Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 16.02.2023 – B 9 K 21.1091
Titel:

Baumschutzverordnung, Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Fällung einer Rotbuche, kein atypischer Fall wegen individueller Umstände

Normenketten:
BNatSchG § 20 Abs. 2
BayNatSchG v. 16.07.1986 Art. 12
VwGO § 42 Abs. 2
Schlagworte:
Baumschutzverordnung, Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Fällung einer Rotbuche, kein atypischer Fall wegen individueller Umstände
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9450

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 6. September 2021, mit dem der Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Fällgenehmigung zur Beseitigung einer Rotbuche abgelehnt wurde.
2
Die Klägerin ist Inhaberin eines Nießbrauchsrechts an dem Grundstück …, …, Fl.-Nr. … der Gemarkung …, welches im Eigentum ihres Sohnes steht (vgl. notarielle Urkunde vom 5. November 2001, Bl. 58 bis 62 d. Gerichtsakte). Dieses Grundstück ist im nördlichen Bereich mit einem Wohnhaus und einem Nebengebäude (Carport) bebaut. Von der Eingangstüre des Wohnhauses aus führt ein ca. 1 m breiter und 10 m langer, mit Platten gepflasterter Gartenweg nach Norden zur Grundstücksgrenze. Westlich dieses Weges befindet sich in geringem Abstand eine Rotbuche (vgl. Lichtbilder, Bl. 23 bis 25 d. Behördenakte III). Diese weist in einer Höhe von 100 cm einen Stammumfang von 156 cm auf. An das streitgegenständliche Grundstück schließt im Norden ein ca. 3 bis 3,50 m breiter Weg an (Fl.-Nr. … der Gemarkung …), der, in Nordost-Südwest-Richtung verlaufend, die an ihn angrenzenden Grundstücke verkehrstechnisch erschließt.
3
Mit Schreiben vom 22. Mai 2021 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zur Fällung der o.g. Rotbuche. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass die Buche nahezu das gesamte Jahr umfangreiche Kehrarbeiten auf dem privaten Zufahrtsweg zu Garagen und Stellplätzen erfordere. Im Herbst fielen enorme Laubmengen an, die zum Teil mehrfaches tägliches Kehren erforderten. Vom Herbst bis in den Sommer fielen die Hülsen der Bucheckern zu Hunderttausenden auf den Weg herab. Sie verstopften Dachrinnen und Fallrohre der Garagen und des Carports. Im Frühjahr fielen die Hülsen der Blattknospen, anschließend die Blüten und später die Samen der Buche zu Boden. Diese würden auf dem Zufahrtsweg durch die Pkw plattgefahren und bildeten eine glitschige, schmierige Schicht, sofern sie nicht täglich weggefegt würden. Nach den Samen fielen wieder die Bucheckerhülsen, bis es im Herbst mit dem Laubfall wieder von vorne beginne. Da die Klägerin fast 90 Jahre alt sei, könne sie die Kehrarbeiten nicht mehr selbst erledigen und niemanden finden, der die Arbeiten im notwendigen Umfang übernehme, was vermutlich auch nicht bezahlbar wäre. Da es bereits mehrfach zu Beschwerden der Weg- und Garageneigentümer gekommen sei, bleibe ihr keine andere Wahl, als die Genehmigung für die Fällung des Baumes zu beantragen. Der Sohn der Klägerin und Eigentümer des Grundstücks …, … erklärte sich mit Schreiben vom 22. Mai 2021 mit der Fällung der Rotbuche einverstanden (vgl. Bl. 1 bis 7 d. Behördenakte III).
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Mit Schreiben vom 27. August 2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Antrag nicht genehmigt werden könne, da der Baum gesund, vital und aufgrund seiner Größe besonders schützenswert sei. Der Klägerin wurde eingeräumt, ihren Antrag bis zum 17. September 2021 zurückzuziehen; ansonsten ergehe ein kostenpflichtiger Ablehnungsbescheid (vgl. Bl. 11 f. d. Behördenakte III). Daraufhin äußerte sich die Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2021 und teilte mit, dass sie im letzten Herbst zweimal schwer gestürzt sei und sich deswegen einer schwierigen Operation habe unterziehen müssen. Seither sei sie trotz Reha nur noch mit dem Rollator mobil und leide unter starker Gangunsicherheit. Es zeige sich, dass die Massen von Bucheckersamen, -hülsen, Ästen und Laub den Weg zum Gartentor für sie mit dem Rollator unpassierbar machten. Es sei auch unmöglich organisierbar und zumutbar, dass jedes Mal, bevor sie das Haus verlasse oder zurückkomme, der Weg gekehrt werden müsse. Sie habe große Angst, erneut zu stürzen. Die Sturzgefahr werde auch durch ihren Hausarzt bestätigt (vgl. ärztliches Attest vom 29. August 2021, Bl. 13 bis 15 d. Behördenakte III).
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Mit Bescheid vom 6. September 2021 lehnte die Beklagte den Antrag vom 22. Mai 2021, ergänzt durch Unterlagen vom 4. September 2021, ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Im Geltungsbereich der Verordnung zum Schutz des Baumbestandes innerhalb der Stadt … vom 27. Mai 1993 (Baumschutzverordnung – BaumschutzVO) seien alle Bäume mit einem Stammumfang von mehr als 60 cm geschützt. Ausnahmegenehmigungen für Maßnahmen nach § 4 Abs. 1 BaumschutzVO könnten ausschließlich aufgrund von Tatbeständen des § 5 BaumschutzVO erteilt werden. Die in Betracht kommenden Tatbestände § 5 Abs. 1 sowie Abs. 2 BaumschutzVO müssten im vorliegenden Fall jedoch verneint werden. Zum einen sei die Rotbuche augenscheinlich vital, standfest und stehe an objektiv geeigneter Stelle. Zum anderen seien laut Rechtsprechung Frucht- und Blattabwurf von Bäumen typischerweise ausgehende Lebensäußerungen, die regelmäßig hinzunehmen seien. Sie beträfen auch nur eine bestimmte Vegetationsperiode. Insoweit sei es zumutbar, situationsbedingt verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die Verkehrssicherheit aufrecht zu erhalten. Subjektive Faktoren könnten hier keine Berücksichtigung finden.
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Gegen den Bescheid ließ die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 8. Oktober 2021, durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. September 2021 (Az.: …) zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Genehmigung zur Fällung einer Rotbuche auf ihrem Grundstück, … in …, zu erteilen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vortragen, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft sei. Es liege eine nicht beabsichtigte Härte im Sinne des § 5 BaumschutzVO vor. Die Klägerin sei 90 Jahre alt und lebe seit 67 Jahren in dem Anwesen … in … Die Ablehnung des Antrags auf Fällung des streitgegenständlichen Baumes führe letztendlich dazu, dass die Klägerin aus ihrem Anwesen ausziehen müsste, weil sie den dortigen Gartenweg aufgrund der Beeinträchtigungen durch die Rotbuche mit ihrem Rollator nicht mehr passieren könne. Es gebe für die Klägerin keine Alternativen, um über ihr Grundstück zu gelangen. Der Umstand, dass die Klägerin ihr Anwesen nun verkaufen oder vermieten müsste, stelle definitiv eine nicht hinnehmbare Härte dar. Hinzu komme, dass der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen und medizinischer Sicht dringend geraten werde, nicht aus ihrem eigenen Anwesen auszuziehen. Jeder Umzug und jede örtliche Veränderung wirkten sich negativ auf ihre Gesundheit aus. Neben den Beeinträchtigungen, die von der Rotbuche ausgingen, hätten sich auch die Wegplatten aufgrund der Wurzeln des Baumes massiv angehoben und stellten für die Klägerin eine Gefährdung dar. Für ein gefahrloses Begehen des Weges sei es noch nicht einmal ausreichend, dass der Weg einmal täglich gereinigt werde. Die Klägerin könne dies jedoch nicht selbst leisten und eine dritte Person zur Durchführung dieser Arbeiten könne nicht organisiert werden.
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Mit Schriftsatz vom 5. November 2021 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass nicht ersichtlich sei, warum für die Klägerin eine Beauftragung Dritter zur Reinigung des Gartenweges nicht möglich sein sollte. Der Aussage, dass der Laub- und Fruchtabwurf des betreffenden Baumes eine derartige Dimension annehme, dass nur durch ein täglich besonders häufiges Reinigen des Gartenweges eine, den körperlichen Einschränkungen der Klägerin gerecht werdende, Passierbarkeit des Weges zu erreichen sei, werde entgegengetreten. Unzutreffend sei auch, dass der Klägerin allein bei Fällung des Baumes ein Weiterwohnen im bisherigen Anwesen möglich sei. Schon aufgrund anderer vor Ort vorzufindender Barrieren (beispielsweise einer Stufe nach dem Hauseingang) bestünden berechtigte Zweifel am Vortrag der Klägerin. Überdies seien zumutbare und verhältnismäßige Alternativen zur Baumfällung gegeben. Neben der Beauftragung Dritter komme beispielsweise das Abfangen von herabfallenden Baumbestandteilen durch ein Laubnetz oder -segel in Betracht. Alternativ käme auch eine Umleitung des Weges unter den überdachten Bereich in Frage. Aus den Lichtbildern gehe zudem nicht hervor, dass die Wurzeln des Baumes massiv Wegplatten angehoben hätten. Das durch § 5 BaumschutzVO eingeräumte Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Jedenfalls bestehe aber kein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung, da das Ermessen der Beklagten nicht auf Null reduziert sei. Die Gewährung einer Ausnahmegenehmigung komme nur in atypischen und daher von der Beklagten bei Verordnungserlass erkennbar nicht vorhergesehenen Einzelfällen aufgrund einer Einzelfallprüfung in Betracht. Weder aus dem Vorbringen der Klägerin, noch aus den sonstigen im Laufe des Verwaltungsverfahrens gewonnenen Erkenntnissen lasse sich das Vorliegen einer durch das Fällverbot eintretenden unbeabsichtigten Härte aufgrund erheblicher Beeinträchtigungen in der Nutzbarkeit des Anwesens entnehmen.
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Aufgrund eines Beschlusses vom 27. Oktober 2022 hat die Kammer am 10. November 2022 durch Einnahme eines Augenscheins Beweis erhoben über die örtlichen Verhältnisse im Bereich des Grundstücks …, … (Fl.-Nr. … der Gemarkung …*) und der Umgebung.
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In der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2022 wurden Einigungsmöglichkeiten erörtert, insbesondere wurde die Frage der Anbringung eines Laubnetzes diskutiert. Der Klägerbevollmächtigte erklärte, diese Möglichkeiten mit der nicht anwesenden Klägerin besprechen zu wollen und dem Gericht bis 15. Januar 2023 mitzuteilen, ob eine unstreitige Einigung in Betracht komme. Die Beteiligten verzichteten übereinstimmend auf eine weitere mündliche Verhandlung.
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Mit Schriftsatz vom 13. Januar 2023 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, die Klägerin wünsche eine Entscheidung durch das Gericht.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gem. § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Protokoll zum Augenscheinstermin am 10. November 2022 und dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 24. November 2022 sowie der vorgelegten Behördenakte.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht entscheidet gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahme zur Fällung der streitgegenständlichen Rotbuche hat, der Bescheid vom 6. September 2021 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage des Bescheides der Beklagten vom 6. September 2021 ist die BaumschutzVO der Stadt …, welche von der Beklagten aufgrund von Art. 12 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes in der Fassung vom 16. Juli 1986 (BayNatSchG 1986) i.V.m. Art. 45 Abs. 1 Nr. 4 BayNatSchG 1986 erlassen werden durfte. Anhaltspunkte, die gegen die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der BaumschutzVO sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
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2. Die streitgegenständliche Rotbuche ist von der BaumschutzVO geschützt. Der Baum befindet sich unstreitig in dem durch § 2 BaumschutzVO i.V.m. der Anlage zur BaumschutzVO definierten Schutzgebiet. Zudem weist die Rotbuche einen Stammumfang von 156 cm gemessen in einer Höhe von 100 cm über dem Erdboden (vgl. Protokoll über die Einnahme eines Augenscheins vom 10. November 2022, Bl. 132 d. Gerichtsakte) und damit von weit mehr als 60 cm auf, erfüllt somit also auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BaumschutzVO. Eine Ausnahme von der Unterschutzstellung nach § 3 Abs. 3 BaumschutzVO kommt nicht in Betracht, da die dort genannten Tatbestände offensichtlich nicht vorliegen.
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3. Die von der Klägerin beantragte Fällung der Rotbuche verstößt gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BaumschutzVO. Danach ist es verboten, geschützte Bäume und Ersatzpflanzungen sowie Teile von ihnen ohne Ausnahmegenehmigung der Stadt … zu entfernen, insbesondere – wie hier geplant – zu fällen.
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Die geplante Maßnahme ist auch nicht gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BaumschutzVO von dem Verbot nach Abs. 1 ausgenommen. Demnach ist es erlaubt, notwendige Maßnahmen zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für die Allgemeinheit oder einzelne Personen durchzuführen, wobei jedoch nur die die Gefahr verursachenden Pflanzenteile entfernt werden dürfen. Unmittelbar ist eine Gefahr dann, wenn der Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit, das heißt „fast mit Gewissheit” zu erwarten ist (BVerwG, U.v. 25.6.2008 – 6 C 21/07 – NJW 2009, 98 Rn. 14). Nach diesen Maßgaben ist es nicht ersichtlich, dass von dem streitgegenständlichen Baum derzeit eine unmittelbare Gefahr, sei es durch Laub- und Fruchtfall oder durch Astbruch, ausgehen würde. Vielmehr zeigte sich die Rotbuche beim Augenscheinstermin am 10. November 2022 trotz jahreszeitbedingtem Blattverlust noch immer gut belaubt und befindet sich insgesamt laut Aussage des Baumpflegers in einem gesunden und vitalen Zustand (Bl. 9 d. Behördenakte III).
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4. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme liegen nicht vor. Die Klägerin hat weder gem. § 5 Abs. 1 BaumschutzVO, noch gem. § 5 Abs. 2 BaumschutzVO einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von dem Verbot nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BaumschutzVO.
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a. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BaumschutzVO kann die Ausnahmegenehmigung auf Antrag von der Stadt … – Untere Naturschutzbehörde – erteilt werden, wenn das Verbot zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Genehmigung mit den öffentlichen Belangen im Sinne des BayNatSchG vereinbar ist. Eine Härte kann insbesondere vorliegen, wenn der Bestand oder die Nutzbarkeit eines vorhandenen Gebäudes erheblich beeinträchtigt werden, § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) BaumschutzVO.
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b. Vorliegend fehlt es bereits an einer offenbar nicht beabsichtigten Härte im Sinne der Norm. Insbesondere hat die streitgegenständliche Rotbuche keine erheblichen negativen Auswirkungen auf den Bestand oder die Nutzbarkeit des Gebäudebestandes auf dem Grundstück …, … Entsprechendes ist weder Gegenstand des klägerischen Vortrags, welcher sich v.a. auf die Nutzbarkeit des Gartenwegs zum Wohnhaus konzentriert, noch konnten derartigen Beeinträchtigungen beim Augenscheinstermin festgestellt werden.
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Darüber hinaus erfassen die in Baumschutzsatzungen oder -verordnungen geregelten Befreiungstatbestände ausschließlich atypische Fallgestaltungen. Deshalb kommt eine Befreiung regelmäßig nicht in Betracht bei typischerweise von Bäumen ausgehenden Belastungen wie etwa Schattenwurf, Laubfall, Samenflug oder Beeinträchtigungen durch Wurzeln, soweit nicht der Grad einer Gefahr erreicht wird. Eine unbeabsichtigte Härte liegt danach allenfalls dann vor, wenn die Beeinträchtigungen ein Ausmaß erreichen, mit dem bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist und dadurch die jeweilige Grundstücksnutzung unzumutbar eingeschränkt wird (VG Gelsenkirchen, U.v. 15.12.2020 – 6 K 4/19 – juris Rn. 29 rek. auf OVG NRW, U.v. 13.9.1995 – 7 A 2646/92, B.v. 13.2.2003 – 8 A 5373/99 – juris Rn. 15; VG München, U.v. 14.5.2012 – 8 K 11.2134 – juris – Rn. 44 f. m.w.N.). Die Beeinträchtigungen müssen jedenfalls deutlich über das Maß bloßer Belästigungen hinausgehen. Beachtlich sind weiter nur solche Beeinträchtigungen, deren potentiell die Wesentlichkeitsschwelle überschreitenden Folgewirkungen nicht mit Schutzmaßnahmen begegnet werden kann (VG München, U.v. 14.5.2012 – 8 K 11.2134 – juris Rn. 44).
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Bei der Entscheidung über die ausnahmsweise Zulassung eines Fällens schutzwürdiger Bäume kommt es nicht auf individuelle (subjektive) Umstände, wie etwa persönliche, finanzielle, familiäre oder gesundheitliche Bedingungen des Betroffenen an. Eine offenbar nicht beabsichtigte Härte ist bodenbezogen und nicht personenbezogen zu ermitteln (BayVGH, U.v. 25.4.2012 – 14 B 10.1750 – BeckRS 2012, 52928 – Rn. 50 m.w.N.).
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Unter Anwendung dieser Maßgaben stellen die hier im Raum stehenden Belastungen, die von der streitgegenständlichen Rotbuche ausgehen, eine typische Erscheinung dar, mit der bei jeglichem und damit auch innerörtlichem Baumbestand grundsätzlich stets zu rechnen ist. Die Kammer verkennt keineswegs, dass die Laubmengen und die Fülle der herabfallenden Bucheckern für die Klägerin angesichts ihres hohen Alters und ihres Gesundheitszustands besonders lästig und beeinträchtigend sind, gleichwohl begründen diese subjektiven Umstände für sich genommen keineswegs die Annahme eines atypischen Falles.
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Zwar ist zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Rotbuche durchaus erhebliche Mengen an Laub produziert, welche auch von Seiten der Beklagten beim Augenscheinstermin als vergleichsweise groß eingeordnet wurden (vgl. dazu Protokoll über die Einnahme eines Augenscheins vom 10. November 2022, Bl. 132 d. Gerichtsakte). Zudem verfügt eine Rotbuche der naturschutzfachlichen Auskunft zufolge typischerweise über sehr festes Laub, sodass der natürliche Abwurf des Laubes relativ spät einsetzt und sich dann auch bis in den Winter hineinzieht. Es ist also anzunehmen, dass die von Rotbuchen typischerweise ausgehenden Beeinträchtigungen durch jahreszeitbedingten Laub- und Fruchtverlust etwas stärker einzuschätzen sind – als bei anderen Laubbaumarten. Dennoch beschränkt sich auch hier die Phase des verstärkten Anfalls von Pflanzenmaterial auf den Spätherbst und den beginnenden Winter. Während des restlichen Jahres ist hingegen bei einem gesunden und vitalen Baum – wie hier – mit nur geringen Beeinträchtigungen entsprechender Art zu rechnen. Demnach beschränkt sich zum einen eine etwaige Notwendigkeit zur regelmäßigen Reinigung des Fußweges zum Wohnhaus der Klägerin auf einen begrenzten Zeitraum im Jahresverlauf. Zum anderen handelt es sich dabei auch um die Jahreszeit, in der sich Menschen typischerweise ohnehin weniger im Garten bzw. allgemein im Freien aufhalten. In diesem Zusammenhang bleibt nach dem Vortrag der Klägerseite insbesondere auch ungeklärt, warum es nicht organisierbar bzw. zumutbar ist, den Gartenweg durch einen Reinigungsdienst säubern zu lassen. Hinzu kommt, dass der sich neben der Rotbuche befindliche Gartenweg zwar nach Aussage des Klägerbevollmächtigten überwiegend von der Klägerin genutzt wird, um zum Haus zu gelangen (vgl. Protokoll über die Einnahme eines Augenscheins vom 10. November 2022, Bl. 132 d. Gerichtsakte). Gleichwohl nutzt die Klägerin wohl auch den längeren Weg auf der anderen Seite des Hauses. In diesem Zusammenhang wurde jedenfalls nicht vorgetragen, dass der andere Weg für die Klägerin – etwa aufgrund der weiteren Entfernung – nicht nutzbar ist.
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Darüber hinaus sind durchaus auch technische Vorrichtungen bzw. Hilfsmittel denkbar, die die Ansammlung von Pflanzenteilen auf dem Fußweg bereits von vorneherein weitgehend vermeiden können. In Frage kommt hier insbesondere die Anbringung eines Laubfangnetzes zwischen der Rotbuche auf der einen Seite des Weges und dem Carport auf der anderen Seite, sodass der Fußweg im Kronenbereich des Baumes wohl nahezu vollständig mit dem Netz überspannt werden könnte. Abhängig von der Maschengröße könnten so jedenfalls die Blätter und unter Umständen auch die Fruchtkörper des Baumes aufgefangen werden. Somit kann den Folgewirkungen des Laubfalls also durchaus mit Schutzmaßnahmen begegnet werden (dazu auch VG München, U.v. 14.5.2012 – 8 K 11.2134 – juris Rn. 44 f.), die sich zudem in einem finanziell überschaubaren Rahmen halten. Hierzu führte der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung aus, dass die Materialkosten für ein hinreichend engmaschiges Netz mit 12,00 EUR pro m² zu kalkulieren seien, wobei schätzungsweise eine Fläche von 7 bis 10 m² überspannt werden müsste (Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 24. November 2022, Bl. 150 d. Gerichtsakte).
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Schließlich wird auch durch die von der Klägerin vorgetragene Beeinträchtigung der Wurzeln der Rotbuche durch angebliches Anheben der Platten auf dem Gartenweg der Grad einer Gefahr nicht erreicht (zur Annahme einer Gefahr bei in einen Kanal eingewachsenen Baumwurzeln vgl. VG Düsseldorf, U.v. 10.11.2011 – 11 K 1775/10 – juris Rn. 15 ff.). Es ist bereits hinreichend unwahrscheinlich, dass der unebene Zustand der Platten auf dem Gartenweg auf die Wurzeln der Rotbuche zurückzuführen ist. Zum einen trägt der Baumpfleger mit Schreiben vom 9. September 2022 (Bl. 143 d. Gerichtsakte) vor, dass gegen die Anhebung der Gehwegplatten durch die Seitenwurzeln der Rotbuche das verhältnismäßig geringe Alter des Baumes spreche, weil die Buche erst im hohen Alter einen sehr starken Wurzelanlauf ausbilde. Hinzu komme, dass in der hiesigen Gegend ein eher sandiger Boden vorzufinden sei, was die Buche dazu veranlasse, eher in die Tiefe zu wurzeln. Zum anderen befinden sich die Gehwegplatten auf dem breiteren Weg, der das Wohnhaus auf nordost-südwestlicher Richtung hin zur … erschließt, in einem ähnlichen unebenen Zustand, ohne dass dies auf die streitgegenständliche Rotbuche zurückzuführen wäre.
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c. Im Übrigen handelt es sich bei § 5 Abs. 1 BaumschutzVO um eine Regelung, die der Behörde bei ihrem Handeln Ermessen einräumt, welches sie entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat, Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG). Das Gericht ist gem. § 114 Satz 1 VwGO nur zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung ermächtigt; es ist auf die Nachprüfung beschränkt, ob das Ermessen rechtmäßig, nicht auch, ob es zweckmäßig ausgeübt wurde (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 1). Ein Anspruch dahingehend, dass die Beklagte von ihrem Ermessen genau in der Art und Weise Gebrauch macht, wie die Klägerin dies wünscht, käme vor diesem Hintergrund nur in Betracht, wenn trotz der rechtlich gegebenen Ermessensfreiheit der Behörde im Einzelfall praktisch nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung in Betracht kommen kann. Das ist der Fall, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten (BVerwG, U.v. 15.7.1987 – 4 C 56/83 – NJW 1988, 434; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 32). Selbst wenn man aber entgegen den Ausführungen unter b. vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der offenbar nicht beabsichtigten Härte i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BaumschutzVO ausginge, ist nicht ersichtlich, dass dieser ausschließlich mit der Entfernung des Baumes und nicht auch mit milderen Mitteln – wie etwa der Errichtung eines Laubnetzes – ermessensfehlerfrei begegnet werden könnte.
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5. Daneben ergibt sich auch kein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung gem. § 5 Abs. 2 BaumschutzVO. Dies wäre nur der Fall, wenn aufgrund anderer Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Genehmigung eines Vorhabens besteht, dessen Verwirklichung ohne eine Entfernung, Zerstörung oder Veränderung von Bäumen nicht möglich ist und das Vorhaben dem Schutzzweck dieser Verordnung nicht widerspricht oder eine unvermeidbare Beeinträchtigung des Schutzzweckes durch Auflagen oder Bedingungen ausgeglichen werden kann (Nr. 1) oder ein Baum aufgrund einer Erkrankung schwere Schäden aufweist und seine Erhaltung mit zumutbarem Aufwand nicht möglich oder im öffentlichen Interesse nicht geboten ist (Nr. 2). Die Tatbestände beider Nummern liegen jedoch offensichtlich nicht vor, insbesondere stellt sich die Rotbuche als gesund, vital und unbeschädigt dar.
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II. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens gem. § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
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III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 i.V.m. § 709 Satz 2 und § 711 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).