Inhalt

VG München, Beschluss v. 24.04.2023 – M 26b E 23.1528
Titel:

Lebensmittelüberwachung, Behördliche Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im Internet, Unverzüglichkeit der Information der Öffentlichkeit

Normenketten:
LFGB § 40 Abs. 1a
VwGO § 123 Abs. 1
Schlagworte:
Lebensmittelüberwachung, Behördliche Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Verstößen im Internet, Unverzüglichkeit der Information der Öffentlichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9305

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:

Verantwortliche Behörde

Datum

Lebensmittel-/Futtermittelunternehmen

Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel

Landratsamt Dachau

Einstelldatum:

Probe genommen am: …11.2022

Name:

Restaurant A., Tennisanlage P.

Adresse:

…, …

Kategorie:

Gastronomie, Gaststätten, Imbisseinrichtungen

Verstoß:

Höchstgehaltsüberschreitung Dioxine, PCBs

Produkt:

Frittieröl gebraucht

Charge:

MHD:

Stoff:

polare Anteile Frittieröl

Grenzwert:

24a/100g

Analyseergebnis: 27,6g/100g Anmerkung/Unternehmerische Maßnahmen:

Ware ist nicht in den Verkehr gelangt

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehrt der Antragsteller die vorläufige Untersagung der Veröffentlichung ihm vom Antragsgegner vorgeworfener lebensmittelrechtlicher Verstöße.
2
Der Antragsteller betreibt die Gaststätte „A...“ im …, … P.
3
Bei einer lebensmittelrechtlichen Kontrolle der Gaststätte am … November 2022 wurde durch den zuständigen Lebensmittelkontrolleur um … Uhr eine Frittierölprobe entnommen, die am … November 2022 an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) geschickt wurde. Auf dem Probenahmeprotokoll ist als Probenahmegrund „Verdachtsprobe“ notiert. Weiterhin findet sich in der Zeile „9. Bemerkung“ vermerkt, dass das Frittieröl im kalten Zustand entnommen wurde, das Frittieröl an diesem Abend noch für Chicken Wings und Pommes verwendet worden sei und kein ungebrauchtes Fritieröl vorhanden gewesen sei. Die Proben-Priorität wurde mit „hoch“ angegeben.
4
In seinem zweieinhalbseitigen Gutachten vom … Januar 2023 kam das LGL zu dem Ergebnis, dass der Gehalt an polaren Anteilen ebenso über dem zulässigen Höchstwert lag wie die Säurezahl, so dass das Frittieröl durch Verderb bzw. Zersetzung für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet geworden sei und als nicht sicheres Lebensmittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfe. Dem Gutachten kann weiter entnommen werden, dass die Untersuchung am … November 2022 begann und am … November 2022 abgeschlossen wurde.
5
Mit Schreiben vom … Januar 2023 wurde der Antragsteller als Betroffener einer Ordnungswidrigkeit unter Darlegung des vom LGL festgestellten Gesetzesverstoßes nach § 55 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) angehört. Dem Antragsteller wurde Gelegenheit gegeben, binnen einer Woche nach Zugang Stellung zu nehmen.
6
Mit Schreiben vom 26. Januar 2023 bestellte sich die Bevollmächtige des Antragstellers und beantragte Akteneinsicht, die mit Schreiben vom 6. Februar 2023 unter Übermittlung der Behördenakte gewährt wurde.
7
Mit Bescheid vom 10. März 2023 verhängte der Antragsgegner gegen den Antragsteller wegen des vom LGL festgestellten Verstoßes ein Bußgeld in Höhe von 500,- Euro.
8
Mit weiterem Schreiben vom 10. März 2023 (Az. … **) teilte der Antragsgegner dem Antragsteller unter Hinweis auf die Probennahme vom … November 2022 und die Ergebnisse des Gutachtens des LGL vom … Januar 2023 mit, dass nach § 40 Abs. 1a Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) die Veröffentlichung folgender Informationen beabsichtigt sei:

Verantwortliche Behörde

Datum

Lebensmittel-/Futtermittelunternehmen

Betroffenes Lebensmittel/Futtermittel

Landratsamt Dachau

Einstelldatum:

Probe genommen am: …11.2022

Name:

Restaurant A. Tennisanlage P.

Adresse:

Kategorie:

Gastronomie, Gaststätten, Imbisseinrichtungen

Verstoß:

Höchstgehaltsüberschreitung Dioxine, PCBs

Produkt:

Frittieröl gebraucht

Charge:

MHD:

Stoff:

polare Anteile Frittieröl

Grenzwert:

24a/100g

Analyseergebnis: 27,6g/100g Anmerkung/Unternehmerische Maßnahmen:

Ware ist nicht in den Verkehr gelangt

9
Zeitgleich wurde dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17. März 2023 eingeräumt.
10
Mit Schreiben vom 17. März 2023 trat die Antragspartei der geplanten Veröffentlichung entgegen, nachdem zuvor mit Schreiben vom selben Tag Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt worden war. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller kein gebrauchtes Frittieröl zur Zubereitung von Speisen benutzt habe bzw. die Verwendung des gebrauchten Frittieröls nicht beabsichtigt habe. Vielmehr sei die einzige Fritteuse der Gaststätte seit dem Sommer 2022 defekt, so dass sämtliche Speisen in der Pfanne oder im Backofen zubereitet werden würden, während die Fritteuse nur zum Sammeln des Altöls verwendet werde.
11
Mit Schreiben vom 21. März 2023 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme vom … März 2023 die geplante Veröffentlichung unverändert für erforderlich gehalten werde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller dem zuständigen Lebensmittelkontrolleur gegenüber erklärt habe, dass das beprobte Frittieröl am Abend für die Zubereitung von Chicken Wings und Pommes verwendet werden solle und dass kein unverbrauchtes Frittieröl vorhanden gewesen sei. Infolgedessen sei die Verwendung des beprobten Frittieröls – den angeführten Defekt der Fritteuse unterstellt – jedenfalls in der Pfanne oder im Backofen geplant gewesen.
12
Mit Schreiben vom 22. März 2023 erklärte die Antragspartei gegenüber dem Antragsgegner, dass die Angabe des Lebensmittelkontrolleurs nicht der Behördenakte zu entnehmen und demnach anzunehmen sei, dass die Aussage des Lebensmittelkontrolleurs viereinhalb Monate nach der Probenahme aus dem Gedächtnis heraus erfolgt sei. Überdies habe der Antragsteller keine entsprechende Aussage gegenüber dem Lebensmittelkontrolleur getätigt, zumal eine Sprachbarriere vorhanden gewesen sei. Vielmehr werde zum Braten der Speisen allein Speiseöl verwendet, während das in der Fritteuse befindliche Frittieröl kalt gewesen sei, was nahelege, dass dieses nicht verwendet worden sei.
13
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 29. März 2023 stellte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Er beantragt,
14
dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu untersagen, die mit Schreiben vom 10. März 2023 mitgeteilten Informationen gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB zu veröffentlichen.
15
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die mit Schreiben des Antragsgegners vom 21. März 2023 mitgeteilte Sachverhaltsschilderung aktenfremd und unzutreffend sei, zumal Verständigungsschwierigkeiten seitens des Antragstellers bestanden hätten. Ein Gesundheitsrisiko seitens der Verbraucher habe mangels Verwendung des beprobten Frittieröls nicht bestanden, verwende der Antragsteller doch lediglich Speiseöl zur Zubereitung der Speisen. Die beabsichtigte Veröffentlichung sei daher rechtswidrig und hätte erhebliche negative wirtschaftliche Folgen für den Antragsteller, weshalb sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund vorliegen würden.
16
Mit Schreiben vom 3. April 2023 beantragte der Antragsgegner,
17
den Antrag abzulehnen.
18
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es nicht glaubhaft sei, dass altes Frittieröl für einige Monate in einer defekten Fritteuse aufbewahrt werde. Sprachschwierigkeiten zwischen dem Antragsteller und dem Lebensmittelkontrolleur hätten nicht bestanden und die Aussage des Antragstellers hinsichtlich der Verwendung des beprobten Frittieröls sei bereits im Probenahmeprotokoll vom … November 2022 vermerkt worden. Dass das Frittieröl wie von der Antragspartei angeführt noch kalt gewesen sei, sei vermutlich dem geschuldet, dass die Kontrolle zu Beginn der abendlichen Öffnungszeiten erfolgt sei. Ob von dem beprobten Öl eine Gesundheitsgefahr ausgehe, sei nicht von Belang. Angesichts des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a LFGB sei die geplante Veröffentlichung auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtmäßig und geboten.
19
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die von der Behörde vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II.
20
1. Der Antrag hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.
21
1.1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere gemäß § 123 Abs. 5 VwGO statthaft, da in der Hauptsache eine allgemeine Leistungsklage zu erheben wäre. Bei der Veröffentlichung lebensmittelrechtlicher Verstöße nach § 40 Abs. 1a LFGB handelt es sich nicht um Verwaltungsakte im Sinne des Art. 35 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG), da die Veröffentlichung lediglich der Information der Öffentlichkeit dient und somit nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Es fehlt insoweit an einer Regelung im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 28.1.2013 – 9 S 2423/12 – juris Rn. 4 m. w. N.). Es liegt daher ein schlichtes Verwaltungshandeln vor, so dass kein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig ist.
22
1.2. Der Antrag ist auch begründet.
23
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B. v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m. w. N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
24
Das Gericht kann grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen, es sei denn, eine bestimmte Regelung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) schlechterdings notwendig. Das ist dann der Fall, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein Obsiegen des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Im vorliegenden Fall nimmt die Untersagungsverfügung eine Hauptsacheklage voraussichtlich vollständig vorweg, da in der Kürze der Zeit – gemäß § 40 Abs. 4a LFGB ist die Veröffentlichung (bereits) nach sechs Monaten wieder zu löschen – mit einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung nicht zu rechnen ist.
25
1.2.1. Der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.
26
Es ist offensichtlich, dass die geplante Veröffentlichung im Internet für den Antragsteller ganz erhebliche negative Konsequenzen haben kann, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Das Verwaltungshandeln durch amtliche Informationen ist irreversibel. Bei Fehlinformationen ändern daran auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts, da die faktischen Wirkungen von Informationen regelmäßig nicht mehr umfassend beseitigt werden können. Eine Verbraucherinformation zu angeblichen Rechtsverstößen eines Unternehmers kann für diesen existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend sein. Dem Antragsteller kann daher nicht zugemutet werden, die Bekanntgabe des Kontrollergebnisses im Internet bis zu einer Klärung der streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren hinzunehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 21.5.2019 – 9 S 584/19 – juris, Rn. 6 m. W. N.).
27
1.2.2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor.
28
Unabhängig von der dogmatischen Herleitung des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch (vgl. etwa BVerwG, U. v. 29.4.1988 – 7 C 33/87 – NJW 1988, 2396) erfordert dieser einen bevorstehenden oder noch andauernden rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv öffentlich-rechtliches Recht durch Realakt (vgl. BayVGH, B. v. 24.2.2021 – 13 AE 20.2696 – beck-online Rn. 16; HessVGH, B. v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – beck-online Rn. 15).
29
Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, da die geplante Veröffentlichung der Verstöße durch den Antragsgegner in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers eingreift und diese sich bei der im Eilrechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig erweist.
30
1.2.2.1. Rechtsgrundlage für die beabsichtigten Veröffentlichungen ist § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB. Danach informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Fall von Proben auf der Grundlage von mindestens zwei Untersuchungen, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,- Euro zu erwarten ist.
31
1.2.2.2. Im streitgegenständlichen Fall fehlt es jedenfalls an der Unverzüglichkeit der geplanten Veröffentlichung. Die geplante Veröffentlichung, die dem Antragsteller mit Schreiben des Antragsgegners vom 21. März 2023 endgültig angekündigt wurde, war bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB.
32
1.2.2.2.1. Der Begriff „unverzüglich“ ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen.
33
Der Wortlaut des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB legt zwar nahe, dass der Begriff „unverzüglich“ in Anlehnung an die Legaldefinition des § 121 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu verstehen ist, so dass ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verlangen wäre, mithin auf ein subjektives, an vorwerfbares Verhalten anknüpfendes Verständnis abzustellen wäre (so etwa OVG Bremen, B. v. 25.2.2022 – 1 B 487/21 – BeckRS 2022, 4522 Leitsatz und Rn. 28; VGH Baden-Württemberg, B. v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20 – BeckRS 2020, 3... L. und Rn. 20). Angesichts des Gesetzeszwecks sowie der Entstehungsgeschichte der Norm ist der Begriff „unverzüglich“ jedoch nicht nach subjektiven, sondern nach objektiven Kriterien zu bestimmen, so dass die Veröffentlichung nur dann „unverzüglich“ erfolgt, wenn die zwischen dem Verstoß und seiner Veröffentlichung liegende Zeitspanne durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist (ausführlich BayVGH, B. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – BeckRS 2022, 31585 Rn. 19 ff., der den zwischen dem Verstoß und der Veröffentlichung liegenden Zeitraum teilweise als „Verzögerung“ bezeichnet).
34
Der Gesetzgeber fügte das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Information als zusätzliches Tatbestandsmerkmal (Art. 1 Nr. 1 lit. a) G. v. 24.4.2019, BGBl. 2019 I S. 496) infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein (vgl. BT-Drs. 19/8349, S. 16 und 19). Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor in seinem Beschluss vom 21. März 2018 (1 BvF 1/13 – BeckRS 2018, 7272) festgestellt, dass mit zunehmender Dauer der Verbreitung der Information die Diskrepanz der über die Zeit steigenden Gesamtbelastung des Unternehmens einerseits und dem abnehmendem Wert der Information der Verbraucher andererseits steigt (a. a. O. Rn. 57) und der objektive Informationswert der Verbreitung eines Verstoßes mit zunehmendem Alter eines Verstoßes sinke (a. a. O. Rn. 58). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Vollzugsbehörden mit der Ergänzung des Unverzüglichkeitserfordernisses dazu verpflichtet werden, nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen, da Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und ihrer Veröffentlichung nicht zweckdienlich im Sinne der Verbraucherinformation seien (BT-Drs. 19/8349 S. 19), wobei die Veröffentlichung von lebens- und futtermittelrechtlichen Missständen im Schwerpunkt eine hinreichende Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentscheidung der Verbraucher schaffen soll (BT-Drs. 16/5723 S. 1; so auch BVerfG, a. a. O. Rn. 32 unter Verweis auf BT-Drs. 17/7374, S. 2).
35
Diese Erwägungen des Gesetzgebers zeigen, dass das Unverzüglichkeitserfordernis eine objektive, verschuldensunabhängige Informationspflicht normieren soll, da nur eine zeitnahe Information der Verbraucher über einen Verstoß diesen eine an der Veröffentlichung orientierte Steuerung ihres Konsumverhaltens erlaubt, während eine subjektive und damit verschuldensabhängige Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ entgegen dem bezweckten Ziel in der Sache nicht gebotene, aber der Behörde nicht vorwerfbare Verzögerungen bei der Veröffentlichung erlauben würde (vgl. BayVGH, B. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – BeckRS 2022, 31585 Rn. 22).
36
1.2.2.2.2. Eine Veröffentlichung erfolgt dementsprechend nur dann „unverzüglich“, wenn die zwischen dem Verstoß und seiner Veröffentlichung liegende Zeitspanne (vgl. OVG Bremen, B. v. 25.2.2022 – 1 B 487/21 – BeckRS 2022, 4522 Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, B. v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20 – BeckRS 2020, 33823 Rn. 20; auf den festgestellten Verstoß bzw. den Abschluss der notwendigen Ermittlungen abstellend BayVGH, B. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – BeckRS 2022, 31585 Rn. 19 und 22) durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist (BayVGH, a. a. O. Rn. 19 und 24).
37
Zu den sachlichen Gründen zählen dabei grundsätzlich die Gewährleistung der Verfahrensrechte des Betroffenen (insbesondere Anhörung und Gewährung von Akteneinsicht) unter Berücksichtigung des mit der Verbraucherinformation verfolgten Zwecks der zeitnahen Verbraucherinformation sowie die Dauer eines gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens und die zeitlichen Erfordernisse zur Ermittlung des zur Veröffentlichung bestimmten Sachverhalt je nach konkreter Sachverhaltsgestaltung (BayVGH, a. a. O. Rn. 24). Dass auch die Dauer der Sachverhaltsermittlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein muss, widerspricht zwar prima facie den Erwägungen des Gesetzgebers, der maßgeblich auf den Zeitraum zwischen Abschluss der Ermittlung und der Veröffentlichung abgestellt hat (BT-Drs. 19/8349 S. 19). Die sachliche Rechtfertigung auch der Dauer der Sachverhaltsermittlung ist jedoch grundrechtlich geboten: Da der Zweck der Veröffentlichung, die Verbraucher über die lebensmittelrechtlichen Verstöße im Unternehmen des Antragstellers zu informieren und ihnen eine bewusste Konsumentscheidung zu ermöglichen, mit zunehmendem Alter des Verstoßes immer weniger erreicht werden kann und der Informationswert des Verstoßes mit zunehmender verstrichener Zeit immer weiter sinkt, kann allein die Verzögerung der Veröffentlichung von Verstößen zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Grundrechte der betroffenen Unternehmer führen (vgl. BayVGH, a. a. O. Rn. 29; OVG Bremen, B. v. 25.2.2022 – 1 B 487/21 – BeckRS 2022, 4522 Rn. 28; vgl. auch BVerfG, B. v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – BeckRS 2018, 7272 Rn. 57 f.). Infolgedessen darf auch der Zeitraum, in dem ermittelt wird, ob ein Verstoß tatsächlich vorliegt, nicht beliebig lang sein, so dass auch der Ermittlungszeitraum bei der Frage der Unverzüglichkeit der Veröffentlichung berücksichtigt werden muss, ist es doch für den mit dem Verstreichen der Zeit abnehmenden Informationswert des Verstoßes unmaßgeblich, ob es im Ermittlungszeitraum oder nach Abschluss der Ermittlung zu einer nicht zu rechtfertigenden übermäßigen Verzögerung seitens der Behörde gekommen ist.
38
Umstände, die nicht der Sphäre der Behörde, sondern der des Lebensmittelunternehmers zuzurechnen sind, haben hingegen grundsätzlich keine Auswirkung auf die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung (vgl. BayVGH, a. a. O., OVG Bremen, B. v. 25.2.2022 – 1 B 487/21 – BeckRS 2022, 4522 Rn. 28).
39
Die zeitliche Dauer des Verfahrens allein erlaubt hingegen angesichts einer Vielzahl an denkbaren Fallgestaltungen und des von Fall zu Fall variierenden Ermittlungsaufwands keine Aussage über die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung (BayVGH, a. a. O. Rn. 18; ebenso OVG Bremen, a. a. O. Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, B. v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20 – BeckRS 2020, 33823 Rn. 20). Dennoch kann als Orientierungsgröße zur Bestimmung eines angemessenen Zeitkorridors zur Veröffentlichung die Wertung des § 5 Abs. 2 Verbraucherinformationsgesetz (VIG) herangezogen werden (so BayVGH, BayVGH, B. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – BeckRS 2022, 31585 Rn. 18). Hiernach steht jedem ein Auskunftsanspruch über nicht zulässige Abweichungen von Anforderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches zu, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) VIG, über den bei der Beteiligung Dritter, wozu insbesondere die durch den Auskunftsanspruch belasteten Lebens- oder Futtermittelunternehmen zählen (Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Juli 20222, VIG § 5 Rn. 7), in der Regel binnen zwei Monaten nach Antragstellung zu entscheiden ist, vgl. § 5 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VIG.
40
1.2.2.2.3. Ausgehend von diesem Maßstab war die mit Schreiben des Antragsgegners vom 21. März 2023 endgültig angekündigte Veröffentlichung des Verstoßes angesichts des Verstreichens von mehr als viereinhalb Monaten seit dem ersten Verdachtsmoment, das zur Probenahme am … November 2022 führte, nicht mehr unverzüglich.
41
Der gut viereinhalbmonatige Zeitraum zwischen der Probenahme und der Ankündigung der Veröffentlichung liegt deutlich über den zwei Monaten, die nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VIG als Orientierungsgröße herangezogen werden können. Sachliche Gründe, die eine derart lange Verzögerung der Veröffentlichung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
42
Zunächst erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt, dass zwischen der Übermittlung der Probe am … November 2022 und der Erstellung des LGL-Gutachtens am … Januar 2023 mehr als zwei Monate liegen. Denn ausweislich des zweieinhalbseitigen Gutachtens wurde die Untersuchung der Probe bereits am … November 2022 abgeschlossen. Sachliche Gründe, die erklären würden, warum das Gutachten erst knapp zwei Monate nach Abschluss der Untersuchung erstellt wurde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, wären jedoch angesichts der Stellung des LGL als Ermittlungsgehilfe des Antragsgegners geboten gewesen. Insbesondere der Umfang des Gutachtens, dessen Beurteilungspassus einen Umfang von lediglich einer halben Seite aufweist und in dem im Wesentlichen neben der Wiedergabe der Messwerte und der maßgeblichen Grenzwerte ausgeführt wird, dass angesichts der Überschreitung der Richtwerte das untersuchte Frittieröl für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet geworden ist, lässt keine Komplexität der aufgeworfenen Fragen erkennen, die einen Zeitraum von fast zwei Monaten zwischen Untersuchungsende und der Fertigstellung des Gutachtens rechtfertigen würde. Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass Verzögerungsgründe wie etwa Krankenstand, Überlastung oder Personalmangel, sollten diese Ursache für die verzögerte Erstellung des Gutachtens sein, dem LGL und dem Antragsgegner zwar nicht vorwerfbar wären, aber keine der Sache nach gebotenen Gründe darstellen würden.
43
Ebenso erscheint der Zeitraum zwischen der Übermittlung der Behördenakte an die Bevollmächtigte des Antragstellers am 6. Februar 2023 und der Anhörung zur geplanten Veröffentlichung mit Schreiben vom 10. März 2023 sachlich nicht gerechtfertigt. Unabhängig von der Frage, ob es nicht bereits geboten gewesen wäre, dass die Behörde zeitgleich mit der Anhörung nach § 55 OWiG (Schreiben vom … Januar 2023) auch zur geplanten Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB anhört, wäre der Antragsgegner jedenfalls gehalten gewesen, die Übersendung der Behördenakte mit einer angesichts der Überschaubarkeit des hier relevanten Sachverhalts kurzen Frist zur Stellungnahme zu verbinden, um einen zügigen Verfahrensablauf sicherzustellen. Ein bloßes Zuwarten von mehr als einem Monat seit Übermittlung der Behördenakte, ob seitens der Antragspartei noch eine Stellungnahme eingeht, dürfte mit dem Unverzüglichkeitsgebot des Gesetzes nicht zu vereinbaren sein.
44
Unter Würdigung aller Umstände erfolgte die Veröffentlichung im vorliegenden Fall in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise um rund drei Monate verzögert, weshalb die geplante Veröffentlichung bereits zum Zeitpunkt ihrer endgültigen Ankündigung am 21. März 2023 dem Unverzüglichkeitserfordernis nicht mehr genügen konnte.
45
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
46
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei unter Berücksichtigung von Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 wegen der Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Streitwerts abgesehen wurde.