Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 20.01.2023 – 6 U 45/22
Titel:

Zur Auslegung eines Rechtsmittels als Anschlussberufung

Normenkette:
ZPO § 524 Abs. 4, § 511
Leitsatz:
Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob der Rechtsmittelführer eine Berufung oder eine Anschlussberufung einlegt hat. Dabei ist der Auslegungsgrundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (ebenso BGH BeckRS 2011, 7940). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anschlussberufung, Berufung, Auslegung, Rechtsmittel, Berufungsbegründungsfrist, Antrag
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg vom -- – 23 O 178/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9578

Tenor

Die Anschlussberufung hat mit der Zurückweisung der klägerischen Berufung ihre Wirkung verloren.

Gründe

1
Mit diesem (deklaratorischen) Beschluss wird die kraft Gesetzes (§ 524 Abs. 4 ZPO) eingetretene Wirkung ausgesprochen.
2
Anders als der Beklagte meint ist sein ausdrücklich als „Anschlussberufung“ bezeichneter Rechtsbehelf nicht als „Berufung“ auszulegen.
3
Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob der Rechtsmittelführer eine Berufung oder eine Anschlussberufung einlegt hat. Dabei ist der Auslegungsgrundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 30. April 2003 – V ZB 71/02; Beschluss vom 29. März 2011 – VIII ZB 25/10).
4
Nachdem dem Beklagtenvertreter die klägerische Berufung vom 20.07.2022 (Bl. 151) am 01.08.2022 zugestellt worden war, hat er mit Schriftsatz vom 11.08.2022 erklärt, „Anschlussberufung“ einzulegen (Bl. 159). Dabei hat er die Bezeichnung des Rechtsmittels als „Anschlussberufung“ zentriert im Fettdruck herausgehoben. Weiter hat der Beklagte „im Wege der Anschlussberufung“ die Abweisung der Klage beantragt (Bl. 160). Auch die Erklärung, es werde „mit der Anschlussberufung (…) das weiterverfolgt, was von vornherein angestrebt worden ist, nämlich, dass die von dem Kläger eingereichte Klage insgesamt abgewiesen ist“, deutet auf keine selbstständige Berufung hin: Denn auch in diesem Zusammenhang hebt der Beklagte abermals hervor, dass dies „mit der Anschlussberufung“ erfolgen soll. Alleine die Erklärung, es werde die Klageabweisung insgesamt angestrebt, begründet noch keine selbstständige Berufung. Wäre dies der Fall, verbliebe für die Anschlussberufung kein eigener Anwendungsbereich. Auch mit dieser war das angestrebte Ziel, das er nach Zugang der klägerischen Berufung verfolgte, nämlich die vollständige Klageabweisung, grundsätzlich erreichbar.
5
Anders als in dem vom Beklagten zitierten Beschluss des BGH vom 30. April 2003 (V ZB 71/02) wurde vorliegend das Rechtsmittel als „Anschlussberufung“ und nicht als „selbstständige Anschlussberufung“ bezeichnet. Es findet sich auch kein Hinweis in dem Schriftsatz, dass mit ihm eine Frist gewahrt werden sollte (etwa „Original vorab per Fax“ oder „Original zur Fristwahrung per Fax…“, BGH, Beschluss vom 30. April 2003 – V ZB 71/02; Beschluss vom 29. März 2011 – VIII ZB 25/10). Ein solcher Hinweis hätte nur im Hinblick auf eine (selbstständige) Berufung Bedeutung gehabt. Indes fehlt vorliegend ein entsprechender Anhaltspunkt.
6
Ebensowenig kündigt der Beklagte an, Anträge „innerhalb der Berufungsbegründungsfrist“ zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2003 – V ZB 71/02).
7
Auch der Umstand, dass der Schriftsatz vom 11.08.2022 innerhalb der Berufungsfrist bei dem Oberlandesgericht einging, begründet kein anderes Ergebnis. Wäre allein dieser Umstand maßgeblich, wäre eine Auslegung des Rechtsbehelfs nach den oben genannten Grundsätzen nicht erforderlich.
8
Es verbleibt dabei, dass der anwaltlich vertretene Beklagte nach Erhalt der gegnerischen Berufungsschrift sein Rechtsmittel durchgehend, teils in der äußerlichen Form herausgehoben, und ausschließlich als „Anschlussberufung“ bezeichnet hat. Dafür, dass hier ein anderes als das so bezeichnete Rechtsmittel gewollt war, fehlen durchgreifende Anhaltspunkte.