Titel:
Gesetzlicher Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes, Begriff der "Sache" iSd § 41 Nr. 4 ZPO
Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 54 Abs. 2, § 173
ZPO § 41 Nr. 4, § 41 Nr. 6, § 580 Nr. 7 b
BVerfGG § 18 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Ein Richter ist nach § 54 Abs. 1 VwGO iVm § 41 Nr. 4 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er zuvor als Behördenvertreter zur prozessualen Vertretung der Behörde bestimmt und insoweit tätig geworden ist. (Rn. 18 – 19 und 22) (red. LS Mendim Ukaj)
2. Für den gesetzlichen Ausschluss ist es ausreichend, dass der Richter zuvor einen Schriftsatz für eine Partei unterschrieben hat – unabhängig vom Umfang der übrigen Beteiligung. (Rn. 19) (red. LS Mendim Ukaj)
3. Der Begriff der "Sache" in § 41 Nr. 4 ZPO ist normzweckorientiert weit auszulegen. Maßgeblich ist die Identität des Streitgegenstands, nicht die Übereinstimmung des konkreten Gerichtsverfahrens oder der Gerichtsbarkeit. (Rn. 24 – 27) (red. LS Mendim Ukaj)
4. Eine enge Auslegung des Begriffs "Sache" widerspricht dem Zweck der gesetzlichen Ausschlussregelungen, die typisierte Fälle von Befangenheit erfassen sollen, ohne dass eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. (Rn. 22) (red. LS Mendim Ukaj)
5. Ein Gleichlauf mit dem engeren Verständnis des Begriffs "Sache" aus § 41 Nr. 6 ZPO ist weder sachlich geboten noch gesetzlich vorgesehen, während die weite Auslegung dem Verständnis des Begriffs "Sache" in § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG entspricht. (Rn. 23 – 25) (red. LS Mendim Ukaj)
6. Das Restitutionsverfahren lässt den Streitgegenstand des ursprünglichen Verfahrens erneut rechtshängig werden, sodass auch hier von der "gleichen Sache" auszugehen ist. (Rn. 29) (red. LS Mendim Ukaj)
Schlagworte:
gesetzlicher Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes, Begriff der „Sache“, richterlicher Ausschluss kraft Gesetzes, Behördenvertretung und Richtertätigkeit, Begriff der "Sache" (§ 41 Nr. 4 ZPO), Identität des Streitgegenstands, Restitutionsklage, Besorgnis der Befangenheit, Auslegung gesetzlicher Ausschlussgründe
Fundstelle:
BeckRS 2023, 9242
Tenor
RinVG … ist in dem vorliegenden Verfahren kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.
Gründe
1
In ihrer dienstlichen Anzeige vom 27. Oktober 2022 hat RinVG … mitgeteilt, dass sie den Beklagten in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht (Az.: B 4 AS 176/21 B) vertreten hat. Dem ging der folgende sozialgerichtliche Verfahrensgang voraus:
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Der Beklagte erließ am 20. Oktober 2016 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem er wegen der Rückforderung von Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – (Rückforderungsbescheid vom 16. April 2007, Az.: BEA-2803-3503) die gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Klägers gegen die BW-Bank als Drittschuldnerin gepfändet und die Einziehung der gepfändeten Forderung angeordnet hat. Die Pfändung blieb aufgrund des Vorliegens eines Pfändungsschutzkontos erfolglos.
3
Nachdem dem Beklagten ein Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Diakonie … … (... … S.) bekannt geworden war, erließ dieser am 22. Mai 2017 einen weiteren Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Dieser richtete sich an die Diakonie … … in S. als Drittschuldnerin.
4
Mit Schreiben vom 12. Juli 2017 an den Beklagten wandte sich der Kläger gegen das Vorgehen des Beklagten mit der Begründung, den Bescheid aus dem Jahr 2007 gebe es nicht.
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Am 11. Juli 2017 erhob der Kläger Vollstreckungsabwehrklage beim Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid für unzulässig zu erklären, dies mit der Begründung, der zu vollstreckende Rückforderungsbescheid sei ihm nicht bekannt gegeben worden.
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Die Zustellung des Bescheides wurde allerdings mittels Postzustellungsurkunde dokumentiert. Einen hinreichenden Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der Urkunde konnte der Kläger nicht erbringen. Das Amtsgericht verwies den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. September 2017 an das Sozialgericht Stuttgart.
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Das Sozialgericht Stuttgart wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. September 2019 – Az. S 17 AS 6167/17 – als unbegründet ab.
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Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg ein. Mit Urteil vom 11. Dezember 2019 – Az. L 3 AS 3321/19 – wies dieses die Berufung als unbegründet zurück und ließ die Revision nicht zu.
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Am 9. Januar 2020 legte der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim Bundessozialgericht ein und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Mit Beschluss vom 14. Mai 2020 – Az. B 4 AS 74/20 B – lehnte das Bundessozialgericht diesen Antrag ab und verwarf die Beschwerde als unzulässig.
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Im weiteren Verlauf begehrte der Kläger die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen sozialgerichtlichen Verfahrens. Der Kläger erhob dazu Restitutionsklage beim Landessozialgericht Baden-Württemberg. Das Landessozialgericht verwarf die Restitutionsklage mit Beschluss vom 7. April 2021 – Az. L 3 AS 3686/20 – als unzulässig.
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der vorgenannten Entscheidung des Landessozialgerichts verwarf das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2022 – Az. B 4 AS 176/21 B – als unzulässig. Außerdem lehnte das Bundessozialgericht den Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, ab. In diesem Verfahren vertrat die nunmehrige RinVG und damalige Oberregierungsrätin … den Beklagten und fertige im Rahmen der Vertretung Schriftsätze. Sie war zu diesem Zeitpunkt am Landratsamt Würzburg tätig. Ihr oblag aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Landratsamts W. die rechtliche Betreuung des behördenintern für die Vollstreckung zuständigen Fachbereichs. An dem diesem Verfahren zeitlich vorgehenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren hat RinVG … nicht mitgewirkt.
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Im Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Würzburg wendet sich der Kläger gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 22. Mai 2017. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 4. Januar 2020 beim Beklagten zunächst Widerspruch ein. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 22. April 2020, dem Kläger zugegangen am 24. April 2020, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin erhob der Kläger am 4. Mai 2020 Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg gegen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Landratsamtes W. vom 22. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020. Der Kläger begründet dies damit, dass der dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugrundeliegende Bescheid rechtswidrig sei, weil es für die Rückforderung an einer Rechtsgrundlage fehle. Außerdem sei ihm der Rückforderungsbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.
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Seit ihrer Versetzung an das Verwaltungsgericht Würzburg ist RinVG … ausweißlich des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans Mitglied der 3. Kammer. Aufgrund des kammerinternen Geschäftsverteilungsplanes ist sie Berichterstatterin in dem vorliegenden Verfahren. RinVG … erstattete deshalb am 27.Oktober 2022 Selbstanzeige und teilte ihre Vertretung der Beklagten in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht (Az. B 4 AS 176/21) mit.
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Mit Schriftsatz vom 3.November 2022 bestätigte der Beklagte die in der Selbstanzeige enthaltenen Angaben. Auch der Kläger bestätigte mit Schriftsatz vom 18. November 2022 die Beteiligung von RinVG … an dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht. Ein Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit seitens der Beteiligten erfolgte nicht.
15
RinVG … ist kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.
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Dies ergibt sich jedoch nicht aus § 54 Abs. 2 VwGO. Hiernach ist ein Richter von der Ausübung des Amtes ausgeschlossen, wenn er bei dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Dies erfasst das gesamte behördliche Verfahren einschließlich eines etwaigen Widerspruchsverfahrens, aber eben nur das Verwaltungsverfahren, in dem die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Entscheidung ergangen ist (BVerwG, B.v. 5.1.2010 – B 5 58/09 – BeckRS 2010, 45896). RinVG … hat an dem Verwaltungsverfahren nicht mitgewirkt, sondern war ausschließlich mit der Vertretung des Beklagten vor dem Bundessozialgericht in dem Verfahren Az. B 4 AS 176/21 betraut.
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RinVG … ist im vorliegenden Verfahren allerdings nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.
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Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes in Sachen ausgeschlossen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist.
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Das Tatbestandsmerkmal „Prozessbevollmächtigter“ erfasst auch Richter, die vorher als Behördenvertreter tätig gewesen sind, zumindest soweit sie in dieser Sache tatsächlich zur prozessualen Vertretung der Behörde bestimmt worden sind (Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, VwGO, 43. EL August 2022, § 54 Rn. 21; Kluckert in Sodan/Ziekow; VwGO, 5. Auflage 2018, § 54 Rn. 26; Wysk, VwGO, 3. Auflage 2020, Rn. 7). Dabei ist für die Ausschließung bereits die Unterschrift unter einem Schriftsatz, der für einen Verfahrensbeteiligten bei dem Gericht eingereicht worden ist, ausreichend (Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, VwGO, 43. EL August 2022, § 54 Rn. 21). RinVG … oblag die behördeninterne Betreuung des für die Vollstreckung zuständigen Fachbereichs der Beklagten. In diesem Rahmen vertrat sie den Beklagten in dem Verfahren Az. B 4 AS 176/21 vor dem Bundessozialgericht und fertigte dazu Schriftsätze für den Beklagten.
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Hierbei handelt es sich im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO um dieselbe „Sache“ wie im vorliegenden Verfahren. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Sache“ in § 41 Nr. 4 ZPO ist in Literatur und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Teilweise wird der Begriff „Sache“ eng, nur bezogen auf den konkreten Rechtsstreit, verstanden. Vorzugswürdig ist jedoch die Auffassung, welche den Begriff der „Sache“ erweiternd auf den gleichen Streitgegenstand auslegt.
21
Würde man den Begriff der Sache eng auslegen, könnte man im vorliegenden Fall nicht von derselben Sache ausgehen, weil es sich um Verfahren vor unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten handelt. Obwohl der Streitgegenstand in dem Verfahren vor den Sozialgerichten mit dem Streitgegenstand in dem vorliegenden Verfahren identisch ist, wäre RinVG … nach dieser Auffassung nicht nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO auszuschließen. Dies hätte zur Folge, dass das Gericht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48, 42 Abs. 2 ZPO eine Entscheidung treffen müsste (BVerwG, B.v. 28.5.2009 – 5 PKH 6/09 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 20.07.2021 – 22 ZB 21.496).
22
Die enge Auslegung, die eine Prüfung der Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall zur Folge hätte, wird jedoch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ausschließungsgründe nicht gerecht. Die gesetzlichen Ausschließungsgründe sind gewissermaßen typisierte Fälle der Befangenheit, welche das Gesetz für Fälle vorsieht, in denen die Befangenheit nicht durch die Würdigung des Einzelfalls ermittelt werden muss, sondern in dem sich diese schon aus dem Typ der vorangegangenen Verfahrenshandlung ergibt und daher in höherem Maße offensichtlich ist (BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80.D61 n.V.).
23
Für eine enge Auslegung des Begriffs „Sache“ im Sinne von § 41 Nr. 4 ZPO spricht ebenso nicht die Wortgleichheit mit § 41 Nr. 6 ZPO, weil § 41 Nr. 6 ZPO schon von seiner Zielrichtung enger ist. Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetz ausgeschlossen in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder in einem schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Der Begriff der Sache im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO ist somit nicht mit dem Begriff der Sache nach § 41 Nr. 6 ZPO gleichzusetzten, da letztere Vorschrift nur die Mitwirkung derselben Person in der höheren Instanz bei der Entscheidung über eine bei ihr angefochtenen Entscheidung einer früheren Instanz ausschließen will (BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80.D61 – n.v.).
24
Vorzugsweise ist deshalb die Auffassung, die unter dem Begriff der Sache in § 41 Nr. 4 ZPO die Identität des Streitgegenstandes versteht, dies vor dem Hintergrund, dass durch die Prozessvertretung Bindungen zu einer Partei aufgebaut wurden (Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 41 Rn. 11; Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 41 Rn. 20 mit Verweis auf BGH, B.v. 2.11.2016, AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16; BayVGH, B.v. 22.7.2014 – 20 ZB 14.339 – BeckRS 2014, 54381). Entscheidend für die Auslegung des Begriffs „Sache“ ist daher, ob der Gegenstand der früheren Entscheidung noch Gegenstand der heute zu treffenden Entscheidung ist, weil ein Richter nicht noch einmal über die Frage entscheiden soll, an deren Behandlung er bereits mitgewirkt hat (BayVGH, B.v. 21.11.1980 – 11 CS 80.D61 – n.v.).
25
Diese weitere Auslegung stellt darüber hinaus auch den Gleichlauf zu § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG sicher. Auch hier ist der Begriff der „Sache“ nicht in einem strikt verfahrensbezogenen Sinn zu verstehen. Zwar meint der Begriff zunächst das (verfassungs-) gerichtliche Verfahren selbst. Allerdings sind unter diesem Begriff auch vorangegangene und sachlich zugeordnete Verfahren zu verstehen (BVerfG, B.v. 5.4.1990 – 2 BvR 413/88 – juris Rn. 19ff.).
26
Unter Zugrundelegung der weiten Auslegung des Begriffs „Sache“ in § 41 Nr. 4 ZPO, ist RinVG … im Rahmen der dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegenden Sache bereits als Prozessbevollmächtigte des Beklagten aufgetreten. RinVG … hat den Beklagten vor dem Bundessozialgericht vertreten. Der Kläger hat in diesem Verfahren Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts vom 7. April 2021 erhoben, in welchem das Landessozialgericht die Restitutionsklage des Klägers als unzulässig verworfen hatte. Der Streitgegenstand in diesem Verfahren ist identisch mit dem Streitgegenstand im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
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Nach dem sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Streitgegenstand durch das im Klageantrag zum Ausdruck kommende Klagebegehren und den ihm zugrunde gelegten Sachverhalt (Klagegrund) bestimmt (Bamberger in Wysk, VwGO, § 121 Rn. 6 m.w.N.; Bacher in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 47. Edition, 2022, § 253 Rn. 51). Der Kläger wendet sich sowohl in den Verfahren vor den Sozialgerichten als auch mit seiner Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Beklagten (Bescheid vom 22.5.2017). Er verfolgt in beiden Fällen das Ziel, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid für unzulässig zu erklären. Er begründet die Unzulässigkeit sowohl in den Verfahren vor den Sozialgerichten als auch im vorliegenden Verfahren damit, dass ihm der zu vollstreckende Rückforderungsbescheid nicht zugegangen sei und der zu vollstreckende Rückforderungsbescheid darüber hinaus auch nicht rechtmäßig sei.
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Die Restitutionsklage ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Beseitigung der Rechtskraftwirkung eines rechtskräftig beendeten gerichtlichen Verfahrens, soweit die Grundlagen der früheren Entscheidung – hier durch nachträglich erlangte Beweismittel im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO – erschüttert worden sind (BVerwG, U.v. 21.7.1988 – 9 C 5/88 – juris Rn. 9).
29
Der Streitgegenstand im Restitutionsverfahren ist mit dem Streitgegenstand im Ausgangsverfahren identisch. Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass neben diesem Streitgegenstand noch ein weiterer Streitgegenstand hinzutritt, der sich auf die Aufhebung des angegriffenen Urteils bezieht (Musilak in Musilak/Voit ZPO, 19. Aufl. 2022, § 578 Rn. 4; Braun/ Heiß in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorbem. zu § 578 Rn. 6). Dies ist im vorliegenden Fall unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass im Restitutionsverfahren zumindest auch Streitgegenstand der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist.
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Nach § 590 Abs. 1 ZPO wird der Vorprozess weitergeführt (BGH, U.v. 3.8.2021 – II ZR 283/19 – NJW-RR 2021, 1650). Ziel des Restitutionsverfahrens ist die Wiederaufnahme eines Verfahrens, also die rückwirkende Beseitigung der Rechtskraft eines früheren Urteils, wodurch der Streitgegenstand des (alten) Prozesses wieder rechtshängig wird. (BAG U.v. 24.9.2014 – 5 AZR 539/12 – NZA 2015, 35 Rn. 30; Musilak in Musilak/Voit ZPO, 19. Aufl. 2022, § 578 Rn. 4; Braun/ Heiß in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, Vorbem. zu § 578 Rn. 6).
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Nach alledem ist der Streitgegenstand in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht, an welchem RinVG … beteiligt war, mit dem Streitgegenstand in dem vorliegenden Verfahren identisch. Damit ist sie kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in dem vorliegenden Verfahren ausgeschlossen.