Titel:
Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss wegen Streitwertschätzung
Normenketten:
GKG § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 1 § 66 Abs. 3 S. 3, Abs. 6 S. 1, § 68 Abs. 1 S. 1, S. 3, S. 5
VwGO § 152 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Streitwertbestimmung hat nach Ermessen zu erfolgen. Insoweit besteht bei der Beurteilung der Bedeutung der Sache für den Kläger ein gerichtlicher Spielraum. Der Wert darf geschätzt werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Damit im Interesse der Rechtssicherheit eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung in der gerichtlichen Praxis gewährleistet ist, sind durch den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Bewertungsrichtlinien entwickelt worden, denen jedoch keine Bindungswirkung zukommt (vgl. VGH München BeckRS 2017, 119886). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertkatalog, Streitwertbestimmung, Streitwertbeschwerde, Ermessen, Streitwert, Streitwertschätzung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Endurteil vom 23.05.2019 – B 2 K 18.182
Fundstelle:
BeckRS 2023, 988
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Festsetzung des Streitwerts in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der Beklagte begehrt die Herabsetzung des mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. Mai 2019 festgesetzten Streitwerts in Höhe von 100.000 Euro auf 5.000 Euro für eine Klage der Klägerin, die auf die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung gerichtet war.
2
Am 28. April 2017 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG für die von ihr betriebene Eisenmetallgießerei; die Betriebszeiten sollen danach von bisher werktags 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr auf montags bis freitags von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr und samstags 0:00 Uhr bis maximal 22:00 Uhr erweitert werden. Zudem wurde die Erhöhung der täglichen Verarbeitungskapazität von 57 Tonnen auf zukünftig 88 Tonnen beantragt. Mit Bescheid vom 16. Januar 2018 lehnte das Landratsamt den Antrag der Klägerin ab.
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Das Verwaltungsgericht Bayreuth hob den Bescheid vom 16. Januar 2018 mit Urteil vom 23. Mai 2019 auf und verpflichtete den Beklagten, der Klägerin die beantragte Genehmigung zur Änderung der bestehenden Eisenmetallgießerei zu erteilen. Den Streitwert setzte das Verwaltungsgericht mit dem streitgegenständlichen Beschluss auf 100.000 Euro fest.
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Mit Urteil vom 3. Mai 2022 änderte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. Mai 2019 und verpflichtete den Beklagten, unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2018 den Antrag der Klägerin vom 28. April 2017 auf Erteilung der Genehmigung zur Änderung der bestehenden Eisenmetallgießerei unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Den Streitwert für das Berufungsverfahren setzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ebenfalls auf 100.000 Euro fest.
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Die Landesanwaltschaft B. legte mit Schriftsatz vom 28. Juli 2022 gegen den Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. Mai 2019 Beschwerde ein. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige 200 Euro. Die Beschwerde sei damit statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die Frist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG sei gewahrt. Das Verwaltungsgericht habe den Streitwert auf 100.000 Euro festgesetzt und auf § 53 Abs. 1 GKG Bezug genommen. Es werde davon ausgegangen, dass auf § 52 Abs. 1 GKG verwiesen werden sollte, wonach vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen sei. Welche Ermessenserwägungen das Verwaltungsgericht zur Festsetzung veranlasst haben, sei nicht ausgeführt. Im Hinblick auf die Bedeutung der Streitsache im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG sei maßgebend nicht die subjektive Bedeutung, die der Kläger der Sache beimesse (Affektionsinteresse), sondern der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für den Kläger habe. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof lege hierbei regelmäßig den jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde, derzeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (Streitwertkatalog 2013), sofern nicht ein atypischer Fall vorliege. Ausgehend von Nr. 19.1.1 des Streitwertkatalogs 2013 bestimme sich im Bereich des Immissionsschutzrechts der Streitwert bei Klagen des Errichters oder Betreibers auf Genehmigung oder Teilgenehmigung oder Planfeststellung einer Anlage auf 2,5% der Investitionssumme, mindestens aber den Auffangwert. Die voraussichtlichen Gesamtkosten für die Änderungsgenehmigung beliefen sich gemäß dem Genehmigungsantrag vom 28. April 2017 auf 70.000 Euro. Dies würde 1.750 Euro ergeben, ginge man von 2,5% der Investitionskosten aus. Damit sei vorliegend der Auffangwert in Höhe von 5.000 Euro (vgl. § 52 Abs. 2 GKG) anzunehmen. Folglich stehe eine Streitwertfestsetzung in Höhe von 100.000 Euro sowohl in Widerspruch zum Streitwertkatalog 2013 als auch zu der im Antrag angeführten Investitionssumme.
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Die Beigeladene äußerte sich mit Schreiben vom 2. November 2022. Sie gehe davon aus, dass der Streitwertbeschwerde in Bezug auf den Streitwert 1. Instanz nicht stattgegeben werden könne. Die vorliegende Angelegenheit zeichne sich dadurch aus, dass es im Wesentlichen um die Ermöglichung eines sogenannten Drei-Schicht-Betriebes bei einer Änderung der Betriebszeiten gehe, während anders als im Normalfall immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen keine wesentlichen Kosten zur Umsetzung der beantragten Änderungsgenehmigung angefallen wären, sodass zur Bemessung des objektiven Wertes der Sache für den Kläger nicht auf die lnvestitionskosten oder einen Bruchteil der lnvestitionskosten abzustellen sei. Die Klägerin habe im Verfahren wiederholt betont, welche wirtschaftliche und finanzielle Bedeutung die beantragte Änderungsgenehmigung für sie habe. Dieses objektiv ermittelte lnteresse der Klägerin sei mit mindestens 100.000 Euro zu beziffern.
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Die Klägerin nahm mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 Stellung. Der Festsetzung des Streitwerts in Höhe von 100.000 Euro stehe nichts entgegen. § 52 Abs. 1 GKG statuiere, dass der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen bestimmt wird. Aus gutem Grunde habe deshalb das Verwaltungsgericht Bayreuth im Rahmen seiner Streitwertfestsetzung nicht auf den Streitwertkatalog verwiesen. Dieser diene als Entscheidungshilfe, sei aber für die Gerichte nicht bindend. Wie der Randbemerkung zu Punkt 19 zu entnehmen sei, würden grundsätzlich die darin nachstehend aufgeführten Werte gelten. Soweit diese aber die Bedeutung der Genehmigung, des Vorbescheides oder der Anfechtung einer belastenden Maßnahme für den Kläger nicht angemessen erfassten, gelte stattdessen das geschätzte wirtschaftliche Interesse bzw. der Jahresnutzwert. Insoweit habe das Verwaltungsgericht lediglich das ihm zustehende Ermessen ausgeübt, indem es auf das wirtschaftliche Interesse der Klägerin abstellte. Gegenstand des Genehmigungsantrages sei die Umstellung der Produktion von einem Zwei-Schicht-Betrieb auf einen Drei-Schicht-Betrieb mit entsprechend erhöhtem Durchsatz gewesen. Im vorliegenden Fall seien, entgegen dem Normalfall einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, keine hohen Kosten zur Umsetzung der beantragten Änderungsgenehmigung angefallen. Die Investitionskosten stünden deshalb in keinem Verhältnis zum entsprechenden objektiven Wert der Betriebserweiterung für die Klägerin. Dieser liege - insoweit werde auf den Schriftsatz vom 26. August 2022 und die dort angestellten Berechnungen verwiesen - deutlich über dem Wert von 2,5% der Investitionssumme von 70.000 Euro (1.750 Euro) bzw. dem dann gem. § 52 Abs. 2 GKG geltenden Auffangwert. Im hiesigen Verfahren habe aufgrund der geringen Investitionskosten ein atypischer Fall vorgelegen, so dass nach Sinn und Zweck der Regelung auf das geschätzte wirtschaftliche Interesse der Klägerin zurückzugreifen sei. Dieses sei, objektiv ermittelt, auf mindestens 100.000 Euro zu schätzen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, auch aus den Verfahren 22 ZB 19.2014 und 22 B 20.2178, verwiesen.
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Die gemäß § 68 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GKG zulässige Streitwertbeschwerde des Beklagten, über die nach § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Senat entscheidet, ist unbegründet. Es besteht kein Anspruch auf die begehrte Herabsetzung des Streitwerts, mit der Folge, dass die Streitwertbeschwerde zurückzuweisen ist. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert nicht zu hoch angesetzt.
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Gegenstand der Streitwertbeschwerde ist der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth. Das Verwaltungsgericht hat die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von 100.000 Euro auf § 52 Abs. 1 GKG (bei der Angabe „§ 53 Abs. 1 GKG“ im Beschluss handelt es sich offensichtlich um einen Schreibfehler) gestützt. Auf den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat das Verwaltungsgericht nicht verwiesen.
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Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist in verwaltungsgerichtlichen Streitsachen, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Der Bewertung ist der Klageantrag so zugrunde zu legen, wie das Gericht ihn verstanden hat. Die Bedeutung der Sache für den Kläger wird regelmäßig vom wirtschaftlichen Inhalt der angestrebten Regelung geprägt. Die Bedeutung der Sache für den Beklagten oder einen Beigeladenen beeinflusst den Streitwert nicht.
12
Die Streitwertbestimmung hat nach Ermessen zu erfolgen. Insoweit besteht bei der Beurteilung der Bedeutung der Sache für den Kläger ein gerichtlicher Spielraum. Der Streitwert darf aber nicht derart unangemessen hoch festgesetzt werden, dass dem Kläger übermäßig hohe Hürden für die gerichtliche Klärung errichtet werden (BVerfG, B.v. 31.10.1996 - 1 BvR 1074/93 - juris Rn. 7). Der Wert darf geschätzt werden (Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl. 2021, § 52 Rn. 5). Damit im Interesse der Rechtssicherheit eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung in der gerichtlichen Praxis gewährleistet ist, sind durch den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Bewertungsrichtlinien entwickelt worden, denen jedoch keine Bindungswirkung zukommt (vgl. Vorbemerkungen Nr. 3 zum Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; BayVGH, B.v. 27.7.2017 - 20 C 17.367 - juris Rn. 17; Toussaint in BeckOK Kostenrecht, Stand 1.10.2022, § 52 Rn. 10).
13
Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht vorliegend die Höhe des festzusetzenden Streitwerts zu Recht nicht nach Nr. 19.1.1 des Streitwertkatalogs bemessen, da die angegebenen Investitionskosten das geschätzte wirtschaftliche Interesse der Klägerin nicht angemessen erfassen (Anmerkung zu Nr. 19 im Streitwertkatalog). Streitgegenstand des Klageverfahrens war der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung zur Aufnahme eines Drei-Schicht-Betriebs. Das objektive Interesse der Klägerin an der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung besteht daher in der mit der Steigerung der Produktion (Erhöhung der Durchsatzleistung von 57 Tonnen auf 88 Tonnen) verbundenen Umsatz- und Gewinnsteigerung. Die Investitionskosten, die mit dieser Produktionssteigerung verbunden sind, sind demgegenüber nachrangig, weil sie größtenteils die Minderung der mit der Betriebserweiterung einhergehenden Immissionsbelastung (Errichtung einer Einhausung, Einbau eines Schalldämpfers usw.) betreffen und die Ausdehnung der Produktion im Wesentlichen mit der bereits bestehenden Anlage bewerkstelligt werden kann. Mit der Festsetzung des Streitwerts in Höhe von 100.000 Euro hat das Verwaltungsgericht erkennbar auf dieses wirtschaftliche Interesse der Klägerin abgestellt.
14
Der Beklagte hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens keine substantiierten Ausführungen dazu gemacht, weshalb die Schätzung des Verwaltungsgerichts nicht das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Betriebserweiterung widerspiegeln sollte. Es ist zutreffend, dass sich dem Streitwertbeschluss nicht entnehmen lässt, wie das Verwaltungsgericht das wirtschaftliche Interesse der Klägerin ermittelt hat. Dies hat aber nicht die Fehlerhaftigkeit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Schätzung zur Folge und führt auch nicht dazu, dass der Streitwert entsprechend Nr. 19.1.1 des Streitwertkatalogs festzusetzen wäre, weil die Investitionskosten bzw. ein Bruchteil davon gerade nicht das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Betriebserweiterung abbilden und daher eine Ausnahme im Sinne der Anmerkung zu Nr. 19 des Streitwertkatalogs vorliegt.
15
Demgegenüber hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. August 2022 nachvollziehbar dargelegt, dass die mit der Produktionssteigerung verbundene Gewinnhöhung im Durchschnitt der letzten vier Jahre 149.300 Euro pro Jahr betrug. Der vom Verwaltungsgericht festgesetzte Streitwert in Höhe von 100.000 Euro stellt sich daher nicht als fehlerhaft dar.
16
Eine Kostenentscheidung ist aufgrund von § 68 Abs. 3 GKG nicht veranlasst.
17
Dieser Beschluss ist nach § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG sowie § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.