Titel:
Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung
Normenketten:
AufenthG § 68 Abs. 1, Abs. 4
BayVWVfG Art. 62 S. 2
BGB § 194
Leitsatz:
§ 68 Abs. 4 AufenthG regelt das durch die Verpflichtungserklärung begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Erklärenden und dem Staat und gestaltet es inhaltlich, formell und verfahrensrechtlich aus; selbst bei einem Verstoß gegen diese Vorschrift kann weder nach Wortlaut noch nach Funktion erkannt werden, wie sich diese zu Gunsten der die Verpflichtungserklärung abgebende Person auswirken soll. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung, keine Verjährung, Verpflichtungserklärung, Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Verjährung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9245
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur Zahlung von Kosten für die Unterkunft und Verpflegung einer Person durch den Beklagten.
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1. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2021 verpflichtete die Regierung von U. den Kläger, für den Zeitraum vom 29. März 2011 bis einschließlich 28. Februar 2013 die für Frau T. … G. … Z. … aufgewendeten Kosten für die Unterkunft (inklusive Heizung, Haushaltsenergie und sonstiger Betriebskosten) sowie Verpflegung in Höhe von 4.590,01 EUR zu tragen (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids). Der Betrag sei auf ein Konto der Staatsoberkasse Bayern zu überweisen (Ziffer 2). Kosten für den Bescheid wurden nicht geltend gemacht (Ziffer 3).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger habe am 30. Dezember 2010 bei der Ausländerbehörde der Stadt R. … eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG zu Gunsten seiner Cousine Frau T. … G. … Z. …, geb. …1970, äthiopische Staatsangehörige, abgegeben. Frau T. … G. … Z. … sei am 27. März 2011 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 29. März 2011 habe sie sich in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung (ZAE) Zirndorf eingefunden und am 13. April 2011 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Antrag auf Asyl gestellt. Vom 29. März 2011 bis 11. August 2011 sei Frau T. … G. … Z. … in der ZAE Zirndorf untergebracht gewesen. Anschließend habe sie vom 12. August 2011 bis zum 30. Juni 2013 in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Würzburg gelebt.
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In rechtlicher Hinsicht wurde weiter ausgeführt, dass mit der Abgabe der öffentlich-rechtlichen Willenserklärung in Form der Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG sich der Kläger beginnend mit der am 27. März 2011 erfolgten Einreise der Frau T. … G. … Z. … in die Bundesrepublik für den Zeitraum von maximal drei Jahren (somit bis längstens 27. März 2014) zur Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel verpflichtet habe, die für den Lebensunterhalt von Frau T. … G. … Z. … einschließlich der Versorgung mit Wohnraum aufgewendet worden seien. Dies ergebe sich unmittelbar aus den §§ 68 Abs. 1, 68a AufenthG i.V.m. der Verpflichtungserklärung vom 30. Oktober 2010. Da die finanzielle Belastbarkeit des Klägers im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell geprüft worden sei, komme ein atypischer Fall hier prinzipiell nur bei einer im weiteren Verlauf eingetretenen Verschlechterung der finanziellen Situation in Betracht. Da diesbezüglich im Rahmen des Anhörungsverfahrens keine Reaktion des Klägers erfolgt sei, spreche im vorliegenden Fall nichts dafür, dass die Heranziehung zur vollumfänglichen Kostenerstattung zu einer unzumutbaren Belastung des Klägers führen könne. Der Kläger habe nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die öffentlichen Mittel für die Versorgung mit Wohnraum inklusive Verpflegung zu erstatten. Die Höhe des Erstattungsanspruchs richte sich deshalb nach den tatsächlichen Aufwendungen, die im konkreten Nutzungsverhältnis und Zeitraum angefallen seien. Bei der Berechnung der Erstattungskosten werde auf eine Vollbelegung der Unterkunft abgestellt und nicht auf die tatsächliche Belegungszahl. Hierdurch werde sichergestellt, dass die Kosten eines eventuellen Leerstands nicht vom Kläger zu tragen seien.
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Laut Zustellungsurkunde wurde der Bescheid am 11. Dezember 2021 zugestellt.
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2. Hiergegen erhob der Kläger am 27. Dezember 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg und beantragte,
den Bescheid der Regierung von U. vom 7. Dezember 2021, zugestellt am 16. Dezember 2021, aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine genaue Berechnung liege dem Bescheid nicht zu Grunde. Aus der Anlage zum Bescheid ergebe sich weder welche Kosten in Bezug auf Unterkunft und Heizung für Frau Z. … aufgewandt worden seien, noch würden für den Zeitraum ihrer Unterbringung die Verpflegungskosten nachgewiesen. Dies erlange vorliegend erhebliche Bedeutung, da Frau Z. … über längere Zeiträume erkrankt sei und sich in stationärer Behandlung befunden habe, so dass sie sich nicht immer in der Unterkunft befunden habe. Demzufolge könne dem Kläger nicht pauschal ein Betrag für den von dem Beklagten geltend gemachten Zeitraum in Rechnung gestellt werden. Der Erstattungsumfang der geforderten Rückerstattung sei zu konkretisieren, da die Sachleistungen nicht allein dadurch erbracht worden seien, dass sie bewilligt worden seien, sondern es sei auf die tatsächlichen Leistungen abzustellen. Eine solche Konkretisierung sei nicht erfolgt, so dass der Erstattungsbescheid schon aus diesem Grund rechtswidrig sei. Darüber hinaus sei der Anspruch verjährt. Die Behauptung, die zuständige Behörde habe erst am 12. Januar 2018 vom Vorliegen der Verpflichtungserklärung Kenntnis erhalten, werde bestritten.
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3. Der Beklagte ist dem entgegengetreten und beantragte,
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Zur Begründung wurde insbesondere angegeben, Frau Z. … sei in den benannten Zeiträumen in den Einrichtungen untergebracht gewesen. Sie habe die Unterkünfte in dieser Zeit auch tatsächlich in Anspruch genommen. Ein in diesen Zeitraum fallender längerer Krankenhausaufenthalt sei dem Beklagten nicht bekannt und seitens des Klägers auch nicht nachgewiesen. Sollte Frau Z. … im streitgegenständlichen Zeitraum nicht täglich in der Unterkunft anwesend gewesen sein, was die hinterlegten Verpflegungstage nahelegen könnten, so handele es sich hierbei jedoch jeweils lediglich um kurze Abwesenheitszeiten. Auch in den kurzen Abwesenheitszeiten sei Frau Z. … ihr Zimmer vorgehalten worden. Der Bescheid sei auch ausreichend begründet. Es genüge, wenn er wie vorliegend die Rechtsgrundlage, den Zeitraum, in dem die Kosten angefallen seien, die Höhe der geforderten Kosten sowie den Zweck, für den die geforderten Kosten angefallen seien, angebe. Eine Auflistung im Einzelnen angefallener Kostenpositionen samt Nachweisen und Zahlungsbelegen sei nicht erforderlich. Hinsichtlich Verpflegung seien zudem nur die Tage berücksichtigt, in denen Frau Z. … auch tatsächlich die Verpflegung in Anspruch genommen habe und gerade kein pauschaler Betrag in Rechnung gestellt worden. Da die finanzielle Belastbarkeit des Klägers im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell geprüft worden sei, komme ein atypischer Fall prinzipiell nur bei einer im weiteren Verlauf eingetretenen Verschlechterung der finanziellen Situation in Betracht. Eine solche Verschlechterung habe der Kläger weder behauptet noch nachgewiesen, sodass von einem Regelfall auszugehen sei. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 7. Dezember 2021 sei auch noch keine Verjährung eingetreten.
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4. In der mündlichen Verhandlung am 17. April 2023 war der Kläger in Begleitung seiner Bevollmächtigten erschienen. Eine Beklagtenvertreterin war ebenfalls anwesend. Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten erörtert. Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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5. Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Die Gerichtsakte aus dem Verfahren W 7 K 16.755 lag dem Gericht vor.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Bescheid der Regierung von U. vom 7. Dezember 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Grundlage für die Heranziehung des Klägers zur Kostenerstattung sind § 68 Abs. 1 AufenthG i.V.m. seiner Verpflichtungserklärung vom 30. Dezember 2010.
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Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Bei einer vor dem 6. August 2016 abgegebenen Verpflichtungserklärung verkürzt sich der Zeitraum auf drei Jahre, § 68a AufenthG.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Kläger hat am 30. Dezember 2010 eine Verpflichtungserklärung zu Gunsten von Frau T. … G. … Z. … abgegeben. Diese hielt sich nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet am 27. März 2011 u.a. in der Zeit vom 29. März 2011 bis zum 11. August 2011 in der ZAE Zirndorf und weiter vom 12. August 2011 bis zum 30. Juni 2013 in der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg auf. Der Beklagte hat für die hierdurch entstandenen Kosten für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von insgesamt 4.590,01 EUR eine Tabelle vorgelegt, aus der sich die monatlichen Betriebskosten für die gesamte Einrichtung, die Kosten für einen einzelnen Platz, die Anzahl der abgerechneten Tage, der sich daraus ergebende Kostenanteil für Frau Z. sowie die Verpflegungskosten für die einzelnen Jahre ergeben. Den Verwaltungsvorgängen kann zudem eine detailliertere Übersicht zu den Kosten für Verpflegung – jeweils nach Monaten aufgeschlüsselt – entnommen werden. Diese Vorgehensweise ist für das Gericht nachvollziehbar, plausibel und veranlasst zu keiner Korrektur.
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Auch vermag der Kläger nicht mit dem Vorbringen durchdringen, dass hierbei zu Lasten des Klägers nicht berücksichtigt worden sei, dass sich Frau Z. … während des abgerechneten Zeitraums teilweise im Krankenhaus befunden habe. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang berechtigterweise darauf hingewiesen, dass er zu ihren Gunsten weiterhin den Platz habe vorhalten müssen. Bei den Kosten für die Verpflegung hat er dies zudem berücksichtigt, wie sich aus der monatsweisen Übersicht ergibt, bei der für einzelne Monate jeweils unterschiedliche Verpflegungstage berechnet wurden.
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Gleichfalls nicht zu überzeugen vermag der Einwand, die Forderung sei bereits verjährt. Diese richtet sich nach Art. 62 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. §§ 194 ff. BGB (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2008 – 19 C 07.2884 – juris). Nach § 199 Abs. 1 BGB ist es für den Verjährungsbeginn insbesondere erforderlich, dass die zuständige Behörde hiervon Kenntnis erlangt hat. Im Freistaat Bayern ist dies für die Unterkunfts- und Verpflegungskosten (vgl. § 28 Satz 1 DVAsyl) die Regierung von U., die ausweislich einer Email vom 12. Januar 2018 erstmals von dem den Kläger betreffenden Vorgang Kenntnis erhielt, sodass im Dezember 2021 die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Hieran ändert nichts der Umstand, dass in dem Verfahren W 7 K 16.755 ein Bescheid der Stadt Würzburg aus dem Jahr 2016 streitgegenständlich war. Hierbei handelte sich nicht um die für die Unterkunfts- und Verpflegungskosten zuständige Behörde.
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Schließlich kann der Kläger nichts aus § 68 Abs. 4 AufenthG zu seinen Gunsten herleiten. Hiernach unterrichtet die Ausländerbehörde, wenn sie Kenntnis von der Aufwendung nach Absatz 1 zu erstattender öffentlicher Mittel erlangt, unverzüglich die öffentliche Stelle, der der Erstattungsanspruch zusteht, über die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 und erteilt ihr alle für die Geltendmachung und Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erforderlichen Auskünfte. Die Vorschrift regelt das durch die Verpflichtungserklärung begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Erklärenden und dem Staat und gestaltet es inhaltlich, formell und verfahrensrechtlich aus (vgl. Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 68 AufenthG Rn. 4). Selbst bei einem Verstoß gegen diese Vorschrift kann weder nach Wortlaut noch nach Funktion erkannt werden, wie sich diese zu Gunsten des Klägers vorliegend auswirken soll.
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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2. Die Kostenfolge resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.