Titel:
Abschalteinrichtung
Normenketten:
ZPO § 513 Abs. 1, § 520 Abs. 3, § 522 Abs. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 31, , § 276 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 831
VO (EG) 715 Art. 3 Nr. 29, Art. 4 Abs. 2, 4
Leitsatz:
Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsinteresse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 –, BGHZ 225, 316, BeckRS 2020, 10555; vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2022, Az.: III ZR 270/20, BeckRS 2022, 10055). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufung, Aussicht auf Erfolg, Fahrlässigkeit, Fahrzeug, Gelegenheit zur Stellungnahme, Fahrzeugzulassung, erforderliche Sorgfalt, Betriebsuntersagung, Nutzbarkeit, Passivlegitimation, Typgenehmigung, Zeitpunkt, Unzulässigkeit, Verkehrserforderliche Sorgfalt, Schadensersatzanspruch, Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG Augsburg, Endurteil vom 01.03.2023 – 072 O 1865/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9931
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 01.03.2023, Az. 072 O 1865/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sieben Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 14.072,27 € festzusetzen.
Entscheidungsgründe
1
Das Endurteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
2
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
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Das Landgericht hat gegen die Beklagten allein in Betracht kommende deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit dem von der Klagepartei am 01.02.2017 von einem Dritten vorgenommenen Erwerb eines Pkws Opel Astra zu einem Kaufpreis von 30.398,77 € als Neuwagen, ausgestattet mit einem 1,6 CTDI-Dieselmotor mit 100 kW zu Recht abgelehnt.
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Die mit der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Zu den Berufungsangriffen ist Folgendes anzumerken:
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a) Zu Recht hat das Erstgericht Ansprüche gerade auch im Zusammenhang mit dem im streitgegenständlichen Fahrzeug „verbauten“ Thermofenster abgelehnt. So kann die Klagepartei den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6, 27 EG-FGV bzw. § 831 BGB herleiten, auch wenn man zugrunde legt, dass es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
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aa) Ein entsprechender Anspruch scheitert bereits am Merkmal des Schadens.
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Mit dem Bundesgerichtshof geht der Senat weiterhin davon aus, dass das wirtschaftliche Selbstbestimmungsinteresse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts liegt (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, Rn. 72 ff, sowie etwa BGH, Urteil vom 24. März 2022 – III ZR 270/20 –, juris m.w.N.).
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Dass diese Auffassung im Einklang mit den Vorschriften des Europarechts steht, ist der jüngst ergangenen Entscheidung des EuGH vom 21.3.2023 – C-100/21 zu entnehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, Celex-Nr. 62021CJ0100, juris).
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Zwar hat der EuGH in seinem Urteil anerkannt, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs schützen und damit ein Anspruch des Käufers einhergeht, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 88 f.). Er hat indes nicht festgestellt, dass bereits die Nichterfüllung dieses Anspruchs bei richtlinien- und / oder verordnungsgetreuer Auslegung automatisch einen Schaden darstellt / darstellen muss. Vielmehr hat der EuGH nur deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs – hier also nach § 823 Abs. 2 BGB – hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 91 – siehe auch Rn. 95 „soweit“). Entsprechend hat er auch ausgeführt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung u.a. eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen kann (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 84).
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(Hinreichend konkrete) Schäden im Zusammenhang mit einer verzögerten Fahrzeugzulassung oder einer konkret drohenden Betriebsuntersagung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, Rn. 74 ff.) stehen indes nicht im Raum, ebenso wenig solche im Zusammenhang mit einem etwaigen (Weiter)Verkauf des Fahrzeugs. Insoweit ist auch zu sehen, dass das Kraftfahrbundesamt für das inmitten stehende Fahrzeug keine Regelungen zur Typgenehmigung – etwa in Form von Nebenbestimmungen – wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen hat, die Einfluss auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum gehabt hätten.
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bb) Darüber hinaus fehlt es am gemäß § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten. Fahrlässigkeit hinsichtlich eines Verstoßes gegen drittschützende Normen kann hier nicht festgestellt werden.
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(1) Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ist § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, VersR 1968, 378, 379; MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, BGB § 823 Rn. 611). Gemäß dieser Vorschrift handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt jeweils erfordert wird, ist ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen nach einem objektiven Maßstab zum Zeitpunkt der Verursachung des Schadens bzw. dem Zeitpunkt, zu dem eine Schadensabwendung in Betracht kam, zu beurteilen (vgl. BGH, NJW 2021, 1818 Rn. 32 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 276 Rn. 15 f). Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Rechtsirrtum ist nur ganz ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Es genügt zum Beispiel, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Schuldners beantwortet hätte. In diesem Fall sind auch die sonst zu fordernden Erkundigungen des Schuldners über Bestand und Umfang seiner Verpflichtung entbehrlich und scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetz aus (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1004, 1005; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 66; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10). Mithin ist eine Schutzgesetzverletzung nicht als schuldhaft begangen anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Schädigers beruht, die von der für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständigen Behörde bei Einholung einer entsprechenden Erkundigung bestätigt worden wäre (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
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(2) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beklagte durch den Einbau eines sog. Thermofensters in das streitgegenständliche Fahrzeug nicht fahrlässig gehandelt. So hätte – wie dem Senat aus einer Vielzahl von KBA-Auskünften bekannt – das Kraftfahrt-Bundesamt als der in Deutschland gemäß § 2 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der Richtlinie 2007/46/EG für den Vollzug der VO (EG) 715/2007 zuständigen Behörde bei einer entsprechenden Anfrage das von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendete Thermofenster nicht als unzulässig beurteilt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 65 ff., 69 f.). Dieser Schluss ist im Hinblick auf das Thermofenster schon deshalb gerechtfertigt, weil dem Kraftfahrt-Bundesamt sowohl das Vorhandensein als auch die grundsätzliche Funktionsweise und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz seit Jahren bekannt ist (vgl. BGH, VersR 2022, 1173 Rn. 25; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 70).
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b) Nach alledem kommt es auf die Frage der Passivlegitination der Beklagten zu 1) von vornherein nicht entscheidend an.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).