Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 13.04.2023 – B 7 K 22.31218
Titel:

Erfolglose Klage gegen ablehnenden Bescheid im asylrechtlichen Folgeverfahren

Normenketten:
VwGO § 101 Abs. 2
AsylG § 3, § 4, § 31 Abs. 3 S. 1 S. 3, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, 7 S. 1
Leitsatz:
Soweit man von einer tatsächlich gelebten Kernfamilie ausgeht, ist die gesamte gelebte Kernfamilie in die Rückkehrprognose einzubeziehen, und zwar selbst dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie – wie hier der Ehefrau und dem Sohn – ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Folgeverfahren Äthiopien, Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch Urteil, gelebte Kernfamilie, Inanspruchnahme von Rückkehrhilfen, Berücksichtigung innerstaatlicher Vollstreckungshindernisse bei Erlass einer Abschiebungsandrohung, Streitgegenständlichkeit einer Rückkehrentscheidung im Folgeverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9444

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   

Tatbestand

1
Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger mit amharischer Volks- und christlicher Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 15.10.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27.10.2016 einen Asylantrag.
2
Mit Bescheid vom 11.04.2017 (Gz.: ...) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag ab und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Äthiopien an. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 05.09.2018 (Az.: B 7 K 17.33349) ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der BayVGH mit Beschluss vom 08.04.2019 (Az.: 8 ZB 18.32811) ab.
3
Am 26.09.2019 stellte der damalige Bevollmächtigte des Klägers einen Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG, den das Bundesamt mit Bescheid vom 21.01.2019 (Gz.: ...) ablehnte. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 26.08.2020 (Az.: B 7 K 19.31596) ab.
4
Einen weiteren Wiederaufgreifensantrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vom 05.07.2021 lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 27.09.2021 (Gz.: ...) ab.
5
Bei der Ehefrau des Klägers wurde mit Bescheid vom 08.04.2021 (Gz.: ...) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens festgestellt. Bezüglich des im Jahr 2021 geborenen Sohnes des Klägers wurde mit Bescheid vom 02.02.2022 (Gz.: ...) ebenfalls ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens festgestellt.
6
Am 14.02.2022 stellte der Kläger einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
7
Zur Folgeantragsbegründung führte der Kläger im Wesentlichen aus, in Äthiopien gebe es momentan große Probleme. Die Gründe seien ethnische Diskriminierung und religiöse Probleme. Besonders sei die ethnische Diskriminierung, das Massaker an ethnischen Amharen und die Verbrennungen der Kirchen. Wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit zu den Amharen werde er unterdrückt. Dies habe er selbst erlebt. Weiterhin wolle er in Deutschland bei seiner Frau und seinem Kind bleiben.
8
Mit Schreiben vom 07.04.2022 bzw. 07.07.2022 verwies die Bevollmächtigte des Klägers auf dessen Ehefrau und Kind, welche über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügten. Ferner wurde eine Stellungnahme des Jugendamts am Landratsamt … vom 01.09.2022 vorgelegt, wonach eine gemeinsame Unterbringung der Familie befürwortet werde. Die Bevollmächtigte des Klägers verwies zudem auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.06.2022 (Az.: 1 C 24.21). Die dortigen Ausführungen seien vorliegend analog anzuwenden. Bei einer Rückkehrentscheidung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger ein Kleinkind habe, das ein Aufenthaltsrecht besitze. Die Vaterschaft sei anerkannt. Eine gemeinsame Sorgerechtserklärung liege vor und es bestünde auch eine schützenswerte Vater-Sohn-Beziehung. Eine Ausreise des Kindes nach Äthiopien komme nicht in Betracht. Die Trennung sei unzumutbar, so dass ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu bejahen sei.
9
Mit Bescheid vom 06.12.2022 wurde der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Unter Ziffer 2 des Bescheids wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 11.04.2017 (Gz.: ...) bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ebenfalls abgelehnt.
10
Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, der Antrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht gegeben seien. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Folgeverfahrens nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren sei gem. § 71 Abs. 1 AsylG nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien, folglich Wiederaufgreifensgründe gegeben seien. Gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG müsse sich entweder die Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers geändert haben (Nr. 1) oder es müssten neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder es müssten Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). In unionskonformer Auslegung müssten neue Elemente oder Erkenntnisse zu Tage getreten oder vorgebracht worden seien, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Kläger nach Maßgabe der RL 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen sei. Neu seien solche Elemente und Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten seien, sowie Elemente oder Erkenntnisse, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber vom Kläger nicht geltend gemacht worden seien. § 51 Abs. 1 VwVfG fordere einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet sein dürfe, zur Asylberechtigung oder Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen. Demzufolge sei ein schlüssiger Vortrag, der eine günstigere Entscheidung möglich erscheinen lasse, ausreichend. Vorliegend sei jedoch kein neuer Sachvortrag gegeben. Der Kläger trage nur oberflächlich die allgemeine Lage vor und gebe an, als Amhare von Verfolgung bedroht zu sein. Es fehle jedoch jeglicher Bezug zu seiner Person und ein Vortrag, warum gerade er davon ausgehe, Opfer einer solchen Verfolgung zu werden. Eine Gruppenverfolgung von Amhara sei ebenfalls nicht gegeben (wird umfassend ausgeführt). Auch die Ausführungen des Jugendamts könnten nicht zu einer anderen Beurteilung führen, da diese im vorliegenden Verfahren als nicht asylrelevant zu bewerten seien. Eine Sach- bzw. Rechtslagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sei somit nicht gegeben. Auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 und 3 VwVfG seien nicht erfüllt.
11
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien vorliegend ebenfalls nicht gegeben. Soweit das Bundesamt im ersten Asylverfahren unanfechtbar festgestellt habe, dass Abschiebungsverbote nicht bestünden, sei im Rahmen einer erneuten Befassung mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Folgeantragsverfahren zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG gegeben seien. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG seien – wie bereits im Rahmen des Folgeantrags dargestellt – nicht erfüllt. Es liege kein neuer Sachvortrag vor. Die Vaterschaft bzw. die Aufenthaltserlaubnisse seien bereits Thema eines Wiederaufgreifensverfahrens gewesen. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Änderung der bisherigen Entscheidung zu § 49 VwVfG rechtfertigen würden, seien ebenfalls nicht ersichtlich. Selbst wenn man die familiären Verbindungen erneut prüfe, komme man zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit sei zunächst festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Abschiebungsverboten sowohl bei der Ehefrau, als auch beim Sohn des Klägers, nicht mehr vorliegen dürften. So sei das VG Bayreuth im Urteil vom 05.02.2021 im Verfahren der Ehefrau des Klägers (Gz.: ...) davon ausgegangen, dass es sich bei dieser um eine „alleinstehende“ Frau handele. Dem Gericht sei somit zum Urteilszeitpunkt die vorgetragene Heirat offensichtlich nicht bekannt gewesen. Dies habe nach Auffassung des Bundesamts zur Folge, dass – aus jetziger Sicht betrachtet – die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgelegen haben dürften. Nach den im hiesigen Verfahren vorgelegten Unterlagen seien die beiden seit dem Jahr 2020 verheiratet und führten auch nach wie vor eine eheschaftliche Beziehung und kümmerten sich gemeinsam um das Kind. Gleiches gelte für das zuerkannte Abschiebungsverbot des Sohnes des Klägers (Gz.: ...). Dort sei nach der Ablehnung des Asylantrags im Klageverfahren vorgetragen worden, es bestehe keinerlei Kontakt zum Kindsvater. Auch dies widerspreche den nun vorgelegten Angaben, wonach sich der Kläger im hiesigen Verfahren um sein Kind kümmere, es jeden Tag besuche und eine intakte Vater-Kind-Beziehung bestünde. Auch damit dürften die Voraussetzungen, unter denen dem Sohn ein Abschiebungsverbot gewährt worden sei, nicht mehr vorliegen. Die Familie könne daher gemeinsam nach Äthiopien zurückkehren. Bei der Rückkehr nach Äthiopien könne im allgemeinen von der Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden (wird umfassend ausgeführt). Der Kläger sei gesund und arbeitsfähig und sei bereits vor seiner Ausreise in der Lage gewesen, selbstständig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er und seine Familie müssten sich darauf verweisen lassen, dass sie noch über einige Verwandte im Heimatland verfügten, welche sie zumindest übergangsweise finanziell unterstützen könnten. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass die Familie im Heimatland nicht mindestens das Existenzminimum erreichen könnte. Hinzu komme, dass im Falle einer freiwilligen Rückkehr nach Äthiopien finanzielle Unterstützung aus verschiedenen Programmen beantragt werden könnte, die es erleichtere, die Übergangszeit bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu überbrücken. Dass sich die Situation aufgrund der „Corona-Pandemie“ und der Heuschreckenplage sowie Überschwemmungen verschärft habe, ergebe sich weder aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen hinreichend konkret, noch sei dies anderweitig ersichtlich. Vor diesem Hintergrund sei kein Abschiebungsverbot zu gewähren.
12
Mit Schriftsatz vom 20.12.2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragt,
1.
Der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2022, Gz.: …, wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird hilfsweise verpflichtet festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
13
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Sohn und die Lebensgefährtin des Klägers seien im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, da bei beiden Abschiebungsverbote festgestellt worden seien. Dies sei der Beklagten bekannt. Diese Tatsache in Verbindung mit dem Umstand, dass der Kläger eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung zu seiner Tochter aufgebaut habe, stelle einen neuen Sachverhalt dar. Auch im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.06.2022 (Az.: 1 C 24.21) müsse bei der Entscheidung berücksichtigt werden, dass weder für die Lebensgefährtin, noch für den Sohn eine Rückkehr nach Äthiopien zumutbar und rechtlich möglich sei. Die Voraussetzungen für einen Widerruf bei Sohn und Lebensgefährten seien ebenfalls nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Entscheidung habe kein Kontakt mehr mit dem hiesigen Kläger bestanden. Die damalige Entscheidung über die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Äthiopiens sei damals richtig gewesen und sei es auch heute noch. Es liege ebenfalls keine in Deutschland anerkannte Heirat vor, lediglich eine traditionelle.
14
Mit Schriftsatz vom 27.12.2022 beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
16
Mit Beschluss der Kammer vom 13.02.2023 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
17
Mit Schriftsatz vom 16.02.2023 erklärte sich die Beklagte mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Der Klägerbevollmächtigen wurde mit gerichtlichem Schreiben mitgeteilt, dass das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG beabsichtige, im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde daraufhin nicht gestellt.
18
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Gerichts- und Behördenakten der früheren Asylverfahren des Klägers und seiner Ehefrau bzw. seines Sohnes wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe

19
I. Über die Klage kann das Gericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden. Die Beklagte erklärte sich mit Schriftsatz vom 16.02.2023 mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Prozessbevollmächtigte des Klägers wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 13.03.2023 informiert, dass das Gericht nach dem neugefassten § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG beabsichtigt, über die Klage im schriftlichen Verfahren durch Urteil zu entscheiden. In diesem Zusammenhang wurde die Klägerbevollmächtigte auch auf § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG hingewiesen, wonach auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden muss (§ 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG). Die Klägerseite hat jedoch weder bis zum Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist (31.03.2023) noch bis zum Zeitpunkt des Urteilerlasses die mündliche Verhandlung beantragt (vgl. hierzu auch VG Gießen, U.v. 21.2.2023 – 8 K 218/22.GI.A – juris; Redeker in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.01.2023, § 77 AsylG Rn. 4a ff.). Im Übrigen sind auch die weiteren Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG gegeben, da es sich vorliegend um keinen Fall des § 38 Abs. 1 AsylG bzw. des § 73b Abs. 7 AsylG handelt und der Kläger anwaltlich vertreten ist.
20
II. Die zulässige Klage (isolierte Anfechtungsklage und hilfsweise Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) bleibt ohne Erfolg. Die angegriffene Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheides) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zudem besteht kein (hilfsweiser) Anspruch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21
1. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist zudem nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
22
Gemessen hieran hat die Beklagte den Asylfolgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Insoweit nimmt das Gericht zunächst Bezug auf den angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 3 AsylG). Auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist kein Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 VwVfG zugunsten des Klägers glaubhaft gemacht.
23
a) Die Sach- oder Rechtslage hat sich nicht nachträglich zugunsten des Klägers geändert.
24
aa) Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG ist ein weiteres Asylverfahren dann durchzuführen, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sachlage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat, d.h. wenn der Asylbewerber eine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder der Lebensbedingungen im Heimatland oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der Sachlage, die der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegt war, glaubhaft und substantiiert vorträgt. Für die Zulässigkeit des Folgeantrags genügt schon, dass aufgrund der geänderten Sachlage nunmehr die Möglichkeit besteht, für den Asylbewerber eine günstigere Entscheidung herbeizuführen (vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Auflage 2022, § 71 AsylG Rn. 24; Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 71 Rn. 247; BVerfG, B.v. 4.12.2019 – 2 BvR 1600/19 – juris). Im Rahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist hingegen grundsätzlich nicht von Bedeutung, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Asylbewerbers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheint und die Annahme einer relevanten Verfolgung gerechtfertigt ist. Diese Prüfung hat erst im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen. Lediglich wenn das Vorbringen des Asylbewerbers zwar glaubhaft und substantiiert ist, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zur Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt bzw. die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2019 – 2 BvR 1600/19 – juris).
25
Wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zutreffend vorträgt, hat der Kläger bereits nicht annähernd eine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder der Lebensbedingungen in Äthiopien bzw. der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu früheren Asylverfahren glaubhaft dargelegt. Insoweit führte der Kläger gegenüber dem Bundesamt lediglich aus, bevor er sein Land verlassen habe und auch momentan gebe es große Probleme. Die Gründe seien ethnische Diskriminierung und religiöse Probleme. Besonders sei die ethnische Diskriminierung, das Massaker an ethnischen Amharen und die Verbrennungen der Kirche. Wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit zu Amharen werde er unterdrückt. Mit diesem Vortrag erklärt der Kläger selbst, dass es die von ihm geschilderten „Probleme“ bereits seit längerem gibt und diese insbesondere schon vorhanden gewesen sind, als er noch in Äthiopien gelebt hat. Inwieweit sich diese Probleme derart „verschärft“ haben sollen, dass ihm nunmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG bzw. eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen sollte, ist nicht annähernd dargelegt und für das Gericht auch nicht anderweitig ersichtlich. Der den Folgeantrag des Klägers betreffende Sachvortrag beschränkt sich vielmehr auf allgemeine und pauschale Floskeln, die keinerlei konkret individuelle Betroffenheit im Sinne der internationalen Schutzberechtigung erkennen lässt. Im Übrigen hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Kläger als amharischen Volkszugehörigen in Äthiopien ersichtlich auch keine Gruppenverfolgung droht. Nach der aktuellen Rechtsprechung (vgl. beispielsweise VG Gießen, U.v. 27.1.2023 – 6 K 2160/19.GI.A – juris) droht gegenwärtig nicht einmal tigrinischen Volkszugehörigen in Äthiopien die sogenannte Gruppenverfolgung, so dass eine derartige Verfolgung für die beiden großen Volksgruppen der Oromos und Amharen erst recht ersichtlich nicht in Betracht kommt.
26
Der Verweis auf die Ehefrau und den Sohn des Klägers, denen in Deutschland inzwischen jeweils ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG aus humanitären Gründen zuerkannt wurde, ist jedenfalls von Vorneherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet, dem Kläger zur Asylberechtigung bzw. zur Zuerkennung des internationalen Schutzes zu verhelfen. Insbesondere kann bei bloßer Zuerkennung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG kein „Familienflüchtlingsschutz“ gemäß § 26 AsylG abgeleitet werden. Auch der Vortrag, dass der Kläger inzwischen zu seiner Tochter eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung aufgebaut hat, ist asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich und damit im Rahmen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG irrelevant.
27
b) Anhaltspunkte für eine Rechtslagenänderung im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG zugunsten des Klägers bzw. Wiederaufnahmegründe nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG sind weder vorgetragen noch annähernd anderweitig ersichtlich, so dass die Beklagte den Folgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt hat.
28
2. Der Kläger hat ferner keinen (hilfsweisen) Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
29
Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist u.a. in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge – wie vorliegend nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 AsylG – festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Von der Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, kann jedoch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen (§ 31 Abs. 3 Satz 3 AsylG).
30
Vorliegend hat zwar die Beklagte unter Ziff. 2 des Tenors lediglich den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 11.04.2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt und diese Entscheidung auf S. 5 des Bescheides (zunächst) damit begründet, dass die Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht vorliegen. Gleichwohl hat die Beklagte im Anschluss dennoch eine unbeschränkte materielle Prüfung der zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorgenommen und ausgeführt, dass eine Abänderung der bisherigen Entscheidung auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht gerechtfertigt sei (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 3.4.2017 – 1 C 916 – juris; Berlit, Anmerkung zum B.v. 3.4.2017 – 1 C 9/16 vom 10.7.2017, jurisPR-BVerwG, 114/2017, Anm. 1 – juris). Dementsprechend hat die Beklagte im Ergebnis gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG derzeit auch der Sache nach nicht vorliegen. Dieser Feststellung ist die Klägerseite in prozessual zulässiger Weise mit dem (hilfsweisen) Verpflichtungsbegehren auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote entgegengetreten.
31
Auch für das Gericht in der hier maßgeblichen Verpflichtungssituation im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots erkennbar.
32
a) Dem Kläger steht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
33
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere darf gemäß Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Zwar kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG auch aus humanitären Gründen in Betracht. Soweit ein Abschiebungsverbot auf humanitäre Gründe gestützt wird, ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG jedenfalls ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, sind liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, B.v. 22.9.2020 – 1 B 39.20 – juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547). Dies ist der Fall, wenn der Schutzsuchende seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält oder sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre psychische oder physische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist bereits dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können, wobei zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten auch Tätigkeiten zählen, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden können, selbst wenn diese Bereiche der so genannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angehören (BVerwG, B.v. 19.1.2022 – 1 B 83/21 – juris; BayVGH, B. v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547). Die Existenzsicherung muss nicht nachhaltig sein, und die Gefahr einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung eintritt, dass sie dieser noch zugerechnet werden kann (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris). Maßstab für die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit, d.h. bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose muss aufgrund einer sorgfältigen Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls mehr für als gegen die Annahme sprechen, der Betreffende werde bei seiner Rückkehr einer Behandlung im oben dargelegten Sinne ausgesetzt sein (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – juris, BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547; VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.31001).
34
Gemessen an diesem Maßstab ist beim Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die gegenwärtig schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen.
35
Vorliegend kann dahinstehen, ob gegenwärtig eine „gelebte Kernfamilie“ bestehend aus dem Kläger, seiner traditionell angetrauten Ehefrau und dem im Jahr 2021 geborenen gemeinsamen Kind besteht. Nach den Ausführungen in der Klageschrift vom 20.12.2022 hat der Kläger inzwischen eine Vater-Kind-Beziehung zu seiner „Tochter“ (wohl gemeint zum Sohn …, geboren am ...) aufgebaut. Ferner wohnt der Kläger seit 01.04.2023 in … mithin also nunmehr am Wohnort der „Ehefrau“ und des Sohnes. Andererseits verweist die Bevollmächtigte des Klägers in der Klageschrift im Zusammenhang mit den Abschiebungsverboten für die Ehefrau und des Sohnes des Klägers darauf, dass keine in Deutschland anerkannte, sondern lediglich eine traditionelle Ehe vorliege, so dass die Feststellung von Abschiebungsverboten bei Ehefrau und Sohn trotz der Heirat weiterhin gerechtfertigt sei. Mit anderen Worten scheint die Klägerbevollmächtigte insoweit durchblicken zu lassen, dass sie die Versorgung der Ehefrau und des Sohnes bei deren hypothetischer Rückkehr nach Äthiopien durch den hiesigen Kläger in Frage stellt.
36
Soweit man von einer tatsächlich gelebten Kernfamilie ausgeht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris) die gesamte gelebte Kernfamilie in die Rückkehrprognose einzubeziehen, und zwar selbst dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie – wie hier der Ehefrau und dem Sohn – ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist. Legt man eine gelebte Kernfamilie bestehend aus dem Kläger, seiner im Jahr 1992 geborenen Frau und den im Jahr 2021 geborenen Sohn zugrunde, ist für das Gericht nicht annähernd ersichtlich, dass die kleine Familie ihr absolutes Existenzminimum in Äthiopien nicht sichern könnte. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat für Äthiopien eine überdurchschnittliche Schulbildung, indem er die Schule bis zur 12. Klasse besucht hat. Nach Angaben gegenüber dem Bundesamt hat er zwar keinen Beruf erlernt, er ist aber beim Militär gewesen. Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, in Äthiopien einer Erwerbstätigkeit – auch einer schlichten Hilfstätigkeit – nachzugehen, um für sich und seine kleine Familie zu sorgen. Daneben gab der Kläger in seinem Erstverfahren am 10.11.2016 gegenüber dem Bundesamt an, dass er in Äthiopien noch seinen Vater, einen Onkel und eine Tante habe, so dass gerade in der Anfangszeit oder in Notsituationen auch aus der Großfamilie mit entsprechender Unterstützung gerechnet werden kann. Die Ehefrau des Klägers hat die Schule bis zur 9. Klasse besucht. In Ägypten hat sie Berufserfahrung als Altenpflegerin und Hausmädchen gesammelt. Daneben verfügt die Ehefrau noch über Brüder und Schwestern in Äthiopien bzw. in Australien, so dass nach allgemeiner Lebenserfahrung gegebenenfalls auch aus dem Ausland mit Unterstützung in Notsituationen gerechnet werden kann. Selbst wenn der Ehefrau aufgrund der Kinderbetreuung nur eine eingeschränkte Erwerbsmöglichkeit offen stünde, kann jedenfalls durch die Erwerbsfähigkeit des Klägers das Existenzminimum der Familie sichergestellt werden. Insbesondere handelt es sich um eine für äthiopische Verhältnisse „sehr kleine“ Familie. Auch andere Familien mit deutlich mehr Kindern können und müssen in Äthiopien durch eigene Arbeitskraft und eigene Bemühungen für ihren Lebensunterhalt sorgen.
37
Wenn man davon ausgeht, dass keine gelebte Kernfamilie besteht, ist bei der hypothetischen Rückkehrprognose allein auf den hiesigen Kläger abzustellen. Dieser ist – wie bereits ausgeführt – jung, gesund und erwerbsfähig. Ferner kann er auf familiären Rückhalt zurückgreifen. Damit ist es dem hiesigen Kläger erst recht möglich und zumutbar, für sich alleine in Äthiopien das absolute Existenzminimum zu sichern.
38
Bezugnehmend auf die Auskunftslage gibt es nämlich keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen u.a. durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, Dürre-/Überschwemmungsereignisse, den Tigray-Konflikt und die Heuschreckenplage sowie jüngst des Russland-Ukraine-Kriegs – gegenwärtig außerhalb der Tigray-Region und angrenzender Gebiete des nördlichen Äthiopiens derart desolat wäre, dass dem Kläger (und ggf. seiner Familie) der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten. Eine solche Zuspitzung der Situation ist bei Niederlassung außerhalb des Krisenherdes in Nordäthiopien nicht anzunehmen. Der Kläger ist zwar Amhare, hat aber sich aber zeitlebens im Raum Debre Zeyit südöstlich von Addis Abeba in der Oromo-Region aufgehalten. Seine Ehefrau stammt aus Addis Abeba und damit auch nicht aus der „Krisenregion“. Daher ist davon auszugehen, dass sich der Kläger bzw. seine Familie bei einer hypothetischen Rückkehr in diesen Gegenden niederlassen wird. Es ist auch zu würdigen, dass erhebliche Hilfsgelder – nicht zuletzt auch von Deutschland – bereitgestellt werden. Allerdings trifft es durchaus zu, dass der Konflikt im Tigray nicht ohne Auswirkungen auf die anderen Regionen in Äthiopien bleibt, so etwa durch Binnenfluchtbewegungen. Es gibt jedoch keine belastbaren Hinweise, dass sich die humanitäre Lage in den anderen Regionen in Äthiopien aktuell als derart prekär darstellen würde, dass bei einer Rückkehr des Klägers bzw. der „Kernfamilie“ die anzulegende Gefahrenschwelle des § 60 Abs. 5 AufenthG oder des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. hierzu näher unten) erreicht würde. Insbesondere prognostiziert USAID auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse für Addis Abeba und die angrenzenden oromischen, vor allem westlich und nördlich davon gelegenen Gebiete aktuell für Januar 2023 nur eine minimale Unsicherheit betreffend die Versorgungslage mit Lebensmitteln (vgl. USAID – Fact Sheet # 2 und #3 – Horn of Africa, Complex Emergency, 19.8.2022 und 21.9.2022 sowie Fact Sheet #1 (Fiscal Yerar (FY) 2023), 21.10.2022 mit Übersichtskarte „USG Response to the Complex Emergency und Übersicht „Ethiopia Assistance Overview“ v. September 2022).
39
Zu einer gewissen Entspannung der weltweiten Situation in Bezug auf die Nahrungsmittelsituation trägt auch der „Weizen-Deal“ bei, der den Export von Getreide u.a. aus der Ukraine ermöglicht. Auf dessen Grundlage konnte bereits eine erhebliche Menge an Gütern aus der Ukraine ausgeführt und für den Weltmarkt verfügbar gemacht werden; auch Äthiopien profitiert von den Exporten auf der Basis dieses „Deals“, sei es allgemein durch eine bessere Versorgung des Weltmarkts, aber eben auch durch gezielte Lieferungen für das Land.
40
Dass Äthiopien (weiterhin) auch auf die finanzielle Unterstützung anderer Staaten bzw. Organisationen bauen kann, wird anhand verschiedener eingeführter Quellen deutlich. So hat etwa Österreich weitere Hilfsgelder bereitgestellt und zahlenmäßig erhebliche Mittel werden von der EU sowie von USAID zur Verfügung gestellt (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.; VG Bayreuth, U.v. 9.2.2023 – B 7 K 22.31001).*Im Übrigen wird bezüglich aktuellen der Lebensbedingungen in Äthiopien auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid und auf die Ausführungen im Urteil des VG Gießen vom 27.1.2023 – 6 K 21.60/19.GI.A – juris sowie auf die Ausführungen des BayVGH im Beschluss vom 9.1.2023 – 23 ZB 22.31328 – juris und des VG Trier im Urteil vom 14.2.2023 – 6 K 2236/22.TR – juris verwiesen.
41
Mit zu berücksichtigten ist überdies, dass der Kläger erhebliche Rückkehrhilfen beanspruchen kann (vgl. herzu: BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris). Aus dem sog. REAG/GARP-Programm können bei freiwilliger Rückkehr die Reisekosten übernommen werden. Vor allem aber können Rückkehrer eine finanzielle Unterstützung für die Reise (sog. Reisebeihilfe) sowie eine einmalige finanzielle Starthilfe erhalten, nämlich 1.000,00 EUR für volljährige und 500,00 EUR für minderjährige Personen, pro Familie maximal 4.000,00 EUR. Weiterhin können Rückkehrer nach Äthiopien auch Unterstützung aus dem Programm „StarthilfePlus“ beantragen. In dieser Beziehung erhalten Rückkehrer, die mit dem REAG/GARP-Programm ausreisen und eine Starthilfe bekommen, weitere finanzielle Unterstützung. Es handelt es sich um eine „2. Starthilfe“, die nach sechs bis acht Monaten eingreift. Schließlich kann der Kläger auf spezielle „Rückkehrvorbereitende Maßnahmen“ (RkVM) zurückgreifen. Diese bereiten Rückkehrer auf die Existenzgründung vor, es werden fachspezifische (Online-)Coachings und Workshops in verschiedenen Sprachen angeboten. Die Beratung soll vor allem die unternehmerische Kompetenz der Teilnehmer stärken, so dass sie auf eine Existenzgründung nach der Rückkehr in ihr Herkunftsland besser vorbereitet sind. Daneben können die Teilnehmer auch weitere individuelle Anliegen mit Blick auf ihre berufliche Reintegration einbringen.
42
Es liegt auf der Hand, dass die genannten und verfügbaren Rückkehrhilfen und Leistungen aus den Programmen gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der humanitären Lage in Äthiopien und den teilweise noch anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie mit dazu beitragen, dass der Kläger und ggf. seine Familie im Falle der Rückkehr in Äthiopien Fuß fassen kann. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Hilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.04.1997 – 9 C 38.96 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Äthiopien freiwillig Zurückkehrenden gewährter Hilfe in Anspruch zu nehmen.
43
Bei zusammenfassender Würdigung ist festzustellen, dass aufgrund der hier gegebenen Umstände des konkreten Einzelfalls des Klägers und ggf. seiner Kernfamilie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass – trotz der insgesamt schwierigen humanitären Verhältnisse in Äthiopien – das notwendige Existenzminimum gesichert werden kann. Dabei wird nicht übersehen, dass viele Menschen in Äthiopien auf Hilfe von dritter Seite angewiesen sind und das Land sich mit zahlreichen Problemen konfrontiert sieht (u.a. Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelknappheit, eingeschränkte Gesundheitsversorgung, fortbestehende ethnische Konflikte sowie der teilweise auf die angrenzenden Regionen übergreifende Tigray-Konflikt [wobei diesbezüglich zuletzt Tendenzen der Entspannung festzustellen sind], Corona-Pandemie, Heuschreckenplage und nicht zuletzt die Folgen des Russland-Ukraine-Kriegs). Gleichwohl gibt es jedoch keine durchgreifenden Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien gegenwärtig außerhalb der Tigray-Region und angrenzender Gebiete des nördlichen Äthiopiens, in denen der Kläger nicht zurückkehren wird bzw. muss, derart desolat wäre, dass dem Kläger der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten (vgl. auch BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547). Die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzulegende (Gefahren-)Schwelle wird nach alledem nicht erreicht.
44
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, Gb.v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
46
aa) Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Nachwirkungen des Coronavirus bzw. der „Heuschreckenplage“ in Äthiopien – begründet derartige Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 – W 3 K 19.31666 – juris unter Verweis auf BayVGH, B.v. 19.05.2020 – 23 ZB 20.31096; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.).; vgl. auch BayVGH, B.v. 17.8.2020 – 23 ZB 20.31574).
47
Es ist für das Gericht aber nicht ersichtlich, dass der Kläger – und ggf. seine Kernfamilie – bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung durchbrechen könnte, ausgesetzt wäre(n). Im Übrigen sind – wie oben ausgeführt – schon nicht die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben, da es sich vorliegend nicht um einen „ganz außergewöhnlichen Fall“ bzw. um eine „besondere Ausnahmesituation“ handelt. Daher ist eine „Extremgefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG erst recht nicht gegeben.
48
bb) Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
49
3. Soweit die Klägerseite auf die Aufenthaltserlaubnisse für den Sohn und die „Lebensgefährtin“ des Klägers, der Vater-Kind-Beziehung und dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.06.2022 – 1 C 24.21 – hinweist, führen diese Aspekte ebenfalls nicht zur Feststellung von Abschiebungsverboten für den Kläger bzw. zu einer anderen Entscheidung des Gerichts im hiesigen Verfahren.
50
Zwar hat der EuGH inzwischen mit Beschluss vom 15.02.2023 (C-484/22 – juris) auf Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er verlangt, das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen im Rahmen eines zum Erlass einer gegen einen Minderjährigen ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen, und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug dieser Rückkehrentscheidung geltend machen kann, um gegebenenfalls eine Aussetzung deren Vollzugs zu erwirken.
51
Die Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung des EuGH betreffen jedoch eine (ganz) andere Konstellation als die Vorliegende, nämlich eine „gegen einen minderjährigen Drittstaatsangehörigen erlassene Rückkehrentscheidung“ und gerade nicht die hiesige Konstellation der Ablehnung eines Folgeantrags unter Nichtfeststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten ohne (erneute) Abschiebungsandrohung – und damit ohne Rückkehrentscheidung – gegen den erwachsenen Vater eines Kindes mit Aufenthaltsrecht (vgl. auch VG Bayreuth, B.v. 8.2.2023 – B 7 S 23.30098; VG Berlin, U.v. 21.12.2022 – 29 K 116.18 A – juris). Eine analoge Anwendung der EuGH-Entscheidung vom 15.02.2023 im vorliegenden Verfahren des Kindsvaters kommt jedenfalls (schon) deswegen nicht in Betracht bzw. führt jedenfalls zu keinem anderen Ausgang des Klageverfahrens, weil vorliegend keine „Rückkehrentscheidung“ streitgegenständlich ist.
52
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.