Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit einem Thermofenster ausgestatteten BMW-Diesel-Fahrzeugs (hier: BMW X3 2.0d X-Drive)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, S. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 46
Leitsätze:
1. Zu BMW-Diesel-Fällen vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37995; BeckRS 2021, 40856; OLG München BeckRS 2019, 19592; BeckRS 2021, 40857; BeckRS 2021, 54108; BeckRS 2022, 47159; OLG Koblenz BeckRS 2020, 30105; OLG Bremen BeckRS 2020, 31082; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5654; OLG Schleswig BeckRS 2021, 11679; OLG Celle BeckRS 2021, 43494 sowie die ausführlichen Verweise im hiesigen Hinweisbeschluss in Rn. 4 – 5. (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn man die Ausführungen des Generalanwalts so deuten wollte, dass die europarechtlichen Regelungen es erforderten, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor bzw. kann die Klagepartei von der Beklagten nicht die (Rück-)Abwicklung des mit dem Händler geschlossenen Kaufvertrags verlangen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert insoweit an der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, als dass sie – soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2007/46/EG gegeben sind – von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typgenehmigung wirksam ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus einer – unterstellten – schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, ergibt sich allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß, nicht aber auf Erstattung eines (behaupteten) Wertverlustes. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, B 47, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Kaltaufheizen, Motorsteuerungssoftware, Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 07.07.2022 – 14 O 2318/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 17.02.2023 – 35 U 4627/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9804
Tenor
1. Der Aussetzungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 07.07.2022, Az. 14 O 2318/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
4. Binnen selber Frist können die Parteien zur Höhe des Streitwerts Stellung nehmen.
Entscheidungsgründe
1
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
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Die Würdigung durch das Landgericht ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter zutreffender Würdigung des Parteivortrags, der Gesamtumstände sowie der vorgelegten Unterlagen hat es die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
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Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt. Ob diese im konkreten Fall für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 179/21, BeckRS 2021, 38634 Rn. 9). Selbiges gilt für die Anforderungen an die prozessuale Erheblichkeit eines Sachvortrags, welche der Bundesgerichtshof gerade auch mit Blick auf ein gegen die hiesige Beklagte gerichtetes sog. Diesel-Verfahren aktualisiert hat (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 24 ff.).
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Vor diesem Hintergrund ist vorab darauf hinzuweisen, dass es – trotz tausender Klagen – keine veröffentlichte obergerichtliche Entscheidung gibt, die einem Käufer eines Fahrzeugs der hiesigen Beklagten Schadensersatz wegen des Verbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zugesprochen hätte. Klageabweisende Entscheidungen finden sich in juris hingegen zahlreich (zum Motor N 47: OLG München, Beschluss vom 29. August 2019 – 8 U 1449/19; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. September 2021 – 7 U 80/21; Urteil vom 20. Mai 2021 – 11 U 187/19; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteile vom 22. Dezember 2021 – 4 U 19/21; vom 16. März 2022 – 4 U 82/21; vom 11. Mai 2022 – 4 U 23/21; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 26. Januar 2022 – 2 U 139/21; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Juni 2020 – 16a U 228/19; KG Berlin, Beschluss vom 2 August 2022 – 4 U 27/22; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juli 2021 – 22 U 97/20; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18. März 2022 – 14 U 69/21; OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2022 – 21 U 106/21; zum Motor B 47: BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21; OLG Frankfurt, Urteil vom 27. November 2020 – 10 U 3/20 [gehalten von: BGH, Beschluss vom 15 September 2021 – VII ZR 2/21]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 16a U 155/19; zum Motor N 57: OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Juni 2020 – 16a U 228/19; OLG Koblenz, Beschluss vom 9. November 2020 – 3 U 844/20; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteile vom 15. Juni 2022 – 4 U 154/21; vom 8. Juni 2022 – 4 U 148/21KG Berlin, Beschluss vom 2. August 2022 – 4 U 40/22; zum Motor B 37: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 8. Juni 2022 – 4 U 153/21). Die obergerichtliche Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof bestätigt worden (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21 [Motor B47 D20]; siehe unten). Darüber hinaus kann auf die – z. T. unveröffentlichten – Entscheidungen zahlreicher Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs verwiesen werden, auf welche die Beklagte unwidersprochen auf den S. 4 bis 25 ihrer Berufungserwiderung hingewiesen hat.
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Die Rechtsprechungsrecherche hat zudem ergeben, dass die Entscheidungen von Rechtsschutzversicherungen, für sog. Diesel-Klagen gegen die Beklagte die Deckungszusagen wegen mangelnder Erfolgsaussicht zu verweigern, obergerichtlich bestätigt wurden (OLG München, Beschluss vom 21. März 2022 – 25 U 9289/21 [N 57]; OLG Bamberg, Beschluss vom 18. August 2020 – 1 U 167/22 [Motor N 57]; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 20. September 2022 – 3 U 13/22 [Motor N 47]; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 16 U 53/22 [Motor N 47]; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. Juni 2022 – 4 U 36/22).
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Die Klageparteivertreter, die auf ihrer Web-Seite angeben, „über 16.000 Mandanten im Abgasskandal“ zu vertreten, sind vor dem hiesigen Oberlandesgericht in insgesamt 41 sog. Diesel-Verfahren gegen die Beklagte verzeichnet. Von diesen Verfahren wurden bereits 20 Verfahren, und zwar durch rechtskräftige Zurückweisung oder – nach entsprechendem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO – Rücknahme der gegen das klageabweisende Urteil gerichteten Berufung erledigt.
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Zum Berufungsvorbringen ist folgendes auszuführen:
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1. Nach dem vom Erstgericht insoweit als unstreitig festgestellten Sachverhalt erwarb die Klagepartei am 13. September 2016 ein gebrauchtes, von der Beklagten hergestelltes Modell X3 2.0d X-Drive, das mit einem Motor mit der Bezeichnung B 47 ausgestattet ist. Die Emissionsreduzierung erfolgt mittels Abgasrückführung (AGR) und der Motor des Fahrzeugs ist in die Euro 6-Norm eingestuft. Für den klägerischen Motorentyp besteht kein verbindlicher Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA). Dass ein Rückruf der Genehmigungen des Emissionsminderungssystems von der irischen NSAI ausgesprochen wäre, ist nicht vorgetragen worden.
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2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Kläger die Voraussetzungen für deliktische Ansprüche gemäß § 826, § 823 Abs. 2 BGB nicht ausreichend dargelegt habe. Die Klageabweisung erweist sich im Ergebnis als zutreffend.
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a) Soweit die Berufung ihr Begehr mit der Begründung weiterverfolgt, bei dem Thermofenster handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, wird sie damit nicht durchdringen können.
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aa) Mit Blick auf den als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 826 BGB reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert wird und die Abgasreinigung bei gewissen Temperaturen nicht mehr voll funktionsfähig ist, nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (zum B 47: BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 17; siehe auch: BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 15; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 18). Dies gilt auch dann, wenn eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16).
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bb) Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet ebenfalls aus.
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Dabei kann es dahinstehen, ob die Einschätzung des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof, dass die RL 2007/46 dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 65), der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs widerspricht, dass es sich bei den Normen der EG-FGV nicht um solche Schutznormen handelt, aus deren Verletzung die Klagepartei einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags herleiten könnte (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff.; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff und zuletzt vom 31. Mai 2022 – VI ZR 804/20, juris Rn. 13 m.w.N.).
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Selbst wenn man die Ausführungen des Generalanwalts so deuten wollte, dass die europarechtlichen Regelungen es erforderten, die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, liegen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht vor (siehe sogleich Ziffern (1) und (2)) bzw. kann die Klagepartei von der Beklagten nicht die (Rück-)Abwicklung des mit dem Händler geschlossenen Kaufvertrags verlangen (siehe Ziffer (3)).
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(1) Es fehlt bereits an einem objektiven Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
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§ 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV schreibt vor, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
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Die Übereinstimmungsbescheinigung ist nach der der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge zugrundeliegenden RL 2007/46/EG ein vom Hersteller ausgestelltes Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht (Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG). Gemäß Art. 3 Nr. 3 der RL 2007/46/EG beschreibt die Typgenehmigung das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht.
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Die Beklagte hat die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt, da das Fahrzeug der Klagepartei mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist.
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Die der Übereinstimmungsbescheinigung zugrundeliegende Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; Schröder, DVBl 2017, 1193, 1194). Diesem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sog. Tatbestandswirkung zu, die – solange der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist – zur Folge hat, dass die Zulässigkeit des beanstandeten Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen ist (BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 14, vom 30. April 2015 – I ZR 13/14, juris Rn. 31; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12; vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 35; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 4. Februar 2004 -XII ZR 301/01, juris Rn. 13; siehe auch: BeckOK VwVfG/Schemmer, 49. Ed., § 43 VwVfG Rn. 28; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 54; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 50; OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 38; ausdrücklich zum EA 288: OLG Oldenburg, Urteile vom 30. Juli 2021 – 6 U 92/21, juris; vom 17. August 2021 – 6 U 23/21, juris; OLG Celle, Urteil vom 9. Dezember 2020 – 7 U 1738/19, juris).
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Der Senat hat daher den verfügenden Teil des Verwaltungsakts – seinen Ausspruch, dass der Typ des klägerischen Fahrzeugs den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht – ohne inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der darin getroffenen Regelung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BGH, Urteile vom 4. August 2020 – II ZR 174/19, juris Rn. 36; vom 12. Januar 2007 – V ZR 268/05, juris Rn. 11; vom 16. März 2021 – VI ZR 773/20, juris Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte bei der Beantragung der Typgenehmigung erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, da die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen wäre, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 26).
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Die Einordnung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung durch den Europäischen Gerichtshof rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn selbst wenn das Fahrzeug der Klagepartei (noch immer) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollte, führte dies nicht (automatisch) zur Unwirksamkeit der Typgenehmigung, sondern allenfalls zu deren Rechtswidrigkeit. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist in der Abschalteinrichtung nicht zu erblicken, da ein Verstoß gegen EU-Recht allein keinen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift darstellt (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23; Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl., § 44 Rn. 10). Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird durch § 25 EG-FGV hinreichend Rechnung getragen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 125/04, juris Rn. 23).
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Da auch objektive Anhaltspunkte für eine absichtliche Täuschung des KBA fehlen (zur insoweit fehlenden Bindungswirkung der behördlichen Genehmigung vgl.: OLG Celle, Urteil vom 13. November 2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 39; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 11 U 173/20, juris Rn. 37; OLG Stuttgart, Urteil vom 22. September 2020 – 16a U 55/19, juris Rn. 68), ist die Typgenehmigung nicht erschlichen worden und daher auch nicht aus diesem Grund unwirksam.
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Bei der Übereinstimmungsbescheinigung selbst handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine (Wissens-)Erklärung des Herstellers (Schröder, DVBl 2017, 1193, 1196). Aus Art. 18 Abs. 1 Satz 1 der RL 2007/46/EG ergibt sich, dass sich die Erklärung insbesondere darauf bezieht, dass das konkrete Fahrzeug in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde. Daraus folgt für die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, dass sie nicht anders beurteilt werden kann als die Wirksamkeit der Typgenehmigung. Die Übereinstimmungsbescheinigung partizipiert also insoweit an der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, als dass sie – soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 18 der RL 2007/46/EG gegeben sind (vgl. insoweit Schröder, DVBl 1193, 1197) – von den Zivilgerichten soweit und solange als gültig zu betrachten ist, soweit und solange die ihr zugrunde liegende Typgenehmigung wirksam ist.
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(2) Es fehlt überdies an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
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Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen (so auch: OLG Hamm Urteil vom 2. August 2022 – 13 U 133/21, juris Rn. 90).
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Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA, das – insoweit entgegen dem EuGH – bis heute von der generellen Zulässigkeit der Thermofenster ausgeht, ein ebenso bedatetes auch bei hiesigem Motortyp der hiesigen Beklagten genehmigt hätte.
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Dieser Schluss wird durch die zahlreichen in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigt. In diesen hat es erklärt, dass es – u. A. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten – sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen der V. AG mit EA 288-Motoren durchgeführt (u. A. Softwareanalysen und Messungen) und dabei auch mit Blick auf das Thermofenster keine Unzulässigkeit festgestellt habe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster mag diese Bewertung des KBA inhaltlich falsch sein. Die Auskünfte belegen jedoch, dass das KBA die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) – auch in der ursprünglichen Bedatung – im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte (vgl. auch die den EA 288 des der V. AG betreffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Urteil vom 15 Dezember 2021 – 2 U 68/21, juris Rn. 36).
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Schließlich hat das KBA in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart für Fahrzeuge des Volkswagenkonzerns mit dem Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 allgemeingültig mitgeteilt, dass die Verwendung von Thermofenstern dem KBA prinzipiell bekannt war. Auf ausdrückliche Frage des dortigen Senats hat es erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen war, es die Genehmigung jedoch auch bei einer Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (Auskunft des KBA vom 11. September 2020 im Verfahren 16a U 194/19 des Oberlandesgerichts Stuttgart). Gleichlautende Auskünfte sind dem Senat u. A. auch aus den hiesigen Verfahren 35 U 9412/21 und 35 U 7269/21 bekannt. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA auch hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugtyps eine Typengenehmigung erteilt hätte, hätte die hiesige Beklagte die konkrete Bedatung ihres Thermofensters offengelegt.
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(3) Schließlich könnte die Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 BGB allenfalls einen Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß geltend machen und nicht – wie von ihr beantragt – auf den sog. kleinen Schadensersatz.
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Eine Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29). Verfahrensrechtlich ist für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, juris Rn. 25 m.w.N.; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 127).
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Daran gemessen kann die Klagepartei von der Beklagten nicht den Ersatz eines Wertverlustes verlangen.
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Wie oben ausgeführt, sollen die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV sicherstellen, dass Fahrzeuge nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Selbst wenn man also davon ausgehen sollte, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung dazu führt, dass keine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt und die Beklagte dies verschuldete, kann sich aufgrund des Schutzzwecks der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus § 823 Abs. 2 BGB zwar ein Anspruch gegen den Inhaber der EG-Typgenehmigung auf Beifügung einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (in Form der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung), nicht aber auf Ersatz eines Wertverlustes ergeben. Dies leuchtet unmittelbar ein: Die Regelungen der EG-FGV und die ihr zugrunde liegenden europäischen Normen haben mit den festgelegten Grenzwerten das Ziel sicherzustellen, dass nur „saubere Autos“ am Straßenverkehr teilnehmen. Es soll vermieden werden, dass „schmutzige Autos“ am Straßenverkehr teilnehmen und erst recht wollen die Normen nicht, dass die Eigentümer „schmutziger Autos“ für das Umherfahren mit „ihren Drecksschleudern“ auch noch bezahlt werden.
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Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem sich aus § 826 BGB ergebenden Schadensersatzanspruch von Käufern eines Fahrzeugs mit einem Motor EA 189 gegen den Hersteller auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags steht hierzu nicht in Widerspruch. Denn soweit der Bundesgerichtshof den Schaden in diesen Fällen in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Fahrzeug gesehen hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 44), hat er dies ausdrücklich auf § 826 BGB beschränkt indem er ausgeführt hat, dass sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können muss und eine solche daher einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 47). § 826 BGB bewirke insoweit einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (BGH, aaO).
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Dies ist bei den § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den ihnen zugrundeliegenden Regelungen der EU-RL 2007/46 indes nicht der Fall (vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.). Wie der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzqualität dieser Normen ausgeführt hat, liegt das Interesse der Klagepartei, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Aufgabenbereich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 76; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 11).
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Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Zwar ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die RL 2007/46/EG dahin auszulegen sei, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichte, vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist; die konkrete Ausgestaltung dieses Ersatzanspruchs sei allerdings Sache der Mitgliedsstaaten (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 65). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer – zu Gunsten der Klagepartei unterstellten – schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei – ebenfalls zu Gunsten der Klagepartei – weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung des Thermofensters oder Veränderung desselben auf ein zulässiges Maß ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und nicht in Widerspruch zur Auffassung des Generalanwalts, da auch hierdurch die Interessen eines Erwerbers geschützt werden, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 50).
36
(4) Das gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 55 u. 65).
37
Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Denn auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 54).
38
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Generalanwalt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 46 der RL 2007/46/EG herleitet, die besagt, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte anzuwenden sind, und alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen ergreifen. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist und der Blick nicht auf Ansprüche einzelner Käufer gegen den Hersteller verengt werden darf.
39
Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die V. AG eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro und gegen eine Tochterfirma der Beklagten solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – sogar z. T. verschuldensunabhängige – kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20; zum Motor OM651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen – von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen Anreiz dar, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 58).
40
cc) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 scheidet aufgrund dieser Überlegungen ebenfalls aus (siehe auch: BGH, Urteile vom 31. Mai 2022 – VI ZR 804/20, juris Rn. 13 ff.; vom 16. September 2021-- VII ZR 190/20, juris Rn. 35 ff.; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff.).
41
dd) Aus diesen Gründen war weder eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO analog noch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof angezeigt.
42
b) Auch mit der Rüge, das Erstgericht habe klägerischen Sachvortrag zu Unrecht als unsubstantiiert erachtet, wird die Berufung keinen Erfolg haben können.
43
Das Landgericht hat den diesbezüglichen klägerischen Vortrag mit zutreffenden Erwägungen als unsubstantiiert und damit prozessual unbeachtlich gewertet. Insoweit gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe: BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 21 bis 23 mwN) Folgendes: Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss dabei in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Grundsätzlich darf eine Partei auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen.
44
Soweit die Klagepartei der Bewertung ihres Vortrags als prozessual beachtlich die in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 angewandten Maßstäbe zugrunde legt, hat das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass es in dem dortigen Fall um die Darlegung eines Sachmangels gegangen ist. Dies ist auf die Darlegungserfordernisse in dem vorliegenden Fall, in dem ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB inmitten steht, nicht übertragbar. Denn die Darlegungs- und Beweislast richtet sich nach den jeweils einschlägigen Regeln des materiellen Rechts und kann daher sogar bei mehreren, auf demselben Lebenssachverhalt beruhenden Ansprüchen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 – XI ZR 254/10, juris Rn. 6). Was für die Darlegung eines Sachmangels ausreichend gewesen sein mag, stellt daher nicht auch greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen des (objektiven) Tatbestands des § 826 BGB dar (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 30). Denn dieser setzt unter anderem die Darlegung voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16).
45
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufungsbegründung hat die Klagepartei – vor dem Hintergrund des substantiierten Vortrags der Beklagten – keine ausreichend greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen, die dafürsprechen könnten, dass die diversen von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen auch in ihrem Fahrzeug verbaut sind und dass sie eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB darstellen.
46
Dies gilt insbesondere soweit der Kläger zu anderen Motoren der Beklagten wie etwa B 37, N 47 und N 57 oder zu behauptetermaßen unzulässigen Abschalteinrichtungen vorträgt, die Motoren betreffen, bei denen die Abgasreinigung (auch) mittels eines SCR-Katalysator erfolgt und die mit diesem Emissionsreduzierungsverfahren (technisch) in Zusammenhang stehen. Dieser Vortrag vermag keine greifbaren Anhaltspunkte dafür zu begründen, dass der Kläger von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden wäre. Selbiges gilt für Vortrag zu Fahrzeugen, die nach der Euro 5-Norm zugelassen sind. Denn behauptete Manipulationen bei anderen Motoren und insbesondere bei anderen technischen Emissionsreduzierungsverfahren, die in das streitgegenständliche Fahrzeug gar nicht verbaut sind, lassen für sich genommen keine tragfähigen Rückschlüsse darauf zu, dass dies auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug so sei.
47
aa) Besondere Umstände, die auf eine objektive Sittenwidrigkeit schließen ließen, ergeben sich nicht aus dem Vortrag des Klägers zur „hot restart-Funktion“. Denn dieses System funktioniert auch unter Zugrundelegung des Klägervortrags im Prüf- und Realbetrieb in gleicher Weise. Dass der NEFZ-Prüfstand wegen seiner vorgegebenen Durchführungsbedingungen dabei nur bestimmte Temperatursituationen erfasst, während im Realbetrieb auch andere (z. B. wärmere) Temperaturen vorkommen, bei denen das Emissionskontrollsystem sich möglicherweise anders verhält, ist eine Folge der Ausgestaltung des Typgenehmigungsverfahrens und nicht der Beklagten anzulasten. Die Schwelle des § 826 BGB ist vielmehr erst dann überschritten, wenn ein Motorenhersteller das Emissionskontrollsystem dergestalt manipuliert, dass auf dem Prüfstand eine andere Konfiguration zum Tragen kommt als im Realbetrieb und dies gezielt zu geringeren Emissionen im Prüfstandbetrieb führt (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Oktober 2022 – 3 U 758/22, juris Rn. 25). Hierfür trägt der Kläger keine konkreten Anhaltspunkte vor.
48
Nach der Beschreibung der „hot restart“-Funktion in der Berufungsbegründung (S. 32 BB) liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung auch deshalb nicht vor, weil sich diese Funktion innerhalb und außerhalb des Prüfzyklus gleich verhält. Im Übrigen trägt der Kläger dort vor, dass die Funktion im Straßenverkehr „verringert bzw. deaktiviert“ werden; die Parameter der Funktion seien so eng konfiguriert, dass sie vornehmlich unter Prüfstandsbedingungen zum Einsatz komme. Die Funktion beschreibt der Kläger so, dass sie einsetze, wenn die Temperaturen des Motoröls und/oder des Kühlmittels zumindest 90° Celsius erreichten, was bereits nach circa drei Minuten der Fall sei. Danach wäre die Funktion im Prüfstand allerdings immer aktiv und das geprüfte Fahrzeug würde die vorgesehen Grenzwerte trotz des Einsetzens der „hot restart“-Funktion einhalten. Eine solche Funktion vermag keinen greifbaren Anhaltspunkt für eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung zu begründen.
49
bb) Entgegen der Ansicht der Klagepartei stellen die Messwerte der Deutschen Umwelthilfe (DUH), des KBA, des Umweltbundesamts, der TU Graz und des Gutachters B., denen ein Realbetrieb zugrunde lag, keine greifbaren Anhaltspunkte dar, die für ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln der Beklagten sprechen könnten, da sich ihnen zum einen „schon kein konkreter Bezug zu dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug entnehmen“ lässt (der Vortrag der Klagepartei bezieht sich auf andere Motoren als den streitgegenständlichen) und zum zweiten „die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet“ ist (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 30, siehe auch: BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 23), vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2022 – 35 U 8318/21 Ziffer C.1.c) sowie OLG München Beschluss vom 3. Januar 2022 – 23 U 4648/20, Ziffer 1.2.3.2). Ergänzend verweist der Senat auf die überzeugende Begründung des Oberlandesgerichts Frankfurt in einem ebenfalls den Motor B 47 betreffenden Fall (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14 Dezember 2020 – 16a U 155/19, juris Rn. 57 ff.).
50
Mit Blick auf die Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen ist festzustellen, dass diese Kommission trotz ihrer Messergebnisse zu dem klaren Ergebnis gekommen ist, dass die Messwerte in unauffälliger Höhe lägen. Die Messungen im CADC erfolgten sogar bei einer Autobahnfahrt mit einer Unterschreitung des NEFZ-Wertes (erreicht: 157 mg/km), obwohl laut klägerischem Vortrag zur Abschaltung ab 34 kW Leistung und Drehzahlen über 2900 überhaupt keine Abgasrückführung mehr erfolgen dürfte und obwohl dieser Zyklus bei der Autobahnfahrt Geschwindigkeiten von 130 bzw. 150 km/h vorsieht, also solche, bei denen nach den Behauptungen der Klagepartei eine partielle bis vollständige Abschaltung erfolgen soll.
51
cc) Hinsichtlich zahlreicher Einrichtungen, insbesondere der Reduktion der AGR und ihrer vollständigen Abschaltung bei bestimmten Geschwindigkeiten, Drehzahlen, Leistung und Laufleistung sowie Lenkwinkelerkennung und Schaltpunkte trägt die Klagepartei nichts als die schlichte Behauptung vor, diese seien vorhanden. Ungeachtet dessen, dass sie schon keine Prüfstandsrelevanz aufzeigt, erschließt sich nicht, weshalb überhaupt neben einer Abschaltung bei 34 kW Leistung eine Abschaltung ab 150 km/h gefahrener Geschwindigkeit vorhanden sein sollte, weil ersichtlich schon physikalisch bei dieser Geschwindigkeit die Leistung von 34 kW längst überschritten ist. Irgendwelche behördlichen oder außerbehördlichen Quellen, aufgrund derer Anhaltspunkte für das Vorhandensein dieser Einrichtungen bestünden, sind nicht vorgebracht
52
dd) Entgegen der Ansicht der Klagepartei kann aus dem Umstand, dass das OBD keine Fehlermeldung bei einer Überschreitung des NOx-Ausstoßes anzeigt, nicht auf ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten geschlossen werden, da es nicht Aufgabe des OBD-Systems ist, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (OLG Karlsruhe, Urteil vom 23. Juni 2021 – 6 U 142/20, juris Rn. 115, OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021 – 18 U 21/20, juris Rn. 164). Im Übrigen ist der Vortrag ungeeignet, um Anhaltspunkte für eine manipulative Ausgestaltung des Thermofensters zu begründen (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 18).
53
ee) Bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorgetragen hat, darf zudem nicht unberücksichtigt bleiben, dass der streitgegenständliche Motor vom KBA untersucht und eigenen Messungen unterzogen wurde; dabei konnten keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden (siehe Anlage B 2). Dies wird durch die amtliche Auskunft des KBA gegenüber dem LG Erfurt bestätigt (Anlage BE 2), die nicht nur gegen die Annahme zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte spricht, sondern als zulässiges Beweismittel ein Sachverständigengutachten ersetzen kann, so dass der Beweis des Gegenteils der klägerischen Behauptung erbracht wäre.
54
c) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB scheitern – da es sich vorliegend um einen Gebrauchtwagenkauf handelt – an der fehlenden Stoffgleichheit (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 19 ff.).
55
Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen. Im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.
56
Den Streitwert beabsichtigt der Senat auf 39.070,71 € festzusetzen.