Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 11.04.2023 – 17 U 4341/21
Titel:

Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi A6 Avant quattro 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 287, § 520 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der europarechtliche Grundsatz der Effektivität steht der Anrechnung von Nutzungsvorteilen nicht entgegen, da die nationalen Gerichte befugt sind, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gesamtlaufleistung eines Diesel-Fahrzeugs ist auf allenfalls 300.000 km zu schätzen, ohne dass es insoweit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf. (Rn. 18 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Anrechnung von Nutzungsvorteilen, Gesamtlaufleistung, unionsrechtlich gewährleistete Rechte, ungerechtfertigte Bereicherung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.10.2021 – 16 O 2751/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9333

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29.10.2021, Az. 16 O 2751/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei verfolgt in der Berufung nach Teilklageabweisung ihren deliktischen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen weiter. Angegriffen wird die Anrechnung und die Höhe der Nutzungsentschädigung.
2
Die Klagepartei erwarb von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Händler am 26.09.2014 den streitgegenständlichen Pkw A6 Avant quattro 3.0 TDI mit 230 kW als Gebrauchtwagen für 50.700 €. Das Fahrzeug hatte im Zeitpunkt des Kaufs eine Laufleistung von 63.100 km und am 15.10.2021, dem Tag der mündlichen Verhandlung erster Instanz, eine Laufleistung von 121.333 km. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3,0 l-V6-Dieselmotor ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse 5 ausgestellt. Das Fahrzeug unterlag einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) wegen des Emissionsverhaltens.
3
Die Klagepartei hat behauptet, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Pkw nicht erworben. Der Kaufvertrag sei daher rückabzuwickeln, der Kaufpreis sei von der Beklagten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten. Für die unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs anzurechnende Nutzungsentschädigung sei von einer Gesamtlaufleistung von jedenfalls 350.000 km auszugehen. Es handle sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um einen sehr robusten Fahrzeugtyp, der zudem mit einem 6-Zylindermotor ausgestattet ist. Es könne, ausgehend von veröffentlichten Kaufangeboten und Presseveröffentlichungen bezüglich vergleichbarer Fahrzeuge mit dem gleichen Motortyp, mit einer Lebensdauer des Fahrzeugs deutlich über 750.000 km gerechnet werden. Der Abzug von Gebrauchsvorteilen widerspreche überdies europarechtlichen Richtlinien. Zudem stünde der Anrechnung von Nutzungen der haftungsbegründende Vorwurf der arglistigen Herbeiführung des Kaufvertrags entgegen. Darüber hinaus sei die Verpflichtung der Beklagten, wegen der Maipulation des Fahrzeugs Schadensersatz zu leisten, festzustellen, sowie dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet. Daneben sei die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.875,04 € freizustellen.
4
Die Beklagte hat einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestritten. Zur Höhe des Schadensersatzes hat sie vorgetragen, es sei in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls keine Gesamtlaufleistung von mehr als 250.000 km für das streitgegenständliche Fahrzeug anzunehmen. Substantiierter Vortrag, aus welchem sich eine im Einzelfall höhere Gesamtlaufleistung des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs ergeben soll, sei nicht ersichtlich. Nutzungsersatz sei gemäß der Rechtsprechung des BGH im Wege der Vorteilsanrechnung in Abzug zu bringen. Die Klagepartei habe die ihr obliegende Leistung nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten. Es werde bestritten, dass die Klagepartei ihrem Bevollmächtigten ein auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränktes Mandat erteilt hat.
5
Wegen des Sachvortrags der Parteien erster Instanz wird ergänzend auf die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts Bezug genommen.
6
Das Landgericht Nürnberg Fürth hat mit Endurteil vom 29.10.2021 die Beklagte zur Zahlung von 38.237,30 € zuzüglich Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Bei der Berechnung der auf den Bruttokaufpreis anzurechnenden Nutzungsentschädigung legte das Gericht eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde. Mangels ordnungsgemäßem Angebot sei kein Annahmeverzug eingetreten. Die Klagepartei habe zu ihrer bestrittenen Behauptung, es sei zunächst ein außergerichtlicher Klageauftrag erteilt worden, weder weiter vorgetragen noch Beweis angeboten.
7
Gegen dieses dem Klägervertreter am 05.11.2021 zugestellte Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer am 29.11.2021 eingegangenen und am 26.01.2022 innerhalb verlängerter Begründungsfrist begründeten Berufung.
8
Das erstinstanzliche Gericht gehe zu Unrecht davon aus, dass sich der Kläger Nutzungsvorteile anrechnen lassen muss. Dem stehe der haftungsbegründende Vorwurf der arglistigen Herbeiführung des Kaufvertrags entgegen. Zudem habe die Beklagte diese Einrede nicht ins Verfahren eingeführt. Jedenfalls sei die Annahme einer Gesamtlaufleistung von nur 300.000 km zu niedrig angesichts der besonders robusten und stabilen Verarbeitung des Fahrzeugs. Die Klagepartei habe das Fahrzeug in der Absicht erworben, dieses bis zur endgültigen Unfahrbarkeit zu nutzen und pflege dieses daher überdurchschnittlich gut.
9
Die Klagepartei beantragt daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 50.700 €, abzüglich einer im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.03.2021, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeuges Audi A6 Avant, FIN: … zu zahlen.
2. Für den Fall, dass der Antrag zu 1. Erfolg hat, beantragen wir festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. genannten Pkw im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi A6 Avant, FIN: … durch die Beklagte resultieren.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.875,04 EUR freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags.
11
Wegen des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 26.01.2022, die Schriftsätze der Klagepartei vom 13.07.2022 und 19.12.2022, die Berufungserwiderung vom 30.03.2022 sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 19.07.2022 Bezug genommen.
II.
12
Die überwiegend zulässige Berufung ist offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg. Zu den Berufungsanträgen Ziffer 3 und 4 fehlt die für die Zulässigkeit erforderliche Begründung, § 520 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO. Der Senat hat die Einwände der Klagepartei gegen die Entscheidung des Landgerichts geprüft und gewürdigt. Das Berufungsvorbringen reicht jedoch nicht aus, um dem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, für die Klagepartei günstigere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
13
Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
14
1. Auf den im Wege des Schadensersatzes zurückzuzahlenden Kaufpreis hat das Landgericht zu Recht die von der Klagepartei gezogenen Nutzen als Vorteilsausgleich angerechnet und hierbei eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt.
15
a) Bereits mit seiner Grundsatzentscheidung zum Diesel-Schadensersatz vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gelten.
16
Die seitens des Geschädigten erlangten Vorteile stellen nach Ansicht des BGH eine entsprechende Begrenzung des zu leistenden Schadensersatzes dar, ohne dass sich hieraus ein gegen den Geschädigten gerichteter Anspruch des Schädigers ergebe. Eine einredeweise Geltendmachung seitens der Beklagten war nicht erforderlich. In den Fällen der Vorteilsausgleichung liege dem auf Leistung Zug um Zug gerichteten Urteilsausspruch in materiell-rechtlicher Hinsicht ausschließlich die Begrenzung der zuerkannten Forderung zugrunde, nicht etwa ein einredeweise geltend gemachter Anspruch des Schädigers gegen dem Geschädigten (vgl. BGH, Urteil vom 25.07.2021 – VIa ZR 485/21, Rn. 20).
17
Auch der europarechtliche Grundsatz der Effektivität steht der Anrechnung von Nutzungsvorteilen nicht entgegen. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21.03.2023 (C-100/21) zwar verlangt, dass nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist (EuGH Urt. v. 21.03.2023 – C-100/21, BeckRS 2023, 4652 Rn. 93, beck-online). Allerdings seien die nationalen Gerichte befugt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (Urteil vom 25. März 2021, Balgarska Narodna Banka, C-501/18, ECLI:EU:C:2021:249, Rn. 125; hier EuGH, Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, BeckRS 2023, 4652 Rn. 94, beck-online). Dem trägt die Anrechnung des Nutzungsvorteils Rechnung, indem dem Geschädigten nur die Vorteile angerechnet werden, die ihm im adäquaten Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st.Rspr., vgl. etwa BGH NJW 2020, 40 Rn. 9; NJW 2015, 553 Rn. 14 m.w.N.; NJW-RR 2010, 1683 Rn. 17 m.w.N.; NJW 1986, 983 Rn. 14; hier BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 65, beck-online)
18
b) Die Gesamtlaufleistung ist auf allenfalls 300.000 km zu schätzen.
19
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist der Wert des Gebrauchs eines Fahrzeugs im Bestreitensfall vom Tatrichter analog § 287 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen zu schätzen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, NJW 2022, 463 Rn. 52 m.w.N.). Der Senat hat eine solche Schätzung zugelassen, weil eine empirische Ermittlung des Werts der erfolgten Nutzung des Fahrzeugs in aller Regel nicht möglich ist. Das gilt auch für die als Bemessungsfaktor heranzuziehende Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, a.a.O. Rn. 57 m.w.N.; hier BGH, Beschluss vom 22.02.2022, VIII ZR 434/21) – BeckRS 2022, 11216 Rn. 21).
20
Das Landgericht hat den genauen Fahrzeugtyp festgestellt und hat zur Schätzung der Gesamtlaufleistung ausweislich der Entscheidungsgründe ein veröffentlichtes Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.01.2020 (Az. I-19 U 81/19) herangezogen, in dem die Gesamtlaufleistung eines vergleichbar leistungsstarken Fahrzeugs, nämlich eines Porsche Cayenne mit einem 3,0 l-V6 Motor, mit 300.000 km angesetzt wurde.
21
Für die zu erwartende Gesamtlaufleistung ist nicht die mögliche Laufleistung des Motors an sich, sondern die Lebensdauer des (gesamten) Fahrzeugs maßgebend (so auch OLG Koblenz 16.9.2019 – 12 U 61/19, BeckRS 2019, 21606 Rn. 78; OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, BeckRS 2019, 27008 Rn. 108). Dieses kann nicht losgelöst von der Motorisierung, der Qualität und der Preisklasse des Fahrzeugs beurteilt werden (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, BeckRS 2019, 27008; vgl. auch OLG Saarbrücken 14.2.2020 – 2 U 128/19, BeckRS 2020, 2158 Rn. 59 f.). Da Fahrzeuge aus verschiedenen Teilen mit unterschiedlicher Lebensdauer bestehen und bei zunehmender Nutzungsdauer die Reparaturanfälligkeit steigt, werden in aller Regel bereits wirtschaftliche Erwägungen dazu führen, dass eine mögliche Lebensdauer des Motors nicht ausgeschöpft wird und daher nicht mit der maßgeblichen Gesamtnutzungsdauer des Fahrzeugs gleichzusetzen ist (OLG Saarbrücken 14.2.2020 – 2 U 128/19, BeckRS 2020, 2158 Rn. 60; hier BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VIII ZR 111/20, Rn. 58, beck-online). Es ist daher nicht zulässig, wie die Klagepartei meint, allein auf die mögliche, in den vorgelegten Verkaufsanzeigen und Presseberichten erreichte Lebensdauer eines Fahrzeugs abzustellen, da hierbei die vorgenannten wirtschaftlichen Erwägungen nicht berücksichtigt werden.
22
Zudem kommt es auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende (durchschnittliche) Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs an (vgl. OLG Koblenz 16.9.2019 – 12 U 61/19, BeckRS 2019, 21606; OLG Karlsruhe 6.11.2019 – 13 U 37/19, BeckRS 2019, 27008; OLG Karlsruhe WM 2020, 325 = BeckRS 2019, 28963 Rn. 109) und nicht darauf, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigen Bedingungen im äußersten Fall erreichen kann (so auch OLG Saarbrücken 14.2.2020 – 2 U 128/19, BeckRS 2020, 2158, beiderseitige Revisionen – VI ZR 270/20 zurückgenommen) oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat (s. auch OLG Karlsruhe WM 2020, 325 = BeckRS 2019, 28963 Rn. 109). Dementsprechend sind gezogene Gebrauchsvorteile pro gefahrenem Kilometer der Höhe nach unabhängig davon zu bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder eine beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VIII ZR 111/20, Rn. 58, beck-online). Da es somit auf eine unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende durchschnittliche Gesamtfahrleistung ankommt, kann daher nicht darauf abgestellt werden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug möglicherweise von der Klagepartei besonders gut gepflegt wird oder dass in Einzelfällen, die in der Klageschrift beispielhaft aufgeführt werden, sehr hohe Laufleistungen bei ähnlichen Fahrzeugen erreicht werden.
23
Der analog § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Schätzung der in die Bemessung der gezogenen Gebrauchsvorteile einfließenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs haftet naturgemäß eine typisierte und pauschalisierende Betrachtung an, die je nach Fahrverhalten von den im konkreten Fall grundsätzlich zu erwartenden Werten abweichen kann. Bei einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO wird in der Regel in Kauf genommen, dass das Ergebnis unter Umständen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (vgl. BGH NJW 2013, 525 Rn. 23 m.w.N.). Nur wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage für eine Entscheidung nicht zu gewinnen ist und das richterliche Ermessen vollends in der Luft hängen würde, ist eine Schätzung ausgeschlossen (vgl. BGH NJW 1987, 909 unter II 1 b; NJW 2013, 525; hier vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VIII ZR 111/20, Rn. 60, beck-online).
24
Vorliegend orientiert sich der Senat an den veröffentlichten Schätzungen der Gerichte, die Gesamtlaufleistungen von Dieselfahrzeugen in einer Bandbreite von 250.000 km bis zu 300.000 km annehmen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 70, 71 mit weiteren Nachweisen und Beispielen aus der Rechtsprechung). Der BGH hat in verschiedenen Entscheidungen die Zugrundlegung einer Gesamtlaufleistung von lediglich 250.000 km für einen Mittelklassewagen akzeptiert (etwa BGH, Urteil vom 27.07.2021 – VI ZR 480/19: VW Touran; Urteil vom 29.9.2021 – VIII ZR 111/20: Skoda Yeti). Mit Beschluss vom 22.02.2022 (VIII ZR 434/21) hat der BGH die dort vom Berufungsgericht zugrundegelegte Gesamtlaufleistung von 300.000 km für einen A7 Sportsback TDI, ebenfalls mit V-TDI Motor und 3 Liter Hubraum, als „eher im oberen Bereich“ bezeichnet (BGH Beschl. v. 22.02.2022 – VIII ZR 434/21, BeckRS 2022, 11216 Rn. 27, beck-online).
25
c) Sachverständigenbeweis war nicht zu erholen.
26
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (vgl. BGH, Beschluss vom 21.07.2021 – VII ZR 56/21). Bei einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO wird in der Regel in Kauf genommen, dass das Ergebnis unter Umständen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (vgl. BGH NJW 2013, 525 Rn. 23 m.w.N.). Nur wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage für eine Entscheidung nicht zu gewinnen ist und das richterliche Ermessen vollends in der Luft hängen würde, ist eine Schätzung ausgeschlossen (vgl. BGH NJW 1987, 909 unter II 1 b; NJW 2013, 525; hier BGH, Urteil vom 29.09.2021, VIII ZR 111/20, NJW 2022, 463 Rn. 61, beck-online).
27
Die Klagepartei hat dagegen Gesichtspunkte, die im Streitfall die Erhebung eines Sachverständigengutachtens geboten hätten, nicht vorgebracht. Weshalb ein Sachverständigengutachten eine tragfähigere Schätzgrundlage als die seit vielen Jahren veröffentlichten Schätzwerte der Tatgerichte bezüglich verschiedener Fahrzeugtypen bieten solle, ist nicht vorgetragen. Schließlich kam der BGH im oben erwähnten Beschluss vom 20.02.2022 (VIII ZR 434/21) ebenso zu dem Ergebnis, dass auch für ähnlich leistungsstarke und hochwertige Fahrzeuge wie das hier streitgegenständliche, die Annahme einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km nicht zu beanstanden ist.
28
Die Berechnung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht ist im Übrigen klägerseits nicht angegriffen und im übrigen rechnerisch richtig.
29
2. Nachdem die Klagepartei den Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs von dem Erfolg des Antrags Ziffer 1 abhängig gemacht hat, ist mangels Eintritt dieser innerprozessualen Bedingung darüber nicht zu befinden. Zudem ist dieser Antrag entgegen § 520 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO nicht begründet.
30
Überdies schließt sich der Senat insoweit den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts an. Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus (vgl. BGH NJW-RR 2021, 952 Rn. 7; 23.3.2021 – VI ZR 3/20, BeckRS 2021, 7055 Rn. 15; BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 85). Der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (vgl. BGH NJW-RR 2021, 952 Rn. 7; NJW 2021, 2362 Rn. 24; 23.3.2021 – VI ZR 3/20, BeckRS 2021, 7055 Rn. 15; NJW-RR 2021, 316 Rn. 9; BGH, NJOZ 2022, 55 Rn. 16, beck-online). Der Kläger hat mit der Berufung, mit der er die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises verlangt, ein entsprechendes wörtliches Angebot gemacht und somit einen nicht nur unerheblich höheren als den geschuldeten Betrag gefordert.
31
4. Zum Feststellungsantrag Ziffer 3 fehlt die gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO erforderliche Begründung. Zudem bleibt offen, inwieweit die Klagepartei durch die Entscheidung des Landgerichts beschwert ist, nachdem dem Feststellungsantrag stattgegeben wurde.
32
5. Der Berufungsantrag Ziffer 4 zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist entgegen § 520 Abs. 3 Nr. 2, 3 ZPO nicht begründet.
33
Zudem weist der Senat darauf hin, dass Vortrag und Beweisangebot der Klagepartei zur außergerichtlichen Beauftragung ihrer Bevollmächtigten fehlt. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des Landgerichts Bezug genommen.
III.
34
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
35
Das Gericht beabsichtigt, den Streitwert in der Berufungsinstanz auf 2.171,96 € festzusetzen. Die klägerseits begehrte Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km würde unter Anwendung der vom Landgericht verwendeten Berechnungsformel eine Nutzungsentschädigung von lediglich 10.290,74 € anstatt 12.462,70 € ergeben. Die Differenz bestimmt den Streitwert. Auch wenn die Klagepartei gegen den Abzug der Nutzungsentschädigung an sich streitet, ist diese dennoch bei der Bemessung des Streitwerts vom Kaufpreis abzuziehen. Im entsprechenden Antrag aus der Berufungsbegründung, der für die Wertbemessung maßgeblich ist, lässt sich die Klagepartei ausdrücklich eine Entschädigung für die Fahrzeugnutzung anrechnen (vgl. BGH Beschluss vom 08.12.2021 – VII ZR 206/21, BeckRS 2021, 45164 Rn. 8, beck-online). Die übrigen Anträge haben für den Streitwert keine Bedeutung.
36
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.