Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.01.2023 – 10 C 22.1885
Titel:

rechtmäßige Ausweisung aus generalpräventiven Gründen

Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 53
Leitsatz:
Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse setzt keine besonders schwerwiegende Straftat voraus.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfebeschwerde, Ausweisung, Generalprävention, Prozesskostenhilfe, Bleibeinteresse
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 01.08.2022 – Au 6 K 22.1156
Fundstelle:
BeckRS 2023, 966

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Kläger ihren in erster Instanz erfolglos gebliebenen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen die vom Beklagten mit Bescheid vom 11. April 2022 (unter der Bedingung des erfolglosen Abschlusses des Asylverfahrens) verfügte Ausweisung weiter.
2
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO), aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage nicht vorlagen.
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Der Senat geht auch zum für die Überprüfung von Ausweisungsentscheidungen maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die vom Beklagten verfügte Ausweisung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Insofern verweist der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
4
Ergänzend sei zum Beschwerdevorbringen ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht überspannt hat. Zwar darf die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, B.v. 28.1.2013 - 1 BvR 274/12 - BVerfGK 20, 187 - juris Rn. 11). Die von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geforderten hinreichenden Erfolgsaussichten liegen jedoch dann nicht vor, wenn die Erfolgschance in der Hauptsache nur eine entfernte ist (vgl. dazu BVerfG, B.v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347 - juris Rn. 25 f.).
5
Gemessen daran konnte das Verwaltungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass die Rechtsverfolgung durch die Klägerin keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet.
6
In rechtlicher Hinsicht ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Verurteilung der Klägerin wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit dem Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen grundsätzlich geeignet ist, ein schwerwiegendes generalpräventives Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG zu begründen. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass ein generalpräventives Ausweisungsinteresse keine besonders schwerwiegende Straftat voraussetzt. Ausreichend ist vielmehr, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten, und dass das Ausweisungsinteresse noch aktuell ist. Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (BayVGH, U.v. 12.10.2020 - 10 B 20.1795 - juris Rn. 33 m.w.N.).
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Ausgehend hiervon sind die Annahmen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen eines hinreichend aktuellen generalpräventiven Ausweisungsinteresses rechtlich nicht zu beanstanden. Der von der Beschwerde monierte Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Statistik zur Verwendung gefälschter Ausweisdokumente bei der Einreise von Ausländern in das Bundesgebiet (BT-Drs. 20/890, S. 15) diente erkennbar nur dem Beleg, dass die Vorlage gefälschter Ausweisdokumente bei deutschen Grenzbehörden in einer signifikanten Anzahl von Fällen vorkommt und ein generalpräventives Ausweisungsinteresse daher tatsächlich bestehen kann. Ob die gefälschten Ausweisdokumente deutschen Behörden bei der Einreise in das Bundesgebiet oder - wie offenbar im Falle der Klägerin - (im Transitbereich) bei der Durchreise durch das Bundesgebiet vorgelegt werden, spielt unter generalpräventiven Gesichtspunkten keine entscheidungserhebliche Rolle.
8
Entgegen der Behauptung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht auch die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse der Klägerin vorgenommen und ist dabei zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse die Bleibeinteressen überwiegt. Die im Asylverfahren geltend gemachten Bleibeinteressen sind bereits durch die aufschiebende Bedingung des erfolglosen Ausgangs des Asylverfahrens hinreichend geschützt (vgl. § 53 Abs. 4 AufenthG). Das Erstgericht hat im Übrigen insbesondere die Bindung der Klägerin an ihren im Bundesgebiet lebenden Bruder sowie die Aufnahme einer Berufsausbildung durch die Klägerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Bei alledem ist auch nicht ersichtlich, dass diese Abwägung im Hauptsacheverfahren - etwa aufgrund einer Beweiserhebung - anders ausfallen könnte. Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht ist weder mit der Beschwerde aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
9
Schließlich bietet die Klage nicht deswegen hinreichende Erfolgsaussichten, weil die Begründung des Ausweisungsbescheids des Beklagten möglicherweise Passagen enthält, die keinen sachlichen Bezug zum Fall der Klägerin aufweisen. Bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, bei der etwaige Begründungsmängel nicht zur Rechtswidrigkeit führen (so auch VGH BW, B.v. 17.9.2018 - 11 S 809/18 - juris Rn. 9 m.w.N.).
10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
11
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).