Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.01.2023 – 10 ZB 21.3201
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag gegen Verlustfeststellung

Normenketten:
FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, § 7 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1, § 101 Abs. 1 S. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4, Nr. 5
Leitsätze:
1. Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz folgt keine Verpflichtung, die mündliche Verhandlung im Hinblick auf künftige mögliche Entwicklungen trotz bestehender Entscheidungsreife hinauszuzögern. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verlustfeststellung ist nicht unverhältnismäßig, wenn die Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Tochter aufgrund der langen Haft- und Unterbringungszeiten des Klägers erheblich beeinträchtigt und daher nicht besonders schutzwürdig ist. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlust des Rechts auf Einreise und Freizügigkeit, Wiederholungsgefahr, Ermessensentscheidung, Verhältnismäßigkeit, Kontakte zu im Bundesgebiet lebenden Kind, Kindeswohlgefährdung (verneint), Befristungsentscheidung, Verlustfeststellung, Einreise, Drogenabhängigkeit, Straftaten, Kind, Befristung, Amtsermittlungsgrundsatz, künftige Entwicklungen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 26.11.2021 – Au 1 K 21.1630
Fundstelle:
BeckRS 2023, 972

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz ganz überwiegend erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2021, mit dem der Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, die Einreise und der Aufenthalt befristet untersagt sowie der Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Italien angedroht wurde, weiter.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ein Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (1.) noch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (2.), noch eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (3.).
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1. Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor.
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Soweit der Kläger mit einer Aufklärungsrüge geltend macht, dass Verwaltungsgericht habe es zu Unrecht unterlassen, den Termin für die mündliche Verhandlung zu verschieben, um eine bessere Tatsachenbasis für die Gefahrenprognose zu erhalten, verkennt er, dass der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO das Gericht lediglich verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt umfassend aufzuklären, die Sache also spruchreif zu machen (vgl. Dawin/Panzer in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 86 Rn. 55). Erfordert das materielle Recht eine Prognose über die künftige Entwicklung, ist dem Amtsermittlungsgrundsatz genüge getan, wenn das Gericht eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine hinreichend sichere Prognose im materiell-rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt ermittelt (ähnlich Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 86 Rn. 44 für gesetzliche Schätzklauseln). Ist - wie vorliegend (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 Leitsatz 2) - für die Prognose der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend, muss deren Tatsachengrundlage bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ermittelt sein. Darüber hinaus folgt aus dem Amtsermittlungsgrundsatz keine Verpflichtung, die mündliche Verhandlung im Hinblick auf künftige mögliche Entwicklungen trotz bestehender Entscheidungsreife hinauszuzögern, zumal das Gericht gesetzlich gehalten ist, das Verfahren zügig zu gestalten und die mündliche Verhandlung so früh wie möglich anzuberaumen (§ 101 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
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2. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist von zwei Monaten eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (BavVGH, B.v. 29.4.2020 - 10 ZB 20.104 - juris Rn. 3), wobei „darlegen“ schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis bedeutet; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 9.3.1993 - 3 B 105.92 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Verlustfeststellung sei rechtmäßig. Das Verhalten des Klägers, der seit 1997 im Zusammenhang mit seiner Betäubungsmittelabhängigkeit insgesamt dreizehnmal strafrechtlich wegen unterschiedlicher Delikte (u.a. Diebstahl, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, Betrug, Diebstahl in besonders schwerem Fall) belangt und zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 15. Juni 2020 wegen Diebstahl mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten und mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. August 2020 wegen Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden sei, stelle eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, die Grundinteressen der Gesellschaft berühre. Vom Kläger gehe eine Wiederholungsgefahr aus, da seine seit Jahrzenten bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit nicht erfolgreich therapiert sei. Der Bevollmächtigte des Klägers habe den Kläger in einem Schriftsatz an das Amtsgericht Augsburg vom 2. Februar 2020 als „dauerhaft und unheilbar drogenabhängig“ bezeichnet. Das Verwaltungsgericht unterstelle zu Gunsten des Klägers, dass dieser ein Daueraufenthaltsrecht erworben habe. Auf den Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU könne er sich allerdings nicht berufen, da die Zeiten, die der Kläger in Strafhaft verbracht habe, den Integrationszusammenhang unterbrochen hätten. Der Kläger habe sich in den letzten zehn Jahren vor der Verlustfeststellung wegen mehrerer schwerwiegender Straftaten wiederholt und für längere Zeiträume in Strafhaft oder im Maßregelvollzug befunden. Eine familiäre Gemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin, der gemeinsamen Tochter C. (geboren am 1.7.2012) und dem mittlerweile volljährigen Sohn der Lebensgefährtin aus einer früheren Ehe habe wegen der Haft- und Unterbringungszeiten nur in den Jahren 2010 bis 2013 und 2018 bis 2020 bestanden. Auch wirtschaftlich sei der Kläger nicht integriert, in den letzten 10 Jahren vor der Verlustfeststellung sei er lediglich zwei Jahre und zwei Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Beklagte habe ihr Ermessen bei der Verlustfeststellung fehlerfrei ausgeübt, insbesondere verstoße die Verlustfeststellung weder gegen Art. 8 EMRK noch gegen Art. 6 GG. Der Kläger halte einen gewissen Kontakt zu seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter C., nicht jedoch zu seiner Tochter A. aus einer anderen Beziehung. Der Kläger könne sich trotz seiner langen Haftzeiten auf den Schutz des Privatlebens aus Art. 8 EMRK berufen. Eine Beziehung zur Tochter C. sei aufgrund der langen Haftzeiten aber nur eingeschränkt gelebt worden, sodass es an einer „besonders schutzwürdigen Vater-Kind-Beziehung“ fehle. Etwas andere ergebe sich weder aus den Aussagen der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommenen Lebensgefährtin noch aus den vorgelegten kinderärztlichen Attesten. Die Tochter C. habe sich seit Jahren an die geringe Anzahl persönlicher Kontakte gewöhnen müssen. Dem Kläger sei eine vorübergehende Rückkehr nach Italien, wo er die ersten über 20 Jahre seines Lebens verbracht habe, zumutbar. Kontakte zu seiner Tochter C. könnten durch Besuche und moderne Kommunikationsmittel gehalten werden. Rechtswidrig sei allerdings die Befristungsentscheidung der Beklagten, soweit die festgesetzte Frist drei Jahre übersteige.
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Das Zulassungsvorbringen des Klägers zieht diese Erwägungen nicht durchgreifend in Zweifel.
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a) Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Verlustfeststellung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. hier Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 27.9.2022 - 10 B 22, 263 - BeckRS 2022, 31549).
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b) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus, erweist sich auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung als zutreffend.
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Bei einer auf spezialpräventive Gründe zu stützenden Verlustfeststellung (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU) hat das Verwaltungsgericht eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände der Begehung der Straftat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, siehe z.B. BayVGH, U.v. 21.5.2019 - 10 B 19.55 - juris Rn. 27). Der Stand einer eventuellen Therapie ist dabei genauso zu berücksichtigten wie die bisherige Führung des Betreffenden in der Haft. Maßgeblich ist aber in jedem Fall der aktuelle Stand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr kann nicht ausgegangen werden, solange der Kläger nicht eine erforderliche Therapie erfolgreich abgeschlossen und - darüber hinaus - die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 1.3.2019 - 10 ZB 18.2494 - juris Rn. 10).
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Gemessen daran geht vom Kläger auch zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung eine Wiederholungsgefahr aus. Selbst wenn er die „Kernphase“ seiner Drogentherapie im Mai 2022 erfolgreich abgeschlossen haben sollte, fehlt es noch an einer ausreichend langen Bewährung außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs. Der Kläger hat sich offenbar unmittelbar nach der Haft in eine sechsmonatige stationäre Therapie begeben. Die Zeit, in der er sich in Freiheit bewähren konnte, beträgt daher nur rund acht Monate. Dies reicht nicht aus, um nach einer jahrzehntelangen Betäubungsmittelabhängigkeit vom Wegfall einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
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c) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne sich nicht auf den besonderen Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, weil die zahlreichen Haftzeiten den Integrationszusammenhang unterbrochen hätten, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Entgegen der Behauptung im Zulassungsantrag hat das Verwaltungsgericht sehr wohl die für diese Einschätzung maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu zuletzt BayVGH, B.v. 19.10.2022 - 10 ZB 22.2042 - juris Rn. 6) berücksichtigt und ausführlich gewürdigt (S. 33 bis 37 des UA). Es ist vielmehr das Zulassungsvorbringen, dass sich nicht in der von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise mit diesen Ausführungen auseinandersetzt.
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Entsprechendes gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, es lägen „schwerwiegende Gründe“ für eine Verlustfeststellung im Sinne von § 6 Abs. 4 FreizügG/EU vor. Auch hier trifft die Behauptung, das Erstgericht habe sich nicht mit den Taten und der Persönlichkeit des Klägers auseinandergesetzt, nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat diese vielmehr ausführlich (und in der Sache überzeugend) gewürdigt (S. 31 bis 33 des UA). Das Zulassungsvorbringen versäumt es, sich mit diesen Erwägungen auseinanderzusetzen, und schildert stattdessen nur die eigene Auffassung zum (Nicht-)Vorliegen schwerwiegender Gründe für eine Verlustfeststellung, ohne die Auffassung des Verwaltungsgerichts durchgreifend in Zweifel zu ziehen.
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d) Soweit der Kläger behauptet, die von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 - 10 ZB 11.2751 - juris Rn. 4) sei nicht rechtmäßig ergangen, genügen seine knappen Ausführungen erneut nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Welchen konkreten Belang die Beklagte bei ihren ausführlichen Erwägungen zum Ermessen (S. 12 bis 16 des angegriffenen Bescheids) nicht oder fehlerhaft berücksichtigt haben soll, wird mit der Zulassungsbegründung nicht dargelegt.
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e) Schließlich begründet das Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Verlustfeststellung erweise sich auch unter Berücksichtigung der persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet, insbesondere im Hinblick auf die Beziehung zu seiner Tochter C., als verhältnismäßig. Eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht substantiiert dargelegt.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht können die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann haben, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 6.12.2021 - 2 BvR 860/21 - juris Rn. 41 ff. m.w.N).
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Das umfangreiche Zulassungsvorbringen zu den Kontakten des Klägers zu seiner Tochter C. sowie die Vorlage eines (sehr knappen) kinderärztlichen Attestes vom 3. August 2021 und einer Stellungnahme der Grundschulde der Tochter C. vom 4. August 2021 ändern nichts daran, dass - wie auch das Verwaltungsgericht nach ausführlicher tatrichterlicher Würdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) festgestellt hat - eine tatsächlich gelebte Vater-Kind-Beziehung aufgrund der zahlreichen Inhaftierungen des Klägers über lange Zeit nur sehr eingeschränkt möglich und die dauerhafte Trennung vom Vater für das Kind über viele Jahre ohnehin schon gelebte Realität waren. Auch der vom Kläger vorgelegte Therapiebericht vom 19. Mai 2022 spricht davon, dass während der Therapie „guter Kontakt zur Familie aufgebaut“ (Hervorhebung durch den Senat) habe werden können. Bezeichnend ist insofern, dass der Kläger nach Beendigung seiner stationären Therapie im Mai 2022 zunächst nicht unmittelbar in den Haushalt seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter, sondern in eine Obdachlosenunterkunft eingezogen ist. Zudem handelt es sich bei der 10-jährigen Tochter nicht mehr um ein sehr kleines Kind im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Eine altersgerechte Vermittlung, dass die auf drei Jahre befristete erneute Trennung von ihrem Vater nur vorübergehender Natur sein wird, wird daher möglich sein. Schließlich kann der Kontakt zum Kläger mit Besuchen in Italien und über moderne Kommunikationsmittel gehalten werden. Bei dieser Sachlage ist - auch, wenn sich der Kläger kurz nach dem Einzug in die Obdachlosenunterkunft wieder in der Wohnung der Lebensgefährtin und Tochter angemeldet hat - zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich und auch nicht substantiiert vorgetragen, dass das Kindeswohl der Tochter durch eine Aufenthaltsbeendigung und die damit einhergehende vorübergehende Trennung ernsthaft gefährdet wäre.
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f) Das Vorbringen hinsichtlich der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Befristungsentscheidung der Beklagten nach § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU genügt wiederum nicht den geschilderten Darlegungsanforderungen.
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Die Befristungsentscheidung ist auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage und unter Würdigung des Verhaltens des Betroffenen nach der Verlustfeststellung zu treffen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 31 m.w.N.). Dabei ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 35; VGH BW, U.v. 15.2.2017 - 11 S 983/16 - juris Rn. 36). Die im Hinblick auf die zur Gefahrenabwehr als erforderlich angesehene Sperrfrist ist einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung schützenswerter Interessen des Klägers zu ermitteln und zu gewichten (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14 - juris Rn. 37). Maßgebend ist die aktuelle Situation des Betroffenen (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 - 10 B 18.1094 - juris Rn. 51; B.v. 21.4.2016 - 10 ZB 14.2448 - juris Rn. 5 m.w.N.).
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Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Befristung auf drei Jahre sei noch rechtmäßig, ernstlich zweifelhaft im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wäre. Das Zulassungsvorbringen setzt hier lediglich einmal mehr die Einschätzung des Klägers an die Stelle der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, ohne darzulegen, dass diese rechtlich fehlerhaft wäre.
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3. Auch eine Abweichung des erstinstanzlichen Gerichts von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor.
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Die Darlegung einer Divergenz erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 - 10 ZB 18.2598 - juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 - 10 ZB 18.2660 - juris Rn. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 - 6 B 35.16 - juris Rn. 12 m.w.N).
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Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat - entgegen der Behauptung des Klägers - weder ausdrücklich noch implizit den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, „(e) s „k(ö)nn(e) wegen andauernden Haftaufenthalten und zuzüglich der Aufenthalte zu Therapiezwecken zu keiner schützenswerten Vater-Kind-Beziehung kommen“. Es ist vielmehr unter Zugrundelegung der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei seiner tatrichterlichen Würdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im Einzelfall zu der Auffassung gelangt, die Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Tochter C. sei aufgrund der langen Haft- und Unterbringungszeiten des Klägers erheblich beeinträchtigt gewesen und daher nicht „besonders schutzwürdig“. Soweit sich der Kläger gegen diese Auffassung wendet, macht er der Sache nach lediglich erneut Richtigkeitszweifel im Gewande der Divergenzrüge geltend.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
27
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).