Titel:
rechtmäßige Ausweisung trotz Strafaussetzung zur Bewährung
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, § 55
StGB § 57, § 67d
GG Art. 6
EMRK Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Während es bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB um die Frage geht, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann, geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen oder dadurch gefördert wurden, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine einschlägige Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein der formale Abschluss einer Therapie im Maßregelvollzug rechtfertigt noch nicht die Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens, insbesondere nicht, solange noch ein weiterer, engmaschiger Therapiebedarf besteht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Betäubungsmitteldelikte (Drogenhandel) und Betäubungsmittelabhängigkeit, Freiheitsstrafe 5 Jahre und 6 Monate, Anordnung Maßregelvollzug, Strafrechtliche Aussetzung von Maßregelvollzug und Strafrest, Generalprävention, Unbenanntes Bleibeinteresse, Betäubungsmittelabhängigkeit, Strafaussetzung zur Bewährung, Spezialprävention, Titelerteilungssperre
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 18.11.2020 – B 6 K 19.547
Fundstelle:
BeckRS 2023, 986
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. November 2020 bleibt ohne Erfolg.
2
Der Kläger, syrischer Staatsangehöriger, geboren am ... 1996, am 4. November 2015 in das Bundesgebiet eingereist, dessen Flüchtlingsanerkennung (Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 7.1.2016) mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 13. März 2019 widerrufen wurde, wobei die Zuerkennung des subsidiären Schutzes abgelehnt, aber ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syriens festgestellt wurde, der ab dem 7. Januar 2016 im Besitz einer bis 6. Januar 2019 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG war und bis zu seiner Inhaftierung am 11. Januar 2018 keiner Erwerbstätigkeit nachging, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. November 2020 (Az.: B 6 K 19.547), durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2019 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nr. I des Bescheids), die Verlängerung bzw. Neuerteilung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. II des Bescheids), die Abschiebung des Klägers aus der Haft nach erfülltem Strafanspruch des Staates und Eintritt der Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht angeordnet - wobei die Abschiebung in einen Staat erfolgen kann, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, nicht jedoch nach Syrien -, dem Kläger für den Fall, dass dieser vor der Abschiebung aus der Haft entlassen wird, eine Frist zur freiwilligen Ausreise von einer Woche ab dem Tag der Entlassung aus der Haft gesetzt, wobei für den Fall, dass der Kläger der Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommt, seine Abschiebung in einen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, nicht jedoch nach Syrien, angedroht wurde (Nr. III des Bescheides), sowie die Ausweisungswirkungen auf zehn Jahre ab dem Tag der Abschiebung bzw. der freiwilligen Ausreise befristet (Nr. IV des Bescheides). Den Ausweisungsanlass bildete eine rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Hof vom 12. November 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in drei Fällen in Tatmehrheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wobei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für einen Zeitraum von 24 Monaten gemäß § 64 StGB angeordnet wurde. Dem lag zugrunde, dass der Kläger Ende Oktober 2017 von einem Mitangeklagten nach und nach insgesamt 1.050g Marihuana für mindestens 3.675,00 EUR gekauft und anschließend teilweise für seinen Eigenkonsum verwendet, teilweise für einen Erlös von mindestens 4.950,00 EUR weiterverkauft hatte, Anfang Dezember 2017 am Handel mit mehr als 1.200g Haschisch beteiligt gewesen war, am 21. Dezember 2017 und in den Folgetagen am Handel mit 900g Marihuana teilgenommen hatte, von denen er 560g gewinnbringend für einen Erlös von mindestens 2.180,00 EUR weiterveräußert hatte, sowie sich in einem nicht genau ermittelbaren Zeitraum zwischen Ende Oktober 2017 und dem 9. November 2017 am Handel mit einem Kilo Marihuana beteiligt hatte. Der Kläger befand sich ab dem 11. Januar 2018 bis zum Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung am 12. November 2018 in Untersuchungshaft anschließend im Vollzug der Gesamtfreiheitsstrafe und wurde am 20. November 2018 in den Maßregelvollzug im Bezirkskrankenhaus B. überstellt. Mit Beschluss des Landgerichts Bayreuth - Strafvollstreckungskammer - vom 10. März 2021 wurde die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe unter verschiedenen Weisungen ab dem 24. März 2021 zur Bewährung ausgesetzt, die Dauer der Führungsaufsicht wurde auf fünf Jahre festgesetzt.
3
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 - 10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegt nicht vor.
4
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers, auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung, nicht.
5
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen nur dann, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente schlagen jedoch nach dem Rechtsgedanken des § 144 Abs. 4 VwGO nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - juris Rn. 9).
6
Zur Begründung seines Zulassungsantrags lässt der Kläger vortragen, die Annahme des Verwaltungsgerichts, von dem Kläger gehe eine Wiederholungsgefahr der Begehung von Straftaten aus, sei rechtsfehlerhaft. Nach dem persönlichen Verhalten des Klägers sei nicht von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen, die dessen Ausweisung unerlässlich mache. Das schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 Abs. 2 AufenthG überwiege das Ausweisungsinteresse. Die Gesichtspunkte, die zu seinen Gunsten sprächen, überwögen die zu seinen Lasten sprechenden Gesichtspunkte. Beim Kläger liege ein nicht in der Aufzählung des § 55 Abs. 2 AufenthG genannter Fall eines schwerwiegenden Bleibeinteresses vor, da der enge Kontakt zu seiner in H. lebenden Familie (Eltern und Geschwister) eine Basis für seine Stabilisierung und für ein drogen- und somit straffreies Leben bilde. Da die gesamte Familie des Klägers in Deutschland lebe, würde seine Ausweisung erhebliche nachteilige Folgen nach sich ziehen. Denn der unweigerlich mit einer Ausweisung verbundene Abbruch des Kontaktes zu seiner Familie lasse befürchten, dass der Kläger die zu einer dauerhaften Abstinenz notwendige Stabilisierung unter anderem durch familiäre Kontakte wieder verlöre. Das von dem Verwaltungsgericht angenommene Ausweisungsinteresse bestehe beim Kläger aus heutiger Sicht nicht mehr. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts gehe von dem Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet keine Gefährdung aus, es bestehe auch keine Wiederholungsgefahr.
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Aufgrund des psychiatrischen Gutachtens der Frau Dr. med. W.-L., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 14. Januar 2021 stehe fest, dass die Rückfälle konstruktiv hätten bearbeitet werden können, der Kläger die Therapie gemäß § 64 StGB erfolgreich habe abschließen können und die Therapieziele bei Gesamtwürdigung aller zur Verfügung stehenden Informationen erreicht habe (mit Verweis auf S. 62 ff. des Gutachtens). Nach den Feststellungen der Sachverständigen habe der Kläger sich im Laufe der Therapie mit seiner Drogenproblematik und den komplexen Wechselwirkungen zwischen seiner Abhängigkeitserkrankung, seiner Delinquenzentwicklung, seiner Primärpersönlichkeit sowie traumatisierenden Lebensumständen auseinandersetzen und klare Zukunftsziele formulieren können. Die postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung werde als tendenziell positiv bewertet. Die Sachverständige gehe beim Kläger von einer aktuell niedrigen Rückfallwahrscheinlichkeit aus und sehe für neue BtM-Delikte ein geringes Risiko. Da der Kläger die erforderliche Therapie erfolgreich abgeschlossen habe, könne vor diesem Hintergrund nicht mehr von einer - für die Ausweisung erforderlichen - Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Der Kläger unterhalte einen sehr engen Kontakt zu seinen in H. lebenden Eltern und Geschwistern und besuche sie regelmäßig. Seit dem 26. Juni 2020 wohne er mit seiner Schwester in einer Mietwohnung in direkter Nachbarschaft zu seinen Eltern zusammen. Seit dem 10. Juni 2020 arbeite er auch. Am 1. Dezember 2020 habe er eine neue sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung bei der Firma K. UG als „Selbstsicherer/Abteilungsleiter“ zu einem Stundenlohn von 15,00 EUR brutto aufgenommen, sodass er seinen Lebensunterhalt vollständig von seinem Arbeitseinkommen bestreiten könne. Es stehe fest, dass der Kläger sich außerhalb der Entziehungsanstalt bewährt habe, sodass auf einen dauernden Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden könne, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertige. Dem Gutachten sei eine günstige Sozialprognose im Hinblick auf eine Rückfallgefährdung bzw. eine Wiederholungsgefahr zu entnehmen. Abgesehen davon bestehe beim Kläger, auch aus derzeitiger Sicht, keine Gefahr, dass er aufgrund seiner erfolgreich therapierten Suchterkrankung Straftaten begehen und damit die öffentliche Sicherheit gefährden werde. Nach der ergänzenden Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses B. vom 10. Februar 2021 sei es dem Kläger gelungen, die beiden Rückfälle konstruktiv und gewinnbringend aufzuarbeiten. Er habe die gewonnenen Erkenntnisse gut in seinen Alltag umsetzen können, um so seinen Abstinenzvorsatz weiter zu festigen und aufrechtzuerhalten. Die Eltern unterstützten ihn sehr. Diese familiäre Einbindung stelle einen wichtigen protektiven Faktor dar. Innerhalb der ausgeübten Arbeitstätigkeit gelinge es dem Kläger, mehr auf seine Belastungsgrenzen zu achten und gleichzeitig Verantwortung für sich und seine Mitarbeitenden zu übernehmen. Nebenher gelinge es ihm, sich vor allem im familiären Rahmen einen Ausgleich zur Arbeitsbelastung zu schaffen. Er habe den stationären Teil der Maßregelvollzugsbehandlung erfolgreich abgeschlossen und tragfähige Rückfallpräventionsstrategien entwickelt. Vor diesem Hintergrund werde aus forensisch-psychiatrischer Sicht eine Entlassung des Klägers aus dem Maßregelvollzug bzw. die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung nach den Voraussetzungen des § 67d Abs. 2 StGB befürwortet, weil der Zweck der Maßregel erfüllt sei. Da zu erwarten sei, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde, habe die Staatsanwaltschaft am 1. März 2021 die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung und des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hof vom 12. November 2018 gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung beantragt. Die Familie und die Vollzeitbeschäftigung sowie die erfolgreich abgeschlossene Therapie seien die Basis für die Stabilisierung des Klägers und für ein drogen- und somit straffreies Leben.
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Ein Ausweisungsinteresse aus generalpräventiven Gründen bestehe ebenfalls nicht. Der Kläger verfüge nicht mehr über Kontakte in das Drogenmilieu. In H. habe er sein familiäres soziales Umfeld. Für die Zukunft plane der Kläger beim Subunternehmer der Deutschen Bahn zu bleiben und strebe hier eine Tätigkeit als Gruppenleiter an. Alternativ würde er eine Ausbildung zum Orthopädie-Mechaniker machen. Dies sei schon immer sein Traumberuf gewesen. Er habe hier bereits einige Praktika absolviert und bemühe sich, einen Ausbildungsplatz zu finden, bevorzugt nicht im Stadtgebiet von H., sondern in W., wo drei seiner Geschwister lebten. Die in H. lebende Familie des Klägers würde in diesem Fall zusammen mit ihm nach W. umziehen.
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Der Kläger halte sich seit über fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Er besitze deutsche Sprachkenntnisse auf dem (nachgewiesenen) Sprachniveau B1 und gehe einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nach, sodass er seinen Lebensunterhalt selbst bestreite. Aufgrund der erfolgreich abgeschlossenen Therapie bestehe keine Gefahr eines Rückfalls und einer weiteren Begehung von Straftaten. Dies stehe nach den Feststellungen der externen Sachverständigen und der Therapieeinrichtung fest. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Der Kläger führe seit Jahren ein geordnetes und straffreies Leben mit familiären Beziehungen und beruflicher Tätigkeit. Sein Lebensunterhalt sei gesichert. Dies stelle einen positiven Prognoseanhaltspunkt dar. Es sei grob unverhältnismäßig, dem Kläger nun noch seine Straftaten und die Verurteilung aus 2018 vorzuhalten. Das Bleibeinteresse des Klägers überwiege das Ausweisungsinteresse. Da der Kläger keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstelle, sei eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht ausgeschlossen. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe die Titelerteilungssperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nicht entgegen, da die gegen den Kläger verfügte Ausweisung als rechtswidrig aufzuheben sei.
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2021 teilte die Klägerbevollmächtigte mit, dass die Vollstreckung der weiteren Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe mit Beschluss des Landgerichts Bayreuth - Strafvollstreckungskammer - vom 10. März 2021 ab dem 24. März 2021 zur Bewährung ausgesetzt werde, da nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände jetzt zu erwarten sei, dass der Kläger außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Nach den Feststellungen des Gerichts sei die Therapie zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Der Kläger sei ausreichend stabil. Unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sei es zu verantworten, den Vollzug der Restgesamtfreiheitsstrafe auszusetzen. Der Kläger befinde sich seit dem 1. März 2021 bei der Firma K. Service GmbH in einer unbefristeten Einstellung als Personalreferent.
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Mit Schriftsatz vom 29. April 2021 vertiefte die Klägerbevollmächtigte den Vortrag dahingehend, dass der Kläger von zuhause aus arbeite und in H. gemeldet und wohnhaft sei. Er fahre lediglich einmal wöchentlich zur Mitarbeiterbetreuung bei den Kunden des Arbeitgebers nach L. Entgegen der Behauptung der Beklagten sei es dem Kläger geglückt, sich in beruflicher Hinsicht dauerhaft zu integrieren. Sein berufliches Umfeld sei auch als stabil einzustufen. Weiterhin sei auch von einer den Kläger stabilisierenden familiären Beziehung auszugehen. Er unterhalte nach wie vor einen sehr engen Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern. Ferner beabsichtige der Kläger, noch in diesem Jahr seine in H. lebende Freundin K. I. zu heiraten. Die von dem Erstgericht angenommene Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben. Von dem Kläger gehe keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Sein Bleibeinteresse überwiege das Ausweisungsinteresse bei Weitem.
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Diese Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
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1.1. Aufgrund des Zulassungsvorbringens bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts.
14
Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens und der aktuellen Entwicklung ist nach dem persönlichen Verhalten des Klägers weiter von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auszugehen. Der Kläger hat sich durch den illegalen Handel mit Marihuana in einer beträchtlichen Größenordnung schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte strafbar gemacht. Es handelt sich auch nicht um die bisher einzige strafrechtliche Verfehlung des Klägers (vgl. rechtskräftige Verurteilung durch das AG Hof am 1.12.2020 zu einer Geldstrafe in Höhe von 170 Tagessätzen wegen uneidlicher Falschaussage, Tatzeitpunkt 21.3.2019, Bl. 258 der Strafvollzugsakte, Bd. II sowie dazugehörige Anklageschrift vom 2.10.2019, Bl. 6 der Akte der Beklagten Bd. II; Einstellung eines Strafverfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal am 14.3.2022, Bl. 293 der Strafvollzugsakte, Bd. II). Die Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage vom 1. Dezember 2020 bestätigt vielmehr die mangelnde Rechtstreue des Klägers. In Anbetracht dieser Umstände ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von dem Kläger auch weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und aus der Entwicklung des Klägers nach der Anlassverurteilung nicht darauf zu schließen ist, dass seine durch die vergangenen Straftaten indizierte Gefährlichkeit beseitigt ist, nicht zu beanstanden. Dies gilt vorliegend auch in Anbetracht der zwischenzeitlich erfolgten Strafaussetzungsentscheidung vom 10. März 2021.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 11 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B.v. 3.3.2016 a.a.O.; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).
16
Entscheidungen der Strafgerichte über die Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug nach § 57 StGB sind bei der anzustellenden Prognose von tatsächlichem Gewicht und stellen ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus (BVerfG, B.v. 6.12.2021 - 2 BvR 860/21 - juris Rn. 19; B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 15.01.2013 - 1 C 10.12, juris Rn. 18; Urt. v. 02.09.2009 - 1 C 2.09, juris Rn. 18; Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00, juris Rn. 17). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann bereits eine einmalige Betäubungsmittelstraftat einen solchen Anhaltspunkt für neue Verfehlungen des Betroffenen begründen und schließt auch eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können; das Bundesverfassungsgericht erkennt insoweit den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts an und fordert für den Fall einer aufenthaltsrechtlich abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr eine substantiierte, eigenständige Begründung (vgl. BVerfG, B.v. 6.12.2021 - 2 BvR 860/21 - juris Rn. 19). Wiegt das Bleibeinteresse des Ausländers besonders schwer, so wird sich nach einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer eine relevante Wiederholungsgefahr nur dann bejahen lassen, wenn die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 24). Das Bundesverfassungsgericht erkennt mithin bei besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen zwei alternative Konstellationen an, in denen trotz einer Strafrestaussetzung zur Bewährung eine spezialpräventive Ausweisung rechtmäßig sein kann: Eine breitere Tatsachengrundlage der Ausländerbehörde bzw. des Verwaltungsgerichts oder in der Vergangenheit begangene Straftaten des Ausländers, die fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (vgl. ebenso OVG Bremen, B.v. 28.9.2021 - 2 LA 206/21 - juris Rn. 27).
17
Eine strafvollstreckungsrechtliche Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug und eine gefahrenabwehrrechtliche Ausweisung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2021 - 10 ZB 20.2091 - juris Rn. 14; B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 25; B.v. 2.5.2017 - 19 CS 16.2466 - juris Rn. 8 ff.): Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Es ist zu ermitteln, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136 und in Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 705). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht als Ziel der Unterbringung festgelegt werden, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 - 2 BvR 193/12 - StV 2014, 148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine - im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont - relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts Anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung, sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür, sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 25; B.v. 2.5.2017 - 19 CS 16.2466 - juris Rn. 8 ff.).
18
Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrundeliegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2021 - 10 ZB 20.2091 - juris Rn. 14; B.v. 3.4.2020 - 10 ZB 20.249 - juris Rn. 8 m.w.N.). Insgesamt ist nach der dargestellten Rechtslage das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende vorläufige Beendigung der Maßregel wesentlich geringer als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose, weil aus der Sicht des Strafrechts auch die geringste Resozialisierungschance genutzt werden muss. Das Strafrecht unterscheidet nicht zwischen Deutschen und Ausländern und berücksichtigt daher regelmäßig nicht die Möglichkeit, die Sicherheit der Allgemeinheit durch eine Aufenthaltsbeendigung zu gewährleisten (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 25).
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Gemessen daran kann bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen, nicht der Schluss gezogen werden, dass durch die Bewährungsaussetzung der jeweiligen Vollstreckungen die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet. Die in der Vergangenheit begangenen, schwerwiegenden Straftaten des Klägers aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz führen unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er sich in einer frühen Bewährungsphase befindet, zum Fortbestehen der konkreten Gefahren für höchste Rechtsgüter.
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Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV). Die Folgen des Betäubungsmittelkonsums, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH und des EGMR; BayVGH, B.v. 7.3.2019 - 10 ZB 18.2272 - juris Rn. 7). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (EuGH, U.v. 23.11.2010 - Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts - wie hier vorliegend - in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (EGMR, U.v. 30.11.1999 - Nr. 3437-97 „Baghli“ NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 - Nr. 52853/99‚ “Yilmaz“ - NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 - 18 B 445.05 - juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 11.10.2022 - 19 ZB 20.2139 - juris Rn. 32; B.v. 14.3.2013 - 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 - 19 ZB 16.2636 - juris Rn. 8). Bei der Bewertung der Gefährlichkeit eines im Zusammenhang mit dem Handel mit Marihuana strafrechtlich verurteilten Ausländers sind überdies die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den insbesondere Jugendlichen durch den Konsum drohenden gesundheitlichen Schäden in den Blick zu nehmen (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 19 ZB 22.129 - juris).
21
Nach diesen Maßgaben ist festzustellen, dass der Kläger sich mit dem zwischen Oktober und Dezember 2017 verübten Drogenhandel schwerwiegend strafbar gemacht hat. Er wurde mit Urteil vom 12. November 2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, unerlaubten Besitzes und Erwerbs in je zwei Fällen sowie Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das hohe Maß der Freiheitsstrafe spiegelt die Schwere der Schuld wider. Dem lagen folgende Sachverhalte zugrunde: Im Zeitraum vom 24. Oktober bis 28. Dezember 2017 hatte der Kläger von dem Mitangeklagten H. bei sieben Gelegenheiten Marihuana jeweils in Mengen zwischen 50 und 300g übernommen und den Großteil davon gewinnbringend weiterverkauft, einen Anteil von jeweils etwa einem Fünftel der erworbenen Menge Cannabis - abgesehen von einer unmittelbar weiterverkauften Menge von einmalig 300g - hatte er zum Eigenkonsum behalten. Aus den Verkäufen hatte der Kläger einen Erlös von mindestens 4.950 EUR erzielt. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt zwischen Ende Oktober und dem 9. November 2017 hatte der Kläger einem Drogenverkäufer den anderweitig verurteilten P.H. als Abnehmer für ein Kilogramm Marihuana zu einem Preis zwischen 4,70 und 4,80 EUR pro Gramm vermittelt. Zu diesem Zweck hatte der Kläger das Marihuana von dem Verkäufer übernommen - wobei er selbst 400 EUR dazu gelegt hatte, da der Abnehmer P.H. nur 3.700 oder 3.800 EUR hatte zahlen können - und die Drogen an P.H. weitergereicht. Als Entlohnung für die Vermittlung hatte der Kläger von dem Verkäufer 120g Marihuana zum Eigenkonsum erhalten. Des Weiteren war der Kläger zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Anfang Dezember 2017 dem anderweitig verurteilten A. durch den Mitangeklagten G. als Drogenlieferant bzw. Kontaktperson vermittelt worden, woraufhin eine Lieferung von zwölf Platten Haschisch (mindestens 1.225g) durch unbekannte Kuriere an A. in Bielefeld veranlasst worden war. Nachdem der Absatz der Drogen durch A. nicht im erhofften Umfang gelungen war, hatte dieser die restlichen Drogen (etwa 1.200g) auf Drängen des Klägers am 16. Dezember 2017 zurück nach H. gebracht, wo sie von dem Mitangeklagten G. sodann im Auftrag des Klägers verwahrt wurden. Der Kläger hatte dabei durch den Absatz der Drogen durch A. Gewinn erzielen wollen. Des Weiteren hatte der Kläger zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem 21. Dezember 2017 den Mitangeklagten H. um Beschaffung von Marihuana gebeten, woraufhin dieser die Lieferung von insgesamt ca. 2 kg Marihuana durch einen Kurier aus D. an den Kläger in H. am 21. Dezember 2017 veranlasst hatte. Der Kläger hatte hiervon jedoch lediglich 900g zu einem Preis von 3.400 bis 3.500 EUR übernommen, in der Wohnung des G. zwischengelagert und in der Folgezeit davon 560g veräußert, wodurch er Einnahmen von mindestens 2.180 EUR erzielt hatte. Des Weiteren hatten die Mitangeklagten H. und G. zusammen mit dem Kläger am 10. Januar 2018 in D. ein Kilogramm Marihuana abgeholt, welches am Vortag zu einem Preis von 3.000 EUR erworben worden war und für den anderweitig verfolgten S. - den Onkel des Klägers - bestimmt war, der mit dem durch die beabsichtigte Weiterveräußerung erhofften Verkaufsgewinn rückständige Schulden bei dem Kläger hatte begleichen wollen. Noch vor der Übergabe waren der Kläger und seine Mitangeklagten festgenommen und die genannten Drogen im Kofferraum des PKW des H. sichergestellt worden. Das Strafgericht stellte aufgrund der Begutachtung durch einen gerichtlich festgestellten Sachverständigen fest, dass die Taten zwar teilweise unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss des Klägers bzw. seiner Mitangeklagten begangen wurden, deren Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit jedoch weder eingeschränkt noch aufgehoben war, dass der Kläger unter einer Abhängigkeitserkrankung von Cannabinoiden (ICD-10 F 12.2) sowie an dem Hang leidet, Cannabinoide im Übermaß zu sich zu nehmen, und dass die Taten im Zusammenhang mit der Abhängigkeitserkrankung des Klägers standen. Ohne eine entsprechende Therapie ist nach der Feststellung des Strafgerichts von der Begehung weiterer Straftaten, die in der Art und Schwere den abgeurteilten Taten entsprechen, auszugehen. Im Rahmen der Strafzumessung wurde bei dem Kläger der Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) angewandt. Dabei wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er über seinen Tatbeitrag hinaus auch seine Abnehmer bzw. Mittäter und Gehilfen benannt und damit Aufklärungshilfe im Sinne des § 31 BtMG geleistet hatte. Insbesondere aufgrund der Menge der Drogen und der Anzahl der Fälle kam jedoch die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens des § 29a Abs. 2 BtMG (minder schwerer Fall) bei dem Kläger nicht in Betracht. Des Weiteren machte das Strafgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der Art und des Umfangs, der Bedeutung und des Zeitpunktes der Offenbarung von Tatsachen sowie des Ausmaßes der Unterstützung und der Schwere der Taten und der Schuld des Klägers keinen Gebrauch von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne wurde zugunsten des Klägers wie auch der Mitangeklagten berücksichtigt, dass diese im Zeitpunkt der Verurteilung nicht vorbestraft waren und es sich mit Ausnahme einer Tat, an welcher der Kläger nicht beteiligt war, jeweils um sogenannte „weiche Drogen“ handelte. Außerdem wurde berücksichtigt, dass die Angeklagten sich im Rahmen der Hauptverhandlung glaubhaft schuldeinsichtig und reuig zeigten, sich für ihr Verhalten entschuldigten sowie sich kooperativ zeigten und durch ihre Angaben und Einlassungen wesentlich zu einer Verkürzung der Beweisaufnahme beitrugen. Zugunsten des Klägers wurde berücksichtigt, dass er mit dem Verkauf der Drogen seinen Eigenkonsum finanzieren wollte und bei ihm eine erhebliche Abhängigkeitserkrankung besteht, was der Kläger selbst erkannt habe. Auf der anderen Seite wurde zulasten aller Angeklagten berücksichtigt, dass diese jeweils in mehreren Fällen mit insgesamt nicht unerheblichen Mengen an Betäubungsmitteln tätig geworden waren. Zugunsten des Klägers wurden des Weiteren sein vollumfängliches Geständnis und die Preisgabe der Abnehmer seiner Drogen berücksichtigt, womit er auch den Tatnachweis gegenüber einem Mitangeklagten erleichterte. Des Weiteren wurde zu seinen Gunsten gesehen, dass die nicht geringe Menge im Sinne des BtMG bei den Geschäften mit 150, 200 und 300g Marihuana nur unerheblich überschritten worden sei, sowie dass bei dem letzten, nicht vollendeten Drogenhandel die Drogen zum großen Teil sichergestellt werden konnten und einen geringen Wirkstoffgehalt enthielten, sodass die geringe Menge insoweit nicht erheblich überschritten war. Hinsichtlich der verhängten Strafrahmen für die Einzeltaten ist jedoch hervorzuheben, dass beim Kläger bereits für zwei Einzeltaten jeweils eine gravierende Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten angesetzt wurde. Insgesamt lassen die abgeurteilten Taten des Klägers, insbesondere in Anbetracht der gehandelten Mengen an Drogen und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Größenordnung, eine besondere kriminelle Energie erkennen, die über herkömmliche Beschaffungskriminalität weit hinausgeht.
22
Die Ursache für die Begehung der genannten Straftaten bildete nach den Feststellungen der Strafkammer und den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers, für den nach den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen im Strafverfahren tatzeitbezogen eine Abhängigkeit von Cannabinoiden (ICD-10: F 12.2) sowie ein Hang, Cannabinoide im Übermaß zu sich zu nehmen, festgestellt wurden, weshalb gemäß § 64 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde. Das Bezirksklinikum übernahm diese Feststellung behandlungsdiagnostisch und berichtete in seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2019 (Bl. 52 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. I), dass der Kläger laut der durchgeführten Suchtanamnese im Alter von 14 Jahren mit Nikotin- und Alkoholabusus begonnen habe, gefolgt von Cannabis - welches der Kläger als seine Hauptsubstanz beschreibe - im Alter von 15 Jahren, einem einmaligen Konsum von Spice und mehrjährigem Konsum von Kokain und Heroin (letzteres habe der Kläger sich im Jahr 2017 im Wege des eigeninitiativ durchgeführten Selbstentzugs abgewöhnt). Daneben habe der Kläger den Konsum von Ecstasy (zuletzt im Jahr 2017) sowie von „Bonsai“ (im Jahr 2015) beschrieben. Der Kläger habe mehrfach Konsumpausen durchlebt, so habe er nach dem Umzug nach H. zunächst nichts konsumiert, jedoch bald wieder mit dem Konsum von Marihuana begonnen. Im August 2019 hatte der Kläger im Maßregelvollzug einen von ihm eingeräumten Rückfall mit einem einmaligen Konsum einer Doxepin-Tablette, welche er nach eigenen Angaben zerbröselt und geraucht habe, einen Konsum von Cannabis habe er bei einem positiven DS-Befund bestritten (Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 9.9.2019, Bl. 66 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. I). In der Stellungnahme des Bezirksklinikums vom 6. November 2019 wird festgestellt, dass der Kläger den im August begangenen Suchtmittelrückfall gewinnbringend bearbeiten habe können (Bl. 76 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. I). In der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 24. März 2020 (Blatt 92 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. I) wird neben der bereits festgestellten Abhängigkeitserkrankung ein Verdacht auf eine Erkrankung aus dem Formenkreis der ICD-10: F 43, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungen festgestellt. Ende Januar 2020 habe sich ein Rückfall ereignet, bei welchem der Kläger synthetische Cannabinoide mit auf die Station gebracht und diese auch einem Mitpatienten weitergegeben habe. Der Kläger sei daraufhin zurück in den geschlossenen Bereich auf die vorherige Station rückverlegt worden. In der daraufhin durchgeführten Rückfallgruppe habe beim Kläger eine deutliche Überforderung und Überlastung herausgearbeitet werden können. In dem durch das Landgericht Bayreuth - Strafvollstreckungskammer - eingeholten Sachverständigengutachten der Frau Dr. med. W.-L. vom 14. Januar 2021 (Bl. 135 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. I) wird diese Diagnose bestätigend ausgeführt, dass beim Kläger nach seinen aktuellen Angaben eine manifeste Abhängigkeit in Richtung Cannabis, aber auch Opiate bestehe, wobei letztgenannte im vollzugsgegenständlichen Zeitfenster nicht mehr aktiv ausgelebt worden seien. Hinsichtlich Alkohol sei ein problematisches Konsumverhalten betreffend die letzten Wochen vor der einstigen Festnahme anzunehmen. Stoffgebundene Suchterkrankungen bzw. Abhängigkeitserkrankungen gingen mit einem erhöhten Rückfallrisiko einher, das aus methodischen Gründen nicht exakt quantifiziert werden könne. Ein Suchtmittelrückfall gehe mit einem erhöhten Risiko für neuerliche Straftaten im Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz einher.
23
Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen oder dadurch gefördert wurden, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine einschlägige Therapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 - 10 ZB 21.935 - juris Rn. 9; B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris; B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (vgl. Fabricius in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 35 Rn. 46 ff: nur 25% der beobachteten Personen blieben strafrechtlich unauffällig und dürften eine Chance der sozialen Reintegration und der gesundheitlichen Stabilisierung erreicht haben; „bescheidene Erfolge“; nach Klos/Görgen - Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2. Aufl. 2020, S. 18 ff. - sind Rückfälle - wie hier - eher die Regel als die Ausnahme; Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal haben in der bundesweiten Rückfalluntersuchung „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ für den Zeitraum 2004/2010 bis 2013 - www...de - ermittelt, dass nach Delikten gemäß BtMG innerhalb des 1. bis 3. Jahres 45% der Straftäter erneut registriert wurden mit einer Zunahme von weiteren 11% auf 56% vom 4. bis 6. Jahr und weiteren 4% auf 60% innerhalb des 7. bis 9. Jahres des Beobachtungszeitraums; von der Gesamtpopulation der Straftäter wurden innerhalb von 3 Jahren 36% erneut verurteilt). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 11.10.2022 - 19 ZB 20.2139 - juris Rn. 52; B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).
24
Gemessen hieran ist vorliegend zwar zu würdigen, dass der Kläger ausweislich der Stellungnahmen des Klinikums vom 3. September 2020 sowie 10. Februar 2021 und des Prognosegutachtens vom 14. Januar 2021 Einsicht in seine Suchtmittelproblematik gezeigt habe, sich mit seinen Delikten auseinandergesetzt habe, tragfähige Rückfallstrategien entwickelt, seine beiden Rückfälle während des Maßregelvollzugs konstruktiv und gewinnbringend aufgearbeitet und die gebotenen Therapiemöglichkeiten genutzt habe. Der Kläger habe die Therapie gemäß § 64 StGB erfolgreich abgeschlossen und könne gegenwärtig einer Gruppe von Verurteilten gleichartiger Straftaten mit aktuell niedriger Rückfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Für neue BtM-Delikte werde - unter den von der Sachverständigen vorgeschlagenen Weisungen (u.a. der Weisung, sich regelmäßig in ambulante suchttherapeutische Behandlung in der zuständigen forensisch-psychiatrischen Ambulanz zu begeben, wobei die Abstände zwischen den Vorstellungsterminen anfangs nicht länger als zwei Wochen betragen sollten und nur in Absprache mit den Therapeuten ausgedehnt werden könnten, sowie der Weisung, sich auf Anordnung der Bewährungshilfe bzw. der Therapeuten der forensisch-psychiatrischen Ambulanz Speichelproben, Urin- und gegebenenfalls Blut- und Haaranalysen zur Untersuchung auf Suchtmittelkonsum zu unterziehen) - ein derzeit niedriges Risiko gesehen. Des Weiteren sieht die Bewährungshelferin des Klägers ein derzeit niedriges bzw. moderates Risiko für die Begehung gleichgelagerter Straftaten (vgl. Stellungnahmen vom 16.9.2021, Bl. 265 und vom 8.9.2022, Bl. 294 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. II).
25
Trotz der nachfolgenden Strafaussetzungsentscheidung vom 10. März 2021 ergibt sich vorliegend das Fortbestehen eines weiteren, engmaschigen Therapiebedarfs, so dass allein der formale Abschluss der Therapie im Maßregelvollzug noch nicht die Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens, insbesondere in Anbetracht der gewichtigen Betäubungsmitteldelinquenz und der erst kurzzeitigen Bewährungsphase rechtfertigt.
26
Das Bundesverfassungsgericht hat im Falle eines wegen Handeltreibens mit Marihuana zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten verurteilten Ausländers ausgeführt, dass es im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung nicht ausreichend ist, wenn die Gerichte von der Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schließen (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19). Im vorliegenden Fall ist demgegenüber unter Berücksichtigung der sehr hohen Menge gehandelter Drogen, der arbeitsteiligen und organisierten Begehungsweise und der dabei zum Ausdruck kommenden hohen kriminellen Energie eine Gefährdung höchster Rechtsgüter zu befürchten.
27
Diese besteht trotz der zwischenzeitlich am 10. März 2021 erfolgten Aussetzung des Strafrestes und Maßregelvollzugs fort:
28
In dem Sachverständigengutachten vom 14. Januar 2021 wird ausgeführt, der Kläger könne nach Gesamtbewertung aller prognoserelevanten Faktoren zwar gegenwärtig einer Gruppe von Straftätern zugeordnet werden, deren Delinquenzrisiko für neuerliche Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz als derzeit niedrig einzustufen sei. Diese Zuordnung erfolge jedoch unter der ausdrücklichen Maßgabe, dass eine weitere engmaschige Behandlung und Überwachung durch die zuständige forensische Ambulanz bzw. eine gleichwertige Institution im Raum W. erfolge und der angestrebte soziale Empfangsraum stabil bleibe. Nach wie vor bestehe bei dem Kläger eine manifeste Abhängigkeit in Richtung Cannabis, aber auch Opiaten, wobei letztgenannte im vollzugsgegenständlichen Zeitfenster nicht mehr aktiv ausgelebt worden sei. Hinsichtlich Alkohol sei ein problematisches Konsumverhalten betreffend die letzten Wochen vor der einstigen Festnahme anzunehmen. Stoffgebundene Suchterkrankungen bzw. Abhängigkeitserkrankungen gingen mit einem erhöhten Rückfallrisiko einher, das aus methodischen Gründen nicht exakt quantifiziert werden könne. Ein Suchtmittelrückfall gehe mit einem erhöhten Risiko für neuerliche Straftaten im Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz einher. Nach Einschätzung der Sachverständigen könne der Kläger gegenwärtig einer Gruppe von Verurteilten gleichartiger Straftaten mit aktuell niedriger Rückfallwahrscheinlichkeit zugeordnet werden. Für neue BtM-Delikte werde ein derzeit niedriges Risiko gesehen. Fundierte Angaben zum Umfang etwaiger neuer BtM-Delikte seien aus methodischen Gründen nicht möglich. Die Aussage, dass bei dem Kläger künftig keine neuen einschlägigen Straftaten zu erwarten seien, könne nicht getroffen werden. Das Risiko für eine Betäubungsmitteldelinquenz erhöhe sich im Falle beruflicher und psychosozialer Destabilisierung und hiermit einhergehender finanzieller Engpässe, sowie bei erneutem Betäubungsmittelkonsum. Sollte unter Berücksichtigung der prognostischen Ausführungen eine bedingte Entlassung beschlossen werden, so sollten dem Kläger die vorgeschlagenen Weisungen erteilt werden. Folge man den aktuellen Angaben des Klägers, habe früher ein stets moderater Alkoholkonsum bestanden. Lediglich während der letzten Wochen vor seiner Festnahme habe sich ein problematisches Alkoholkonsumverhalten entwickelt. Durch Anknüpfungstatsachen belegt, könne noch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger eine Suchtverlagerung auf Alkohol drohe. Theoretisch sei eine derartige Suchtverlagerung natürlich denkbar. Im Ergebnis sei eine Abstinenzweisung bezüglich Alkohols noch nicht zwingend erforderlich. Sollte sich im Verlaufe der Führungsaufsicht erweisen, dass der Kläger vermehrt Alkohol konsumiere, müsse gegebenenfalls eine diesbezügliche Weisung nachträglich erteilt werden.
29
Des Weiteren ist festzustellen, dass der Kläger nach dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 10. März 2021 weiterhin unter dem nicht unerheblichen Druck der Bewährung und Führungsaufsicht steht. Die Strafvollstreckungskammer hat die zulässige Dauer der Bewährungszeit von maximal fünf Jahren vollends ausgeschöpft und sie nicht verkürzt (vgl. § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB). Für die gesamte Dauer der Führungsaufsicht und Bewährungszeit wurde der Kläger der Aufsicht durch einen Bewährungshelfer unterstellt. Die Bewährungshilfe zeichnet sich zudem durch eine engmaschige Betreuung und eine intensive Überwachung aus (mindestens einmal im Quartal, höchstens zweimal im Monat Kontakt mit der Bewährungshilfe, vgl. Nr. V.1. des Beschlusses vom 10.3.2021; mindestens einmal pro Quartal und höchstens zweimal wöchentlich Kontrollen des Abstinenzgebots; mindestens einmal pro Quartal und höchstens zweimal in der Woche nach näherer Weisung der behandelnden Therapeuten Vorstellung in der Forensischen Ambulanz des Klinikums). Die Strafvollstreckungskammer hat die Dauer der Führungsaufsicht gemäß §§ 67d Abs. 2, 68c Abs. 1 StGB nicht verkürzt, um nachhaltig auf die zukünftige Lebensführung des Verurteilten einwirken zu können. Als strafbewehrte Weisungen wurden neben einem Abstinenzgebot und dessen Kontrolle durch Urin- bzw. Speichelkontrollen mindestens einmal pro Quartal, höchstens zweimal pro Woche bei der Forensischen Ambulanz des Klinikums auch festgesetzt, dass sich der Kläger mindestens einmal pro Quartal, maximal zweimal pro Woche, nach näherer Weisung der behandelnden Therapeuten in der Forensischen Ambulanz des Klinikums vorzustellen hat. Der fortbestehende Behandlungsbedarf des Klägers wird auch in der Weisung der Strafvollstreckungskammer nach § 68b Abs. 3 StGB deutlich, wonach er sich u.a. durch die Forensische Ambulanz des Klinikums betreuen und behandeln zu lassen und die Therapie nur mit Einverständnis der behandelnden Ärzte und Therapeuten zu beenden hat.
30
Der Kläger befindet sich derzeit noch in einer frühen Phase der seit 24. März 2021 andauernden, fünfjährigen Bewährungs- und Führungsaufsichtszeit und der Unterstellung unter die Bewährungshilfe, so dass trotz des positiven Therapieverlaufs im nunmehr ausgesetzten Maßregelvollzug noch nicht ohne Weiteres von einem dauerhaften Einstellungswandel und einer längerfristigen Änderung der Verhaltensmuster in Freiheit ohne den genannten Druck, die angeordneten Kontrollen und die für erforderlich erachtete fortwährende therapeutische Behandlung ausgegangen werden kann.
31
Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann bei einem Erstverbüßer von Freiheitsstrafe nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bereits der Vollzug der Strafe den beabsichtigten Erfolg, nämlich den Ausschluss der Wiederholungsgefahr habe. Zwar kann die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr einer neuen Straffälligkeit mindern (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 39). Abgesehen davon, dass angesichts des Lebensalters des Klägers eines solche Reifeverzögerung nicht mehr angenommen werden kann, lässt sich eine solche Schlussfolgerung vorliegend schon nicht in Anbetracht des hohen verhängten Strafmaßes von 5 Jahren und 6 Monaten ziehen. Vielmehr steht der Kläger in Anbetracht einer im Falle eines Widerrufs der Strafaussetzung noch in beträchtlichem Umfang zu verbüßenden Freiheitsstrafe unter einem starken Legalbewährungsdruck, unter dem das gegenwärtige Wohlverhalten zu würdigen ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 19 ZB 22.129 - juris Rn. 34).
32
Die zwischenzeitlich neu eingetretenen Umstände, insbesondere die Strafaussetzungsentscheidung vom 10. März 2021 sind mithin nicht geeignet, wesentliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen; eine Vorverlagerung der auf der Basis neuer relevanter tatsächlicher Umstände zu treffenden Prognose- und Abwägungsentscheidung in das Berufungszulassungsverfahren und eine damit einhergehende Verkürzung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG B.v. 8.5.2019 - 2 BvR 657/19 - juris Rn. 37) steht somit vorliegend entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht zu befürchten. Offenbleiben kann vor diesem Hintergrund, wie die konkrete Wiederholungsgefahr in Anbetracht der zwischenzeitlichen strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger (vgl. Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hof vom 3.11.2021 wegen gefährlicher Körperverletzung, Bl. 299 ff. der Strafvollzugsakte, Bd. II) zu beurteilen wäre.
33
1.2. Das Zulassungsvorbringen zieht auch die generalpräventiven Erwägungen der Beklagten für die verfügte Ausweisung nicht ernstlich in Zweifel.
34
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 (1 C 16.17 - juris) entschieden, dass die Intention des Gesetzgebers, eine zum Zwecke der Abschreckung Anderer dienende Ausweisung zuzulassen, im Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG eine hinreichende Verankerung gefunden hat und Generalprävention ein Ausweisungsinteresse begründen kann. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt demnach nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst zwar keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. auch z.B. BayVGH, B.v. 14.2.2019 - 10 ZB 18.1967 - juris sowie Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 61 ff. m.w.N.). Mit Urteil vom 9. Mai 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (1 C 21.18 - juris Rn. 17), dass eine Ausweisung auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch aktuell (also noch vorhanden) sein (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 18 ff.). Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall (wie ausgeführt) auch eine vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr zu bejahen ist, muss eine generalpräventiv begründete Ausweisung in jedem Einzelfall zusätzlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. schon BVerfG, B.v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 - juris Rn. 37). Sie ist insbesondere nur zur Bekämpfung schwerwiegender Verfehlungen zulässig (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O. Rn. 63 m.w.N.) und nur dann geeignet, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen, wenn eine kontinuierliche Ausweisungspraxis vorliegt, wenn die Anlasstat nicht derart singuläre Züge aufweist, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte und wenn angesichts der Schwere der Straftat ein dringendes Bedürfnis auch für eine ordnungsrechtliche Prävention besteht (BVerwG, U.v. 14.2.2012 - 1 C 7.11 - juris Rn. 17).
35
Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (BVerfG, B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 28); die Anforderungen an eine generalpräventiv begründete Ausweisung können namentlich in Fällen des illegalen Rauschgifthandels erfüllt sein (vgl. BVerwG, U.v. 11.6.1996 - 1 C 24.94 - BVerwGE 101, 247-265, Rn. 28). Es bedarf mithin der Würdigung der konkreten Tat und Tatumstände zur Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Sinne einer verhaltenssteuernden Wirkung. Das Maß der durch eine Ausweisung zu erreichenden Verhaltenssteuerung kann bei den einzelnen Straftaten unterschiedlich sein (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 64). Wenngleich bei Taten, die allein aus einer Abhängigkeit heraus begangen werden, die Erzielung einer abschreckenden Wirkung zweifelhaft sein kann (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 Rn. 65; weitgehend SächsOVG, B.v. 13.5.2022 - 3 A 844/20 - juris Rn. 20), ist in Anbetracht der Schwere und der mit dem illegalen Rauschgifthandel verbundenen Gefahren von Betäubungsmitteldelikten, die zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 - Rs. C-149/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47), nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Ausweisung eines wegen Drogenhandels strafgerichtlich verurteilten Ausländers dazu beitragen kann, andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen sonst drohenden Ausweisung zu einem ordnungsgemäßen Verhalten bzw. dazu zu veranlassen, von schwerwiegenden Betäubungsmitteldelikten im Bundesgebiet Abstand zu nehmen (wie zur vormaligen Rechtslage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, vgl. BVerwG, U.v. 6.4.1989 - 1 C 70.86 - NVwZ 1989, 768; BVerfG, B.v. 25.9.1986 - 2 BvR 744/86 - juris Rn. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris Rn. 31; B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - juris Rn. 42). Angesichts der mit schwerwiegender Drogenkriminalität verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeit ihrer Bekämpfung kommt den generalpräventiven Aspekten ein wesentliches Gewicht zu, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken (vgl. OVG Nds, U.v. 22.4.2013 - 2 LB 365/12 - juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris Rn. 29; B.v. 31.1.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris Rn. 15).
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Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Ausweisung des Klägers (auch) aus generalpräventiven Gründen, insbesondere in Anbetracht der Schwere der Anlasstat und der Umstände der Tatbegehung, auch unter Berücksichtigung der Lebensumstände des Ausländers, nicht als unverhältnismäßig.
37
Der Kläger unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 3, 3a, 3b oder 4 AufenthG. Mithin ist eine generalpräventiv begründete Ausweisung für den Kläger nicht ausgeschlossen. Des Weiteren legt der Kläger nicht dar, dass die oben genannten Voraussetzungen einer generalpräventiven Ausweisung in seinem Falle nicht vorlägen. Die Ausweisung des Klägers ist vielmehr auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten in Anbetracht der Gesamtumstände als verhältnismäßig zu erachten:
38
Der Kläger, der wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, unerlaubten Besitzes und Erwerbs in je zwei Fällen sowie Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, hat sich schwerwiegender Drogenkriminalität schuldig gemacht; aufgrund der damit verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeit ihrer Bekämpfung kommt den generalpräventiven Aspekten somit ein wesentliches Gewicht zu. Wenngleich der Kläger nicht einschlägig vorbestraft war, ist seine Delinquenz als schwer zu beurteilen. Gegeben ist ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG, wobei das gesetzlich vorgesehene Strafmaß vorliegend erheblich überschritten ist. Auch bei suchtbedingter Delinquenz vermag ein entschiedenes Vorgehen gegen schwerwiegende Betäubungsmittelkriminalität eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Ungeachtet dessen, dass Ausweisungen in Fällen wie dem vorliegenden eine abschreckende Wirkung nicht erst bei manifestierter Abhängigkeit entfalten, sondern andere Ausländer bereits vom Einstieg in den Betäubungsmittelkonsum sowie von einer Verfestigung des Konsums und daraus resultierenden Straftaten abhalten können, ist vorliegend keine Sondersituation ersichtlich, in der eine abschreckende Wirkung zu verneinen wäre, auch nicht im Hinblick darauf, dass der Kläger angibt, keine Kontakte in das Drogenmilieu mehr zu haben. Ein Hang im strafrechtlichen Sinne geht nicht stets mit einem Kontrollverlust oder einer verminderten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit einher. Ausweislich des Strafurteils war diese auch beim Kläger nicht eingeschränkt. Es besteht kein Grund, davon abzurücken, dass eine kontinuierliche Verwaltungspraxis, die auf strafrechtliche Verurteilungen wegen schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte aufenthaltsrechtlich mit der Ausweisung reagiert, grundsätzlich geeignet ist, andere Ausländer von vergleichbaren schweren Straftaten abzuhalten. In Anbetracht des großen Gefahrenpotentials der schwerwiegenden Betäubungsmitteldelinquenz (Drogenhandel) des Klägers, erscheint seine Ausweisung auch unter Berücksichtigung seiner hier bestehenden familiären Bindungen, (auch) aus generalpräventiven Gründen, nicht unverhältnismäßig.
39
1.3. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht ernstlich im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
40
Ein Ausländer kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28.16 - juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28.16 - juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat im Ausweisungsrecht in differenzierter Weise die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen ausdrücklich berücksichtigt und ihnen normativ verschieden gewichtete Bleibeinteressen zugeordnet (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG). Die Katalogisierung schließt es aber nicht aus, dass andere, nicht ausdrücklich in § 55 Abs. 1 AufenthG benannte Interessen und Umstände bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung jeweils mit einem Gewicht einzustellen sein können, das einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse entsprechen kann (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 5).
41
Nach der gesetzlichen Typisierung steht vorliegend einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (aufgrund der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, unerlaubten Besitzes und Erwerbs in je zwei Fällen sowie Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG) schon kein gleich gewichtiges Bleibeinteresse gegenüber. Das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist vorliegend nicht erfüllt. Maßgeblich für den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne dieser Vorschrift ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung gegenüber dem Kläger gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1, Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG (BVerwG, U.v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - juris Rn. 24). Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides am 21. Mai 2019 (vgl. Empfangsbestätigung, Behördenakte Bd. I) war die dem Kläger am 7. Januar 2016 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG bereits wegen Ablaufs ihrer dreijährigen Geltungsdauer gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erloschen. Dem Kläger ist auch nicht darin zu folgen, dass es sich bei den persönlichen Bindungen zu den genannten Familienangehörigen um ein gegenüber den vertypten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen nach § 55 Abs. 2 AufenthG gleichrangiges, unbenanntes schwerwiegendes Bleibeinteresse handeln soll. Wie der Wortlaut („insbesondere“) verdeutlicht, sind die dort aufgezählten Interessen nicht abschließend erfasst (vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2021 - 12 S 2505/20 - juris Rn. 124; Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 77). Das Gewicht der jeweiligen Bleibeinteressen orientiert sich an dem Gewicht der durch sie verkörperten Schutzgüter und ist unter Berücksichtigung einerseits der von dem Gesetzgeber vorgenommen Typisierung, andererseits aber auch etwaiger atypischer Umstände im Einzelfall zu bestimmen (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 6). Bereits ein Vergleich mit den in § 55 Abs. 2 AufenthG genannten schwerwiegenden Bleibeinteressen aufgrund persönlicher Bindungen im Bundesgebiet ergibt jedoch nicht die Gleichrangigkeit der geltend gemachten persönlichen Beziehungen des volljährigen Klägers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern und Geschwistern. Denn diesen persönlichen Bindungen zwischen zwar miteinander eng verwandten, aber volljährigen, nicht auf die Lebenshilfe des jeweils Anderen angewiesenen Personen kommt nach ihrer konkreten Ausgestaltung nicht dasselbe Gewicht zu, wie etwa der Ausübung des Personensorgerechts für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG), der persönlichen Bindung eines minderjährigen Ausländers zu seinen im Bundesgebiet lebenden Eltern bzw. zu einem personensorgeberechtigten Elternteil (§ 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG) oder dem Wohl eines Kindes (§ 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse kann sich im Einzelfall überdies etwa aus außergewöhnlichen Erschwernissen für die Lebensgestaltung im Heimatstaat, aus dem Vorliegen einer schweren physischen (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 78 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 28.6.2000 - 11 S 1080/00 - juris Rn. 10) oder psychischen (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 78 mit Verweis auf OVG Hamburg InfAuslR 2000, 485) Erkrankung oder aus der Betreuung eines sonstigen Verwandten durch den Ausländer als maßgebliche Betreuungsperson oder eines erwachsenen Kindes durch die Eltern ergeben, wenn dieses auf die Hilfe und Betreuung angewiesen ist (Fleuß in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Edition, Stand 1.10.2022, AufenthG § 55 Rn. 78 mit Verweis auf BVerfG NVwZ 2004, 852/853; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 55 Rn. 18; vgl. auch BT-Drs. 18/4097, 53: notwendige Betreuung zwischen Erwachsenen). Für ein derartiges Angewiesensein des Klägers auf die genannten, im Bundesgebiet sich aufhaltenden Familienangehörigen ist nichts ersichtlich. Der Umstand, dass den Eltern und Geschwistern eine den Kläger stabilisierende und damit für die Überwindung seiner Drogenabhängigkeit förderliche Funktion zukommt - wie der Kläger vortragen lässt -, genügt nicht für die Annahme, dass der Kläger auf diese Personen wegen einer schweren physischen oder psychischen Erkrankung angewiesen wäre. Auch ist davon auszugehen, dass der Kläger, der bis zu seinem 19. Lebensjahr im Herkunftsland gelebt hat und dort sozialisiert worden ist, im Falle seiner Rückkehr ohne seine Eltern bzw. Geschwister nicht auf außergewöhnliche Schwierigkeiten wegen des Fehlens dieser Bezugspersonen stoßen würde. Maßgeblich wären insoweit vielmehr die dem Kläger im Herkunftsland zugänglichen Therapie- und Überwachungsmöglichkeiten. Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass die Eltern bzw. Geschwister des Klägers auf diesen als maßgebliche Betreuungsperson angewiesen wären. Hinsichtlich der - nach Angabe der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 29. April 2021 noch im Jahr 2021 beabsichtigten - Eheschließung des Klägers fehlt es an näheren Ausführungen (vgl. auch Schriftsatz der Beklagten vom 20.5.2021). Jedenfalls wurde die Verlobung aber in Kenntnis der Ausweisung des Klägers infolge seiner Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten und damit in Kenntnis seiner Ausreisepflicht eingegangen, weshalb ihre Schutzwürdigkeit vor dem Hintergrund des Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK als gering einzustufen ist.
42
Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Abwägung die Bleibeinteressen des Klägers zutreffend gewürdigt, ist jedoch in nicht zu beanstandender Weise in Anbetracht des Gewichts der begangenen Straftaten von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses ausgegangen.
43
Entgegen dem Zulassungsvorbringen hat das Verwaltungsgericht, ebenso wie die Beklagte, die Bleibeinteressen des Klägers zutreffend gewürdigt und in seine Abwägung eingestellt, dass der Kläger (ständigen) persönlichen Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern in H., insbesondere zu seinem Bruder, mit dem er zusammenwohnt, unterhält, dass der Kontakt zu diesen Personen den Kläger stabilisiert sowie dass der Kläger deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 besitzt, seit dem 30. Juni 2020 einer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage eines unbefristeten Arbeitsvertrags nachging und dass seine Therapie ein Stadium erreicht hat, welches es erlaubt, sein Verhalten bei größtmöglicher Freiheit zu erproben. Hinzu gekommen ist nach der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung neben der Aussetzung des Maßregelvollzugs und des Strafrestes noch der Umstand, dass der Kläger nach dem Bericht seiner Bewährungshelferin vom 10. Februar 2022 zwar (wohl selbstverschuldet) seine unbefristete Anstellung bei K. C. S. GmbH als Personalreferent (seit 1.3.2021) verloren, aber bereits eine Überbrückungstätigkeit gefunden hat (vgl. Stellungnahme der Bewährungshelferin vom 10.2.2022, Bl. 270 der Strafvollzugsakte, Bd. II). Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise zu der Auffassung gelangt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Auch unter Berücksichtigung der (unterstellten) persönlichen Bindungen und der (unterstellten) Vollzeitbeschäftigung des Klägers vermögen sich die privaten Belange nicht gegenüber dem Gewicht des öffentlichen Ausweisungsinteresses durchzusetzen.
44
Art. 6 GG vermittelt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Allerdings sind die Ausländerbehörden verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und sie entsprechend ihrem Gewicht in den behördlichen Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08 - juris). Ebenso wenig wie Art. 6 GG gewährleistet Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht des Ausländers in einen bestimmten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ein Staat ist vielmehr berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR -, U.v. 18.10.2006 <Üner> Nr. 46410/99 - juris). Eingriffe sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchzuführen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 - 1 C 8.09 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).
45
Art. 6 Abs. 1 GG gewährt nicht von vornherein einen Schutz vor Ausweisung, sondern verpflichtet dazu, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207, Rn. 12). Die Beziehung zwischen Eltern und volljährigen Kindern und sonstigen erwachsenen Angehörigen ist in ihrem verfassungsrechtlichen Kern nicht auf eine Lebens- oder Haushaltsgemeinschaft, sondern in aller Regel auf eine Begegnungsgemeinschaft angelegt und kann deshalb regelmäßig durch wiederholte Besuche oder Brief- und Telefonkontakte aufrechterhalten werden (vgl. BVerfG, B.v. 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 - juris Rn. 42, 44). Selbst im Falle des Bestehens einer schützenswerten familiären Beziehung ist insbesondere bei besonders schweren Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 - 1 B 22/10 - juris Rn. 4).
46
Die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen, resultierend aus der vom Kläger verübten schweren Drogenkriminalität, führen vorliegend dazu, dass die vom Kläger geltend gemachten privaten und familiären Belange im Rahmen der Abwägung zurückzutreten haben. Auch die Bejahung eines kausalen Zusammenhangs zwischen einem Abhängigkeitssyndrom und des den Ausweisungsanlass bietenden strafrechtlichen Schuldspruchs vermag das Gewicht des Ausweisungsinteresses nicht maßgeblich zu reduzieren, zumal dieser Umstand bereits bei der Strafzumessung zugunsten des Klägers Berücksichtigung fand, aber gleichwohl eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten zu verhängen war. Es ist nichts dafür erkennbar, dass zwischen dem Kläger und seinen volljährigen Eltern bzw. Geschwistern eine sog. Beistandsgemeinschaft besteht, bei der ein Familienmitglied auf eine auch tatsächlich erbrachte Lebenshilfe des anderen angewiesen ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Bindung zu den Eltern und Geschwistern den Kläger von der Begehung gravierender Straftaten nicht hat abhalten können. Der Hinweis, dass die Ausweisung derzeit wegen des bestehenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG auf unbestimmte Zeit auf ihre inlandsbezogenen Wirkungen beschränkt ist, ist nicht zu beanstanden. Des Weiteren wäre es dem Kläger und seiner Familie bei Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet zumutbar, trotz räumlicher Trennung die Bindung zueinander - zumindest für die Dauer der Wiedereinreisesperre - in anderweitiger Form, z.B. durch Kommunikationsmittel wie Telefon, Internet und Briefverkehr aufrechtzuerhalten. Auch ohne eine behördliche Zusage ist in § 11 Abs. 8 AufenthG die Möglichkeit einer kurzfristigen Betretenserlaubnis geregelt, um im Einzelfall unbillige Härten zu vermeiden.
47
1.4. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die Ablehnung der Neuerteilung der am 6. Januar 2019 abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis.
48
Die Rüge des Klägers, der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe die Titelerteilungssperre gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nicht entgegen, da die gegen den Kläger verfügte Ausweisung als rechtswidrig aufzuheben sei, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat, wie ausgeführt, die Anfechtungsklage gegen die Ausweisungsverfügung zu Recht abgewiesen. Damit behält diese ihre Rechtswirkungen. Das auf ihrer Grundlage erlassene befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG - welches das Verwaltungsgericht in seinem Urteil bestätigt hat und welches der Kläger nicht mit seinem Zulassungsvorbringen angreift - steht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen.
49
1.5. Der Kläger greift mit seinen Rügen nicht die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots an. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, kann der Kläger - etwa nach wirksamer Eheschließung - ggf. eine Verkürzung der festgesetzten Fernhaltefrist nach § 11 Abs. 4 AufenthG beantragen.
50
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
51
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
52
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).