Inhalt

LG Aschaffenburg, Endurteil v. 28.04.2023 – 23 O 177/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Normenkette:
BGB § 31, § 249, § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Fahrzeughersteller bzw. die für diesen handelnden Verantwortlichen in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden; dies gilt jedenfalls so lange, wie Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Automobilhersteller den gesetzlichen Anforderungen entsprechend seinen Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte er sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Anderenfalls durfte er auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit seines Vorgehens ausgehen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Opel Astra, Thermofenster, OBD-System, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidriges Handeln
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9930

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz insbesondere wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bzw. deliktischem Handeln im Zusammenhang mit dem Erwerb eines PKWs mit Dieselantrieb.
2
Die Klagepartei erwarb am 24.11.2016 für einen Kaufpreis von 7.092,49 € einen gebrauchten Opel Astra, Sports Tourer, Fahrgestellnummer ... mit einem Kilometerstand von 59.100 km. In dem Fahrzeug verbaut war ein Motor mit der internen Motorenbezeichnung A 20 mit der Emissionsklasse Euro 5.
3
In dem Fahrzeugmotor ist ein sogenanntes „Thermofenster“, also eine Steuerung der Abgasrückführung anhand der Außentemperatur verbaut. Auch wird die Wirkungsweise des Emissionskontrollsystems von der Motorendrehzahl und dem Umgebungsluftdruck beeinflusst.
4
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor, dass im streitgegenständlichen Motor unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien.
5
Das Emissionskontrollsystem werde in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur, Umgebungsluftdruck und Motorendrehzahl in seiner Wirkungsweise verringere. Bei einem Außenluftdruck von unter 915 hPa die Emissionskontrolle verringert wurde, mithin die Abgasrückführung reduziert. Bei einer Motorendrehzahl von oberhalb 2.400 Umdrehungen finde eine Reduzierung der Abgasrückführung statt, eine Erhöhung der Abgasrückführung dann jedoch erst wieder, wenn eine Drehzahl von 1.250 Umdrehungen unterschritten werde.
6
Weiter sei bei dem Fahrzeug eine Funktion dahingehend vorhanden, dass das Fahrzeug 1.180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus, den sogenannten „schmutzigen“ Abgasmodus wechsele mit der Folge, dass eine Reduzierung der Emissionsminderung Maßnahmen durchgeführt werde.
7
Zudem sei das On-Bord-Diagnose-System (“OBD-System“) manipuliert.
8
Die Abgaswerte des Fahrzeugs überschritten im Fahrbetrieb die zulässigen NOx-Grenzwert um das 3,5-fache.
9
Die Beklagte habe die Typengenehmigungsbehörden, insbesondere das Kraftfahrtbundesamt (“KBA“) auch insofern getäuscht.
10
Daher entspreche das Fahrzeug nicht den in der Typengenehmigung enthaltenen Angaben; die Einstufung in die Emissionsklasse Euro 5 sei falsch. Daher dürfte das streitgegenständliche Fahrzeug gar nicht auf deutschen Straßen betrieben werden und dem Fahrzeug drohe die Stilllegung durch die Straßenverkehrsbehörden.
11
Die Vorstände der Beklagten hätten Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt.
12
Ein Rückruf des Fahrzeugs habe das KBA vermutlich lediglich aufgrund von Arbeitsüberlastung noch nicht veranlasst.
13
Der Marktwert des Fahrzeugs sei durch die erfolgte Manipulation um mindestens 20% gesunken.
14
Die Klagepartei beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 7.092,49 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel, Astra Sports Tourer mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
16
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet, das Fahrzeug sei mithin nicht manipuliert.
17
Die Modulation der Abgasrückführungsrate (“AGR-Raten“) in Abhängigkeit von Temperatur, Drehzahl und Außendruck sei technisch geboten. Die Beklagte sei auch davon überzeugt gewesen, dass der Motor den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe. Insbesondere sei der streitgegenständliche Motor nicht prüfstandsbezogen programmiert, mithin arbeite er im realen Fahrbetrieb genau wie auf dem Prüfstand. Eine Täuschung des KBA liege nicht vor.
18
Es verhalte sich so, dass das Emissionskontrollsystem nicht abhängig von steigender Motorendrehzahl oder steigendem Luftdruck verringert werde, sondern entsprechend technischer und physikalischer Erfordernisse angepasst werde.
19
Zudem wendet die Beklagte Verjährung ein.
20
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 20.03.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
21
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
22
I. Der geltend gemachte Anspruch aus Delikt gem. §§ 826, 31 BGB besteht nicht.
23
1. Im Hinblick auf die behauptete unzulässige Abschalteinrichtung des sog. „Thermofensters“ sind die Tatbestandsvoraussetzungen der sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB sind nicht hinreichend vorgetragen.
24
a) Das Verhalten der für den Hersteller eines Kraftfahrzeugs handelnden Person kann nicht bereits deshalb als sittenwidrig eingestuft werden, weil er einen Fahrzeugtyp aufgrund einer getroffenen unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung bei dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn angestrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist stattdessen nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Person als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19 – juris). b)
25
Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Fahrzeughersteller bzw. die für diesen handelnden Verantwortlichen in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden; dies gilt jedenfalls so lange, wie Gerichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019, Az. 10 U 134/19; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 8.3.2021, Az. 3 U 246/20). Zu der Erforderlichkeit des Motorschutzes führt die Beklagte in der Klageerwiderung (vgl. S. 7 ff.) substantiiert aus. Hierbei ist auch in Rechnung zu stellen, dass Kriterien, aus denen sich eine aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten sind (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 19.7.2019, Az. 5 U 1670/18).
26
c) Deshalb kommt ein sittenwidriges Handeln der Beklagten vorliegend nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass sie vorsätzlich und in einer besonders verwerflichen Art und Weise eine rechtliche Grauzone ausgenutzt haben könnte (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 13.11.2019, Az. 13 U 274/18; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 8.3.2021, Az. 3 U 246/20).
27
Insoweit kann der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die hinsichtlich des von der V1. AG entwickelten Motors Typ E189 ergangene Rechtsprechung (grundlegend insoweit BGH, Urteil vom 25.5.2020, Az. VI ZR 252/19) beziehen. Der Einbau einer zum Zwecke der Erkennung der Prüfstandsituation entwickelten Software, die ausschließlich in diesen Fällen das Emissionsverhalten des Fahrzeugs verändert, stellt sich deutlich anders dar als das hiesige temperaturabhängige Abgasrückführungssystem, welches vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand arbeitet. Mithin kann jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, dass die verantwortlichen Organe der Beklagten von einer – möglicherweise – letztlich unzutreffenden, jedoch noch vertretbaren und auch von den in den diversen Prüfungsverfahren involvierten staatlichen Stellen geteilten Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung ausgegangen sind (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.2.2022, Az. 3 U 7524/19; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 8.3.2021, Az. 3 U 246/20).
28
d) Die hiesige Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt hat in jüngster Rechtsprechung der Bundesgerichtshof. Mit Beschluss vom 29.9.2021, Az. VII ZR 126/21, hat der Bundesgerichtshof in einer nach Auffassung des Gerichts letztlich vergleichbaren Konstellation entschieden (vgl. zudem die Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20), aus denen sich die genannten Grundsätze ergeben. Die Erwägungen dieses Bundesgerichtshofurteils können – auch wenn ein anderer Hersteller betroffen ist – übertragen werden. Dort hat der BGH unter anderem festgehalten, dass auch ein verpflichtender Rückruf – der in der hiesigen Konstellation nicht einmal vorliegt – noch nicht eine unzulässige Abschalteinrichtung indiziert (Rn 14). Weiter nimmt der Bundesgerichtshof auch darauf Bezug, dass von einer zweifelhaften Rechtslage auszugehen sei (Rn 22 ff.).
29
Insbesondere stellt der Bundesgerichtshof erneut darauf ab, dass ein maßgebliches Kriterium für die Sittenwidrigkeit in Konstellationen wie dieser die Prüfstandsbezogenheit einer Abschalteinrichtung ist (Rand-Nr. 15 ff.). Insofern hält der Bundesgerichtshof fest, dass auch bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine Sittenwidrigkeit nur dann indiziert ist, wenn eine solche prüfstandsbezogen ist. In anderen Konstellationen sei dann zwar es weiter möglich, die Sittenwidrigkeit darzulegen (Rn 18 ff.). Es müssten dann jedoch weitere Umstände dargelegt werden, die dafür sprächen.
30
Solche Anhaltspunkte hat der Kläger vorliegend nicht ausreichend dargetan.
31
Unter Berufung auf diese Rechtsprechung hat das OLG Bamberg in mehreren Entscheidungen, die die hiesige Beklagte betrafen, Schadensersatzansprüche abgelehnt (Beschlüsse vom 05.10.2021, Az. 4 U 229/21, und vom 20.04.2021, Az. 5 U 57/21, sowie zuletzt Beschluss vom 18.01.2023, Az. 3 U 161/22, BeckRS 2023, 3006).
32
e) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (EuGH NJW 2022, 2605) und denkbar ist, dass diese Sicht, wenn sie nicht bereits in der Vergangenheit vom KBA geteilt und im Prüfungsverfahren um gesetzt wurden, in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Maßgeblich sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 38, sowie Beschluss vom 18.01.2023, Az. 3 U 161/22, BeckRS 2023, 3006, Rn. 16). Insbesondere ist eine Täuschung des KBA über eine etwaige unzulässige Abschalteinrichtung nicht substantiiert vorgetragen.
33
2. Insofern der Kläger sich darauf stützt, unzulässige Abschalteinrichtungen lägen auch im Hinblick auf Reduktion der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Drehzahl und dem Außendruck vor, so hat die Beklagtenseite dies in der Klageerwiderung näher mit zwingenden technischen Erfordernissen begründet (S. 7 ff.). Es kann jedoch letztlich offen bleiben, inwiefern hier solche zwingende technische Erfordernisse vorlagen:
34
Ein Schadensersatzanspruch scheidet diesbezüglich jedenfalls schon deshalb aus, da – entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen – keine Differenzierung der Abgasrückführung danach erfolgt, ob eine Prüfstandssituation oder ein nomaler Fahrbetrieb vorliegt; dies wird schon gar nicht behauptet. Insofern müssten erneut jedenfalls zusätzliche Gesichtspunkte dargelegt werden, die das Verhalten der handelnden Personen als besondere verwerflich erschienen ließen. Dies ist nicht erfolgt (vgl. auch betreffend die hiesige Beklagte die Rechtsprechung des OLG Bamberg, Beschluss vom 20.04.2021, Az. 5 U 57/21 sowie Beschluss vom 18.01.2023, Az. 3 U 161/22, BeckRS 2023, 3006).
35
3. Weiter ist auch der von der Beklagten vorgebrachte Verjährungseinwand von Substanz und führt hinsichtlich der genannten Argumentation „Thermofenster“ sowie Veränderung des Emissionskontrollsystems in Relation zu Luftdruck und Motorendrehzahl zur Klageabweisung.
36
Einen Schadensersatzanspruch wäre nämlich mittlerweile auch verjährt gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, da die Verjährung bereits 2016, spätestens jedoch 2017 begonnen hat und mithin jedenfalls zum 31.12.2020 eintrat.
37
Hier ist der Klagepartei gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Anspruchsverfolgung vorzuwerfen, da sie nicht bis jedenfalls Ende 2020 die Rechtsverfolgung begonnen hat, obwohl sich ihr die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt ha ben.
38
Die Klagepartei nimmt selbst Bezug auf die Ermittlungen zu dem sogenannten „Dieselskandal“ und entsprechende Untersuchungen. Sie bezieht sich insbesondere den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ von November 2016 bzw. April 2016 (Anlage K2) sowie den Untersuchungsbericht von für den Bundestag (Anlage K 4) vom November 2016.
39
Gerichtsbekannt erfolgte eine umfassende Presseberichterstattung hierzu, so dass die diesbezügliche anspruchsbegründenden Tatsachen, auf die sich die Klagepartei stützt, bereits Ende 2016 offen lagen und ohne Weiteres im Laufe zumindest im Laufe des Jahres 2017 eine Schadensersatzanspruchklage hätte erhoben werden können. Eine Klageerhebung war daher spätestens 2017 zumutbar und auch nicht etwa von späteren Grundsatzentscheidungen des BGH abhängig (vgl. hierzu LG Landshut, Urteil vom 10.8.2022 – 55 O 458/22, Beck RS 2022, 20025, Rn 17 ff.).
40
4. Ohne Substanz und ersichtlich ins Blaue hinein sind die Behauptungen der Klägerseite zu einer Abschaltung des Emissionskontrollsystems nach 1.180 Sekunden. Die Klagepartei bezieht sich insofern lediglich auf Gutachten, die zu anderen Motortypen, nämlich einem Opel Zafira Tourer 1.6 CDTi und einen Opel Astra Tourer 1.6 CDTi erstellt wurden (Anlage K6 und K7). Ein konkreter Bezug zum hiesigen Fahrzeugmotor fehlt, so dass auch den entsprechenden Beweisanträgen aufgrund dieses zu pauschalen Sachvortrages nicht nachzugehen war.
41
Zudem wäre auch diesbezüglich Verjährung eingetreten, da die genannten Rechtsgutachten bereits aus dem Jahr 2016 stammen und mithin die unter Ziffer 3 ausgeführten Grundsätze entsprechend anwendbar sind.
42
5. Auch die beanstandete Programmierung des OBD-Systems kann nicht zu einem Schadensersatzanspruch führen. Hinsichtlich der behaupteten Manipulation des OBD kann letztlich offenbleiben, welche Anforderungen an das OBD zu stellen sind. Der Kläger trägt insofern lediglich eine zusätzliche Manipulation vor, die die von ihm als sittenwidrig dargestellten behaupteten und unzulässigen Abschalteinrichtungen verdecken sollte und mithin auch ein zusätzliches Indiz für die Sittenwidrigkeit darstellen sollte. Nachdem jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Sitten widrigkeit dieser Steuerungsfunktionen – wie dargelegt – vorliegen, kann es auf das Diagnosesystem nicht mehr erheblich ankommen (vgl. OLG Bamberg Urt. v. 20.5.2021 – 1 U 90/20, BeckRS 2021, 28927; zudem Hinweisbeschluss v. 25.8.2022 – 6 U 26/22, BeckRS 2022, 26381 und Hinweisbeschluss v. 11.11.2022 – 6 U 51/22, BeckRS 2022, 33515).
43
6. Nicht weiterführend ist der klägerische Vortrag, dass die Werte des tatsächlichen Schadstoffausstoßes im Normalbetrieb über den angegebenen Werten im Sinne der zu Grunde liegenden Euro-5-Norm liegen und bereits deshalb das Fahrzeug mangelhaft gewesen sei. Die für die Einhaltung der Euro-5-Norm relevanten, im sog. NEFZ-Verfahren gemessenen Werte entsprechen grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten (OLG München, Endurteil vom 05.09.2019 – 14 U 416/19, BeckRS 2019, 26072 Rn. 168). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch der Grenzwerte für Emissionen nicht vergleichbar ist. Dies resultiert daraus, dass auf dem Prüfstand eine bestimmte „ideale“, nicht der Praxis entsprechende Situation vorgegeben wird, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit), Abschaltung von Klimaanlage usw., so dass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit unter den verschiedenen Fahrzeugfabrikaten und -modellen führen mag, absolut genommen aber jeweils nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt. Im Straßenbetrieb liegen sowohl der Kraftstoffverbrauch als auch der Schadstoffausstoß erheblich höher, wie schon seit Jahren aufgrund entsprechender Tests etwa von Automobilclubs und der dadurch ausgelösten öffentlichen Diskussion bekannt ist. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber auf Druck der Umweltverbände und Umweltparteien zwischenzeitlich den früher geltenden gesetzlichen Prüfzyklus NEFZ durch den sogenannten RDE-Test ersetzt (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 22.9.2020 – 16a U 55/19, BeckRS 2020, 25570 Rn. 64).
44
Dementsprechend hat der BGH ausdrücklich in einem Hinweisbeschluss vom 15.9.2021 (Az. VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995) festgehalten, dass die Abweichungen der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ nicht als Indiz für eine Abschalteinrichtung bzw. insbesondere für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 erfüllen könnte, geeignet seien.
45
II. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG scheidet ebenfalls aus.
46
Es kann dabei offen bleiben, ob vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, Urteil vom 21.03.2023 -10-100/21, NJW 2023, 111, der BGH an seine bisherigen Linie, das Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB seien (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20-Rn 12, juris) festhält:
47
1. Deliktische Ansprüche scheitern jedenfalls bereits daran, dass es an einem Verschulden der Beklagten fehlt, da diese sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand (siehe insbesondere OLG Bamberg Hinweisbeschluss v. 24.1.2023 – 3 U 240/22, BeckRS 2023, 1380, Rn. 29 ff.).
48
Denn wenn davon auszugehen ist, dass die erforderliche, aber unterbliebene Erkundigung die Fehlvorstellung des Betroffenen bestätigt hätte, so scheitert seine Haftung am vorliegenden eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 Rn 17).
49
a) Es ergibt sich aus dem gerichtsbekannten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 (Anlage K2), dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelte es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“.
50
b) Eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein bekannt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10; OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36). Das KBA hatte von der Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls Kenntnis. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge ohne weiteres in der Lage (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20, Rn. 25). Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36).
51
c) Wenn also die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/20, Rn. 26). Anderenfalls durfte die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.). d)
52
Selbst wenn man sogar eine Erkundigungspflicht der Beklagten unterstellen würde, ist davon auszugehen, dass das KBA – wie bislang geschehen – im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nichts unternommen und insbesondere das Thermofenster nicht beanstandet hätte:
53
Das KBA geht noch heute von der Zulässigkeit des Thermofensters aus, wie sich aus der Pressemitteilung des KBA vom 14.07.2022 ergibt (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/ Abgasthematik/stellungnahme_euGH_thermofenster_inhalt.html). Darin hat das KBA anlässlich eines Urteils des EuGH vom 17.12.2020 Stellung genommen und erläutert, dass es bereits in der Vergangenheit die Zulässigkeit des „Thermofensters“ entsprechend den Grundsätzen des EuGH und den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 durch eigene Untersuchungen und Messungen geprüft habe; die Genehmigungspraxis des KBA habe bereits die Maßstäbe des EuGH berücksichtigt, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse Nach Überzeugung des Gerichts hätte daher eine ausreichende Erkundigung zu keinem anderen Erkenntnisstand der Beklagten geführt. In einem solchen Fall kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit, auch wenn eine grundsätzlich erforderliche Erkundigung nicht eingeholt wurde, nicht erhoben werden.
54
2. Unabhängig von den zuvor geschilderten Umständen liegt auch jedenfalls kein Schaden vor. Der Schaden des Käufers könnte darin bestehen, dass ihm der Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeuges droht, wobei der Schaden bereits mit Erwerb des Fahrzeuges eingetreten ist (siehe BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris).
55
Zur Überzeugung des Gerichts droht der Klagepartei aber gerade nicht der Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeuges, weshalb es an einem Schaden mangelt. Für den Betrieb des Klägerfahrzeugs liegt vielmehr eine erteilte, bestandskräftige Typengenehmigung zugrunde, die auch nicht ersichtlich in ihrem Bestand gefährdet ist.
56
Substantiierten Vortrag dahingehend, dass eine Entziehung der Typengenehmigung bzw. eine Stilllegung des Fahrzeugs droht, erbringt die Klägerpartei nicht. Die entsprechenden Behauptungen, dass Maßnahmen des KBA nur aufgrund Arbeitsüberlastung nocht nicht erfolgt seien, ist eine reine Mutmaßungen, so dass dem angebotenen Zeugenbeweis auch nicht nachzugehen war.
57
Auch der Sachvortrag, das streitgegenständliche Fahrzeug habe einen geringeren Marktwert, ist völlig pauschal und mithin ersichtlich ins Blaue hin.
58
Abgesehen davon ist die Argumentation der Beklagtenseite stichhaltig, dass beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges der „Dieselskandal“ bereits – wie dargestellt – offenkundig war, und zwar auch in Bezug auf das hiesige Fahrzeug, wie die Klägerseite selbst darlegt. Daher hat die Klägerseite das Fahrzeug in Kenntnis oder zumindest grob fahrlässiger Unkenntnis der Sachlage erworben, so dass sie sich nicht auf einen geringeren Marktwert berufen kann.
59
III. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. i.V.m. §§ 4, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV zu, da es sich bei §§ 4, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV jedenfalls nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt. Insofern wird auf die Entscheidung des BGH vom 25.05.2020, Az.: VI 252/19, Rn 76 (NJW 2020, 1962) Bezug genommen, der sich das Gericht anschließt.
60
IV. Ein Anspruch aus § 311 Abs. 2 BGB ist bereits nichts näher dargelegt und auch nicht ersichtlich.
B.
61
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
62
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
63
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.