Titel:
Unfallausgleich, Abgrenzung der Neufeststellung des Unfallausgleichs von dessen Rücknahme, Einstellung der Unfallausgleichszahlungen aufgrund Verweigerung der Teilnahme an einer ärztlichen Nachuntersuchung, hier: hinreichende Anhaltspunkte für die rechtmäßige Anordnung einer ärztlichen Nachuntersuchung
Normenketten:
BeamtVG § 35 Abs. 3
VwVfG § 48
Schlagworte:
Unfallausgleich, Abgrenzung der Neufeststellung des Unfallausgleichs von dessen Rücknahme, Einstellung der Unfallausgleichszahlungen aufgrund Verweigerung der Teilnahme an einer ärztlichen Nachuntersuchung, hier: hinreichende Anhaltspunkte für die rechtmäßige Anordnung einer ärztlichen Nachuntersuchung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9249
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der am …1966 geborene Kläger, zuletzt Polizeihauptmeister, erlitt am 25.05.1993 einen Dienstunfall. Bei einem Auffahrunfall auf einen Lkw während der Heimfahrt vom Dienst zog er sich als Beifahrer ein schweres Schleudertrauma der HWS zu. Der Unfall wurde mit Bescheid vom 29.10.1993 als Dienstunfall anerkannt.
2
Am 20.01.1998 erlitt der Kläger einen weiteren Dienstunfall. Als Fahrer eines Einsatzfahrzeuges geriet er mit diesem ins Schleudern und kollidierte mit der Leitplanke. Der Unfall wurde mit Verfügung vom 08.07.1998 als Dienstunfall mit dem Körperschaden Zerrung und Verdrehung der Halswirbelsäule sowie Prellung der Brustwirbelsäule anerkannt.
3
Ein von der Beklagten aufgrund fortgesetzt geklagter Beschwerden in Auftrag gegebenes unfallmedizinisches orthopädisches Gutachten – mit neurologischem und psychologischem Zusatzgutachten vom 17.09.2003 – ergab am 24.10.2003 keine Kausalität zwischen den Dienstunfällen vom 25.05.1993 sowie 20.01.1998 und den festgestellten körperlichen und psychischen Beschwerden. Bestenfalls sei der zweite Dienstunfall als Gelegenheitsursache anzusehen. Mit Bescheid vom 26.01.2004 wurden daraufhin die geltend gemachten Beschwerden: Ständiger Druckschmerz der linken HWS-Region, intermittierender belastungsabhängiger Schmerz der linken Nacken-Schultermuskulatur mit Schmerzausstrahlung/Taubheit in den linken Arm bis einschließlich III. und IV. Finger links sowie linksseitige Kopfschmerzen mit Lichtempfindlichkeit mit der gestellten Diagnose chronisches Schmerzsyndrom Stadium III nach G. mangels Kausalität nicht als Folge der beiden Dienstunfälle anerkannt und die durch die Dienstunfälle eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 0% festgesetzt. Widerspruch und Klage gegen diese Feststellungen blieben erfolglos, ein angestrengtes Rechtsmittelverfahren wurde durch den VGH Baden-Württemberg am 03.07.2012 (bei Kostenteilung) eingestellt.
4
Am 03.03.2008 erlitt der Kläger erneut einen Dienstunfall. Auf der Heimfahrt vom Dienst geriet das private Fahrzeug des Klägers beim Überholen auf der Autobahn ins Schleudern. Die Front des Fahrzeugs geriet dabei zwischen Vorder- und Hinterachse eines Lkw. Mit Verfügung vom 24.07.2008 wurde dieses Ereignis als Dienstunfall mit dem Körperschaden Distorsion HWS anerkannt. Der polizeiärztliche Dienst hatte zuvor am 03.06.2008 die Kausalität der Verletzung mit dem Dienstunfall bejaht und verneint, dass bleibenden Folgen zu erwarten seien.
5
Eine von der Beklagten im Rahmen einer Nachuntersuchung zu den beiden Dienstunfällen von 1993 und 1998 eingeholte gutachterliche Stellungnahme auf neurochirurgischen Fachgebiet vom 05.08.2008 ergab die Unfallfolgen Nacken-Kopfschmerzen, Missempfinden und Schwächegefühl im linken Arm mit einer daraus resultierenden MdE von 10%, bestätigt durch polizeiärztliche Feststellung vom 02.09.2008. Mit Abhilfebescheid der Beklagten vom 14.05.2009 wurde festgestellt, dass die anerkannten Dienstunfälle vom 25.05.1993 und 20.01.1998 die Folgen Nacken-Kopfschmerzen sowie Missempfinden und Schwächegefühl im linken Arm hinterlassen haben. Die hierdurch eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde entsprechend der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben auf 10% festgesetzt. Eine Nachuntersuchung sei im September 2010 erforderlich.
6
Mit Bescheid des Zentrum B. Familie und Soziales vom 10.11.2010 wurde beim Kläger eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 30 festgestellt. Es liege eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit vor.
7
Mit Bescheid der Beklagten vom 11.07.2011 wurde der Kläger mit Ablauf des 31.07.2011 wegen Polizei- und allgemeiner Beamtendienstunfähigkeit infolge der Dienstunfälle vom 25.05.1993, 20.01.1998 sowie 03.03.2008 in den Ruhestand versetzt.
8
Die Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. B. auf neurochirurgischen Fachgebiet zu den gesundheitlichen Auswirkungen der 3 erlittenen Dienstunfälle, der unfallrechtlichen Kausalität sowie einer etwaig daraus resultierenden MdE vom 10.07.2011 ein. Danach bestünden seit dem letzten Unfallereignis Nacken-Kopfschmerzen sowie Armschmerzen links, desweiteren bestehe eine Hypästesie im linken Armbereich, Tinnitus und Schwindel überwiegend bei Kopfreklination. Eine Kausalität mit den Dienstunfällen sei zu bejahen; der Unfall von 1993 habe zunächst nach ca. 6 Monaten zu einer Ausheilung der Nackenschmerzen geführt. Der Unfall in 1998 habe zu dem nun vorliegenden chronifizierten Schmerzsyndrom im linken Armbereich geführt. Der letzte Unfall habe dann eine Verstärkung der Beschwerden verursacht. Der letzte Unfall von 2008 habe bis dato zu einer MdE von 30 geführt. Es sei aufgrund des Gesamtverlaufs eines seit 13 Jahren chronifizierten Schmerzsyndroms zukünftig nicht mit einer wesentlichen Besserung zu rechnen. Durch den Unfall in 2008 sei der Schmerzzustand weiter aggraviert worden, wobei nach nun 3 Jahren nach dem letzten Unfall mit keiner richtungsführenden Verbesserung zu rechnen sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 wurde auf Dauer für gerechtfertigt erachtet.
9
Der arbeitsmedizinische Dienst der Bundespolizei hat am 26.08.2011 die im Gutachten vom 10.07.2011 festgestellten Unfallfolgen übernommen und die auf dem Dienstunfall beruhende MdE heute auf 30% eingeschätzt; seit 03/2008 auf Dauer. Eine Nachuntersuchung sei wegen bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich.
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Daraufhin erfolgte mit Bescheid vom 28.09.2011 die Neufeststellung der Unfallfolgen zu den Dienstunfällen vom 25.05.1993, 20.01.1998 und 03.03.2008: Nacken-, Kopfschmerz sowie Armschmerz links, Hypästhesie im linken Armbereich, Tinnitus und Schwindel überwiegend bei Kopfreklination. Die dadurch eingetretene MdE wurde gemäß § 35 Abs. 2 BeamtVG ab 03/2008 auf 30% festgesetzt. Eine Nachuntersuchung sei wegen des bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich.
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Aufgrund dessen erhielt der Kläger seit März 2008 Unfallausgleich gemäß § 35 BeamtVG sowie seit seiner Ruhestandsversetzung Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG.
12
Im Rahmen eines sozialmedizinischen Gutachtens vom 15.12.2015 zur Prüfung der Dienstfähigkeit wegen etwaiger Reaktivierung wurde die Dienstunfähigkeit weiterhin bestätigt und dass nicht zu erwarten sei, dass diese wiedererlangt werde. Aufgrund der seit Jahren bestehenden Schmerzsymptomatik ohne wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes solle auf eine erneute sozialmedizinische Untersuchung in Zukunft verzichtet werden.
13
Mit Schreiben vom 03.11.2021 wurde dem Kläger bekannt gegeben, dass die Beklagte aufgrund des vergangenen Zeitraums seit der letztmaligen Feststellung der Unfallfolgen im Jahr 2011 zur Neufeststellung der Unfallfolgen ein Gutachten in Auftrag gegeben habe. Falls er zu einem Untersuchungstermin aufgefordert werde, werde gebeten, dieser Aufforderung nachzukommen. Am 10.11.2021 teilte der Kläger daraufhin mit, dass er dem nicht nachkommen werde, da entsprechend dem Schreiben der Beklagten vom 28.09.2011 eine Nachuntersuchung wegen bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich sei. Auch der GdB von 30 sei unbefristet festgestellt worden.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 23.11.2021 wurde der Kläger aufgefordert, einer Aufforderung des Gutachters zur Untersuchung nachzukommen. Er wurde darauf hingewiesen, dass andernfalls eine Einstellung der Zahlungen des Unfallausgleichs in Betracht komme. Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse lägen vor. Es folgte weiterer kontroverser Schriftverkehr betreffend die Verpflichtung des Klägers zur Nachuntersuchung, wobei klägerseitig weiterhin die Auffassung vertreten wurde, dass eine Begutachtung nicht mehr gefordert werden könne.
15
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 08.03.2022 die laufende Zahlung von Unfallausgleich gemäß § 35 Abs. 1 BeamtVG mit Wirkung vom 01.04.2022 bis auf weiteres ein. Nach § 35 Abs. 3 BeamtVG werde der Unfallausgleich neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen seien, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Zu diesem Zweck sei der Beamte verpflichtet, sich auf Anordnung der obersten Dienstbehörde durch einen von ihr bestimmten Arzt untersuchen zu lassen. Komme der Empfänger eines Unfallausgleich der Aufforderung zur Nachuntersuchung ohne triftigen Grund nicht nach, sei die Zahlung einzustellen, wenn und soweit sich keine hinreichenden Feststellungen für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen treffen ließen. Der Einwand, dass die MdE als Dauerschaden festgestellt worden sei, sei nicht haltbar, da es sich seinerzeit ausdrücklich um eine Schätzung gehandelt habe. Die Dienstbehörde könne unabhängig vom Vorschlag eines Gutachtens zu jedem Zeitpunkt eine Nachuntersuchung veranlassen, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sich die Unfallfolgen wesentlich geändert hätten. Diese Anhaltspunkte ergäben sich hier allein aus dem vergangenen Zeitraum von 10 Jahren, ohne dass eine weitere Nachuntersuchung erfolgt sei. Ebenfalls seien seither keine ärztlichen Befundberichte vorgelegt worden und Heilverfahrenskosten nicht geltend gemacht worden. Auch seien keine unheilbaren Unfallfolgen festgestellt worden, sodass eine Nachuntersuchung nunmehr erforderlich sei. Da der Kläger trotz mehrfacher Erläuterung an der Absicht, einer Aufforderung nicht nachzukommen, festgehalten habe, liege eine Mitwirkungspflichtverletzung vor und es könnten keine hinreichenden Feststellungen für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen getroffen werden. Daher sei die Zahlung in Übereinstimmung mit den Vollzugshinweisen bis auf weiteres einzustellen. Eine Rücknahme festgestellter Unfallfolgen sei im vorliegenden Fall nicht beabsichtigt. Es gehe allein um die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen für die Weiterzahlung des Unfallausgleichs.
16
Mit Bescheid vom 19.05.2022 wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 08.03.2022 angeordnet.
17
Mit einem nach Aktenlage erstellten Gutachten des Dr. W. vom 02.11.2022 wurde festgestellt, dass keine erwerbsmindernden Folgen vorhanden seien, die durch die 3 erlittenen Dienstunfälle verursacht oder wesentlich teilverursacht worden seien. Bei den im Rahmen der Dienstunfälle jeweils zugezogenen Halswirbelsäulenverletzungen handele es sich um Bagatellverletzungen, da strukturelle Verletzungen nicht hätten nachgewiesen werden können. Es sei gesicherte ärztliche Erkenntnis, dass in einem solchen Fall Zerrungen spätestens nach einem Zeitraum von 3-4 Monaten folgenlos ausheilten. Dies sei auch beim Kläger der Fall; in keinem der seit 1993 durchgeführten bildgebenden Verfahren habe eine Verletzungsfolge an der HWS objektiviert werden können. Nachweisbar seien ausschließlich konstitutionelle degenerative Veränderungen. Bei den früheren gutachterlichen Untersuchungen habe sich auch eine weitgehend freie Beweglichkeit der HWS gezeigt; neurologische Ausfälle hätten nicht objektiviert werden können. Somit könne das Krankheitsbild nur durch eine chronische Schmerzerkrankung erklärt werden, verursacht durch eine individuelle, unfallunabhängige, schicksalhafte Veranlagung. Eine unfallbedingt verursachte chronische Schmerzstörung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, da eine unfallbedingte posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger nicht vorliege. Für die unfallfremde Disposition spreche auch die Tatsache, dass bereits 1991 vor dem ersten Dienstunfall ein Cervicobrachialsyndrom dokumentiert sei.
18
Gegen den Bescheid vom 08.03.2022 hat der Kläger am 16.03.2022 unter Verweis auf die früher als dauerhaft eingeschätzte MdE, die fehlende Erforderlichkeit einer Nachuntersuchung sowie den unveränderten Gesundheitszustand des Klägers Widerspruch einlegen lassen. Mit Bescheid vom 14.12.2022, zugestellt am 17.12.2022, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ergänzend zu den Ausführungen im Ausgangsbescheid wurde darauf verwiesen, dass es sich gerade bei den beim Kläger anerkannten Unfallfolgen um Symptome handele, die nach medizinischen Erfahrungsgrundsätzen einem veränderbaren Verlauf unterlägen. Erfahrungsgemäß sei bei den anerkannten Schmerzsymptomen auch eine fortlaufende ärztliche Behandlung notwendig, sodass nicht nachvollziehbar sei, warum seit der Ruhestandsversetzung keine Heilverfahrenskosten geltend gemacht worden seien. Aus dem Gutachten vom 15.12.2015 ergebe sich lediglich der Verzicht auf eine erneute sozialmedizinische Untersuchung und folglich auf erneute Prüfung einer möglichen Reaktivierung, was unabhängig von der Beurteilung der Unfallfolgen sei. Schließlich wurde auf das nach Aktenlage erstellte Gutachten des Dr. W. vom 02.11.2022 verwiesen, wonach im Ergebnis keine dienstunfallbedingte MdE mehr vorliege.
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Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 17.01.2023 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben lassen. In der Vergangenheit habe der arbeitsmedizinische Dienst der Bundespolizei am 26.08.2011 die MdE von 30 als dauerhaft eingeschätzt. Im Bescheid vom 27.09.2011 sei ausgeführt, dass eine Nachuntersuchung wegen des bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich sei. Im sozialmedizinischen Gutachten vom 15.12.2015 werde dargelegt, dass aufgrund der seit Jahren bestehenden Schmerzsymptomatik ohne wesentliche Veränderung des Gesundheitszustands auf eine erneute sozialmedizinische Untersuchung in Zukunft verzichtet werden solle. Eine MdE von 30 sei somit dauerhaft festgestellt worden. Der Gesundheitszustand des Klägers sei seit der Feststellung bis heute unverändert geblieben, sodass es keines weiteren Zusammenhangsgutachtens bedürfe. Da der Kläger somit gemäß § 35 Abs. 1 BeamtVG um mindestens 25% infolge des Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert sei, habe er weiterhin Anspruch auf Unfallausgleich. Die vom Beklagten zitierte Ziffer 35.2.1.4 BeamtVGVwV sei nicht einschlägig; sie betreffe lediglich das Vorgehen bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die längst erfolgt sei, und nicht die hier maßgebliche etwaige Neufestsetzung. Vielmehr finde § 62 Abs. 3 BVG Anwendung, wonach bei Versorgungsberechtigten ab dem 55. Lebensjahr der Grad der Schädigungsfolgen wegen Besserung des schädigungsbedingten Gesundheitszustandes nicht niedriger festzusetzen sei, wenn er in den letzten 10 Jahren seit Feststellung nach diesem Gesetz unverändert geblieben sei, was im Falle des Klägers gemäß Feststellungsbescheid aus dem Jahre 2011 seit März 2008 der Fall sei. Soweit sich die Beklagte auf Ziffer 35.3.1.3. BeamtVGVwV beziehe, wonach auch die Anpassung und Gewöhnung an den Unfallfolgenzustand eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse sein könne, so lasse die Beklagte Satz 2 der Vorschrift unbeachtet, wonach dies im Einzelfall nachzuweisen sei und nicht allein durch Zeitablauf gerechtfertigt sein könne. Einen derartigen Nachweis habe die Beklagte jedoch nicht erbracht, sodass auch eine Begutachtung nicht gefordert werden könne.
20
Auf Rechtsprechung, etwa des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.05.2021, wurde verwiesen. Danach würden im Falle der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 VwVfG die allgemeinen Beweisgrundsätze gelten, wonach derjenige, der aus einer Norm eine ihm günstige Rechtsfolge ableite, die materielle Beweislast trage. Demzufolge trage grundsätzlich die Behörde die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen der Rücknahme und damit auch das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erfüllt seien. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn die Unerweislichkeit auf einem gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßenden unlauteren Verhalten des Begünstigten beruhten. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, da die Beklagte den Nachweis für eine Anpassung oder Gewöhnung an die Unfallfolgen oder einen anderen Nachweis nicht erbracht habe, sodass der Kläger nicht verpflichtet sei, eine Begutachtung durchführen zu lassen. Zudem sei eine Rücknahme allein aus Gründen der Verjährung nicht möglich, da die Unfallereignisse länger als 10 Jahre zurücklägen. Auch für den Fall, dass der Dienstherr eine Kürzung oder den Wegfall eines Unfallausgleichs wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse annehmen wolle, sei er für das Vorliegen der wesentlichen Änderung beweispflichtig. Hierfür sei erforderlich, dass eine Änderung des durch den Dienstunfall hervorgerufenen Gesundheitszustandes tatsächlich eingetreten sei. Ein solcher Nachweis sei hier nicht erbracht worden. Insbesondere stelle das vorgelegte Gutachten nach Aktenlage lediglich eine medizinische Einschätzung bei gleich gebliebenen Sachverhalt dar, was keinen Anwendungsfall des § 35 Abs. 3 BeamtVG darstelle und auch in 35.3.1.5 BeamtVGVwV geregelt sei.
21
Schließlich liege ein Zuständigkeitsmangel vor; die Beklagte sei keine Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Dienstherrn des Klägers, sodass sie auch den Bescheid vom 8.3.2022 nicht habe erlassen dürfen.
22
Der Kläger hat beantragen lassen:
Der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger weiterhin ab dem 01.04.2022 Unfallausgleich nach dem § 35 Abs. 1 BeamtVG zu bezahlen.
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Die Vertreterin der Beklagten hat beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise den Kläger zu verpflichten, sich bezüglich der Unfallfolgen ärztlich untersuchen zu lassen.
24
Maßgebliche Rechtsgrundlage sei § 35 Abs. 3 BeamtVG. Der Unfallausgleich sei neu festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen seien, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Zu den beim Kläger in 2011 festgestellten Dienstunfallfolgen seien in den vergangenen 10 Jahren keine Heilverfahrenskosten wie z.B. Schmerzmittel oder Physiotherapie geltend gemacht wurden, was dafür spreche, dass die Unfallfolgen nicht mehr vorlägen. Deshalb sei eine Nachuntersuchung angeordnet worden, der der Kläger jedoch nicht nachgekommen sei. Die Pflicht, sich von einem ärztlichen Gutachter untersuchen zu lassen, ergebe sich aus § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG. Da der Kläger dies verweigert habe, sei die Beklagte gemäß Ziffer 35.3.2.2 BeamtVGVwV berechtigt gewesen, den ungünstigen Schluss zu ziehen, dass kein Anspruch auf weitere Unfallausgleichszahlungen bestehe. Mit dem Gutachten nach Aktenlage vom 02.11.2022 habe die Beklagte im Sinne dieser Regelung noch versucht, alternativ hinreichende Feststellungen für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für den weiteren Bezug von Unfallausgleich zu treffen. Das Gutachten sei jedoch in Bezug auf die Neufeststellung des Unfallausgleich nicht verwertbar. Denn da der Kläger nicht mitgewirkt und eine Untersuchung verweigert habe, habe der Gutachter keine aktuelle Befunderhebung bezüglich der Dienstunfallfolgen vornehmen können. Soweit der Kläger auf den Bescheid der Bundespolizeidirektion S. vom 27.09.2011 verweise, wonach die MdE von 30 als dauerhaft eingeschätzt und eine Nachuntersuchung nicht für erforderlich gehalten worden sei, sei fraglich, ob diese Feststellungen an der Bestandskraft teilnähmen. Zudem sei der Bescheid rechtswidrig ergangen, da dieser nach der Ruhestandsversetzung des Klägers am 01.08.2011 erlassen worden sei und die Zuständigkeit zu diesem Zeitpunkt nach der BeamtVZustAnO bereits auf eine andere Behörde übergegangen sei. Unabhängig davon könne die Beklagte gemäß Ziffer 35.3.2.1 BeamtVGVwV zu jedem Zeitpunkt eine Nachuntersuchung veranlassen, wenn Anhaltspunkte vorlägen, dass sich die Unfallfolgen wesentlich geändert haben, was – wie ausgeführt – hier der Fall gewesen sei. Nach der Argumentation des Klägers müsse die Beklagte erst beweisen, dass in den Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei, bevor sie eine gutachterliche Nachuntersuchung veranlassen könne, was dem Wortlaut des § 35 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BeamtVG widerspreche. Somit komme den Bemerkungen im Feststellungsbescheid von 27.09.2011 keine Bindungswirkung in Bezug auf die Neufeststellung des Unfallausgleichs zu. Bei diesem handele es sich um eine Leistung, die keinen ausnahmslos feststehenden Charakter habe, sondern in vielen Fallgestaltungen sowohl dem Grund als auch der Höhe nach Veränderungen unterworfen sein könne. Zur diesbezüglichen Feststellung diene die Vorschrift des § 35 Abs. 3 BeamtVG. Das vom Kläger erwähnte sozialmedizinische Gutachten vom 15.12.2015 stelle kein medizinisches Zusammenhangsgutachten dar; dieses sei im Rahmen der Prüfung der Reaktivierung des Klägers erstellt worden und befasse sich lediglich mit der Frage der gesundheitlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst. Zudem sei nur empfohlen worden, auf eine erneute – sozialmedizinische – Untersuchung zu verzichten. Im vorliegenden Verfahren finde auch § 62 Abs. 3 BVG keine Anwendung; einschlägig seien allein die Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sei auch nicht, ob die festgestellten Unfallfolgen auf die Dienstunfälle zurückzuführen seien. Demzufolge seien die klägerischen Ausführungen zur Rücknahme von Verwaltungsakten nicht nachvollziehbar.
25
Ein Zuständigkeitsmangel sei nicht gegeben. Die Beklagte sei gemäß Punkt A I i.V.m. Anlage 1, Nr. 7, Spalte 5, Anlage 2, Nr. 1 Fußnote 4 BeamtVZustAnO für die Neufeststellung des Unfallausgleichs sowie die Anordnung ärztlicher Untersuchungen originär zuständig; auf die Rechtsnachfolge komme es bezüglich der Zuständigkeit nicht an.
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Mit Schriftsätzen der Beklagtenvertreterin vom 27.03.2023 sowie der Klägerbevollmächtigten vom 30.03.2023 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.
27
Die Verfahrensbeteiligten wurden mit Schreiben des Gerichts vom 27.03.2023 dazu angehört, ob gegen eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter Einwendungen bestehen. Durch Beschluss des Gerichts vom 27.04.2023 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist teilweise bereits unzulässig, soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.
30
Die Klage ist statthaft und zulässig, soweit die Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 begehrt wird. Die darüber hinaus begehrte Verpflichtung, dem Kläger ab dem 01.04.2022 Unfallausgleich nach § 35 Abs. 1 BeamtVG zu bezahlen, ist hingegen nicht statthaft und damit unzulässig, da dem klägerischen Begehren bereits mit der Anfechtungsklage vollumfänglich Rechnung getragen wird. Denn wenn der die Zahlung von Unfallausgleich ab dem 1. April 2022 bis auf weiteres einstellende Bescheid vom 08.03.2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufgehoben wird, lebt die Regelung zur Bewilligung von Unfallausgleich in dem ursprünglichen Dauerverwaltungsakt vom 28.09.2011 wieder auf, sodass der Kläger einen Anspruch auf Fortzahlung von Unfallausgleich ab dem oben genannten Datum besitzt (vgl. BVerwG, U.v. 25.02.2016 – 2 C 14/14 – juris).
31
Die erhobene Anfechtungsklage ist nicht begründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid vom 08.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
32
Rechtsgrundlage für die angegriffene Einstellung der Gewährung von Unfallausgleichszahlungen nach § 35 Abs. 1 BeamtVG ab dem 01.04.2022 bis auf weiteres ist § 35 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BeamtVG i.V.m. dem auch im Verwaltungsverfahren Geltung beanspruchenden allgemeinen Rechtsgrundsatz aus § 444 ZPO (vgl. BVerwG, B.v. 19.06.2000 – 1 DB 13/00 – juris; U.v. 18.09.1997 – 2C 33/96 – juris; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder Hauptband II, § 35 BeamtVG Rn. 130; Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz Bd. 2, § 35 BeamtVG Rn. 72). Gleiches ergibt sich darüber hinaus auch aus Ziffer 35.3.2.2 BeamtVGVwV.
33
Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides bestehen keine Bedenken.
34
Soweit der Kläger im Hinblick auf die Zuständigkeit gerügt hat, dass die Beklagte keine Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Dienstherrn des Klägers sei, so erscheint dieser pauschale Vorhalt nicht nachvollziehbar. Denn Dienstherr des Klägers war und ist stets die Bundesrepublik Deutschland gewesen, § 2 BBG. Falls mit dem Vorbringen gemeint sein sollte, dass die falsche Behörde innerhalb der Aufbauorganisation der Bundesrepublik Deutschland tätig geworden sei, so greift auch dies nicht durch, denn nach § 49 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtVG, § 1 Nr. 1, § 2 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 7 Spalte 5, Anlage 2 Nr. 1 Spalte 3 BeamtVZustAnO ist vorliegend das Service-Center D. der Generalszolldirektion für die Dienstunfallfürsorge der Versorgungsempfänger und damit auch für eine Neufeststellung des Unfallausgleichs nach § 35 Abs. 3 BeamtVG sowie eine diesbezügliche ärztliche Untersuchung zuständig.
35
Auch ein Verfahrensfehler ist nicht gegeben. Denn selbst wenn man die Schreiben der Beklagten vom 23.11.2021 sowie 17.12.2021, in welchen der Kläger auf seine Mitwirkungspflicht und eine mögliche Einstellung des Unfallausgleichs hingewiesen wurde, nicht als erforderliche Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG ausreichen lassen wollte, so wurde die Anhörung jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zumindest dadurch rechtskonform nachgeholt, dass der Kläger seine Einwendungen im Wege des Widerspruchs vortragen konnte und die Behörde das Vorbringen des Klägers ausweislich der Gründe des Widerspruchsbescheides zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung gezogen hat (vgl. dazu etwa: BeckOK, VwVfG, § 45 Rn. 42 m.w.N.).
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Der angegriffene Bescheid vom 08.03.2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 ist auch materiell rechtmäßig.
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Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG erhält ein Beamter, der als Verletzter infolge des Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als 6 Monate um mindestens 25% gemindert ist, solange dieser Zustand andauert, neben den Dienstbezügen, den Anwärterbezügen oder dem Ruhegehalt einen Unfallausgleich. Nach § 35 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BeamtVG wird der Unfallausgleich neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Zu diesem Zweck ist der Beamte verpflichtet, sich auf Anordnung der obersten Dienstbehörde durch einen von ihr bestimmten Arzt untersuchen zu lassen; die oberste Dienstbehörde kann diese Befugnis auf andere Stellen übertragen.
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Die Beklagte hat vorliegend in den streitgegenständlichen Bescheiden – nach dem Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der bekannten und erkennbaren Umstände (vgl. dazu etwa: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 55 m.w.N.) – eine Regelung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BeamtVG getroffen, nicht jedoch die Regelung zum Unfallausgleich gemäß Bescheid vom 28.09.2011 nach § 48 VwVfG zurückgenommen, weshalb die klägerischen Ausführungen betreffend eine Rücknahme des Unfallausgleichs sowie eine diesbezügliche Beweislastverteilung als nicht entscheidungserheblich ins Leere gehen.
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Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist dann eingetreten, wenn sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit ununterbrochen für mehr als 6 Monate um mindestens 10% ändert oder wenn durch die Änderung die Mindestgrenze von 25% erreicht oder unterschritten wird. Eine wesentliche Änderung ist nicht eingetreten, wenn die der Bewilligung des Unfallausgleichs zu Grunde liegende ursprüngliche Bewertung nachträglich revidiert wird, sei es, dass der Kausalzusammenhang zwischen Dienstunfall und Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr in Abrede gestellt wird oder sei es, dass sich bei gleichbleibendem Gesundheitszustand die Bewertung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ändert. § 35 Abs. 3 BeamtVG ist daher nicht anzuwenden, wenn nachträglich festgestellt wird, dass der Unfallausgleich von Anfang an rechtswidrig war. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sowohl ex nunc als auch mit Wirkung ex tunc richtet sich in einem solchen Fall nach § 48 VwVfG (vgl. BVerwG, U.v. 25.02.2016 – 2 C 14/14 – juris; B.v. 16.09.1980 – 6 B 44/80 – juris: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz Bd. 2, § 35 BeamtVG Rn. 68 ff. m.w.N.).
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Dass vorliegend der Regelungsinhalt in Form der Leistungseinstellung des Unfallausgleichs allein im Hinblick auf eine (etwaige) Neufeststellung des Unfallausgleichs nach § 35 Abs. 3 BeamtVG ausgerichtet war, ergibt sich daraus, dass im Tenor des Ausgangsbescheides von einer „Einstellung“ des Unfallausgleichs „bis auf weiteres“ die Rede ist und nicht von einer Rücknahme des Unfallausgleichs, bei welcher der Zusatz „bis auf weiteres“ auch keinen Sinn ergäbe. Auch in den Gründen des Bescheides wird klar erkennbar dargelegt, dass die Behörde (lediglich) ein Verfahren zur Neufeststellung des Unfallausgleichs nach § 35 Abs. 3 BeamtVG anstrebt, der Kläger der hierzu für erforderlich gehaltenen ärztlichen Untersuchung nicht nachgekommen ist und daher aufgrund des Fehlens anderweitiger Feststellungen die Zahlungen gemäß § 35 Abs. 3 BeamtVG i.V.m. Tz. 35.3.2.2 BeamtVGVwV bis auf weiteres eingestellt werden. So wird im Ausgangsbescheid dann auch nochmals explizit festgehalten, dass eine Rücknahme von festgestellten Unfallfolgen gemäß § 48 VwVfG im vorliegenden Fall nicht beabsichtigt sei; vielmehr gehe es um die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen für die Weiterzahlung von Unfallausgleich. Im Rahmen des Widerspruchsbescheides wurde Ausgangsentscheidung vollumfänglich bestätigt und der Widerspruch zurückgewiesen. In den Gründen des Widerspruchsbescheides finden sich ebenfalls keine Hinweise darauf, dass eine Rücknahme des ursprünglich gewährten Unfallausgleichs nach § 48 VwVfG erfolgen sollte. Vielmehr wird auch dort maßgeblich auf ein Vorgehen nach § 35 Abs. 3 BeamtVG und die Einstellung der Zahlungen nach Tz. 35.3.2.2 BeamtVGVwV abgestellt. Soweit sodann ergänzend noch auf das zwischenzeitlich eingeholte Gutachten nach Aktenlage des Dr. W. eingegangen wird, welches in seiner Kernaussage, dass die aktuell vorhandenen Körperschäden nicht wesentlich kausal auf die Dienstunfallereignisse zurückzuführen seien, über den Regelungsgehalt des § 35 Abs. 3 BeamtVG hinausgeht und eine Rücknahme ggf. rechtfertigen könnte, so geschieht dies entsprechend der Darlegung der Beklagten im Bescheid allein vor dem Hintergrund, dass eine Einstellung nach 35.3.2.2 BeamtVGVwV nur erfolgen kann, wenn und soweit sich keine hinreichenden Feststellungen für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen treffen lassen. Für eine positive Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 35 Abs. 1 BeamtVG hat das Gutachten jedoch keine Hinweise erbracht. Demzufolge verkehrt sich der Regelungsgehalt des Ausgangsbescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides durch die Erwähnung des vorgenannten Gutachtens nicht in eine Rücknahme des seinerzeit gewährten Unfallausgleichs. Dies hat die Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung (Schreiben vom 06.02.2023, S. 5) auch nochmals ausdrücklich bestätigt.
41
Vor diesem Hintergrund ist die vom Kläger angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.05.2021 (2 C 10/20 – juris), wonach der Dienstherr bei einer Rücknahme der Anerkennung von Dienstunfallfolgen die materielle Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides zu tragen hat, sowie Ziffer 35.3.1.5 BeamtVGVwV im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Denn eine derartige Rücknahme hat die Beklagte entsprechend vorstehender Ausführungen hier gerade nicht verfügt. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht auf das Vorliegen der in dem Urteil angesprochenen Ausnahme an, wonach eine Ausnahme von dem vorgenannten Grundsatz dann gilt, wenn die Unerweislichkeit auf einem gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßenden unlauteren Verhalten des Begünstigten beruht. Auch aus dem zitierten Urteil des VG Gießen vom 25.06.2012 (5 K 482/11.GI – juris) kann der Kläger nichts für sich herleiten, zumal das dortige Urteil einen anders gelagerten Sachverhalt als vorliegend betrifft. Im hiesigen Zusammenhang hat das VG Gießen lediglich die Frage in den Raum gestellt, ob die ohne triftigen Grund erfolgende Weigerung eines Beamten, sich einer Nachuntersuchung zu stellen, in (ausnahmslos) jedem Fall die Einstellung der Unfallausgleichszahlungen rechtfertigt, und dies für die dort gegebene besondere Einzelfallkonstellation bezweifelt, jedoch im Ergebnis offen gelassen.
42
Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BeamtVG i.V.m. dem Rechtsgrundsatz aus § 444 ZPO liegen hier vor. Auch ist die Beklagte nicht unter Verstoß gegen Art. 3 GG von den Voraussetzungen der Ziffer 35 BeamtVGVwV, insbesondere Ziffer 35.3.2.2, abgewichen.
43
Bei der Gewährung von Unfallausgleich nach § 35 BeamtVG handelt es sich um eine Leistung, die keinen ausnahmslos feststehenden Charakter hat, sondern sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach Veränderungen unterworfen sein kann. Abgesehen von den Fällen, in denen es um bleibende Körperschäden mit im wesentlichen gleichbleibender Minderung der Erwerbsfähigkeit handelt, gibt es zahlreiche Fallgestaltungen, in denen Anlass besteht, die Frage des Unfallausgleichs nach Ablauf bestimmter Zeiträume rechtlich neu zu beurteilen. Zur Regelung derartiger Vorgänge dient unter anderem die Vorschrift in § 35 Abs. 3 BeamtVG über die Neufeststellung des Unfallausgleichs (vgl. etwa: OVG NRW, U.v. 08.02.1994 – 6 A 2089/91 – juris).
44
Die Ermittlung, ob die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG vorliegen, hat die Dienstbehörde schon dann aufzunehmen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung vorliegen. Diese können sich aus einem Antrag des Verletzten, aus eigenen Beobachtungen oder aus der Mitteilung Dritter ergeben. Es können auch routinemäßige Untersuchungen in bestimmten Zeitabständen angeordnet werden. Beruht die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf einem bleibenden Körperschaden und wird sich deshalb voraussichtlich nichts ändern, so kann von laufenden Nachuntersuchungen abgesehen werden. Die Dienstbehörde kann im Übrigen – unabhängig vom Vorschlag im Gutachten – zu jedem Zeitpunkt eine Nachuntersuchung veranlassen, wenn Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen vorliegen. Die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten inhaltlichen und formellen Anforderungen an amtsärztliche Untersuchungsanordnungen, die die Feststellung der Dienstunfähigkeit betreffen, sind hierbei nicht auf Untersuchungsanordnungen zur Überprüfung des Fortbestehens von Unfallfolgen übertragbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 23.01.2017 – OVG 4 S 43.16 – juris). Da die Gewährung von Unfallausgleich in gesteigertem Maße unter dem Vorbehalt einer Überprüfung steht, können die Untersuchungen nicht nur eine wesentliche Änderung, sondern auch eine Fehleinschätzung zu Tage fördern, die für die vorausgegangene Feststellung des Anspruchs maßgebend war. Bei Dienstunfallverletzten wird sich häufig die Minderung der Erwerbsfähigkeit verringern. Um dieser Möglichkeit Rechnung zu tragen, lassen sich Nachuntersuchungen nicht vermeiden, denen der Verletzte nachzukommen hat. Verweigert der Empfänger eines Unfallausgleich eine solche Untersuchung ohne triftigen Grund, kommt die Einstellung der Zahlungen in Betracht. (vgl. Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz Bd. 2, § 35 BeamtVG Rn. 68 ff. m.w.N.; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht Hauptband 2, § 35 BeamtVG Rn. 123 f. m.w.N.).
45
Tatbestandlich wird mit § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG an den vorausgehenden Satz 1 angeknüpft. Der Zweck der Untersuchung ist eine Bewertung, ob hinsichtlich der Verhältnisse, die für die Feststellung maßgebend waren, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Weigert sich der Beamte unberechtigt, sich untersuchen zu lassen, ist die Zahlung des Unfallausgleichs einzustellen, wenn sich keine Feststellungen für das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen treffen lassen. Dies folgt zwar nicht aus § 44 Abs. 2 BeamtVG, die Zahlungseinstellung ist jedoch in der Haltung des Beamten begründet. Gemäß der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, kann nach einem aus § 444 ZPO abgeleiteten und auch im Verwaltungsverfahren geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatz das Verhalten einer Partei, das die Benutzung eines bestimmten Beweismittels schuldhaft vereitelt, im Rahmen freier Beweiswürdigung als ein Umstand gewertet werden, der für die Richtigkeit des Vorbringens des Gegners zeugt, auch wenn dieser Schluss nicht notwendigerweise gezogen werden muss. Dieser Grundsatz gilt auch im Beamtenrecht, wenn der Beamte verpflichtet ist, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Eine solche Verpflichtung ginge ins Leere, wenn aus einer unberechtigten Weigerung keine Rückschlüsse gezogen werden könnten. Andernfalls hätte es der Beamte in der Hand, entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung die für die Feststellung einer wesentlichen Änderung zweckmäßige ärztliche Untersuchung erheblich zu erschweren oder zu vereiteln (vgl. BVerwG, B.v. 19.06.2000 – 1 DB 13/00 – juris; U.v. 18.09.1997 – 2C 33/96 – juris; OVG NRW, U.v. 19.02.1991 – 12 A 1399/87 – juris; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht Hauptband 2, § 35 BeamtVG Rn. 128 m.w.N).
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In Ausfluss und im Einklang mit der vorgenannten Rechtsprechung regelt Ziffer 35.3.2.2 BeamtVGVwV, dass die Zahlung des Unfallausgleichs einzustellen ist, wenn der Empfänger ohne triftigen Grund der Aufforderung zu einer Nachuntersuchung nicht nachkommt, wenn und soweit sich keine hinreichenden Feststellungen für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen treffen lassen. Gemäß Ziffer 35.3.2.1 BeamtVGVwV kann die Dienstbehörde – unabhängig von dem Vorschlag eines Gutachters – zu jedem Zeitpunkt eine Nachuntersuchung veranlassen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Unfallfolgen wesentlich geändert haben.
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Dies zugrunde gelegt bestanden vorliegend hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse und damit für die Anordnung einer Nachuntersuchung und es bestand gleichzeitig auch keine Berechtigung bzw. kein triftiger Grund für den Kläger, diese zu verweigern. Die Beklagte hat insoweit auf den langen Zeitablauf seit der letzten Nachuntersuchung im Jahre 2011 verwiesen, weiter darauf, dass seitdem keine ärztlichen Befunde oder Heilverfahrenskosten geltend gemacht worden sind, obwohl bei den anerkannten Schmerzsymptomen erfahrungsgemäß eine fortlaufende Behandlung notwendig sei, und dass es sich bei den anerkannten Unfallfolgen (Nacken-, Kopfschmerz und Armschmerz links, Hypästhesie im linken Armbereich, Tinnitus und Schwindel bei Kopfreklination) um Symptome handele, die nach medizinischen Erfahrungsgrundsätzen einem veränderbaren Verlauf unterlägen. Die Bezugnahme auf diese Gesichtspunkte und die darauf beruhende Entscheidung zur Anordnung einer Nachuntersuchung sind sachgerecht und rechtlich nicht zu beanstanden, zumal die Gewährung von Unfallausgleich bereits nach ihrem Wesen als Dauerleistung und bei regelmäßig veränderbaren Unfallfolgen in gesteigertem Maße unter dem Vorbehalt einer Überprüfung steht (vgl. etwa BayVGH, B.v. 07.01.2015 – 3 ZB 12.1391 – juris), sodass auch keine hohen Anforderungen an die Anordnung einer Nachuntersuchung zu stellen sind. Unabhängig davon unterliegt die Anordnung einer Nachuntersuchung als einer Ermessensentscheidung nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Diese ist lediglich dahin zu überprüfen, ob die Behörde der ihr obliegenden Verpflichtung ausreichend Rechnung getragen hat, ihr Ermessen zweckgerecht und unter Wahrung der bestehenden Grenzen auszuüben, § 40 VwVfG (vgl. zum vergleichbaren Fall der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung auf Dienstfähigkeit: BVerwG, U.v. 19.06.2000 – 1 DB 13/00 – juris). Unter Berücksichtigung dessen sind relevante Ermessensfehler hier nicht erkennbar.
48
Es handelt sich bei den vorgenannten festgestellten Unfallfolgen keineswegs um Erkrankungen, die ausnahmsweise vollkommen unveränderlich sind, wie dies etwa im Falle einer Amputation von Gliedmaßen angenommen werden könnte, sodass sich die Anordnung einer Nachuntersuchung in einem derartigen Falle ggf. als sachwidrig erweisen könnte. Vielmehr handelt es sich bei den im Bescheid vom 28.09.2011 festgestellten Unfallfolgen sämtlich um körperliche Beschwerden, die im zeitlichen Verlauf ohne weiteres einer Veränderung unterliegen können, sodass die Beklagte im November 2021 berechtigt war, eine Nachuntersuchung zu verfügen, zumal die Festsetzung des Unfallausgleichs zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem rund 10 Jahre alten Gutachten aus dem Jahre 2011 resultierte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich erfolgten sozialmedizinischen Begutachtung des Klägers vom 15.12.2015, die im Ergebnis keine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Jahr 2011 erbracht hat. Denn zwischen diesem Gutachten und der Anordnung der Nachuntersuchung lag erneut ein langer Zeitraum von rund 6 Jahren, der die vorgenommene Nachuntersuchungsverfügung rechtfertigt, zumal das sozialmedizinische Gutachten überdies nicht die Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge eines Dienstunfalls nach § 35 BeamtVG zum Gegenstand hatte, sondern die hiervon abweichende Frage der gesundheitlichen Eignung bzw. der Dienstfähigkeit für den Polizei(vollzugs) dienst. Überdies kann nach Ziffer 35.3.1.3 BeamtVGVwV auch bereits die Anpassung und Gewöhnung an den Unfallfolgezustand eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen, was eine Nachuntersuchung nach einem längeren Zeitraum zusätzlich rechtfertigt. Entgegen der klägerischen Ansicht wird in der vorgenannten Verwaltungsvorschrift nicht geregelt, dass es sich bei dem reinen Zeitablauf nicht um einen Anhaltspunkt handeln kann, der Anlass für eine Überprüfung und Nachuntersuchung bieten kann. Vielmehr kann gemäß nach Satz 2 der Verwaltungsvorschrift lediglich die letztliche Bejahung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse in Form der Anpassung und Gewöhnung an den Unfallfolgezustand nicht allein auf den Zeitablauf gestützt werden. Zweifellos kann jedoch ein längerer seit einem Dienstunfall verstrichener Zeitraum einen Anhaltspunkt für die Anpassung und Gewöhnung an den Unfallfolgezustand darstellen, da Anpassung und Gewöhnung naturgemäß gerade über einen längeren Zeitraum eintreten können. Dies festzustellen ist jedoch wiederum Gegenstand der ärztlichen Nachuntersuchung. Schließlich besteht ein weiterer gewichtiger Anhaltspunkt für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darin, dass der Kläger seit seiner Begutachtung im Jahre 2011 unwidersprochen keine ärztlichen Befunde im Hinblick auf die festgestellten Unfallfolgen mehr vorgelegt und auch keine diesbezüglichen Heilverfahrenskosten geltend gemacht hat. Unter dem 14.01.2021 hat der Kläger jedenfalls mitgeteilt, dass er sich derzeit nicht in einer ärztlichen Behandlung befinde. Bei den laut Gutachten vom 10.07.2011 chronifizierten Unfallfolgen – Nackenschmerzen, Kopfschmerzen, Armschmerzen, Sensibilitätsstörungen sowie Tinnitus und Schwindel – wäre bei lebensnaher Betrachtung jedoch davon auszugehen, dass zur Behandlung und Linderung dieser Beschwerden immer wieder Arztbesuche und physiotherapeutische Maßnahmen etc. vonnöten sind und hierfür entsprechende Kosten anfallen, die gegenüber der Dienstunfallstelle abgerechnet werden. Da nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger derartige Kosten privat getragen hat, lässt sich aus dem Fehlen von Behandlungsmaßnahmen über einen solch langen Zeitraum durchaus auf eine mögliche Besserung der Beschwerden und damit eine Verringerung der MdE schließen, zumal der Kläger eine dieser Annahme entgegenstehende nachvollziehbare Erklärung im Verfahren nicht abgegeben hat. All dem kann der Kläger nicht mit dem pauschalen Hinweis entgegentreten, dass sich sein Gesundheitszustand seit der Festsetzung des Unfallausgleichs im Jahre 2011 nicht verändert habe.
49
Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem seinerzeitigen Bewilligungsbescheid über die Gewährung von Unfallausgleich vom 28.09.2011 bzw. aus den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten bzw. dem sozialmedizinischen Gutachten aus dem Jahre 2015. Insbesondere steht deren Inhalt der späteren Annahme gewichtiger Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen nicht entgegen; dieser bietet auch keinen triftigen Grund, die Nachuntersuchung klägerseitig zu verweigern.
50
Der Kläger führt insoweit an, dass eine MdE von 30% unter Beachtung der genannten Dokumente dauerhaft festgestellt worden sei. Im Bescheid vom 28.09.2011 wird ausgeführt, dass die MdE ab 03/2008 auf 30% festgesetzt wird. Eine Nachuntersuchung sei wegen des bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich. Unabhängig von der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob der vorgenannte Bescheid bei der Beklagten von der richtigen Behörde erlassen wurde, kann sich der Kläger vorliegend nicht auf dessen fortdauernde Bindungswirkung berufen, was sich bereits daraus ergibt, dass dort lediglich von einer „voraussichtlich“ gleichbleibenden MdE die Rede ist, sodass deren seinerzeit festgesetzte Höhe von 30% erkennbar nicht dauerhaft unveränderbar gilt und daher denknotwendig auch eine künftige Nachuntersuchung nicht dauerhaft ausgeschlossen werden kann. Vielmehr unterliegt die seinerzeitige Festsetzung über § 35 Abs. 3 BeamtVG durchaus einer Überprüfung und ggf. Veränderung. Darüber hinaus wird eine Nachuntersuchung durch den Dienstherrn in dem Bescheid auch keineswegs ausgeschlossen; eine solche wird dort lediglich als „nicht erforderlich“ bezeichnet, woraus der Kläger nicht das zwingende dauerhafte Absehen von einer Überprüfung für sich herleiten kann. Unabhängig davon ist die vom Kläger aus dem Bescheid vom 28.09.2011 hergeleitete dauerhafte und absolute Bindungswirkung aber auch dem Charakter des Unfallausgleichs, der seinem Wesen nach vielfältigen künftigen Veränderungen unterworfen sein kann, fremd, was gerade die Existenz der Regelung des § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG belegt, die bei durch ärztliche Untersuchung festgestellten wesentlichen Änderungen eine Neufestsetzung des Unfallausgleichs zwingend erfordert. Die dort geregelte Verpflichtung des Beamten, sich einer ärztlichen Nachuntersuchung zu unterziehen, knüpft an den vorausgehenden Satz 1 an. Der Zweck der Untersuchung ist daher die Bewertung, ob hinsichtlich der Verhältnisse, die für die Feststellung des Unfallausgleichs maßgebend waren, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (vgl. Steghofer/Schmalhofer/Bauer Beamtenversorgungsrecht, Hauptband II, § 35 BeamtVG Rn. 128), wobei sich im Rahmen der ärztlichen Überprüfung sowohl ergeben kann, dass eine Veränderung tatsächlich eingetreten ist oder aber dass sich die zuvor angenommenen Anhaltspunkte für eine Veränderung letztlich doch nicht als durchgreifend erwiesen haben und es bei der bisherigen Regelung zu verbleiben hat. Unabhängig von vorstehenden Ausführungen wird von der Bindungswirkung nur der Tenor eines Verwaltungsakts erfasst und nicht auch dessen Begründung (vgl. etwa: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 15 m.w.N.). Der im Bescheid vom 28.09.2011 enthaltene Satz, dass eine Nachuntersuchung wegen des bleibenden Körperschadens mit voraussichtlich gleichbleibender MdE nicht erforderlich sei, ist nach dem erkennbaren Empfängerhorizont nicht Teil des Tenors dieses Bescheides, sondern stellt – als Teil von dessen Begründung – lediglich eine zum damaligen Zeitpunkt angestellte Prognose mit Hinweischarakter dar. Entsprechend dem materiellen Dienstunfallrecht sollten durch den Bescheid ersichtlich allein eine Regelung zur Feststellung bestimmter Unfallfolgen nach § 31 BeamtVG getroffen werden sowie zur Feststellung eines Unfallausgleichs in bestimmter Höhe ab einem bestimmten Zeitpunkt gemäß § 35 Abs. 1 und 2 BeamtVG. Einen bindenden Ausschluss künftiger Nachuntersuchungen betreffend einen Unfallausgleich sieht das Dienstunfallrecht nicht vor, was auch der Regelung des § 35 Abs. 3 BeamtVG zuwiderliefe, weshalb insoweit ersichtlich keine Entscheidung mit Regelungscharakter getroffen werden sollte. Die vorgenannten Argumente gelten in gleicher Weise auch in Bezug auf die Feststellungen in der gutachterlichen Stellungnahme des arbeitsmedizinischen Dienstes der Beklagten vom 26.08.2011 sowie in den Gutachten vom 10.07.2011 und vom 15.12.2015, zumal den jeweiligen ärztlichen Verfassern bereits nicht die Kompetenz zu einer Regelung hinsichtlich der MdE bzw. dem Erfordernis einer Nachuntersuchung zukommt. Nach alldem war es dem Dienstherrn unter Berücksichtigung der oben dargestellten Anhaltspunkte und Entwicklungen seit Erlass des Bescheides vom 28.09.2011 ohne Rechtsverstoß möglich, gegenüber dem Kläger im November 2021 eine ärztliche Nachuntersuchung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG anzuordnen.
51
Schließlich kann der Kläger sein Begehren auch nicht auf § 62 Abs. 3 BVG stützen, wonach bei Versorgungsberechtigten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, der Grad der Schädigungsfolgen wegen Besserung des schädigungsbedingten Gesundheitszustandes oder einer Änderung der Verordnung nach § 30 Abs. 17 infolge neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht niedriger festzusetzen ist, wenn er in den letzten 10 Jahren seit Feststellung nach diesem Gesetz unverändert geblieben ist. Diese Vorschrift des sozialen Entschädigungsrechts ist im beamtenrechtlichen Unfallrecht weder direkt noch analog anwendbar. Die Norm setzt bereits in ihrem Tatbestand eine Festsetzung des Grades der Schädigungsfolgen „nach diesem Gesetz“, also nach dem BVG, voraus, was vorliegend nicht der Fall war. Auch der Anwendungsbereich des BVG ist gemäß dessen § 1 offensichtlich nicht eröffnet. Darüber hinaus ist auch eine analoge Anwendung der Vorschrift nicht möglich. Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf dieser Norm nicht unterfallende Sachverhalte setzt zunächst eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein (vgl. BVerwG, B.v. 12.01.2023 – 2 B 38/22 – juris). Vorliegend fehlt es jedoch an einer solchen planwidrigen Regelungslücke, da dem Gesetzgeber des Beamtenversorgungsgesetzes die Vorschrift des § 62 Abs. 3 BVG durchaus bekannt war und er sich gleichwohl bewusst gegen die Übernahme der dortigen Ausnahmevorschrift in das Beamtenrecht entschieden und es vielmehr bei der allgemeinen Regelung des § 35 Abs. 3 BeamtVG belassen hat. Darauf deutet im Übrigen auch deutlich hin, dass der Gesetzgeber in § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG punktuell auf eine andere Vorschrift des Bundesversorgungsgesetzes verwiesen hat, dies jedoch hinsichtlich § 62 Abs. 3 nicht getan hat. Nur ergänzend sei erwähnt, dass die vorstehende Einschätzung auch durch Ziffer 35.2.1.4 BeamtVGVwV bestätigt wird, wonach bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit und des daraus resultierenden Unfallausgleichs allein die rechtlichen Vorgaben des BeamtVG maßgeblich sind. Entscheidungen des Versorgungsamtes oder des Amtes für soziale Sicherung sind bei der Bewertung der dienstunfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit ebenso wenig zugrundezulegen wie die Regelungen des BVG. Die genannte Verwaltungsvorschrift gilt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht nur für die erstmalige Feststellung von Unfallfolgen, sondern – entsprechend ihrem Wortlaut – generell bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit und des daraus resultierenden Unfallausgleichs und damit auch im Rahmen einer Neufeststellung.
52
Nach alledem bestanden hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Unfallausgleich maßgebend gewesen sind, sodass zur Überprüfung, ob eine wesentliche Änderung tatsächlich eingetreten ist und etwaig eine Neufeststellung des Unfallausgleichs zu erfolgen hat, der Kläger nach § 35 Abs. 3 Satz 2
53
BeamtVG verpflichtet war, sich auf Anordnung der zuständigen Behörde ärztlich untersuchen zu lassen. Eine dementsprechende konkrete Aufforderung zur ärztlichen Untersuchung ist mit Schreiben des zuständigen Service-Centers D. vom 03.11.2021, 23.11.2021 sowie erneut mit Schreiben vom 17.12.2021 ordnungsgemäß erfolgt. Entsprechend obiger Ausführungen bestand auch keine Berechtigung bzw. kein triftiger Grund, die angeordnete ärztliche Untersuchung zu verweigern, sodass der Kläger dieser ohne triftigen Grund nicht nachgekommen ist. Schließlich wurde der Kläger im Schreiben der Beklagten vom 23.11.2021 auch unmissverständlich auf eine Einstellung der Leistungen für den Fall der Verweigerung der ärztlichen Untersuchung hingewiesen.
54
Die Beklagte durfte aufgrund dieser unberechtigten Weigerung die Zahlung des Unfallausgleichs ab dem 01.04.2022 bis auf weiteres einstellen. Der Behörde obliegt zwar die materielle Beweislast für eine etwaige Neufeststellung des Unfallausgleichs, insbesondere bei einer Herabsetzung desselben. Demgegenüber trifft den Beamten jedoch eine Mitwirkungspflicht, die in § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG ihren klaren Ausdruck findet. Danach ist der Beamte verpflichtet, sich auf Anordnung der obersten Dienstbehörde durch einen von ihr bestimmten Arzt untersuchen zu lassen. Zwar bewirkt ein Verstoß gegen diese Mitwirkungspflicht keine Umkehr der Beweislastverteilung. Sie ist jedoch bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit der Würdigung aller einschlägigen Umstände stellt die unberechtigte Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG zu unterziehen, ein erhebliches Indiz dafür dar, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Unfallausgleichs maßgebend gewesen sind, eingetreten ist. Dies entspricht einem aus § 444 ZPO abzuleitenden und auch im Verwaltungsverfahren Geltung beanspruchenden allgemeinen Rechtsgrundsatz. Nach diesem Grundsatz kann das die Benutzung eines bestimmten Beweismittels schuldhaft vereitelnde Verhalten einer Partei als ein Umstand gewertet werden, der – wenn auch nicht notwendig – für die Richtigkeit des Vorbringens des Gegners spricht (vgl. BVerwG, B.v. 19.06.2000 – 1 DB 13/00 – juris; U.v. 18.09.1997 – 2C 33/96 – juris). Die in § 35 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG geregelte Verpflichtung des Beamten ginge ins Leere, wenn aus einer unberechtigten Weigerung keine Rückschlüsse gezogen werden könnten. Andernfalls hätte es der Beamte in der Hand, entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung eine Neufeststellung des Unfallausgleichs erheblich zu erschweren oder zu vereiteln (vgl. BVerwG, a.a.O.; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht, Hauptband II, § 35 BeamtVG Rn. 130).
55
Unter Berücksichtigung dessen ist es auch im hier vorliegenden Fall gerechtfertigt, aus der unberechtigten Weigerung des Klägers, sich ärztlich untersuchen zu lassen, auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zu schließen, zumal keine dem entgegenstehenden hinreichenden Feststellungen für das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ersichtlich sind. Solche ergeben sich zum einen nicht aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr. W. vom 02.11.2022, zumal dieses nach Aktenlage erfolgen musste und eine aktuelle Befunderhebung bezüglich der Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit gerade nicht vorgenommen werden konnte. Zum anderen ist auch den Akten sowie dem Vorbringen des Klägers – über die pauschale Behauptung des weiteren Fortbestehens der Gesundheitsbeschwerden hinaus – nichts Substantiiertes zu entnehmen, was auf das unveränderte Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 35 Abs. 1 BeamtVG schließen lässt. Die von der Beklagtenseite genannten Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Verhältnisse wurden entsprechend obiger Ausführungen vom Kläger nicht durchgreifend infrage gestellt. Angesichts des behaupteten uneingeschränkten Fortbestandes der Unfallfolgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit sowie unter Berücksichtigung des überschaubaren Aufwandes und der geringen Eingriffsintensität der angeordneten ärztlichen Untersuchung wäre es dem Kläger ein Leichtes gewesen, den Dienstherrn von der weiteren Rechtmäßigkeit des mit Bescheid vom 28.09.2011 festgesetzten Unfallausgleichs zu überzeugen. Indem er seine Mitwirkung jedoch seit geraumer Zeit ohne triftige Gründe verweigert, liegt vielmehr der Schluss nahe, dass tatsächlich eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Unfallausgleich maßgebend gewesen sind, eingetreten ist. Somit sind auch die Voraussetzungen der Ziffer 35.3.2.2 BeamtVGVwV zur Einstellung der Zahlung des Unfallausgleichs erfüllt.
56
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.