klar als Staat bezeichnet worden ist, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf. Der Beklagte hat jedenfalls nicht eindeutig und unmissverständlich formuliert, dass der Kläger in die Türkei derzeit nicht abgeschoben werden darf. Lediglich aufgrund des Umstands, dass der Beklagte die Abschiebung zeitlich („nach bestandskräftigem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft“) und inhaltlich bedingt („bei Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich der Türkei“) angedroht hat, lässt sich schlussfolgern, dass wohl auch der Beklagte nicht davon ausgeht, dass der Kläger aktuell in die Türkei abgeschoben werden kann. Eine klare und hinreichend bestimmte Bezeichnung, dass der Kläger derzeit nicht in die Türkei abgeschoben werden darf, ist darin aber nicht zu sehen.
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e) Die dem Kläger auferlegte Meldepflicht (Ziffer 9 des Bescheids) ist rechtswidrig. Nach der Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nrn. 2 – 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Gerade die Bezugnahme auf ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verdeutlicht, dass auch bei einem Terrorismusbezug der Gesetzgeber grundsätzlich die wöchentliche Meldepflicht als ausreichend ansieht, um den Überwachungszweck regelmäßig zu erreichen (OVG Lüneburg, B.v. 16.08.2017 – 13 ME 173/17 – juris, Rn. 11; Hailbronner, Kommentar Ausländerrecht, 114. Aktualisierung Februar 2020, § 56 Rn. 8). Unabhängig davon kann die Ausländerbehörde im Einzelfall gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aber eine vom gesetzlichen Regelfall abweichende Anordnung treffen („soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt“). Sieht die Ausländerbehörde im Einzelfall eine größere Häufigkeit der Meldepflicht als erforderlich an, hat sie die Gründe dafür im Rahmen der Ermessensausübung zu benennen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Gewicht der konkreten Gefahr näher in den Blick zu nehmen. Aus den Erwägungen muss sich nachvollziehbar ergeben, warum die zeitlich engmaschigere Feststellung des Aufenthaltsorts als geboten angesehen wird. Kein taugliches Argument ist dabei, dass die Meldepflicht umso effektiver ist, je häufiger ihr nachgekommen wird (Hailbronner, Kommentar Ausländerrecht, 114. Aktualisierung Februar 2020, § 56 Rn. 8; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 56 Rn. 11). Darauf beschränkt sich letztlich im vorliegenden Fall des Klägers allerdings die Begründung des Beklagten. Dieser geht in seiner Begründung im Wesentlichen davon aus, dass eine häufigere Meldepflicht wirksamer sei, als eine ausschließlich wöchentliche. So führt der Beklagte insbesondere aus, dass die intensiven Unterstützungshandlungen des Klägers zugunsten der PKK, u.a. in Form von Reisen innerhalb Bayerns und Deutschlands, beispielsweise im Rahmen von Spendensammlungen, sowie ins europäische Ausland zu Veranstaltungen, effektiv eingedämmt werden müssten. Damit sei dem Kläger keine Möglichkeit gegeben, sich außerhalb des ihm zugewiesenen Bereichs länger unbemerkt aufzuhalten. Weiter wird ausgeführt, dass die Anordnung einer vier Mal wöchentlichen Meldepflicht auch erforderlich sei, um seine Mobilität in erforderlicher Weise einzuschränken. Diese vom Beklagten ausgeführten Erwägungen tragen die Anordnung einer vierfachen, gegenüber dem gesetzlichen Regelfall der wöchentlichen Meldepflicht abweichenden Meldepflicht nicht. Letztlich geht der Beklagte von der unzulässigen pauschalen Annahme aus, dass die Meldepflicht umso effektiver ist, je häufiger ihr nachgekommen werden muss. Nicht näher nachvollziehbar ausgeführt wird hingegen, welchen konkreten sicherheitsgefährdenden Handlungen entgegengewirkt werden können soll, wenn der Kläger sich nicht nur – wie es der gesetzliche Regelfall ist – einmal wöchentlich, sondern vier Mal wöchentlich bei der örtlich zuständigen polizeilichen Dienststelle melden muss. Soweit der Beklagte insbesondere darauf verweist, dass dem Kläger Reisen außerhalb des ihm zugewiesenen Bereichs, dem Stadtgebiet, erschwert werden sollen, vermögen diese Erwägungen nicht zu überzeugen. Denn selbst bei der angeordneten Meldepflicht ließen sich allein durch die Meldepflicht derartige Reisen nicht unterbinden, denn der Beklagte hat den Kläger insbesondere verpflichtet, sich freitags- und sonntags zu melden. Doch selbst diese, den Kläger aufgrund der Häufigkeit intensiv belastende Meldepflicht, ist schon nicht geeignet, das vom Beklagten vorgebrachte Ziel zu erreichen oder zumindest zu fördern, denn der Kläger könnte am Freitagmorgen seiner Meldepflicht nachkommen und wäre in der Lage, bis Sonntagabend zweieinhalb Tage für Reiseaktivitäten zu nutzen. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass damit sowohl eine Reiseaktivität innerhalb als auch außerhalb Bayerns möglich wäre. Darüber hinaus hat der Beklagte gar nicht in den Blick genommen und näher begründet, dass bzw. warum beim Kläger derzeit mit intensiven Unterstützungshandlungen zugunsten der PKK zu rechnen sei. Umgekehrt ging der Beklagte in seinem Bescheid vielmehr an anderer Stelle selbst davon aus, dass der Kläger derzeit keinen Unterstützungshandlungen nachgeht. So heißt es auf Seite 51 des Bescheids wörtlich: „Der Umstand, dass tagesaktuell keine sicherheitsgefährdenden Verhaltensweisen ihrerseits bei den Behörden bekannt werden, die die Realisierung der Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland weiter fördern, ist nicht Ausfluss dessen, dass Sie von diesen Aktivitäten Abstand genommen hätten. Vielmehr ist dieser Umstand als taktische Zurückhaltung seit Ihrer Untersuchungshaft zu bewerten.“
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f) Rechtswidrig ist auch das in Ziffer 11 des Bescheids angeordnete umfangreiche Kontaktverbot. Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AufenthG geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann nach der Vorschrift des § 56 Abs. 4 AufenthG der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen soweit die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Die Voraussetzungen für die Verfügung eines Kontaktverbots sind wegen der sehr weitgehenden Einschränkungen, die einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen, eng gefasst. Die Anordnung eines Kontaktverbots muss zudem hinreichend bestimmt sein, auf tragfähige Ermessenserwägungen gestützt werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zunächst ist das Kontaktverbot nicht hinreichend bestimmt gefasst, weil die Anordnung in sich widersprüchlich formuliert ist. So wird der Kläger zwar verpflichtet, zu den genannten Personen keinen Kontakt aufzunehmen und sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen. Andererseits wird dem Kläger ausweislich des eindeutigen Wortlauts zugleich aufgegeben, mit den genannten Personen zu verkehren. Darüber hinaus ist das angeordnete Kontaktverbot auch deswegen rechtswidrig, weil es ermessensfehlerhaft ergangen ist. Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt nicht nur ein ordnungsgemäßes Entschließungsermessen voraus, sondern erfordert auch die Ausübung eines fehlerfreien Auswahlermessens (ausführlich hierzu VGH BW, B.v. 18.11.2020 – 11 S 1465/19 – juris Rn. 48 ff.). Vorliegend ergibt sich aber weder aus dem Bescheid, noch aus der Behördenakte eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, aus welchen Gründen der Beklagte es für geboten erachtet, ein Kontaktverbot des Klägers zu den einzeln im Bescheid aufgeführten Personen auszusprechen. Die verfügende Behörde hat hinsichtlich der Auswahl der einzelnen Personen selbst überhaupt keine Erwägungen angestellt, sondern ohne erkennbar eigene Auseinandersetzung eine vom Bayerischen Landeskriminalamt per E-Mail vom 26. August 2022 übersandte Liste ohne weitere ersichtliche Prüfung übernommen. In dieser E-Mail heißt es lediglich in einem Satz, dass seitens des Bayerischen Landeskriminalamts ein Kontaktverbot des Klägers zu bestimmten Personen befürwortet werde. Im Anschluss folgen zwei Aufzählungen, die mit „Quelle: Urteil des Oberlandesgerichts München, Az. 8 St 5/21, gegen ...“ bzw. „Quelle: Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft München, Az. 504 OJs 19/20, in der Strafsache ...“ überschrieben sind. Nähere Ausführungen zum Auswahlermessen hinsichtlich der enumerativ aufgeführten Personen fehlen im streitgegenständlichen Bescheid. Lediglich in wenigen Sätzen wird ausgeführt, dass es sich bei den einzeln aufgeführten Personen um Mitglieder und Unterstützer der PKK in Deutschland handele, zu denen der Kläger in der Vergangenheit im Rahmen seiner Tätigkeit als Frontarbeiter intensiven Kontakt gepflegt habe.
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g) Das dem Kläger auferlegte Kommunikationsmittelverbot ist ebenfalls rechtswidrig. Unter den gleichen rechtlichen Voraussetzungen wie für den Erlass eines Kontaktverbots kann die Ausländerbehörde gemäß § 56 Abs. 4 AufenthG auch ein Kommunikationsmittelverbot anordnen. Demnach ist ein Kommunikationsmittelverbot nur zulässig, um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 AufenthG geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Wie bereits hinsichtlich der Meldeauflage ausgeführt, hat der Beklagte gar nicht in den Blick genommen und näher begründet, dass bzw. warum beim Kläger derzeit mit intensiven Unterstützungshandlungen zugunsten der PKK zu rechnen sei. Umgekehrt ging der Beklagte in seinem Bescheid vielmehr an anderer Stelle selbst davon aus, dass der Kläger derzeit keinen Unterstützungshandlungen nachgeht. So heißt es auf Seite 51 des Bescheids wörtlich: „Der Umstand, dass tagesaktuell keine sicherheitsgefährdenden Verhaltensweisen ihrerseits bei den Behörden bekannt werden, die die Realisierung der Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland weiter fördern, ist nicht Ausfluss dessen, dass Sie von diesen Aktivitäten Abstand genommen hätten. Vielmehr ist dieser Umstand als taktische Zurückhaltung seit Ihrer Untersuchungshaft zu bewerten.“ Darüber hinaus hat das Gericht ganz erhebliche Zweifel daran, dass das Kommunikationsmittelverbot notwendig ist, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Der Begriff der inneren Sicherheit ist enger auszulegen als der der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die innere Sicherheit ist nur dann betroffen, wenn die Funktionsfähigkeit der staatlichen Organe, der Bestand von staatlichen Einrichtungen oder der innere Frieden gefährdet sind. Um ein Kommunikationsmittelverbot anordnen zu können, muss ausdrücklich festgestellt werden, dass bzw. warum eine Gefahr für die innere Sicherheit von dem betroffenen Ausländer ausgeht (Hailbronner, Kommentar Ausländerrecht, 114. Aktualisierung Februar 2020, § 56 Rn. 49). Dem Bescheid des Beklagten ist aber weder eine derartige nachvollziehbare Feststellung zu entnehmen (Seite 46 ff. des Bescheids), noch ist sonst für das Gericht ersichtlich, dass von dem Kläger derzeit eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben ausgeht, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einen so tiefgreifenden Grundrechtseingriff in das Recht auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigen könnte.
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Unabhängig davon erachtet das Gericht das generelle Verbot von Sprachassistenten für unverhältnismäßig. Sprachassistenten finden ihren Einsatz nicht nur im Bereich der Kommunikation, sondern auch bei der Bedienung von elektronischen Geräten (wie zum Beispiel der Sprachassistent in einem Kraftfahrzeug). Das Verbot eines derartigen Sprachassistenten ist jedoch in dieser Pauschalität nicht geeignet, das in § 56 Abs. 4 AufenthG verankerte Ziel der Kommunikationsbeschränkung zu fördern.
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h) Nachdem die in den Ziffern 9 (Meldepflicht), 11 (Kontaktverbot) und 12 (Kommunikationsmittelverbot) getroffenen Verfügungen rechtswidrig sind und durch das Gericht aufgehoben werden, sind auch die diesbezüglichen Zwangsgeldandrohungen rechtswidrig und aufzuheben. Gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 14 (Aufenthaltsbeschränkung) bestehen hingegen keine rechtlichen Bedenken. Diesbezüglich hat der Kläger weder einen rechtlichen Einwand erhoben, noch ist sonst ein Rechtsfehler ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nachdem die Beteiligten teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, sind die Kosten im tenorierten Umfang zu teilen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.