Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.01.2023 – 6 CS 22.2380
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen fristlose Entlassung eines Soldaten

Normenketten:
SG § 55 Abs. 5
StGB § 20
Leitsätze:
1. Die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Soldat verletzt seine Dienstpflichten, wenn er – sei es wiederholt oder auch nur einmalig und sei es innerhalb oder außerhalb des Dienstes – Betäubungsmittel konsumiert. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Suchtkranken kann eine Schuldunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn die Sucht entweder zu schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Betroffene Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen oder die ihm vorgeworfenen Taten im akuten Rausch begangen hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Vertrauen in die Integrität der Bundeswehr wäre irreparabel zerstört, wenn auch nur der Anschein entstünde, die Bundeswehr dulde in ihren Reihen Drogenmissbrauch und würde so mit dazu beitragen, dass junge Soldaten gerade bei der Bundeswehr unter Umständen erstmals mit verbotenen Drogen konfrontiert werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Soldat auf Zeit, Betäubungsmittel, Drogensucht, Schuldunfähigkeit (verneint), fristlose Entlassung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 20.10.2022 – M 21a S 22.571
Fundstelle:
BeckRS 2023, 996

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2022 - M 21a S 22.571 - wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.521,20 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen seine fristlose Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit.
2
Er trat am 1. März 2018 in der Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes in die Bundeswehr ein. Mit Wirkung zum 29. März 2018 wurde er zum Soldaten auf Zeit ernannt, nachdem er mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, dass er die Belehrung gemäß ZR A2-2630/0-0-2 „Leben in der militärischen Gemeinschaft“ Nr. 174 über den Missbrauch von Betäubungsmitteln (im Folgenden: BTM) zur Kenntnis genommen habe. Seine Dienstzeit wurde auf die Verpflichtungszeit von acht Jahren festgesetzt und hätte regulär mit Ablauf des 28. Februar 2026 geendet. Zuletzt war er mit dem Dienstgrad eines Obergefreiten bei den Gebirgsjägern tätig.
3
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2021 entließ die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 55 Abs. 5 SG mit Ablauf des Tages der Aushändigung des Bescheids (21.1.2022) fristlos aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass er seine Dienstpflichten verletzt habe, weil er durch den über längere Zeiträume erfolgten Konsum verschiedener BTM gegen die Pflicht zum treuen Dienen, die Pflicht zum Gehorsam, die Wohlverhaltenspflicht und die Pflicht zur Gesunderhaltung schwerwiegend verstoßen und das entgegengebrachte Vertrauen grob missbraucht habe. Das vorsätzliche Handeln des Antragstellers stelle eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung dar. Der unbefugte Besitz und/oder Konsum von Betäubungsmitteln sei für Soldaten im und außer Dienst verboten. Über die dienstrechtlichen Folgen des Missbrauchs von Betäubungsmitteln sei der Antragsteller schriftlich belehrt worden. Ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst würde die militärische Ordnung gefährden und eine negative Vorbildwirkung haben.
4
Über die vom Antragsteller gegen den Entlassungsbescheid erhobene Beschwerde vom 25. Januar 2022 ist noch nicht entschieden.
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Am 3. Februar 2022 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen den Entlassungsbescheid vom 20. Dezember 2021 anzuordnen.
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Mit Beschluss vom 20. Oktober 2022 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegengetreten ist.
II.
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
8
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit abgelehnt und sich darauf gestützt, dass die angefochtene Entlassungsverfügung bei summarischer Prüfung nach § 55 Abs. 5 SG rechtmäßig ist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
9
1. Rechtsgrundlage für die angegriffene Maßnahme ist § 55 Abs. 5 SG. Danach kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die fristlose Entlassung nach dieser Vorschrift ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Sie stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Diese Gefahr muss gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen, was von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn. 8; U.v. 28.7.2011 - 2 C 28.10 - juris Rn. 10; vgl. auch BayVGH, B.v. 21.2.2020 - 6 CS 19.2403 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 30.5.2006 - 5 ME 67/06 - juris Rn. 19). Maßgeblicher Zeitpunkt für eine solche Prognose ist der Zeitpunkt, in dem das Verwaltungsverfahren abgeschlossen wird (OVG SH, U.v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 - juris Rn. 32; OVG NW, U.v. 5.12.2012 - 1 A 846/12 - juris Rn. 44). Für den Begriff der Gefährdung ist ausreichend, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht, mithin eine Gefahr droht (OVG SH, U.v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 - juris Rn. 39; NdsOVG, B.v. 4.12.2012 - 5 LA 357/11 - juris Rn. 9, 15; vgl. auch BayVGH, B. v. 19.04.2018 - 6 CS 18.580 - juris Rn. 14). Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerwG, B.v. 28.1.2013 - 2 B 114.11 - juris Rn. 9).
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2. Gemessen an diesem Maßstab ist die fristlose Entlassung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gerechtfertigt und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden.
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a) Die Entlassung des Antragstellers wurde unstreitig noch innerhalb der Vier-Jahres-Frist des § 55 Abs. 5 SG verfügt.
12
b) In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass ein Soldat, der - sei es wiederholt oder auch nur einmalig und sei es innerhalb oder außerhalb des Dienstes - Betäubungsmittel konsumiert, seine Dienstpflichten verletzt (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 - 2 B 98.99 - juris Rn. 4; OVG SA, U.v. 25.10.2022 - 1 L 4/22 - juris; BayVGH, B.v. 21.2.2020 - 6 CS 19.2403 - juris Rn. 13; OVG NW, B.v. 20.1.2005 - 1 B 2009/04 - juris Rn. 16). Im Rauschmittelkonsum liegt sowohl ein Verstoß gegen die Pflicht zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG als auch gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG; vgl. dazu BVerwG, U.v. 10.8.1994 - 2 WD 24.94 - juris Rn. 6) sowie gegen die Gehorsamspflicht (§ 11 SG) und die Gesunderhaltungspflicht (§ 17a SG).
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Die objektive Verletzung der angeführten Dienstpflichten räumt der Antragsteller ausdrücklich ein.
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c) Der Antragsteller hat die genannten Dienstpflichten auch schuldhaft verletzt. Der Einwand des Antragstellers, aufgrund der bestehenden Suchterkrankung sei von einer Schuldunfähigkeit auszugehen, greift nicht durch.
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(1) Der Pflichtenverstoß ist als teils fahrlässiges, teils vorsätzliches Versagen des Soldaten zu würdigen.
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Nach eigener Einlassung hat der Antragsteller bereits seit seinem 16. Lebensjahr (auch) harte Drogen konsumiert und war bereits zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Bundeswehr drogensüchtig. Im Rahmen seiner Einstellung in die Bundeswehr war er schriftlich ausdrücklich über die bestehenden Verbotsvorschriften und die rechtlichen Folgen eines Verstoßes im Falle des Missbrauchs von Betäubungsmitteln innerhalb oder außerhalb des Dienstes belehrt worden. Er wusste ebenfalls, dass der Erwerb und Besitz der von ihm konsumierten „harten Drogen“ wie Kokain in Deutschland strafbar sind und der Dienstherr das Begehen strafbarer Handlungen weder im noch außer Dienst duldet. Gleichwohl hat er sich im Bewusstsein seiner Drogenabhängigkeit um die Aufnahme in die Bundeswehr bemüht. Selbst wenn er - wie er mit der Beschwerde vortragen lässt - zu diesem Zeitpunkt nicht mit Wissen und Wollen in Betracht gezogen haben sollte, durch einen fortgesetzten Drogenkonsum seine Pflicht als Soldat zum treuen Dienen zu verletzen, sondern die feste Absicht gehabt haben sollte, in Zukunft keinerlei verbotene Substanzen mehr einzunehmen, hätte er diese Konsequenz seines jahrelangen Missbrauchs bei der ihm möglichen und zumutbaren selbstkritischen Überlegung doch erkennen können und müssen. Offensichtlich gehörte der regelmäßige Drogenkonsum seit seiner Teenagerzeit zum Alltag des Antragstellers. Ihm war das hohe Suchtpotential der vom ihm konsumierten Suchtstoffe bekannt. Selbst wenn er tatsächlich ungeachtet dessen darauf vertraut haben sollte, dass er die Sucht als Soldat überwinden werde, hat er insoweit zumindest fahrlässig gehandelt. Soweit er in der Folgezeit seinen Drogenkonsum fortgesetzt bzw. nach zeitweisen Unterbrechungen erneut aufgenommen hat, hat er die Möglichkeit einer Infragestellung seiner jederzeitigen Einsatzbereitschaft sowie einer kurz- oder mittelfristigen Beeinträchtigung seiner Dienstleistungsbereitschaft billigend in Kauf genommen und damit zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt (vgl. dazu BVerwG, U.v. 10.8.1994 - 2 WD 24.94 - juris Rn. 3 u. 8).
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(2) Eine Schuldunfähigkeit des Antragstellers liegt nicht vor.
18
Nach § 20 StGB handelt schuldunfähig, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Bei Suchtkranken - wie dem Antragsteller - kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 03.05.2007 - 2 C 9.06 - juris Rn. 32 m.w.N.; vgl. auch VGH BW, U.v. 1.1.2012 - DB 13 S 316/11 - juris Rn 36; OVG MV, B.v. 25.05.2009 - 10 L 64/08 - juris Rn. 7) eine Schuldunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn die Sucht entweder zu schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Betroffene Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen oder die ihm vorgeworfenen Taten im akuten Rausch begangen hat. Nur in diesen Fällen stehen Suchtarten, wie die Alkohol-, Drogen- oder Spielsucht einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gleich.
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Anhaltspunkte für eine erhebliche Verminderung oder Aufhebung der Einsichtsfähigkeit oder Kontrollfähigkeit zeigt die Beschwerde nicht auf. Auch gibt es keinerlei Hinweise für Funktionsbeeinträchtigungen oder Einbußen an sozialer Kompetenz, die krankhaften seelischen Störungen vergleichbar wären. Vielmehr ist der Antragsteller in der Lage gewesen, sich um seine alltäglichen Belange zu kümmern und hat offensichtlich auch seinen beruflichen Alltag regelmäßig ohne längere Fehlzeiten und mit zufriedenstellender Leistungsqualität bewältigen können. Wie er selbst vorträgt, waren seine dienstlichen Leistungen beanstandungsfrei; Probleme habe es nicht gegeben. Auch die Antragsgegnerin bestätigt, dass der BTM-Konsum bis zur Meldung des Antragstellers nicht aufgefallen sei. Gegen die Annahme einer erheblichen Kontrollminderung spricht auch, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben während eines etwa achtmonatigen Auslandseinsatzes vollkommen clean gewesen ist und auch nie während des Dienstes oder am Standort BTM konsumiert hat. Von einer suchtbedingten Steuerungsunfähigkeit im Sinn einer Unterordnung des inneren Wertesystems sowie sämtlicher Lebensbereiche unter das Suchtverhalten kann daher nicht ausgegangen werden.
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d) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen der fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG bejaht. Das weitere Verbleiben des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Antragstellers bleiben ohne Erfolg.
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Die militärische Ordnung in der Bundeswehr ist insbesondere dann ernstlich gefährdet, wenn die Verteidigungsbereitschaft der Truppe als solche in Frage gestellt ist. Davon ist hier auszugehen. Zum Kern der militärischen Verteidigungsbereitschaft gehört (u.a.) die Einsatzbereitschaft der Truppe, und zwar nicht nur hinsichtlich des Geräts, sondern insbesondere auch der zum Einsatz kommenden Soldaten. Konsumieren Soldaten Rauschmittel, so ist dies geeignet, deren Einsatzfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass der Rauschmittelkonsum eines einzelnen möglicherweise noch nicht die Einsatzfähigkeit der Truppe beeinträchtigt; vielmehr ist darauf abzuheben, dass die militärische Ordnung gefährdet ist, wenn sich der Rauschmittelkonsum ausbreitet. Denn gerade für den Bereich der Bundeswehr stellt sich der verbotene Konsum von Rauschgift zugleich als Teilstück einer um sich greifenden, allein mit den Mitteln des Disziplinarrechts nicht hinreichend wirksam zu bekämpfenden Neigung zur Disziplinlosigkeit dar (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1992 - 2 C 17.91 - juris Rn. 16.; OVG NW, B.v. 20.1.2005 - 1 B 2009/04 - juris Rn. 23; U.v. 26.8.1999 - 12 A 2849/96 - juris Rn. 32; OVG RhPf, B.v. 23.11.1992 - 2 B 12123/92 - NVwZ-RR 1993, 257 (258). Diese ist ihrerseits der militärischen Ordnung grob abträglich.
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Ein weiteres Verbleiben des Antragstellers im Dienst hätte daneben auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Denn die Öffentlichkeit stellt zu Recht hohe Anforderungen an die Integrität der Bundeswehr. Dieses Vertrauen wäre, wie die Antragsgegnerin zutreffend anführt, irreparabel zerstört, wenn auch nur der Anschein entstünde, die Bundeswehr dulde in ihren Reihen Drogenmissbrauch und würde so mit dazu beitragen, dass junge Soldaten gerade bei der Bundeswehr unter Umständen erstmals mit verbotenen Drogen konfrontiert werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 - 2 B 98.99 - juris Rn. 7).
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e) Ohne Erfolg bleibt schließlich auch der Einwand des Klägers, die getroffene Maßnahme sei ermessensfehlerhaft.
24
Sind - wie hier - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG erfüllt, so steht die Entscheidung über die fristlose Entlassung im Ermessen der Entlassungsbehörde. Dieses Ermessen ist fehlerfrei ausgeübt worden. Mit dem Wort „kann“ in § 55 Abs. 5 SG ist der Entlassungsbehörde kein umfassendes Ermessen eingeräumt, das sie - ähnlich wie in einem Disziplinarverfahren - verpflichten würde, alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammenzutragen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Die Befugnis der zuständigen Behörde, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift von einer fristlosen Entlassung abzusehen, ist vielmehr im Sinn einer sog. „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle beschränkt. Dies beruht darauf, dass es alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist, eine - sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende - drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Die fristlose Entlassung soll künftigen Schaden verhindern und dient in diesem Zusammenhang ausschließlich dem Schutz der Bundeswehr. Im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG ist deshalb kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen ist oder besser mit einer Disziplinarmaßnahme hätte geahndet werden sollen und ob der Soldat im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist (vgl. OVG NW, B.v. 20.1.2005 - 1 B 2009/04 - juris Rn. 34 m.w.N.). Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck hat der Gesetzgeber vielmehr in der Art einer Vorabbewertung im Wesentlichen bereits auf der Tatbestandsebene des § 55 Abs. 5 SG selbst konkretisiert. Demgemäß sind die Ermessenserwägungen auf solche Umstände beschränkt, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig „atypisch“ prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Fall im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung (zusätzliche) Ermessenserwägungen anzustellen (vgl. OVG SH, U.v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 - juris Rn. 38). Es reicht vielmehr aus, dass sich die Behörde den Umständen nach des in atypischen Fällen gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sie etwa bestehende Besonderheiten (im obigen Sinn) zutreffend geprüft und verneint hat.
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Insoweit lässt der angefochtene Bescheid keine durchgreifenden Mängel erkennen. Die Begründung verdeutlicht, dass die Antragsgegnerin nicht etwa von einer rechtlich strikt gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Auf Seite 6 des Bescheids hat sie ausdrücklich festgestellt, dass keine den Antragsgegner entlastenden Aspekte vorliegen, die ein ausnahmsweises Absehen von einer fristlosen Entlassung ermöglicht hätten. Wenn die Antragsgegnerin das ihr gesetzlich eingeräumte Ermessen dahingehend als „rote Linie“ generalisiert hat, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG aufgrund des Konsums „harter“ Drogen werde als Rechtsfolge in aller Regel die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit verfügt, hat sie sich damit weder von vornherein der Würdigung des Einzelfalls und seiner etwaigen Besonderheiten verschlossen noch den Rahmen des Gesetzeszwecks verlassen.
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Der Antragsteller hat keine seinen Fall prägenden „atypischen“ Umstände dargelegt, welche die gesetzlich intendierte Entlassung ausnahmsweise als unangemessen erscheinen lassen würden. Allein der Umstand, dass der Antragsteller den BTM-Missbrauch selbst offenbart hat, macht die von der Antragsgegnerin angestellten Erwägungen und Bewertungen nicht ermessenswidrig. Ebenso wenig musste die Antragsgegnerin nach der Zielrichtung des § 55 Abs. 5 SG in ihren Ermessenserwägungen darauf eingehen, dass der Antragsteller im Dienst nie durch ein Fehlverhalten aufgefallen ist, da eine untadelhafte Dienstauffassung ohnehin von jedem Soldaten zu erwarten ist (vgl. OVG LSA, U.v. 25.10.2022 - 1 L 4/22 - juris Rn. 42). Atypische Umstände ergeben sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller aufgrund seines jahrelangen BTM-Missbrauchs behandlungsbedürftig ist, zumal die - durch den langjährigen Konsum von Drogen schuldhaft selbst herbeigeführte (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.1997 - 1 D 58.96 - juris Rn. 34) - Drogensucht nach eigenen Angaben des Antragstellers bereits vor dem - freiwilligen - Eintritt in die Bundeswehr vorgelegen hatte und eine Einstellung in das Soldatenverhältnis nicht erfolgt wäre, wenn dieser Umstand der Antragsgegnerin offenbart worden wäre. Mit der freiwilligen Dienstverpflichtung hat sich der Antragsteller zur Einhaltung der strengen Dienstpflichten der Bundeswehr unterworfen. Dass BTM-Missbrauch bei Soldaten auf Zeit in den ersten vier Dienstjahren zu einer fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG führen könne, war ihm bekannt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2022 - 6 CS 22.689 - juris Rn. 24; 21.2.2020 - 6 CS 19.2403 - juris Rn.19; B.v. 28.5.2018 - 6 CS 18.775 - juris Rn. 17; B.v. 19.4.2018 - 6 CS 18.580 - juris Rn. 19).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).