Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.01.2023 – 4 ZB 22.2095
Titel:

kein Spiegelbildlichkeitsprinzip bei der Besetzung von Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen 

Normenketten:
BayGO Art. 33 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 92 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Art. 93 Abs. 2 S. 3
GG Art. 28 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
Die Vorschriften über die Besetzung von Ausschüssen des Gemeinderats (Art. 33 Abs. 1 GO) sind auf die Entsendung von Gemeindevertretern in die Aufsichtsräte von Unternehmen in Privatrechtsform (Art. 93 Abs. 2 GO) nicht entsprechend anwendbar. (Rn. 19 – 20)
Bei der Besetzung der Ausschüsse der kommunalen Volksvertretungen besteht weder eine Verpflichtung zur Wahl eines bestimmten Verteilungsverfahrens und noch ein Verbot der Verwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahren bei der Ausschussbesetzung, Gemeindevertreter in den Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen, verfassungsrechtliches Gebot der Spiegelbildlichkeit, Bildung von „Entsendegemeinschaften“ für Aufsichtsratsmitglieder, Minderheitenschutz, Mehrheitsprinzip, dʼHondtsche Sitzverteilung, Sainte-Laguë/Schepers, Hare/Niemeyer, Spiegelbildlichkeitsgebot, Weisungsrecht
Vorinstanzen:
VG München, Urteil vom 30.03.2022 – M 7 K 21.2383
VG München, Beschluss vom 23.03.2022 – M 7 K 21.2383
Fundstellen:
BayVBl 2023, 376
NVwZ-RR 2023, 508
DÖV 2023, 436
LSK 2023, 993
BeckRS 2023, 993

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin, eine aus vier Mandatsträgern bestehende Fraktion im Rat der beklagten Landeshauptstadt M., wendet sich gegen Beschlüsse der Vollversammlung über die Sitzverteilung in den Stadtratsausschüssen und über die Entsendung von Ratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der städtischen Beteiligungsunternehmen.
2
In der konstituierenden Sitzung am 4. Mai 2020 und in der nachfolgenden Sitzung am 13. Mai 2020 beschloss der Stadtrat der Beklagten die Anwendung des d’H.schen Verteilungsverfahrens bei der Vergabe der Ausschusssitze und bei der Benennung der städtischen Vertreter in den Aufsichtsräten; die Bildung sog. Entsendegemeinschaften für die Benennung der Aufsichtsratsvertreter wurde dabei nicht zugelassen.
3
Gemäß diesen Vorgaben erhielt die Klägerin bei der Verteilung der Sitze in den 23-köpfigen Ausschüssen jeweils einen Sitz weniger, als dies bei einer Anwendung der Verfahren nach S.-L./Sch. oder H./N. der Fall gewesen wäre; bei der Entsendung von Vertretern in die Aufsichtsräte der Beteiligungsunternehmen ging sie leer aus. Mit ihrer Klage begehrt sie, die Beklagte unter Aufhebung der vorgenannten Beschlüsse, hilfsweise unter Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Anwendung des Verfahrens nach S.-L./Sch., hilfsweise des Verfahrens nach H./N. zu verpflichten sowie für das Verfahren der Benennung von Aufsichtsratsmitgliedern Entsendegemeinschaften zuzulassen.
4
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 30. März 2022 ab. Ein Anspruch auf Anwendung des aus Sicht der Klägerin vorzugswürdigen Berechnungsverfahrens nach S.-L./Sch. bestehe nicht. Die kommunalen Gremien hätten grundsätzlich die Auswahl unter den verfassungsrechtlich zulässigen Berechnungsverfahren, zu denen nach ständiger Rechtsprechung auch das Höchstzahlverfahren nach d’H. gehöre. Der Kommunalgesetzgeber habe ebenso wie der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils „bestmöglichen“ Verfahrens festzulegen. Es bestehe auch keine Verpflichtung, kleineren Gruppen durch die Wahl eines sie besonders begünstigenden Verfahrens die Entsendung von Vertretern in die Ausschüsse zu ermöglichen. Eine Bindung des Rats an die Praxis vorheriger Wahlperioden bestehe nicht; die Geschäftsordnung gelte nicht über das Ende der jeweiligen Wahlzeit hinaus. Für eine willkürliche Wahl des Berechnungsverfahrens nach d’H. oder für eine bewusste Diskriminierung der Klägerin bestünden keine Anhaltspunkte. Die Verteilung der zu besetzenden Aufsichtsratssitze städtischer Beteiligungsunternehmen sei ebenfalls rechtmäßig. Die Beklagte sei schon nicht verpflichtet gewesen, bei der Entsendung von Stadtratsmitgliedern in die genannten Aufsichtsräte entsprechend Art. 33 Abs. 1 GO zu verfahren und dabei gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO auch Entsendegemeinschaften zu berücksichtigen. Das in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO normierte Gebot der Spiegelbildlichkeit gelte nicht für die Benennung und Entsendung von Ratsmitgliedern in Aufsichtsräte. Der Stadtrat genieße insoweit Gestaltungsfreiheit und sei nicht an die gesetzliche Wertung des Art. 33 Abs. 1 GO gebunden. Die Vorschrift sei im Hinblick auf die strukturellen Unterschiede zwischen Aufsichtsräten und Ausschüssen auch nicht analog anzuwenden. Ebenso wenig bestehe eine Verpflichtung zur analogen Anwendung des Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO im Hinblick auf Entsendegemeinschaften. Die in den vorherigen Wahlperioden geübte gegenteilige Verwaltungspraxis könne kein die Beklagte bindendes Gewohnheitsrecht schaffen.
5
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
6
Die Beklagte und die Beigeladene zu 2 beantragen jeweils,
den Zulassungsantrag abzulehnen.
7
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
9
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
10
aa) Die Klägerin trägt vor, bei der Wahl des Verfahrens der Ausschussbesetzung ergäben sich Grenzen aus dem im Demokratieprinzip wurzelnden Minderheitenschutz und aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Willkürverbot. Der Gesetzgeber habe sich mit Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO bewusst für das dem Minderheitenschutz dienende Spiegelbildlichkeitsgebot entschieden, so dass es geboten sei, das für die Minderheiten günstigste Verfahren zu wählen. Da es wissenschaftlich erwiesen sei, dass das Verfahren nach S.-L./Sch. die höchste Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen erreiche, gelte dieses Zuteilungsverfahren seit 2020 bei Kommunalwahlen; es werde mittlerweile auch vom Bayerischen Landtag und vom Deutschen Bundestag bei der Ausschussbesetzung verwendet. Auf kommunaler Ebene dürfe nichts Anderes gelten; eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte sei willkürlich und lasse sich auch nicht durch die gemeindliche Geschäftsordnungsautonomie rechtfertigen. Aus Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO ergebe sich ein Optimierungsgebot, also eine Verpflichtung zur größtmöglichen Spiegelbildlichkeit unter Berücksichtigung des Minderheitenschutzes und der Effektivität der Ausschussarbeit. Das Verfahren nach d’H. verursache vermeidbare Disproportionalitäten und werde den gestellten Anforderungen nicht in optimaler Weise gerecht. Seine Anwendung führe zu einer Diskriminierung der Klägerin; die von der Beklagten für die Änderung des Berechnungsverfahrens angeführten Gründe seien allesamt unzutreffend. Das Argument der zunehmenden Zersplitterung des politischen Spektrums sei nur vorgeschoben. Falsch sei auch das Argument, dass die aktuellen Koalitionspartner ohne das Verfahren nach d’H. in einzelnen Ausschüssen keine Mehrheit hätten. Es liege der Verdacht nahe, dass die Mehrheitsfraktionen bewusst die für sie günstigste Lösung gewählt hätten.
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Da das Spiegelbildlichkeitsgebot aus der Verfassung folge, müsse Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO wegen der Ähnlichkeit der Sachverhalte zumindest analog auch für die Benennung und Entsendung von Stadtratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der städtischen Beteiligungsunternehmen gelten. Das Ausweichen auf privatrechtliche Formen dürfe die öffentlich-rechtlichen Bindungen der Gemeinde nicht aushebeln; das Demokratieprinzip gelte unabhängig von der gewählten Rechtsform. Nach Art. 92 und Art. 93 GO werde das Unternehmen in der Verantwortung und im Einfluss- und Zugriffsbereich des Gemeinderats belassen. Der notwendige Einfluss werde durch die in den Aufsichtsrat entsandten Mitglieder ausgeübt. Mit der Verankerung des Weisungsrechts in Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GO werde gewährleistet, dass sich die wirtschaftlichen Unternehmen nicht von den demokratisch legitimierten Willensbildungsorganen der Gemeinde verselbständigten. Da privatrechtsförmig organisierte kommunale Unternehmen Teil der Staatsgewalt seien, sei hier ebenfalls ein demokratischer Legitimationszusammenhang zwischen dem Willen des Volkes und den ausführenden Organen nötig, wozu als Ausfluss des Demokratieprinzips auch der Minderheitenschutz gehöre. In anderen Kommunalverfassungen sei das Spiegelbildlichkeitsprinzip für die Besetzung von Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen bereits einfachgesetzlich normiert. Ein Aufsichtsrat könne seine zentrale Funktion der Überwachung der Geschäftsführung umso umfassender wahrnehmen, je mehr Fraktionen an der Aufsichtsratstätigkeit mitwirkten. Nur so lasse sich auch ein Informationsgleichstand aller Fraktionen erreichen. Für die Einführung des d’H.schen Berechnungsverfahrens gebe es auch hier keinen sachlichen Grund. In den letzten 24 Jahren sei möglich gewesen, bei der Besetzung von Aufsichtsräten und sonstigen Gremien außerhalb des Stadtrats Entsende- und Benennungsgemeinschaften zu bilden. Auch wenn sich Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO der Systematik und dem Wortlaut nach nur auf Ausschüsse des Gemeinderats beziehe, sei durch die langjährige bisherige Besetzungspraxis jedenfalls ein auf diesen Fall beschränktes Gewohnheitsrecht erzeugt worden; ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege darin nicht.
12
bb) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.
13
(1) Wie der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 8.8.1994 - 2 BvR 1484/94 - NVwZ-RR 1995, 213), des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (E.v. 10.6.1994 - Vf. 11-VII-94 - VerfGHE 47, 154/156) und des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 10.12.2003 - 8 C 18.03 - BVerwGE 119, 305/311) wiederholt dargelegt hat, besteht bei der Besetzung der Ausschüsse der kommunalen Volksvertretungen keine Verpflichtung zur Wahl eines bestimmten Verteilungsverfahrens und auch kein Verbot der Verwendung des d’H.schen Höchstzahlverfahrens.
14
Der bayerische Landesgesetzgeber hat zu dieser Frage keine Vorgaben gemacht und insbesondere bei der Ausschussbesetzung nicht das für die Kommunalwahlen geltende Divisorverfahren nach S.-L./Sch. (vgl. Art. 35 Abs. 2 GLKrWG) verbindlich vorgeschrieben. Die kommunalen Gremien haben daher in Ausübung ihrer Geschäftsordnungsautonomie (Art. 32, Art. 45 GO) grundsätzlich die Auswahl unter den anerkannten Berechnungsverfahren, die den aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und aus dem Gebot der Wahlgleichheit folgenden ungeschriebenen Anforderungen gerecht werden (BayVGH, B.v. 21.10.2021 - 4 ZB 21.1776 - BayVBl 2022, 674 Rn. 16; U.v. 17.3.2004 - 4 BV 03.1159 - VGH n.F. 57, 49/51 = BayVBl 2004, 429 m.w.N.). Zu den verfassungsrechtlich zulässigen Verfahren gehört nach einhelliger Rechtsprechung auch das Höchstzahlverfahren nach d'Hondt (BayVGH, U.v. 17.3.2004 a.a.O., m.w.N.), das im Vergleich zu anderen Verfahren die größeren Parteien und Wählergruppen tendenziell begünstigt und die Erfolgswertgleichheit nicht in gleichem Maße erfüllt wie etwa das Verfahren nach S.-L./Sch. (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2020 - 4 CE 20.2166 - juris Rn. 21 m.w.N.). Eine Verpflichtung zur Anwendung des letztgenannten - aus mathematischer Sicht wohl vorzugswürdigen - Verfahrens besteht nicht. Der Kommunalgesetzgeber hat, nachdem sich mit keinem der Verfahren eine exakte Spiegelbildlichkeit der Sitzverteilung erreichen lässt, ebenso wie der Verfassungsgeber auf Bundes- und Landesebene darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils „bestmöglichen“ Verfahrens festzulegen (BayVGH, a.a.O.; U.v. 8.5.2015 - 4 BV 15.201 - VGH n.F. 68, 112 Rn. 30; BVerfG, U.v. 22.9.2015 - 2 BvE 1/11 - BVerfGE 140, 115 Rn. 96; VerfGH, E.v. 26.10.2009, a.a.O., 206; VerfGH RhPf, U.v. 23.1.2018 - VGH O 17/17 - NVwZ-RR 2018, 546 Rn. 71 m.w.N.; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Kommunalrecht in Bayern, Art. 32 GO Anm. 4.2.3; Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 481/487 f.; a.A. Schreiber, BayVBl 1996, 134 ff., 170 ff.).
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Ein anderes Ergebnis lässt sich entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht aus dem verfassungsrechtlich vorgegebenen und in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO ausdrücklich normierten Gebot der Spiegelbildlichkeit bei der Ausschussbesetzung ableiten. Der darin zum Ausdruck kommende Gedanke einer gleichen Repräsentation der im Rat vertretenen Fraktionen und Gruppen umfasst zwar auch den Schutz der jeweiligen Minderheit (vgl. dazu BayVGH, U.v. 19.10.2022 - 4 BV 22.871 - juris Rn. 33 m.w.N.). Diesem Verfassungsgebot wird aber bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass den kleineren Gruppierungen kraft Gesetzes ein ihrer Größe entsprechender Anspruch auf Teilhabe an der Ausschussarbeit zusteht. Darüber hinaus folgt aus dem allgemeinen Prinzip des Minderheitenschutzes keine zwingende Verpflichtung, das für die Minderheit(-en) jeweils günstigste Verfahren bei der Ausschussbesetzung zu wählen oder dafür zu sorgen, dass jede Gruppierung in den von der Volksvertretung gebildeten Unterorganen vertreten ist (BayVGH, B.v. 20.3.2017 - 4 ZB 16.1815 - BayVBl 2018, 173 Rn. 12 m.w.N.; VerfGH, E.v. 30.4.1976 - Vf. 12-IV-75 u.a. - VerfGHE 29, 62/95; BVerwG, B.v. 7.12.1992 - 7 B 49.92 - NVwZ-RR 1993, 209).
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Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind demnach grundsätzlich frei, auf welches der allgemein zulässigen Verfahren sie bei der Sitzverteilung zurückgreifen wollen. Sie müssen sich weder an den für die Kommunalwahl geltenden gesetzlichen Vorgaben noch an der Praxis in anderen Volksvertretungen (Bundestag, Landtag) orientieren, auch wenn darin in neuerer Zeit eine klare Tendenz zugunsten des Verfahrens nach S.-L./Sch. erkennbar ist. In der Abweichung vom aktuellen Regelungskonzept in den Parlamentsgeschäftsordnungen liegt insbesondere kein Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG), da jeder Normgeber nur innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs den Gleichheitssatz zu wahren hat (BVerfG, B.v. 25.2.1960 - 1 BvR 239/52 - BVerfGE 10, 354/371; P. Kirchhof in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand 3/2022, Art. 3 Rn. 159 m.w.N.).
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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, kann die Mehrheit der (neugewählten) örtlichen Volksvertretung bei der Wahl des Ausschussbesetzungsverfahrens auch von früheren Präferenzen abweichen und sich für ein anderes als das bisherige Verfahren entscheiden. Dass der Stadtrat der Beklagten seit der Wahlperiode 1984-1990 das Sitzzuteilungsverfahren H.-/N.angewandt hat, steht daher der Wahl des d’H.’schen Verfahrens für die laufende Wahlperiode nicht entgegen; eine Bindung an die in früheren Geschäftsordnungen festgelegte bisherige Praxis besteht nicht (BayVGH, B.v. 12.10.2010 - 4 ZB 10.1246 - BayVBl 2011, 269; B.v. 15.12.2020, a.a.O., Rn. 23). Da die Geschäftsordnungen, in denen Detailregelungen zu den Ausschüssen festgelegt sind, nicht über das Ende der jeweiligen Wahlzeit hinaus fortgelten (sog. Diskontinuität der Geschäftsordnung, vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 - 4 CE 20.2271 - BayVBl 2021, 273 Rn. 20 m.w.N.; Klein in Dürig/Herzog/Scholz, a.a.O., Art. 49 Rn. 62), kann sich selbst aus einer (wie hier) jahrzehntelang einvernehmlich fortgeführten Verwaltungspraxis kein die aktuelle Volksvertretung bindendes Gewohnheitsrecht ergeben, zumal die frühere Handhabung auf den damals geltenden Geschäftsordnungen und nicht auf der Anwendung einer ungeschriebenen Rechtsregel beruhte.
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Welche Beweggründe für die Wahl eines bestimmten Verteilungsverfahrens aus Sicht der Gemeinde- bzw. Stadtratsmehrheit maßgeblich gewesen sind, ist grundsätzlich unerheblich, da das Gesetz insoweit keine besonderen Anforderungen stellt. Zulässig sind daher nicht nur gemeinwohlbezogene Erwägungen wie etwa das Bestreben, eine im Plenum bestehende Mehrheit in den Ausschüssen abzubilden oder möglichst vielen Parteien und Wählergruppen die Mitarbeit in den Ausschüssen zu ermöglichen. Als legitim sind auch eigennützige Gründe anzusehen wie z.B. die Wahl desjenigen Verfahrens, das der eigenen Fraktion oder (kommunal-)politisch nahestehenden Gruppierungen eine größere Zahl an Ausschusssitzen einbringt (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2020, a.a.O., Rn. 22). Als rechtsmissbräuchlich und damit als Verstoß gegen das rechtsstaatliche Willkürverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) kann die Wahl eines bestimmten Verfahrens zur Ausschussbesetzung erst dann beanstandet werden, wenn sich diese Entscheidung nach den Umständen gezielt gegen eine bestimmte politische Gruppierung richtet und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgt, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten (BayVGH, a.a.O., Rn. 26; B.v. 7.8.2020 - 4 CE 20.1442 - BayVBl 2020, 743 Rn. 23 m.w.N.). Dass es sich hier um einen solchen Extremfall handeln könnte, ist aber nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet; sie beanstandet vielmehr lediglich, dass die Mehrheitsfraktionen bewusst die aus deren Sicht günstigste Lösung gewählt hätten. Selbst wenn dies - entgegen dem Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung - das nachweislich einzige Motiv für die Wahl des d’H.schen Verfahrens gewesen sein sollte, ergäbe sich daraus für die Klägerin noch kein Anspruch auf erneute Entscheidung über die Ausschussbesetzung.
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(2) Die vorstehenden Erwägungen gelten ebenso für die Benennung und Entsendung von Stadtratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der städtischen Beteiligungsunternehmen. Insoweit ist der Spielraum des Plenums bei der Festlegung des Besetzungsverfahrens sogar noch erheblich weiter als im Falle der Ausschussbesetzung, da das in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO normierte Spiegelbildlichkeitsgebot auf die Organe der gemäß Art. 92 GO in Privatrechtsform geführten Unternehmen weder unmittelbar noch analog anwendbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.1962 - 105 IV 61 - VGH n.F. 15, 82/88; U.v. 2.2.2000 - 4 B 99.1377 - VGH n.F. 45/47 f.; U.v. 8.3.2001 - 4 B 98.2073 - VGH n.F. 54, 46/47 f.; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, a.a.O., Art. 93 GO Anm. 3; Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 581/584).
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Die Aufsichtsräte der genannten Unternehmen bestehen nicht ausschließlich aus Mitgliedern des Stadtrats der Beklagten, sondern auch aus sonstigen Mitgliedern. Als Organe einer selbständigen juristischen Person (§ 13 GmbHG) haben die Aufsichtsräte ihre Rechtsgrundlage nicht in der Geschäftsordnung des Gemeinde- bzw. Stadtrats, sondern in den Vorschriften des GmbH-Gesetzes und im jeweiligen Gesellschaftsvertrag. Aufgrund dieser von der örtlichen Volksvertretung unabhängigen Rechtsstellung können die Vorschriften über die Zusammensetzung der Ausschüsse, die ein verkleinertes Abbild des Plenums darstellen sollen, weder auf die Aufsichtsräte der Beteiligungsunternehmen in ihrer Gesamtheit noch auf die Gruppe der dorthin von der Kommune entsandten Vertreter übertragen werden. Der aus dem Repräsentationsgedanken des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gilt nicht für sämtliche kommunalen Gremien und Verwaltungseinheiten, sondern nur für die aus der Gemeindevertretung abgeleiteten Teil- und Hilfsorgane, die an der Erfüllung der dem Plenum zugewiesenen Aufgaben als Vertretung des Gemeindevolks mitwirken (BVerwG, B.v. 28.4.2010 - 8 C 18.08 - BVerwGE 137, 21 Rn. 22; OVG Bremen, B.v. 13.4.2021 -1 B 86/21 - NVwZ-RR 2022, 36 Rn. 10; OVG NRW, B.v. 26.4.2011 - 15 A 693/11 - juris Rn. 8 f. m.w.N.).
21
Entschließt sich eine Gemeinde in Ausübung ihres Organisationsermessens, in die Aufsichtsräte der Kommunalunternehmen als ihre Vertreter nicht (nur) eigene Bedienstete oder fachkundige Dritte (dazu Lohner/Zieglmeier, a.a.O., 582 f.), sondern (auch) gewählte Ratsmitglieder zu entsenden, so üben diese insoweit nicht ihr freies Mandat als Mitglied der örtlichen Volksvertretung aus. Sie sollen in dieser Funktion nicht die im Rat vorhandene Pluralität der Meinungen widerspiegeln (vgl. OVG SH, U.v. 6.12.2017 - 3 LB 11/17 - juris Rn. 55), sondern dafür sorgen, dass „die Gemeinde“ im Sinne von Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GO als beteiligte Gebietskörperschaft einen angemessenen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben kann. Wegen des bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben in Privatrechtsform ebenfalls notwendigen demokratischen Legitimationszusammenhangs (Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 GG) sind auch die in die Aufsichtsräte entsandten Mandatsträger nach Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GO - soweit dies mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zum Unternehmen vereinbar ist - an die jeweiligen (Mehrheits-)Beschlüsse des Gemeinderats bzw. im Falle laufender Angelegenheiten (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO) an die Weisungen des ersten Bürgermeisters gebunden (BVerwG, U.v. 31.8.2011 - 8 C 16.10 - BVerwGE 140, 300 Rn. 29; U.v. 6.4.2005 - 8 CN 1.04 - BVerwGE 123, 159/165; vgl. auch BVerfG, U.v. 7.11.2017 - 2 BvE 2/11 - BVerfGE 147, 50 Rn. 225; NdsOVG, B.v. 8.4.2020 - 10 ME 61/20 - juris Rn. 22 ff.; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, S. 948 f., 967 ff.).
22
Auch der allgemeine Gedanke des Minderheitenschutzes gebietet nicht die analoge Anwendung des Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO auf die Entsendung der kommunalen Vertreter in die Aufsichtsräte der Beteiligungsunternehmen. Dem verfassungsrechtlichen Minderheitenschutz, der vor allem durch die Grundrechte gewährleistet wird, steht das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung entgegen (BVerfG, U.v. 08.12.2004 - 2 BvE 3/02 - BVerfGE 112, 118 Rn. 65), das für den Gemeinderat in Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GO ausdrücklich normiert ist. Hat der Gesetzgeber bzw. der kommunale Satzungsgeber keine speziellen Vorschriften zum Schutz der Ratsminderheit erlassen, gilt somit der demokratische Grundsatz „Mehrheit entscheidet” (BayVGH, U.v. 8.3.2001 - 4 B 98.2073 - VGH n.F. 54, 46/49), dessen Anwendung bei der Besetzung von Aufsichtsratssitzen zulässigerweise zu dem Ergebnis führen kann, dass kein Vertreter einer Minderheitenfraktion bei der Vergabeentscheidung berücksichtigt wird.
23
(3) Hat sich die örtliche Volksvertretung gleichwohl - wie im Fall der Beklagten - kraft ihrer Geschäftsordnungsautonomie für eine das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppierungen widerspiegelnde Verteilung der Sitze in den Aufsichtsräten entschieden, so muss sie nicht zugleich zulassen, dass sich diejenigen Fraktionen und Gruppierungen, denen wegen ihrer geringen Größe kein eigener Sitz zusteht, entsprechend Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO zusammenschließen und gemeinsame Vertreter benennen können. Die analoge Anwendung dieser für die Besetzung von Ausschüssen geltenden Vorschrift liegt schon deshalb fern, weil die von der örtlichen Volksvertretung bestellten Aufsichtsratsmitglieder nicht als Vertreter einer Fraktion oder eines Zusammenschlusses einzelner Gruppierungen entsandt werden, sondern die Interessen der Gemeinde insgesamt wahrnehmen sollen und dabei an das Votum der jeweiligen Ratsmehrheit gebunden sind. Die Berücksichtigung ad hoc gebildeter Zählgemeinschaften, die keine über die Gewinnung von Sitzen hinausgehenden gemeinsamen Ziele verfolgen, ist im Übrigen auch bei der Ausschussbesetzung keineswegs verfassungsrechtlich geboten, sondern im Gegenteil nur in Grenzen zulässig (vgl. BayVGH, U.v. 19.10.2022 - 4 BV 22.871 - juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Es begegnet demzufolge keinen rechtlichen Bedenken, dass der Stadtrat der Beklagten bei der Benennung von Ratsmitgliedern für die Aufsichtsräte der städtischen Beteiligungsunternehmen in Abkehr von seiner früheren Praxis die Vorschläge bloßer „Entsendegemeinschaften“ nicht mehr zulässt.
24
b) Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
25
Die von der Klägerin insoweit aufgeworfene Frage, ob der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit auch für die Beschickung von Organen von Kommunalunternehmen gilt, ist bereits höchstrichterlich geklärt. Wie das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf die parlamentsrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 8.12.2004 - 2 BvE 3/02 - BVerfGE 112, 118/146) klargestellt hat, gilt der auf Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG beruhende Spiegelbildlichkeitsgrundsatz allein für die Besetzung der aus der Gemeindevertretung abgeleiteten Unter- und Hilfsorgane, die an der Erfüllung der dem Plenum zugewiesenen Aufgaben mitwirken, nicht dagegen für die personelle Zusammensetzung von sonstigen Verwaltungsorganen auf der kommunalen Ebene (BVerwG, U.v. 28.4.2010 - 8 C 18.08 - BVerwGE 137, 21 Rn. 22 f.). Danach kann erst recht keine verfassungsrechtliche Verpflichtung bestehen, bei der Auswahl der von der Gemeinde zu benennenden Aufsichtsratsmitglieder entsprechend der für Ausschussbesetzungen geltenden Vorschrift des Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO die von „Entsendegemeinschaften“ vorgeschlagenen Personen zu berücksichtigen.
26
c) Die Berufung ist auch nicht wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
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Der von der Klägerin in diesem Zusammenhang gerügte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor. Für das Verwaltungsgericht bestand auf der Grundlage seiner (zutreffenden) Rechtsauffassung zur generellen Unanwendbarkeit des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes für ratsexterne Gremien kein Anlass aufzuklären, was in den Satzungen der betreffenden kommunalen Unternehmen geregelt ist, insbesondere, ob ausschließlich Vertreter der Beklagten in den Aufsichtsräten sitzen dürfen, welche Aufgaben den Aufsichtsräten übertragen sind und ob die Amtszeit der städtischen Vertreter an die Wahlperiode der ehrenamtlichen oder berufsmäßigen Stadtratsmitglieder gekoppelt ist. Selbst, wenn die gesellschaftsrechtlichen Regelungen so ausgestaltet sein sollten, dass die Rechtsstellung des Aufsichtsrats faktisch der eines Werkausschusses (Art. 88 Abs. 4 GO) entspräche, bestünde keine Verpflichtung, die ausschussbezogenen Vorschriften des Art. 33 Abs. 1 GO auf die Entsendung der Aufsichtsratsmitglieder entsprechend anzuwenden (so i.E. auch Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 581/584).
28
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
29
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).