Inhalt

OLG München, Beschluss v. 17.02.2023 – 35 U 4627/22
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit einem Thermofenster ausgestatteten BMW-Diesel-Fahrzeugs (hier: BMW X3 2.0d X-Drive)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu BMW-Diesel-Fällen vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37995; BeckRS 2021, 40856; OLG München BeckRS 2019, 19592; BeckRS 2021, 40857; BeckRS 2021, 54108; BeckRS 2022, 47159; BeckRS 2023, 9804 (sowie die ausführlichen Verweise in den dortigen Rn. 4 – 5); BeckRS 2023, 9808; OLG Koblenz BeckRS 2020, 30105; OLG Bremen BeckRS 2020, 31082; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5654; OLG Schleswig BeckRS 2021, 11679; OLG Celle BeckRS 2021, 43494. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof Verhandlungstermine abgesetzt hat, ist nicht dahingehend zu überinterpretieren, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung nicht mehr für richtig erachte. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus einer – unterstellten – schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV iVm § 823 Abs. 2 BGB ergibt sich allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der (unterstellten) Abschalteinrichtung, nicht aber auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, B 47, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 18.01.2023 – 35 U 4627/22
LG München II, Endurteil vom 07.07.2022 – 14 O 2318/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9806

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung der Verhandlung wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 7. Juli 2022, Az.: 14 O 2318/21, wird zurückgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Das in Ziffer II genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 39.070,71 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 13. September 2016 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagen X 3 2.0d X-Drive zu einem Kaufpreis von 46.000 €. Der Pkw ist mit einem Motor mit der Bezeichnung B 47 ausgestattet und unterliegt der Schadstoffklasse Euro 6. Für den streitgegenständlichen Motortyp existiert kein Rückruf des Kraftfahrbundesamts (KBA).
3
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte habe durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in verbotener Weise Einfluss auf das Emissionsverhalten genommen und so im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens unter Vorspiegelung der Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die Erlangung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung und die damit einhergehende Erteilung der Betriebserlaubnis erwirkt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung vom 7. Juli 2022 und die dort in Bezug genommenen Schriftsätze der Parteien verwiesen.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Vortrag des Klägers zu unzulässigen Abschalteinrichtungen prozessual unerheblich sei.
5
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, das Landgericht habe seinen Vortrag zu Unrecht als unsubstantiiert angesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 2. November 2022 Bezug genommen.
6
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Ersturteils wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 39.070,71 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. November 2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen – Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke BMW vom Typ X3 2.0 D X-Drive mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.791,74 freizustellen.
7
Hilfsweise zu Ziffer 1) beantragt er:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke BMW vom Typ X3 2.0 D X-Drive mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … resultieren.
8
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
9
Die Berufung gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 7. Juli 2022, Az.: 14 O 2318/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt. Ob diese im konkreten Fall für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 179/21, BeckRS 2021, 38634 Rn. 9).
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Zur Begründung der Berufungszurückweisung wird zunächst auf den vorangegangenen Hinweis des Senats vom 18. Januar 2023 Bezug genommen. Die Stellungnahmen des Klägers vom 24. Januar und 13. Februar 2023 rechtfertigen keine andere Entscheidung.
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Zur Gegenerklärung sind im Einzelnen folgende Ausführungen veranlasst:
1. Zur Relevanz der Schlussanträge des Generalanwalts R. (Ziffer I der Gegenerklärung)
12
Der Kläger geht auf die ausführlichen Erwägungen des Senats, warum die Ausführungen des Generalanwalts R. vom 2. Juni 2022 einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht entgegenstehen, inhaltlich nicht ein, sondern verweist nur auf eine – dem Senat bereits bekannte – Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2022, wobei er diese fälschlicherweise als Entscheidung bezeichnet. Die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof Verhandlungstermine abgesetzt hat, überinterpretiert der Kläger dahin, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung nicht mehr für richtig erachte. Der Senat hat bereits unter Ziffer II.2.a) dd) seines Hinweisbeschlusses vom 23. November 2022 darauf hingewiesen, dass und warum eine Aussetzung oder ein Ruhen des Verfahrens nicht in Betracht kommt. Hiergegen hat der Kläger inhaltlich nichts vorgebracht. Anderslautende Entscheidungen anderer Gerichte binden den Senat nicht.
2. Zur offensichtlichen Erfolgsaussicht der Berufung (Ziffer II der Gegenerklärung)
13
Die Ausführungen des Klägers dazu, warum seine Berufung aus seiner Sicht erfolgreich ist, enthalten nichts substantiell Neues und gehen insbesondere nicht auf die ausführlich dargestellten Argumente des Senats ein, dass und warum das im klägerischen Fahrzeug verbaute Thermofenster zu keinem Anspruch des Klägers auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags führt. Insbesondere hat der Kläger den Erwägungen des Senats, warum das Verhalten der Beklagten – die Unzulässigkeit des Thermofensters unterstellt – nicht fahrlässig war, nichts entgegengesetzt. Darüber hinaus befinden sich die vom Kläger gestellten Anträge außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Normen, so dass auf der Rechtsfolgenseite lediglich ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der (unterstellten) Abschalteinrichtung in Betracht kommt. Da der Kläger seinen Antrag auch nach dem Hinweis des Senats nicht entsprechend umgestellt hat, war der mit der Berufung weiterverfolgte Antrag auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags abzuweisen.
14
Selbiges gilt hinsichtlich des hilfsweise gestellten Feststellungsantrags, der auf Feststellung einer Zahlungspflicht gerichtet ist und zudem offen lässt, auf welche – behauptetermaßen – unzulässigen Abschalteinrichtungen er gestützt sein soll.
3. Zur grundsätzlichen Bedeutung (Ziffer III der Gegenerklärung)
15
Eine grundsätzliche Bedeutung ist nicht gegeben. Wie der Senat bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt hat, sind die Obersätze geklärt und es handelt sich vorliegend um nichts anderes als deren Anwendung auf den Einzelfall. Die Tatsache, dass abgesehen vom Kläger auch noch andere Menschen bei der Beklagten Fahrzeuge gekauft haben, führt zu keiner anderen Betrachtung.
III.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Ersturteils auf § 708 Nr. 10 Satz 2, § 711 ZPO. Der Streitwert wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt und leitet sich aus dem von dem Kläger mit seiner Berufung weiter verfolgten Zahlungsanspruch ab.