Titel:
Erfolglose Prozesskostenhilfebeschwerde: polizeiliche Beobachtung
Normenketten:
PAG Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Art. 40 Abs. 1
VwGO § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
StPO § 163e Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Regeln zur polizeilichen Beobachtung bestehen nicht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass das bayerische Landesrecht, anders als das anderer Bundesländer oder das Bundesrecht, die Anordnung der polizeilichen Beobachtung nicht unter einen Richtervorbehalt gestellt hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfebeschwerde, Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung, polizeiliche Beobachtung, Richtervorbehalt, Ausschreibung, Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 02.12.2021 – AN 15 K 18.00142
Fundstelle:
BeckRS 2023, 965
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz überwiegend erfolglosen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine (Fortsetzungs-)Feststellungsklage, mit der er die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Beobachtung seiner Person und Speicherung der entsprechenden Daten feststellen lassen will, weiter.
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Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO), aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage nicht vorlagen.
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Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass die vom Beklagten angeordnete polizeiliche Beobachtung des Klägers im Zeitraum vom 15. Oktober 2014 bis 14. Oktober 2016 rechtmäßig war und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte.
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Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die einfachgesetzlichen formellen und materiellen Voraussetzungen für die erstmalige Anordnung bzw. Verlängerung der polizeilichen Beobachtung auf der Grundlage von Art. 36 Abs. 1 Nr. 1 PAG in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (insbesondere auch die, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben) hätten im Falle des Klägers vorgelegen, verweist der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), zumal der Kläger insoweit keine substantiellen Rügen erhoben hat.
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Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Maßnahme und damit hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die vom Kläger mit der Beschwerde angezweifelte Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Eingriffsgrundlage selbst.
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Ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Regeln zur polizeilichen Beobachtung werden - jedenfalls soweit es nur um die Person des Verdächtigen geht - in Literatur und Rechtsprechung soweit ersichtlich nicht gehegt und bestehen auch von Seiten des Senats nicht. Sie ergeben insbesondere nicht aus dem vom Antragsteller zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016 (1 BvR 966/09 - BVerfGE 141, 220 - juris). Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung war nicht Gegenstand der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht.
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Zunächst spricht nichts Durchgreifendes gegen die Verhältnismäßigkeit des von Art. 36 PAG a.F. ermöglichten Eingriffs in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Jedenfalls die vorliegend einschlägige Ausschreibung „nur“ zur polizeilichen Beobachtung (vgl. zur Ausschreibung zur gezielten Kontrolle nunmehr Art. 40 Abs. 1 Halbsatz 1 Alt. 2 PAG n.F.) entspricht hinsichtlich Ausmaß und Intensität des Eingriffs nicht einer längerfristigen Observation, mit der sich (u.a.) das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung befasst hat. Die polizeiliche Beobachtung unterscheidet sich von der Observation dadurch, dass keine zielgerichtete Beobachtung einer verdächtigen Person erfolgt. Es werden lediglich Zufallserkenntnisse etwa im Rahmen von unabhängig von der polizeilichen Beobachtung stattfindenden polizeilichen Kontrollen bei der ausschreibenden Stelle zusammengeführt, um insbesondere verwendete Reiserouten sowie andere Zusammenhänge und Querverbindungen nachvollziehen zu können (LT-Drs. 17/20425, 58; vgl. zum Ganzen Greifenstein in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK PolR Bayern, Stand: 1.10.2022, Art. 40 PAG Rn. 2; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 6. Aufl. 2023, Art. 40 PAG Rn. 2). Zwar führt die heimliche Durchführung der polizeilichen Beobachtung dazu, dass bisweilen angenommen wird, dass die polizeiliche Beobachtung hinsichtlich der Eingriffsintensität an eine Observation heranreichen kann (Nachweise bei Wellhausen bei Möstl/Weiner, BeckOK PolR Nds., Stand; 1.11.2022, § 37 NPOG Rn. 2). Die Gefahr, dass aufgrund der polizeilichen Beobachtung ein Persönlichkeitsbild der Betroffenen erstellt werden kann, ist allerdings erheblich dadurch gemindert, dass die Wahrscheinlichkeit des Antreffens der Person ohne gezielte Observation eher gering ist (vgl. Müller/Schwabenbauer in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Rn. 996: „in starkem Maße vom Zufall abhängig“) und das Bewegungs- und Persönlichkeitsbild daher lückenhaft bleiben wird. Der damit verbundene vergleichsweise geringere Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen steht nicht von vornherein außer Verhältnis zum Ziel der Abwehr von Gefahren, die von Personen oder Situationen ausgehen, die die einfachgesetzlich normierten tatbestandlichen Voraussetzungen der polizeilichen Beobachtung erfüllen, bei denen also die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten besteht. Verbleibenden Bedenken im Hinblick auf die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme im Einzelfall kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Art. 4 PAG) ausreichend Rechnung getragen werden
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Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass das bayerische Landesrecht, anders als das anderer Bundesländer oder das Bundesrecht (vgl. § 163e Abs. 4 Satz 1 StPO), die Anordnung der polizeilichen Beobachtung nicht unter einen Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. dazu Greifenstein in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK PolR Bayern, Stand: 1.10.2022, Art. 40 PAG Rn. 32). Angesichts der vergleichsweise geringen Eingriffsintensität der polizeilichen Beobachtung ist ein Richtervorbehalt nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfG, U.v. 20.4.2016 - 1 BvR 966/09 - BVerfGE 141, 220 - juris Rn. 174 für kurzfristige Observationen auch mittels Bildaufzeichnungen oder technischer Mittel wie Peilsender).
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Es ist demnach fernliegend, dass das Verwaltungsgericht (oder nachfolgend der Senat) im Hauptsacheverfahren zur der Überzeugung (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG) gelangen wird, dass Art. 36 PAG a.F. verfassungswidrig war und die Klage deshalb Erfolg haben wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).